Olaf Meister (GRÜNE):

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Coronapandemie stellt unsere Gesellschaft vor ungeahnte Probleme. Weltweit ringt die Menschheit um die Bewältigung der Krise. Da ist zuallererst die gesundheitliche Herausforderung, also schlicht dafür zu sorgen, dass möglichst wenige Menschen erkranken und schwere oder sogar tödliche Konsequenzen davongetragen. Seitdem wir über verschiedene Impfstoffe verfügen, haben wir das entscheidende Mittel dagegen in der Hand.

Jenseits der medizinischen Fragen hat diese Krise jedoch auch andere Folgen, vor allem wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche. Die Bekämpfung all dieser Aspekte hat selbstverständlich auch finanzielle Konsequenzen. Über diese haben wir heute für unser Land zu befinden.

Dass eine solche Aufgaben nicht mal eben mit den Mitteln des beschlossenen regulären Haushalts zu bewältigen ist, kann nicht überraschen. Insofern ist die Vorlage eines Nachtragshaushaltes zu begrüßen. Eine frühere Vorlage war im Plenum bereits Diskussionsgegenstand. Der jetzt vorliegende Nachtragshaushalt samt sogenanntem Sondervermögen ist durch eine historisch hohe Schuldenaufnahme gekennzeichnet.

Ich habe die Vertreter der Koalition in den Ausschusssitzungen immer gequält mit meinem Vergleich, habe seit 2005 alle Schulden aufaddiert und gesagt, dass die Schuldenlast derzeit immer noch geringer ist. Damit habe ich die Dimension dessen aufgezeigt, was wir hier tun.

(Vereinzelt Beifall)

Das Ausmaß der Krise, die Schwere und die Vielfältigkeit der Aufgaben erzeugen einen Finanzbedarf, der unsere aktuelle Leistungsfähigkeit übersteigt. Das Eingehen einer Verschuldung ist die logische Konsequenz. Die Einrichtungen eines schuldenfinanzierten Sondervermögens sind eine ungewöhnliche, aber keineswegs unkritische Maßnahme. Aber solange es der Finanzierung der Bewältigung der Coronakrise dient, ist es ein möglicher und verantwortbarer Weg.

Die haushaltspolitische Herausforderung bestand nun allerdings darin, der Versuchung zu widerstehen, gleich auch mal ein paar Dinge per Verschuldung zu regeln, die irgendwie sinnvoll sind, mit Corona aber eigentlich nichts zu tun haben. Dieser Herausforderung wird der vorliegende Nachtragshalt, insbesondere bezüglich des Sondervermögens, nicht gerecht.

Immer dann, wenn nicht die Coronafolgen, sondern schlicht Dinge der laufenden Geschäfte über Schulden finanziert werden, laufen wir wieder in die alte Verschuldungsfalle. Wenn wir nicht in der Lage sind, diese Angelegenheiten aus unseren normalen Einnahmen zu bestreiten, stimmt etwas Grundsätzliches und Strukturelles nicht. Wir müssen dann entweder weniger ausgeben - das ist sehr leicht gesagt und nicht gleich getan - oder eben mehr einnehmen, was auch unpopulär ist.

Wenn zu beidem der politische Mut fehlt, bleibt nur der alte Ausweg, die eigenen Kinder anzupumpen. Wenn wir etwas Grundsätzliches im Bestand auch für die Zukunft der Kinder schaffen, mag das angehen. Wenn wir für uns kurzfristige Verbrauchsgüter über sie finanzieren, ist das nicht okay. Die einzelnen Punkte im Nachtragshaushalt, des Sondervermögens, sind da, je nach ihrer Ausprägung, durchaus unterschiedlich zu beurteilen. Jede und jeder kann das eigentlich leicht für sich überprüfen: Wenn man sich die Pandemie wegdenkt, entfiele dann die Notwendigkeit der Ausgabe. Wenn das so ist, hat die Maßnahme einen Coronabezug. Ist es nicht so, hat sie im Coronasondervermögen eigentlich nichts zu suchen.

Im Finanzausschuss haben wir darüber diskutiert, wie stark dieser Bezug sein muss. Reicht eine irgendwie indirekt herzustellende Beziehung? Interessanterweise weicht die Ihnen jetzt vorliegende Beschlussempfehlung ganz erheblich vom ursprünglichen Entwurf ab. Aus dem indirekten Bezug wurde ein ausdrücklich direkter Bezug. Hintergrund für diese gravierende Änderung waren Bedenken des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes, der völlig zu Recht die fehlende hinreichende Bestimmtheit kritisierte, die sich aus der sehr flauschigen Ursprungsformulierung ergab.

Das eigentlich Verblüffende ist, dass die Voraussetzung für die einzelnen Maßnahmen damit zwar entscheidend verschärft wurde, es aber für die Maßnahmen selbst keinerlei Auswirkungen hatte.

Ich hatte bereits bei der Einbringung einige konkrete Kritikpunkte vorgebracht, die leider weitgehend unverändert geblieben sind. Als Beispiel dienten in der öffentlichen Diskussion einige Punkte aus dem Bereich des Innenministeriums, die sich aber in ähnlicher Weise wohl auch in anderen Häusern finden lassen dürften, nur, dass die Unkonkretheit der Beschreibung da noch einiges bemäntelt.

Ich spreche mich ausdrücklich dafür aus, dass unsere Polizei mit den nötigen modernen Einsatzmitteln ausgestattet wird, die es braucht. Hierbei denke ich an Handys oder andere digitale Geräte oder auch einen Laserschießstand, wenn es denn sinnvoll ist.

(Zuruf)

Wenn man mir dann aber erzählt, dies sei ein ernsthafter Beitrag zur Pandemiebewältigung, erkenne ich ziemlich mühelos, dass mir hier ein veritabler Bär aufgebunden wird, und bin darüber verstimmt.

(Vereinzelt Beifall)

Mich erstaunt, dass hier die FDP-Fraktion nicht stärker reingegangen ist. Herr Bernstein hatte gerade den Laserschießstand verteidigt.

(Zurufe)

Aber das hat mit Pandemie nichts zu tun.

(Beifall)

Interessant war auch, dass das Innenministerium freimütig einräumte, dass die Ersatzbeschaffung der Geräte dann zukünftig aus dem normalen Haushalt finanziert werde. So, so! Warum eigentlich nicht jetzt, wenn das so geht?

Ein ähnliches Bild ergibt sich auch bei solchen Punkten wie dem Online-Zugangsgesetz und der Digitalisierung der Landesverwaltung. Hier haben wir über Beschleunigungskosten gesprochen, was ich völlig okay finde; denn wenn es schneller wird, wird es auch teurer. Diese Mehrkosten könnte ich nachvollziehen. Das ist aber leider nicht so aufgebaut. Oder denken Sie an die anteilig über Corona finanzierte Instandsetzung von Bestandsgebäuden. Der Landesrechnungshof hatte eine sehr lange Liste von sehr bedenklichen Dingen, die er anführte und zu denen ich sage: Da hat er Recht.

(Vereinzelt Beifall)

Da werden Dinge mit ordentlich Mühe in das Sondervermögen gequetscht, auf deren Pandemiebezug man nur mit großer Fantasiebegabung kommt. Das ist nicht die Aufgabe dieses Sondervermögens.

Auch bei den sehr pauschalen Annahmesummen im Wirtschaftsbereich - ich nenne GRW als Stichwort - hat man nicht den Eindruck, dass mit sorgsamem Blick auf die aktuelle und zukünftige Leistungsfähigkeit agiert wird, wie es sonst einer normalen Haushaltssystematik entspräche, sondern man lässt es ordentlich krachen. Dabei herrscht das Gefühl vor: kostet ja nix! Da zahlt dann irgendwann mal jemand anderes. Das ist diese Leichtigkeit des Seins, die sich dann einstellt, wenn es plötzlich keine Konsequenz hat. Das ist im Finanzpolitischen aber kritisch.

Die einzelnen Maßnahmen, die von den Fachkollegen vorgeschlagen wurden, wie zum Beispiel jetzt im Antrag der LINKEN, sind für sich immer gut, das ist doch klar. Man kann das alles sehr gut begründen. Die Frage ist aber: Bringt uns das in der Gesamtheit beim Ausgleich der Mittel, die auf Dauer natürlich begrenzt sind, tatsächlich weiter? Wenn man an jedem einzelnen Punkt Ja sagt, kommt man irgendwann zu dem Punkt, an dem man es nicht mehr kann und dann Nein sagen muss. Das ist dann keine nachhaltige Haushaltspolitik.

Unser Versuch, dann wenigstens die Bewältigung der Klimakrise einzubeziehen - die andere noch größere Aufgabe, die uns langfristig beschäftigen wird und die auch nicht aus den laufenden Haushaltsmitteln zu begleichen sein wird  , scheiterte leider im Ausschuss.

Andere Dinge, wie insbesondere die Notwendigkeit der Finanzierung des Klinikbereichs, sind zwar nicht durch die Pandemie selbst entstanden, sondern beruhen auf alten Versäumnissen. Ihre Auswirkung auf das aktuelle und zukünftige Pandemiegeschehen ist allerdings schlicht gegeben und evident, sodass wir hier keine generelle Kritik anbringen wollen.

Es gab - das gehört dazu - auch positive Bewegungen; das sind aber nur wenige. Die meisten Änderungsanträge der Koalition waren mehr eine Nachschärfung von Aussagen, z. B. die Aussage, die Formulierung bringt es nicht, sondern es ist die Sache an sich. Aber es gab etwas Positives.

Problematisch war, dass der Landtag für die nächsten Jahre einen Scheck ausstellen sollte, ohne dass jemand ernsthaft in der Lage wäre, allein schon die Entwicklung der nächsten Monate, geschweige denn der nächsten Jahre vorauszusehen. Insofern ist es erfreulich, dass wir in den nächsten Jahren nur von einer informativen Vorlage der Wirtschaftspläne zur Beschlussfassung im Rahmen der jeweiligen Haushaltsberatungen übergehen. Es gab einen GRÜNEN-Antrag, aber es gab vor allem auch einen Koalitionsantrag, in dem das steht. Die Mehrheit befand, sodass dies insofern eine sinnvolle Änderung ist.

Das Parlament behält damit die Kontrolle und kann je nach sich entwickelnder Lage Dinge auch neu bewerten und entscheiden. Das ist ein, wie ich finde, wichtiger Schritt.

 

Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Es gibt eine Nachfrage von Herr Lippmann. Wollen Sie diese jetzt beantworten?


Olaf Meister (GRÜNE):

Ich bin in 30 Sekunden fertig und denke dann darüber nach.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Okay.


Olaf Meister (GRÜNE):

Insgesamt genügt der Nachtragshaushalt aber nicht den Ansprüchen, die man an eine nachhaltige Haushaltspolitik stellen muss. Wir werden daher in der Gesamtschau trotz auch berechtigter Positionen im Nachtragshaushalt die Vorlage im Ergebnis ablehnen. - Vielen Dank.

(Zuruf: Oh!)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke. - Herr Lippmann.


Thomas Lippmann (DIE LINKE):

Vielen Dank. - Herr Meister, Sie haben in einem Satz kurz mal auch auf unseren Änderungsantrag abgestellt und auf die Situation, dass da auch aus Ihrer Situation wichtige und richtige Dinge drin sind, die halt kosten, was sie kosten. Aber die Frage ist, ob man auf so eine Geschichte immer wieder aufsatteln kann; denn am Ende muss es - das wissen wir ja auch - bezahlt werden.

Nun haben wir uns diese Frage auch gestellt. Zum einen werden Sie bemerkt haben, dass wir uns eine gewisse Mühe gegeben haben, auch deutlich zu machen, dass auch ein paar Dinge zu streichen sind, gleichwohl nicht in der Größenordnung. Aber sind Sie denn der Meinung, auch aufgrund Ihrer Erfahrung, dass das, was jetzt regierungsseitig aufgeschrieben, koalitionsseitig diskutiert und am Ende beschlossen werden soll, nämlich diese knapp 2 Milliarden € für die nächsten sieben Jahre, tatsächlich in dieser Weise abfließen wird?

Sind Sie der Meinung, dass wir eine Landesregierung haben, die Sachen aufgeschrieben hat, die sie in der Weise tatsächlich administrieren kann? Oder könnten Sie sich auch vorstellen, dass am Ende, wenn man unserem Antrag folgen würde, das ursprüngliche Gesamtvolumen in seiner Realisierung gar nicht so weit überschritten würden, weil dort möglicherweise auch jede Menge Luftbuchungen drin sind oder auch


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Okay. - Danke.


Thomas Lippmann (DIE LINKE):

Sachen, die man gar nicht administriert und umgesetzt kriegt?

 

Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Herr Meister.


Olaf Meister (GRÜNE):

Ich gehe davon aus, dass das tatsächlich in Größenordnungen abfließen wird. Dafür ist es ja gemacht worden. Bestimmte Dinge wird es nicht geben. Da jetzt noch mehr zu machen, was das Abflussproblem dann eher vergrößern würde, verstehe ich als nicht so sinnvoll. Wo kommt man hin, wenn wir immer wieder drauflegen?

(Zustimmung)

Dafür gibt es bestimmte Beispiele. So gibt es schon in dem Koalitionsentwurf „Zuwendungen an Vereine“. Tatsächlich leiden die unter der Krise; das kann man nachvollziehen. Dass diese Ausgabe drin ist, will ich gar nicht kritisieren. Aber da legt ihr jetzt noch mal etwas drauf. Da könnte man jetzt auch noch mal etwas drauflegen. Das wäre in der Sache immer noch absolut berechtigt. Wieso die armen Vereine?

Trotzdem muss man aber insgesamt mit einer haushälterischen Sicht draufgucken und das ins Gleichgewicht bringen. Da finde ich es nicht gut, einfach immer noch etwas draufzulegen, weil das in der entsprechenden Szene natürlich Beifall findet, sondern man muss sich dann schon der Gesamtverantwortung stellen. Das versuchen wir.

(Zustimmung)