Tagesordnungspunkt 23
Beratung
Wohnqualität und Infektionsschutz in stationären Pflegeheimen und Einrichtungen der Eingliederungshilfe verbessern. Mindestbauordnung endlich umsetzen.
Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/459
Einbringerin für diesen Antrag ist die Abg. Frau Sziborra-Seidlitz. - Sie haben das Wort.
Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eigentlich war mit dem Koalitionsvertrag der Kenia-Koalition in der vorherigen Legislaturperiode das Thema der Heimmindestbauverordnung verbindlich auf die politische Agenda gesetzt worden. Das war im Jahr 2016 auch dringend nötig; denn die entsprechende Verordnungsermächtigung gemäß Wohn- und Teilhabegesetz war damals bereits seit fünf Jahren ungenutzt.
Eigentlich war dann in der Landtagssitzung am 25. Mai 2018 alles Nötige zum Thema gesagt worden. Eigentlich war mit dem Beschluss des Landtags an diesem Tag und mit der entsprechenden Beschlussrealisierung der Landesregierung vom 16. Juli 2018 auch alles Nötige beschlossen worden.
Beschlossen wurde seinerzeit der Erstellung einer Mindestbauverordnung samt verbindlicher Einzelzimmerquote, dem Verbot von Drei- und Vierbettzimmern, Vorgaben für die technische Ausstattung von Zimmern und einer prinzipiellen Orientierung an der UN-Behindertenrechtskonvention und am Behindertengleichstellungsgesetz.
Eigentlich war nach der Befassung im Sozialausschuss am 18. Juni 2019 die Verordnung auf der Zielgeraden. Es schien seinerzeit eigentlich nur noch eine Formsache zu sein, hinter dieses Anliegen der damaligen grünen Fraktion einen Haken zu machen - leider nur eigentlich.
(Zuruf von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)
Denn diese Ziellinie wurde zum Schaden vieler Pflegebedürftiger in Sachsen-Anhalt nie erreicht. Kurz davor ging dem Land die Puste aus oder, anders gesagt, bekam der alte und neue Finanzminister kalte Füße und verweigerte die Mitzeichnung der fertigen Verordnung.
(Zurufe)
Die neue Regierungskoalition nutzte die Gunst der Stunde, um nun auch politisch die Einzelzimmerquote zu verbessern. Statt diese verbindlich zu normieren, soll sie laut Koalitionsvertrag nur noch als Empfehlung in die neue Heimmindestbauverordnung aufgenommen werden. Dann kann man es sich eigentlich auch sparen. Eine bloße Empfehlung wird wohl keinen Einrichtungsträger dazu bewegen, nennenswerte Investitionen zu tätigen und neue Raumkonzepte zu entwickeln.
(Zustimmung)
Warum auch, wenn das Land nur nett bittet. Es geht aber um wesentlich mehr als um die Einzelzimmerquote.
Es geht darum, sämtliche Standards von der Mindestgröße der Zimmer über die Sanitärausstattung bis hin zur technischen Ausstattung und insbesondere auch den Hitzeschutz endlich auf ein modernes Niveau zu heben. Es geht darum, künftig hoch tragische Todesfälle - Einzelfälle, aber sie kommen vor - etwa durch Verbrühungen beim Baden durch klare Schutzanforderungen auszuschließen.
Es geht schlicht und ergreifend darum, die alte Verordnung aus Zeiten der Bundesgesetzgebung in Sachen Heimrecht endlich zu modernisieren. Denn in der rein formal noch geltenden Heimmindestbauverordnung des Bundes aus dem Jahr 1978, zuletzt geändert im Jahr 2003, finden sich noch hanebüchene Vorgaben z. B., dass ein WC pro acht Bewohnerinnen und Bewohner ausreicht. Diese alten Zöpfe gilt es nun endlich abzuschneiden für ein würdevolles und selbstbestimmtes Leben auch im Alter.
Bitte ersparen Sie uns an dieser Stelle Marktlogik. In einem Land, in dem Pflegeplätze knapp und in den Familien meist alle berufstätig sind, regeln allein das knappe Angebot und die große Nachfrage den Markt. Die Qualität bleibt dem guten Willen der Pflegeunternehmen, der ausdrücklich sehr oft, aber eben leider nicht immer vorhanden ist, vorbehalten.
Wir haben für diese Heimmindestbauverordnung eine gute Vorlage aus der vorherigen Legislaturperiode. Die Arbeit der ministeriellen Fachebene wurde bereits erbracht. Die Abstimmung mit den Trägern ist erfolgt. Im Grunde lag auch schon das Einvernehmen mit dem Landtag vor, wie es § 33 Abs. 2 des Wohn- und Teilhabegesetzes verlangt. Jetzt liegt es einzig am politischen Willen der aktuellen Landesregierung und der regierungstragenden Fraktionen. Auch hierbei gibt es sehr gute Ansätze.
Im Coronasondervermögen wird der Punkt der baulichen Anpassung von stationären Einrichtungen aufgegriffen und mit fast 155 Millionen € untersetzt. Das Thema ist also auf der Agenda, und das ist gut. Lassen Sie Ihrem Geldsegen für Einrichtungen aber nun auch ordnungsrechtliche Vorgaben folgen.
Wenn wir mit dem Coronasondervermögen umfangreiche bauliche Investitionen fördern, dann sollten diese unter der Maßgabe moderner Standards erfolgen. Denn auf der Grundlage der alten Verordnung ließen sich z. B. mit den Geldern noch kleinere Einzelzimmer herstellen, die eine moderne Verordnung gar nicht mehr zulassen würde.
Möglich wären im Moment Einzelzimmer mit einer Fläche von 12 m². Wer einmal an einem Pflegebett gearbeitet hat, der weiß, das ist zu klein. Bundesländer mit eigener Verordnung schreiben überwiegend mindestens 14 m² vor. Auch müssten jetzt die Einrichtungsträger etwa Sanitäreinrichtungen und WLAN-Ausstattung bei der Schaffung von Einzelzimmern nicht zwangsläufig mit bedenken, sollten sie aber.
Mit dem Geld aus dem Sondervermögen rächt es sich nun wirklich, dass die Verordnung in der vorherigen Legislaturperiode auf den letzten Metern gestoppt wurde.
(Zustimmung - Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Ja!)
Aus diesem Grund haben wir in der vorherigen Sitzung des Finanzausschusses versucht, die Mindestbauverordnung per Änderungsantrag in die Erläuterung zu besagter Maßnahme elf - Investitionen in die soziale Infrastruktur zur Sicherstellung der Hygieneschutzstandards - einzufügen. Dieser Antrag fand erwartungsgemäß keine Mehrheit, auch deswegen heute die Einbringung des Antrags mit der umfassenden Forderung nach einer Verordnung hier im Hohen Hause. So leicht lassen wir eben nicht locker.
Nur Geschenke in Form des Sondervermögens können es in diesem Fall einfach nicht sein. Die Politik muss eine Erwartungshaltung benennen und als Rahmen fixieren. Das geschieht nicht aus reiner Eitelkeit, nein, dieser politische Einsatz ist gefragt für die Bewohnerinnen und Bewohner in den stationären Einrichtungen bei uns im Land, damit diese ihr Recht auf Privatsphäre einfordern können, einen Anspruch auf WLAN im Zimmer haben, standardmäßig eigene Sanitäreinrichtungen einfordern können und, absehbar immer wichtiger, damit wirksame Hitzeschutzvorrichtungen in den Einrichtungen sie vor Extremhitzeereignissen schützen.
(Zustimmung)
Von Verschattungsmöglichkeiten an Fenstern über Ansätze der Kühlung durch Begrünung von Dächern und Fassaden bis zur Begrünung rund um Einrichtungen ist vieles möglich und nötig. Auch über die Einrichtung von gesonderten klimatisierten Hitzeschutzräumen muss man an dieser Stelle für die Zukunft diskutieren.
Wir haben als Land an dieser Stelle schlicht und ergreifend die Pflicht, moderne Vorgaben für alle Einrichtungsträger im Land zu erlassen. Wir regeln den Marktzugang, damit alle Träger unter den gleichen Bedingungen agieren und damit niemand Qualitätsstandards unterlaufen kann.
Es ist ein Unding, dass wir weiterhin Dreibettzimmer im Land haben, dass gerade in Pandemiezeiten WLAN kein flächendeckender Standard in den Einrichtungen ist. Es ist ein Unding, dass wir den Betroffenen und ihren Angehörigen als Land immer noch keine eigene Garantie zur baulichen Qualität und Ausstattung geben.
Wir wollen an dieser Stelle wahrlich keine Revolution. Etwa in Bremen gelten ab dem nächsten Jahr um einiges weitergehende Maßnahmen. Neue Einrichtungen in Bremen dürfen künftig höchstens 80 Plätze umfassen, und zwar zu 100 % Einzelzimmer. So sehen wirklich moderne Vorgaben aus.
Für den Moment wäre aber auch eine Mindestbauverordnung, Stand Mai 2020, ein sehr großer Schritt. Daher bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. - Vielen Dank.
(Beifall)