Konstantin Pott (FDP):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn meines Redebeitrags ein klares Bekenntnis dazu, dass dem Pflegepersonal in Sachsen-Anhalt unser größter Dank gebühren muss. Ohne die Pflegekräfte könnten wir diese schwierige Zeit der Coronapandemie nicht überstehen. Daher ist es natürlich unabdingbar, über die Thematik des ITS-Bettenabbaus und den Verlust von Pflegepersonal in Sachsen-Anhalt zu sprechen.

Für die einbringende Fraktion DIE LINKE liegt die Ursache dieser Problematik auf der Hand: Es sind die aktuell schwerwiegenden Einsparungen, der neoliberale Umbau des Gesundheitssystems und die absolute Kommerzialisierung - ja, ist doch logisch. Aber wenn wir den Begriff des Neoliberalismus, der vonseiten der LINKEN gern als Kampfbegriff verwendet wird, einmal genau anschauen, dann bedeutet er nichts weiter als freie Marktwirtschaft mit möglichst wenig Einmischung durch den Staat. Das sind Prinzipien, auf denen unsere Soziale Marktwirtschaft in Deutschland aufbaut.

(Zustimmung)

Genau dafür stehen wir Freien Demokraten und wir stehen auch zu der Wirtschaftsform dieses Landes, liebe Fraktion DIE LINKE.

Am 1. Januar 2020 trat das Krankenhauszukunftsgesetz in Kraft. Dieses stellt sicher, dass der Bund Mittel in Höhe von 3 Milliarden € in die Modernisierung und Ausstattung von Krankenhäusern investiert. Zudem haben wir vor zwei Tagen über das Corona-Sondervermögen entschieden, das die Eigenfinanzierungsanteile der Länder im Rahmen des Krankenhausfinanzierungsgesetzes sicherstellt. Darüber hinaus fließen mehr als 18 Millionen € in eine Ausbildungsvergütung für Pflegehelferinnen und Pflegerhelfer in unserem Bundesland und 320 Millionen € kommen unmittelbar den beiden Uniklinika in Sachsen-Anhalt zu. Dies sind nur einige wenige der finanziellen Mittel, die der Bund und das Land Sachsen-Anhalt zur Verfügung stellen, um das Gesundheitssystem zu stärken.

Meine Damen und Herren! Liebe antragstellende und einbringende Fraktion DIE LINKE, ich frage Sie ganz ernsthaft: Ist das für Sie Neoliberalismus?

(Zustimmung)

Außerdem möchte ich an dieser Stelle noch einmal auf die Kernelemente der Sozialen Marktwirt-schaft verweisen. Sie schützen den Arbeitnehmer vor Ausbeutung. Gleichzeitig ist ein Wettbewerb auch in dieser Branche wichtig. Denn Wettbewerb bedeutet nicht, dass man sich hinsichtlich der Löhne ständig unterbietet, sondern   im Gegenteil   auch, dass man sich hinsichtlich der Löhne überbietet, damit ein Unternehmen die besten Kräfte bekommt. Das sollte auch für Pflegepersonal der Fall sein. Eine pauschale, einheitliche Bezahlung der Pflegerinnen und Pfleger kann hierbei nicht die Lösung sein.

Um Pflegepersonal zu sichern, ist eine Erhöhung der Entlohnung immer wieder im Gespräch. Das Bruttodurchschnittsgehalt einer Pflegefachkraft in Sachsen-Anhalt liegt bei 3 397 €. Sicherlich kann man darüber diskutieren, ob das nicht noch erhöht werden sollte. Dennoch muss klargestellt werden, dass bei diesem Gehalt, anders als das öffentlich gern behauptet wird, niemand eine Aufstockung braucht. Das Phänomen der aufstockenden Pflegefachkräfte entspringt der Tatsache, dass 55 % der Pflegekräfte in Teilzeit angestellt sind. Das ist unabhängig vom Pflegeberuf. Wenn ich vielleicht aufgrund äußerer Lebensumstände nur in Teilzeit arbeiten kann und mit dem Gehalt nicht auskomme, dann muss ich aufstocken. Das kann aber genauso gut einer Person passieren, die im Büro oder im Handwerk arbeitet.

Trotzdem geht dem System unsagbar viel Pflegepersonal verloren. Pflegekräfte bleiben im Durch-schnitt weniger als zehn Jahre in diesem Beruf. Woran liegt das, wenn sich doch finanziell positive Entwicklungen abzeichnen? Sicherlich sind eine Erhöhung der Gehälter und die Zahlung von Sonderboni gerade in einer so schwierigen und intensiven Zeit wie der Coronapandemie richtig und wichtig für das Pflegepersonal. Darüber hinaus braucht es aber auch positive Anreize und gute sowie ansprechende Arbeitsbedingungen.

Dazu gehören die Schulgeldfreiheit für die Berufsschulen, eine angemessene Ausbildungsvergütung in Pflegeberufen und differenzierte Weiterbildungsmöglichkeiten, die es den Beschäftigten ermöglichen, sich neue Ziele zu stecken und diese auch zu erreichen. Doch auch hierbei sollte das Credo gelten: Leistung sollte belohnt werden.

Ein großes Problem ist ebenfalls, dass sich trotz verschiedener Qualifizierungen im Pflegepersonal die Entgelte nur wenig unterscheiden. Die Lohnlücke ist dabei so klein, dass es, je nach Steuerklasse, des Öfteren vorkommt, dass jemand mit einer geringeren Qualifizierung mehr verdient als ein höher qualifizierter Beschäftigter.

Es wird hier häufig von finanziellen Anreizen im Pflegeberuf gesprochen, nicht aber davon, dass es auch einen finanziellen Anreiz geben muss, sich weiterzubilden. Pflegehelferinnen und Pflegehelfer z. B. sind ein wichtiger Bestandteil der stationären Pflege; sie sind aber nicht befugt, vielerlei notwendige somatische Prozeduren vorzunehmen, wie z. B. die Beatmung eines Patienten. Dies kann nur eine examinierte Pflegefachkraft ausführen, deren Ausbildung drei Jahre gedauert hat. Da die Lohnlücke zwischen den verschiedenen Qualifikationen und Berufsabschlüssen sehr klein ist, stellt sich für viele die Frage nach dem Anreiz für eine Weiterbildung. Denn bei einer entsprechenden mehrjährigen Weiterbildung müsste wiederum auf ein volles Gehalt verzichtet werden. Dieser Weg würde den allermeisten schwerfallen, weil er sich nicht lohnt.

(Zustimmung)

Auch wenn Zeitarbeitsfirmen häufig in der Kritik stehen: Spezielle Zeitarbeitsfirmen für Pflege haben diese Problematik erkannt und sie für sich behoben. Pflegepersonal, das über eine Zeitarbeitsfirma angestellt ist, verdient überdurchschnittlich, ist flexibel im Einsatzort und in der Ausübung ihrer Stunden.

Um auf den Beginn meines Redebeitrags zurückzukommen: Wer gutes Personal braucht, der muss es entsprechend bezahlen.

(Zustimmung)

Im Hinblick auf die Aktuelle Debatte werden vor allem zwei Fragen diskutiert: Wie kann das Pflegepersonal gehalten werden? Wie kann eine nachhaltige Nachwuchsgewinnung aussehen? Liebe Fraktion DIE LINKE: Wenn Sie immer alles schlechtreden, dann werden wir es in der Zukunft weiterhin nicht schaffen, junge Menschen für den Pflegeberuf zu begeistern.

(Zustimmung - Zuruf)

Da gerade in Zeiten der Coronapandemie schnelle Lösungen erforderlich sind, muss ein weiterer Aspekt sein, qualifiziertes ausländisches Personal zu gewinnen. Das wäre vor allem über eine Reform zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse möglich, die auf der Bundesebene dringend durchgeführt werden muss. Der Kollege Krull hat dies bereits angesprochen.

Wertschätzend muss noch einmal die Leistung erwähnt werden, die Pflegekräfte für unser Gesundheitssystem erbringen.

Ich möchte diesen Rahmen nutzen, um signifikante Zahlen aufzuzeigen, die widerspiegeln, dass Pflege nicht nur in ambulanten und stationären Einrichtungen stattfindet, sondern auch im häuslichen Umfeld. In Sachsen-Anhalt gab es im Erhebungszeitraum 2019 knapp 130 000 pflegebedürftige Personen. Das Statistische Landesamt gibt an, dass 72 % dieser Personen zu Hause   entweder ausschließlich durch Angehörige oder durch ambulante Pflegekräfte unterstützt   versorgt wurden. Dies schließt Personen aller Pflegegrade ein, also sowohl Personen mit nur leichten Einschränkungen als auch Personen, die teils immobil sind, rundum versorgt und gepflegt werden müssen. Über die Pflegegrade hinweg zeigt sich, dass die meisten Personen zu Hause versorgt werden. Lediglich bei Pflegegrad 5 liegt die Quote bei fifty-fifty.

Wie wichtig der Bereich der Pflege ist, zeigt sich allein durch den Mehrbedarf. Das Statistische Lan-desamt ermittelte einen Anstieg von 60,7 % der pflegebedürftigen Menschen innerhalb der letzten zehn Jahre. Dies ist die unmittelbare Auswirkung des demografischen Wandels.

Es bleibt festzuhalten, dass einiges getan werden muss. Die Arbeitsbedingungen für Pflegepersonal müssen sich nachhaltig verbessern; denn das schafft Attraktivität für diesen Beruf. Alle pflegenden Personen im häuslichen Umfeld dürfen dabei nicht vergessen werden. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Es gibt ein Fragebegehren von Herrn Siegmund. Wollen Sie seine Frage beantworten?


Konstantin Pott (FDP):

Ja.


Vizepräsident Wulf Gallert:

Dann können Sie Ihre Frage stellen, Herr Siegmund.


Ulrich Siegmund (AfD):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Vielen Dank für die Fragemöglichkeit, Herr Pott. Sie waren bis zuletzt in Ihrer Fraktion einer der Gegner der Impfpflicht, unabhängig davon, ob sie für alle oder nur für bestimmte Berufszweige gelten soll. Sie haben das auf den letzten Metern öffentlich kundgetan. Aus diesem Grund möchte ich die folgende Frage stellen: Nehmen wir einmal an, eine Pflegekraft kommt auf Sie zu und sagt: Herr Pott, ich habe die FDP gewählt, weil ich Ihren Freiheitsgelüsten vertraut habe und weil ich in Ihnen die Chance gesehen habe, einer Impfpflicht zu entgehen. Jetzt kommt sie doch mit den Stimmen der FDP und nur mit den Stimmen der FDP. Sie hätten das blockieren können. Was sagen Sie zu dieser Pflegekraft?


Konstantin Pott (FDP):

Erstens. Wir haben keine allgemeine Impfpflicht, sondern eine berufsbezogene Impfpflicht. Diese gibt es bereits bei unterschiedlichen Impfungen in verschiedenen Bereichen, wie es schon angesprochen wurde.

Zweitens. Ich persönlich finde diese Impfpflicht nicht gut, aber die FDP-Bundestagsfraktion tut es. Die FDP-Bundestagsfraktion hat diesen Entschluss gefasst. Es war ein Prozess, der sich innerhalb der Koalitionsfraktionen auf Bundesebene ergeben hat. Das sind Abwägungsprozesse, die auf Bundesebene geschehen. Wenn auf Bundesseite von der FDP-Fraktion diese Entscheidung getroffen wird, dann akzeptiere ich diese, aber ich werde sie nicht verteidigen.


Vizepräsident Wulf Gallert:

Herr Siegmund, wenn Sie wollen, dürfen Sie noch eine kurze Nachfrage stellen.


Ulrich Siegmund (AfD):

Okay, danke. - Die Antwort ist angekommen. Eine weitere Frage bezüglich der Zukunft: Sie haben bewusst hervorgehoben, dass es keine allgemeine Impfpflicht gibt. Wenn die FDP-Fraktion auf der Bundesebene eine allgemeine Impfpflicht mit beschließen sollte, ist sie dann weiterhin Ihre Partei? Werden Sie Ihre Partei weiterhin unterstützen?


Konstantin Pott (FDP):

Unsere beiden Bundestagsabgeordneten Dr. Marcus Faber und Ingo Bodtke aus Sachsen-Anhalt haben bereits angekündigt, gegen eine allgemeine Impfpflicht zu stimmen.

(Zuruf)