Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD):

Danke schön. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Seit nunmehr zwei Jahren kämpfen wir gegen das Coronavirus, um Gesundheit und Leben aller Menschen zu schützen. Trotzdem füllen sich die Intensivstationen weiter,

(Ulrich Siegmund, AfD: Das stimmt doch gar nicht!)

- doch, das stimmt  , vor allem mit ungeimpften Schwerkranken. Das haben wir uns doch schon mehrmals vortragen lassen.

(Beifall - Zuruf)

Die Pflegekräfte auf den Intensivstationen und natürlich auch in vielen anderen Einsatzbereichen sorgen dafür, dass jeder gut versorgt wird. Ein herzliches Dankeschön für ihr außerordentliches Engagement ist nicht genug; das ist klar. Lassen Sie mich dennoch vorweg einmal mehr tiefe Dankbarkeit aussprechen. In diesem Punkt   darin bin ich sicher   sind wir uns wirklich alle   alle!   einig.

Die Pflegekräfte, ob im Krankenhaus, in Pflegeheimen oder in der ambulanten Pflege, leisten Un-glaubliches in der Pandemie. Sie gehen an ihre körperlichen und seelischen Grenzen, oft auch darüber hinaus. Viele haben sich trotz aller Vorsicht infiziert, sind erkrankt. Leider haben zu viele auch gekündigt aufgrund der ständigen Belastungssituation, die durch die Pandemie eine neue Dimension erreicht hat. Applaus und warme Worte reichen nicht. Daher ist der vereinbarte Coronabonus der Ampel-Koalition für Pflegekräfte in Höhe von bis zu 3 000 € richtig und wichtig. Wie weit der Kreis der Zahlungsberechtigten gefasst wird, ist noch Gegenstand einer Prüfung und Abwägung. Denn noch wichtiger als die Schnelligkeit der Auszahlung ist, dass tatsächliche und empfundene Ungerechtigkeiten so weit wie möglich vermieden werden. Das hat die Erfahrung bereits gezeigt.

(Zuruf)

- Ja.

Meine Damen und Herren! Aus besonderem Anlass gezahlte Prämien ersetzen nicht eine durchgehend faire und angemessene Gestaltung von Löhnen, Arbeitsbedingungen sowie Aus- und Fortbildung.

Das gebietet neben dem Respekt vor der Leistung der Pflegekräfte auch die dringende Notwendigkeit, den Pflegeberuf so zu gestalten, dass Nachwuchskräfte sowie Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger diesen Beruf wählen.

(Zuruf: Oh! - weitere Zurufe)

- Ja, es sind tatsächlich überwiegend Frauen in Pflegeberufen tätig; das muss man auch einmal sagen.

(Zustimmung - Zurufe)

Das ist wahrscheinlich mit ein Grund dafür, dass die Löhne über Jahrzehnte niedriger waren und sind.

Wir möchten, dass die Menschen diesen Beruf wählen und ihm lange erhalten bleiben. Ausschlaggebend ist das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure, vom gesetzlichen Rahmen auf Bundesebene bis hin zu den Trägern der Krankenhäuser und den gesetzlichen Krankenkassen, die das zu einem großen Teil finanzieren. Die Landesregierung - wir hatten das inhaltlich schon einmal gehört - befindet sich an dieser Stelle in einer Sandwich-Position, so will es einmal nennen. Sie befindet sich sozusagen als Belag zwischen den Brotscheiben Bundesgesetzgebung einerseits und Krankenhausträger, Krankenkassen usw. andererseits. Aber umso wichtiger ist es natürlich, dass wir auf Landesebene auch weiterhin alle Möglichkeiten der gestalterischen Einflussnahme nutzen.

Bereits vor der Pandemie sind mit der bundesweiten konzertierten Aktion Pflege dringende Verbesserungen angegangen worden. Dazu zählen das Gesetz zur Reform der Pflegeberufe, die Erhöhung des Pflegemindestlohns, die längst überfällige Angleichung der Bezahlung von Beschäftigten in Ost und West, die Verpflichtung zum Zahlen von Tariflöhnen, die Schaffung von mehr Stellen, die nicht alle besetzt werden konnten, sowie bundeseinheitliche Personalbemessungsverfahren.

Dass der so wichtige Flächentarifvertrag am Einspruch eines kirchlichen Trägers, nämlich der Caritas, gescheitert ist, ist natürlich mehr als bedauerlich.

(Zuruf)

Ich setze auf einen neuen erfolgreichen Anlauf; ein separates kirchliches Arbeitsrecht sollte dem nicht entgegenstehen.

(Zustimmung)

Den Segen dafür werde ich auch beim ökumenischen Neujahrsgottesdienst still erbitten.

Bei den erreichten Verbesserungen kann es nicht bleiben. Wir brauchen größere Gerechtigkeit bei der Bezahlung, die auch in Sachsen-Anhalt längst nicht mehr so schlecht ist wie ihr Ruf; das muss auch einmal gesagt werden. Sie weist aber erhebliche Schwankungen auf. Ich möchte es richtigstellen: Die pauschale Aussage, dass alle Pflegekräfte schlecht verdienen, ist so nicht korrekt. Es schadet dem Berufsbild und den Chancen bei der Anwerbung neuer Fachkräfte, wenn man das so pauschal im Raum stehen lässt.

Natürlich gibt es Unterschiede bei verschiedenen Tätigkeitsbereichen; dabei gibt es auch noch viele Ungerechtigkeiten. Wichtig ist auch, zu erwähnen, die besten Löhne gibt es dort, wo die Beschäftigten einen hohen Grad an gewerkschaftlicher Organisation aufweisen. Gerade hierbei ist im Pflegebereich sicher noch viel zu tun, um die Situation für die Betroffenen deutlich zu verbessern.

(Zustimmung)

Es geht nicht nur um gute Bezahlung. Es geht auch um die Gestaltung der Arbeitsbedingungen und die Weiterentwicklung des Berufs. Hier hat sich die neue Bundesregierung viel vorgenommen; dazu haben auch Stimmen aus Sachsen-Anhalt wesentlich beigetragen, sowohl aus unserem Sozialministerium als auch aus der SPD-Fraktion. Unsere Fraktionsvorsitzende hat eben auch berichtet, dass sie bei den Koalitionsverhandlungen Mitglied der Arbeitsgruppe Gesundheit war.

Um mehr Menschen für den Pflegeberuf zu gewinnen, muss auch die Ausbildung stimmen. Deshalb ist es richtig, dass im Coronasondervermögen des Landes die Ausbildungsvergütung für Pflegehelferinnen vereinbart wurde.

Zudem ist im Koalitionsvertrag vorgesehen, die akademische Pflege zu stärken und insgesamt ein gut abgestuftes System der Arbeitsteilung sowie der Aufstiegs- und Qualifizierungsmöglichkeiten in der Pflege fördern. Den jungen Menschen, die eine berufliche Perspektive suchen, sei gesagt: Eine Ausbildung in der Pflege lohnt sich. Ihre Arbeit wird wertgeschätzt werden, am Arbeitsplatz, in der Gesellschaft und auch im Landtag von Sachsen-Anhalt.

(Zustimmung)

Meine Damen und Herren! Ich möchte noch auf den Punkt eingehen, dass der Markt nicht alles re-gelt. Für den Gesundheitssektor ist das heute weithin anerkannt, weltweit, auch bei uns.

(Zuruf)

- Ja, es gibt ein Marktversagen im Gesundheitssektor; das sagt sogar die Weltbank.

(Zuruf - Zustimmung)

Der Markt regelt nicht alles und das gilt gerade im Gesundheitssektor. Weltweit und auch bei uns wurde ein Teil der Entwicklungen in den Sektoren Krankenhaus und Pflege von einer Euphorie des ungezügelten Marktliberalismus beeinflusst, von dem ich, nachdem ich einige Texte gelesen habe, meine, dass selbst die FDP diesen heute auch nicht mehr so mitträgt, wie das damals der Fall war.

(Zuruf: Das ist doch Quatsch! - Weitere Zurufe)

- Ja, das ist richtig. Ich denke, es war eine weltweite Strömung. Dieser Einfluss hat auch die Politik erfasst; die Demokratie muss ja auch lernen. Wir analysieren die Wirkungen von Maßnahmen und Reformen, die in dieser Zeit, also von den 1990er-Jahren bis in die 2000er-Jahre, eingeführt worden sind, zum Beispiel die DRGs, die Fallpauschalen. Auch das wird natürlich analysiert und kommt jetzt unter die Lupe. Auch die SPD setzt sich sehr dafür ein, dass Reformen kontinuierlich angepasst werden.

Bei allen Chancen, die private unternehmerische Initiativen in den Krankenhaus- und Pflegesektor einbringen, muss die Politik die richtigen Anreize und Anforderungen vorgeben. Das ist in einem von Wirtschaftsinteressen stark dominierten Umfeld bei einem hohen Anteil von solidarischer und öffentlicher Finanzierung gar nicht so einfach, wie es sich anhören mag. Ich möchte gern zwei Beispiele dafür nennen, wie sehr Einflüsse mit der Politik interagieren, die man einfach im Auge haben muss.


Vizepräsident Wulf Gallert:

Frau Richter-Airijoki, im Auge habe ich vor allem Ihre Redezeit und die ist abgelaufen. Deshalb nur noch ein kurzer abschließender Satz.


Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD):

Ja. - Ich möchte auf Unternehmensberatungen hinweisen. Dazu habe ich auch ein sehr prägnantes Beispiel.


Vizepräsident Wulf Gallert:

Nein, Frau Richter-Airijoki, das hatten wir doch gestern schon einmal. Jetzt zu erzählen, was Sie nun alles nicht mehr erzählen können, funktioniert nicht. - Danke, der Redebeitrag ist beendet.

(Zustimmung)


Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD):

Ja. - Also die Überweisung    


Vizepräsident Wulf Gallert:

Frau Richter-Airijoki, ich sagte, der Redebeitrag ist beendet und damit ist er zu Ende.


Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD):

Entschuldigen Sie bitte, Herr Präsident. Meine Uhr war zu Beginn nicht auf Null gestellt.

 

Vizepräsident Wulf Gallert:

Nein. Frau Richter-Airijoki, dann richten Sie bitte ein Beschwerdeschreiben an den Ältestenrat und dann werden wir das auswerten. Eine solche Diskussion führen wir an dieser Stelle nicht mehr.

Sie hätten aber die Chance, weiterzureden, wenn Sie mich agieren lassen würden. Es gibt zunächst eine Frage von Herrn Siegmund. Ob Sie diese beantworten wollen, entscheiden Sie jetzt selbst.


Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD):

Ja.


Vizepräsident Wulf Gallert:

Okay, Herr Siegmund, dann können Sie Ihre Frage stellen.


Ulrich Siegmund (AfD):

Vielen Dank, Herr Präsident, und Frau Richter-Airijoki für die Möglichkeit der Fragestellung. - Ich bin Ihren Ausführungen wohl gefolgt. Ich habe vorhin einen Zuruf zu den Intensivstationen getätigt. Ich habe in diesem Plenum mehrfach dargestellt, dass sich die Anzahl der intensivmedizinisch behandelten Menschen in Deutschland nicht signifikant verändert hat. Es ist natürlich korrekt, dass der Anteil der Personen, die auf den Intensivstationen aufgrund von Corona behandelt werden, steigt. Aber die einzig entscheidende Kennziffer ist die Gesamtbelegung. Ich habe im DIVI-Intensivbettenregister recherchiert: Am 3. Februar dieses Jahres hatten wir in Sachsen-Anhalt 761 intensivmedizinisch behandelte Menschen. Am 21. September, also vor der aktuellen Welle, wie sie bezeichnet wird, hatten wir 642 Fälle und am 14. Dezember, hochaktuell, hatten wir 631 Fälle, also noch weniger als vor Beginn dieser aktuellen Welle.

(Zurufe)

Worauf führen Sie Ihr Argument zurück, dass durch die aktuelle Coronawelle die Intensivbetten in Sachsen-Anhalt in Gänze volllaufen?

(Zuruf: Weil wir nicht mehr operieren! - weitere Zurufe)


Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD):

Es werden ja auch dringende Maßnahmen verschoben, soweit dies möglich ist, Herr Siegmund. Wir haben doch schon gehört, dass sich die Belegung der Intensivbetten an der Grenze befindet. Frau Grimm-Benne hatte das vor wenigen Tagen vorgetragen. Dazu möchte ich nichts weiter sagen. Es ist ganz klar, dass Anderes wegen der hohen Beanspruchung verschoben werden muss.


Vizepräsident Wulf Gallert:

Ich wollte jetzt nichts weiter dazu sagen, aber offensichtlich haben Sie noch eine Frage, Herr Siegmund. Naja, dann kurz.


Ulrich Siegmund (AfD):

Ich würde gern von Ihnen wissen wollen, welche intensivmedizinischen Maßnahmen denn verschoben werden können? Das würde mich interessieren.

(Zuruf: Operationen!)

Es ist ein Unterschied, ob ich eine planbare Operation verschiebe, was im Moment durchaus passiert, oder ob ich einen Intensivfall verschiebe.

(Zuruf: Das sind Intensivfälle! - weitere Zurufe)

Ich möchte einmal wissen, was das ist.

(Zuruf)

- Hören Sie doch mal auf, hier reinzukrakeelen; ich rede doch gar nicht mit Ihnen!

Die Belegung trotzdem auf Corona zu schieben     Das war die Frage. Sie haben gerade gesagt, dass durch Corona die Belegung knapp wird. Ich sage vom ersten Tag an, dass die Pflegesituation die entscheidende Rolle spielt und nicht die Coronasituation.

Können Sie bitte auf die Zahlen, die ich gerade verlesen habe, eingehen. Das wäre supernett.

(Zurufe)

Wenn irgendjemand in diesem Haus auf diese Fakten eingeht, dann wäre das top.

(Zuruf)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Jetzt können Sie antworten, wenn Sie wollen.


Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD):

Nein. Ich beziehe mich auf die Fakten des Ministeriums, die vorgetragen wurden; diese sind eindeutig.

 

Vizepräsident Wulf Gallert:

Jetzt gibt es noch eine Intervention von Herrn Feuerborn. - Herr Feuerborn, Sie haben das Wort.


Olaf Feuerborn (CDU):

Danke, Herr Präsident. Frau Dr. Richter Airijoki, Sie haben vorhin erwähnt, dass sich die Caritas nicht an dem Tarifsystem beteiligt hat. Man muss aber auch sagen, warum sie das nicht gemacht hat. Die Caritas bezahlt ihre Mitarbeiter nämlich seit Jahren nach dem Tarif für den öffentlichen Dienst. Deswegen können sie ja keinen Rückschritt machen; das wäre den Mitarbeitern im Caritasverband nicht zuzumuten. - Vielen Dank.


Vizepräsident Wulf Gallert:

Sie können antworten.


Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD):

Ja, es ist mir bekannt, dass die Caritas zum Teil sogar höhere Löhne zahlt. Aber an dieser Stelle war das kirchliche Arbeitsrecht der hemmende Faktor. Ein flächendeckender Tarifvertrag wäre für die gerechte Gestaltung der Pflegelöhne insgesamt gut. Die Caritas kann natürlich innerhalb dessen dann auch noch weitere Maßnahmen treffen, um mehr zu zahlen, aber sie tut das ja auch nicht durchgehend, sondern es kommt darauf an, wie lange jemand beschäftigt ist usw.

Ich wünsche mir jedenfalls, dass die arbeitsrechtliche Sondersituation im kirchlichen Arbeitsrecht so nicht weitergeht, sondern dass wir einen flächendeckenden Tarifvertrag bekommen.


Vizepräsident Wulf Gallert:

Damit sind wir am Ende Ihres Redebeitrags angelangt; denn ich sehe dazu keine weiteren Fragen oder Interventionen mehr. Diese kämen jetzt auch ohnehin zu spät. - Danke.


Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD):

Kann ich ausnahmsweise den Antrag noch anbringen?


Vizepräsident Wulf Gallert:

Nein, das dürfen Sie nicht mehr. Frau Richter-Airijoki, die Sache mit der Redezeit ist sehr ernst gemeint und wir können nicht darüber verhandeln, wer hier was nach dem Ablauf der Redezeit noch macht. - Danke.