Dr. Katja Pähle (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Lippmann, eine Bemerkung vorweg: Man kann auf die politische Lebensleistung aller Kolleginnen und Kollegen immer unterschiedlich blicken, auch wenn sie Minister oder Ministerin hier im Land waren. Einem Politiker, der 25 Jahre lang in Sachsen-Anhalt Politik gemacht hat als Minister, aber nicht nur als Minister, abzusprechen, dass er sich Verdienste um das Land erworben hat, finde ich ein starkes Stück.
(Zustimmung)
Denn ganz ehrlich: Sicherlich kann man mit Einzelmaßnahmen unterschiedlich umgehen, aber: Hätte es im ersten Kabinett Böhmer/Bullerjahn nicht eine rigorose Veränderung der Haushaltspolitik des Landes gegeben, ständen wir gegenüber den anderen Bundesländern nicht so da, wie wir dastehen. Wir hätten keine Rücklagen gehabt, mit denen wir in den letzten fünf Jahren sinnvolle Dinge auf den Weg gebracht haben. Insgesamt, so glaube ich, wäre sehr viel mehr über die Wupper gegangen, als Sie es immer bemängeln.
Aber lassen Sie mich zum Antrag reden, über den ich mich übrigens, sehr geehrter Herr Kollege Lippmann, sehr gewundert habe. Ich frage mich, ob Ihre Vorschläge tatsächlich im Sinne Ihrer gesamten Fraktion sind. Denn das, was Sie in den ersten beiden Punkten Ihres Antrages vorschlagen, hat es tatsächlich in sich.
An den Schulen sollen 500 pädagogische Fach- und Hilfskräfte eingestellt werden. Woher kommen die denn? An den Grundschulen soll die verlässliche Öffnungszeit reduziert und der Betreuungsbedarf soll von den Horten aufgefangen werden.
(Zurufe: Es passiert doch schon! Es wird aber nicht bezahlt! Die Horte machen das doch schon vor Ort, bekommen aber kein Geld dafür! - Lass sie doch mal ausreden!)
Wenn wir das regulär so verhandeln - übrigens dann auch nicht nur nach Bedarf, sondern als Maßnahme, wie es aufgeschrieben worden ist -, dann verschärfen wir die Situation an den Horten.
(Zuruf: Es steht doch nur „nach Bedarf“ da!)
Wir haben über beide Punkte hinweg großen Bedarf an pädagogischen Fachkräften an allen Ecken und Enden unseres Systems - Horte, Kitas, Jugendarbeit, überall. Deshalb ist die Frage berechtigt, woher sie denn kommen sollen.
Glauben Sie ernsthaft, dieser Bereich könnte Fachkräfte an das System Schule abgeben, um dort auszuhelfen? Ich fürchte, aus diesen Vorschlägen spricht dann doch das Primat, dass die Königsdisziplin der Pädagogik an der Schule existiert und der frühkindliche Bildungsbereich einen geringeren Wert hat. So geht es nicht, so geht es nicht.
(Zuruf: Das ist heftig!)
Ehrlich gesagt: Von solchen Vorschlägen halte ich gar nichts. Durch eine Kannibalisierung von Kita und Horten lösen wir die Probleme an unseren Schulen nicht. Wir werden es auf diesem Weg nicht hinbekommen. Aber tatsächlich sind Verstärkung von außen und eine Entlastung der Lehrkräfte notwendig und auch ein Weg, um den Personalmangel abzumildern, nur eben nicht mit der Brechstange.
Personalwirtschaftliche Maßnahmen, sprich Versetzungen, werden doch probiert, Herr Lippmann. Sie wissen genauso gut wie wir auch, dass sich Lehrerinnen und Lehrer auch zu Recht mit Unterstützung der Gewerkschaften gegen Versetzungen zur Wehr setzen können.
(Zustimmung - Zuruf: Da möchte ich mal die Gewerkschaften hören!)
Es geht vielmehr darum, auf mittlere Perspektive qualifiziertes Personal für klar definierte Aufgaben zu finden, zum Beispiel über die Neueinstellungen von Schulassistenzen und über die von uns im Koalitionsvertrag verankerte neue Aufgabe der Digitalmentorinnen und Digitalmentoren. Wir brauchen diese Fachkräfte sowohl als notwendige Voraussetzung für die Gestaltung der digitalen Schule als auch zur Entlastung von Lehrerinnen und Lehrern von unterrichtsfremden Aufgaben, von Aufgaben, für die sie sich manchmal sogar erst Kompetenzen aneignen müssten. Darüber hinaus brauchen wir überfällige Einstellungen neuer pädagogischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - bei diesem Punkt sind wir wieder zusammen. Ich habe die Ministerin so verstanden, dass gerade in diesem Bereich auch Ausschreibungen vorbereitet werden.
Aber, wie gesagt, das sind Verbesserungen auf mittlere Sicht, die nicht heute oder morgen schon wirken können.
In den weiteren Anstrichen Ihres Antrages geht es vorrangig um die Studienkapazitäten für das Lehramt. Jede und jeder wird Ihnen darin zustimmen, dass wir mehr Hochschulabsolventinnen und absolventen brauchen, um den Lehrkräftebedarf zu decken. Wir führen diese Diskussion auch nicht zum ersten Mal. Ich muss es an dieser Stelle noch einmal bekräftigen: Grundständige Lehramtsstudiengänge an der Otto-von-Guericke-Universität neu aufzubauen ist der langwierigste und langsamste Prozess, um neue Lehrkräfte gewinnen zu können. Innerhalb des Systems der Otto-von-Guericke-Universität eine Ausweitung von Kombinationsmöglichkeiten bisheriger Studienfächer vorzunehmen - herzlich gerne. Darüber werden wir uns auch in der Koalition verständigen. Aber eine grundständige Lehramtsausbildung wieder aufzubauen dauert Jahre.
Dass sich jemand gegen ein Lehramtsstudium entscheidet, weil er es nur in Halle, aber nicht in Magdeburg studieren kann, halte ich ganz ehrlich für ein Märchen. Denn wenn das so wäre, müsste der gesamte Norden des Landes keine Juristinnen und Juristen haben; denn auch diese werden vorrangig in Halle ausgebildet und nicht an der Otto-von-Guericke-Universität.
(Zuruf: Es gibt diese Hinweise!)
Was muss tatsächlich geschehen? - Ja, wir brauchen eine Anpassung der Studienplatzkapazitäten an die langfristigen Bedarfe. Wir brauchen aber vor allem auch eine Anpassung der Zulassungspraxis in den Mangelfächern. Das Festhalten an einem Spitzen-NC ist in Zeiten gravierenden Lehrermangels einfacher nicht vertretbar. Das betrifft vor allem die MINT-Fächer.
(Beifall)
Wir brauchen ebenso eine Anpassung der Einstellungspraxis für fertig ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer. Angesichts derart starker Lehrkräftebedarfe muss man bei den Abschlussnoten andere Maßstäbe ansetzen. Wir müssen alles tun, um den Beruf der Lehrerin und des Lehrers attraktiv zu machen, sowohl für Studienanfängerinnen und anfänger als auch für Menschen, die für einen Quer- oder Seiteneinstieg in Betracht kommen.
Für diese Attraktivitätssteigerung brauchen wir nicht nur die diskutierte Entlastung, sondern auch andere durchaus handfeste Vorteile. Das Festhalten an einer Bezahlung für Lehrkräfte an Grundschulen, die unter der unserer Nachbarländer liegt, ist dafür kein probates Mittel. Ich bin mir sicher, dieser Einsicht wird auch innerhalb dieser Legislaturperiode Rechnung getragen werden.
Meine Damen und Herren! Wir streiten gern weiter über Wege, um die Situation an den Schulen zu verbessern; denn jeder Streit ist es wert, wenn er positive Entwicklungen in Gang setzt. Wir freuen uns dabei auch über jeden zielführenden Vorschlag von den demokratischen Oppositionsfraktionen. Leider konnten wir diese aber auch in diesem Antrag nicht entdecken. - Ich danke für die Aufmerksamkeit. Wir werden den Antrag ablehnen.
(Zustimmung)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Vielen Dank, Frau Dr. Pähle. Es gibt eine Frage von Herrn Gallert. Würden Sie diese beantworten?
Dr. Katja Pähle (SPD):
Frau Hohmann hat sich zuerst gemeldet.
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Herr Gallert hat sich zuerst gemeldet.
Dr. Katja Pähle (SPD):
Das ist aber egal.
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Dann müssen Sie sich einigen.
Wulf Gallert (DIE LINKE):
Sie lösen innerfraktionäre Spannungen durch die Festlegung der Reihenfolge aus, aber okay.
Frau Dr. Pähle, mir ist immer noch nicht klar geworden, warum Sie einerseits bei den Dingen, die Herr Lippmann vorgeschlagen hat, sagen, das gehe gar nicht und es sei eine Kannibalisierung, andererseits aber mittelfristig Dinge anführen, die im Grund genommen auf genau dasselbe hinauslaufen würden, nämlich dass Sie zusätzliche Stellen schaffen würden, zum Beispiel für pädagogische Mitarbeiterinnen an Schulen, die natürlich auch aus diesem Bereich kommen würden - das haben Sie Herrn Lippmann vorgeworfen - oder aus anderem Bereich kommen würden; dann kämen Sie aber auch bei Herrn Lippmann aus einem anderen Bereich. Diesen Vorwurf habe ich nicht verstanden.
Frau Dr. Pähle, wissen Sie, 2008 hat Jan-Hendrik Olbertz als CDU-Bildungsminister in der Enquete-Kommission des Landtages zur Personalentwicklung gesagt, was passieren wird. Das war damals absehbar. Seit 2008 kenne ich die Debatten um die Wiedereröffnung der Lehrerausbildung in Magdeburg. Seit inzwischen 13 Jahren bekomme ich immer wieder dasselbe Argument zu hören: Man solle es nicht machen, weil die Lösung dann zu lange dauere. Wenn wir bereits vor zehn Jahren angefangen hätten, diese Lösung zu realisieren, dann hätten wir sie jetzt in der Tasche und dann hätten wir jetzt eine andere Situation. Wie viele Jahre, Frau Dr. Pähle, wollen Sie jetzt noch erzählen, dass die Ausbildung der Lehrer in Magdeburg zu lange dauere?
(Zurufe)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Frau Dr. Pähle.
Dr. Katja Pähle (SPD):
Sehr geehrter Kollege Gallert, vor 13 Jahren war ich noch nicht im Landtag.
(Zuruf: Deswegen sage ich es Ihnen! - Weitere Zurufe)
Aber es gibt auch in der Politik bei bestimmten Entscheidungen den Punkt, an dem Veränderungen noch rückgängig gemacht werden können, damit man den Zeitpunkt jetzt mit anderer Entwicklung erreicht.
Aktuell haben wir den Lehrermangel. Alles das, was wir jetzt tun, ist in einer Perspektive von sechs bis sieben Jahren
(Zuruf: Katja, das ist das Gleiche, was ins Desaster führt!)
Noch einen Satz dazu. Ich verstehe das hohe Interesse an der Lehramtsausbildung und an einer Versorgung der Schulen. Ich erinnere mich an die Jahre 2008 und 2009. Damals war ich noch so in Halle unterwegs, dass ich das noch mitbekommen habe. Die gleichen Diskussionen sind im Süden bei der Abschaffung der Ingenieurwissenschaften geführt worden.
(Zuruf: War auch ein Fehler!)
All diese Strukturen sind damals geschaffen bzw. verändert worden, um eine finanzielle Überlastung des Landes abzuwenden. Ich finde, an dieser Stelle darf man das aus diesem Aspekt in dieser Zeit auch verstehen.
Die jetzige Forderung nach einem Wiederaufbau der grundständigen Lehrerausbildung in Magdeburg ist der langwierigste Prozess, den man zur Behebung des aktuellen Lehrermangels anwenden kann; denn diese Lehrer werden in sieben Jahren - vielleicht sind es auch nur sechs Jahre - vor der Klasse stehen. Wenn sie ein Semester verlängern müssen oder durch irgendeine Prüfung fallen, sind es vielleicht auch acht Jahre.
(Zuruf)
Das sind die langwierigsten Maßnahmen, die man zur Bekämpfung des Lehrermangels anwenden kann.
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Jetzt hat sich Frau Hohmann noch gemeldet.
Monika Hohmann (DIE LINKE):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Pähle, ist Ihnen eigentlich bekannt, dass wir, gemessen an der Bevölkerung in Sachsen-Anhalt, prozentual bundesweit die meisten Erzieherinnen ausbilden? Ist Ihnen bekannt, dass wir jedes Jahr über 1 000 Absolventinnen und Absolventen bei den Erzieherinnen und Erziehern haben? Im letzten Jahr waren es 1 100 Absolventinnen und Absolventen, aber meistens sind es 1 200 oder 1 300. Ist Ihnen bekannt, dass wir, um allein den Bedarf in den Kitas zu decken, round about 500 bis 600 Erzieherinnen und Erzieher brauchen? Worin sehen Sie die Ursachen, dass wir nach Ihren Worten, obwohl wir im Land so viel ausbilden, einen Mangel an Fachkräften haben?
Dr. Katja Pähle (SPD):
Frau Hohmann, weil ich auch die Altersverteilung unserer Erzieherinnen und Erzieher an den Kitas kenne,
(Zuruf von Monika Homann, DIE LINKE)
weil ich die Bedarfe und es übrigens auch aus Ihrer Fraktion kenne, wenn wir zum Beispiel über die Ausweitung der Schulsozialarbeit reden oder über die Ausweitung der pädagogischen Angebote zum Aufholen des Stoffes nach Corona; alles das kenne ich. Ich frage mich an dieser Stelle mit Respekt vor Ihren Vorschlägen, ob Sie Ihre unterschiedlichen Ansprüche gelegentlich mal auf einen Tisch legen und dabei auf die Gruppe der Menschen schauen, die dafür zur Verfügung steht. Ich sage es nicht gern, aber ich wiederhole, was die Ministerin gesagt hat:
Die Lehramtsausbildungskapazität auf 1 600 Studienplätze hochzufahren bedeutet bei einer Anzahl von 6 000 Abiturienten ein unglaubliches Studienplatzangebot. Gleichzeitig diskutieren wir an anderen Stellen über Juristinnen und Juristen, über Medizinerinnen und Mediziner sowie über Ingenieure. An anderer Stelle - jetzt schaue ich mal in die Runde: Herr Keindorf ist noch hier - diskutieren wir darüber, dass die Abiturquote viel zu hoch ist und die Menschen in eine duale Berufsausbildung gehe sollen.
(Zuruf)
Lassen Sie uns doch mal bitte auf die Zahlen insgesamt schauen und lassen Sie uns Lösungen finden, die die aktuelle Situation verbessern und verändern,
(Zustimmung)
ohne immer nur danach zu rufen, dass es ein Mehr an Menschen sein muss, die wir aber nicht haben.
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Frau Hohmann, eine Nachfrage? - Aber bitte kurz.
Monika Hohmann (DIE LINKE):
Frau Dr. Pähle, ich hatte eigentlich nach den Erzieherinnen und Erziehern gefragt und nicht nach denen, die sie jetzt angeschlossen haben. Kann es möglich sein, dass die Erzieherinnen und Erzieher deshalb außerhalb des Landes Sachsen-Anhalt unterwegs sind, weil wir in unserem Land eine Teilzeitquote von 80 % haben? Wäre das eine Ursache dafür?
Dr. Katja Pähle (SPD):
Frau Hohmann, es gibt in einigen Berufsgruppen viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich besonders in der aktuellen Zeit, aber auch in bestimmten Lebensphasen, ganz bewusst auf Teilzeitvarianten einlassen. Lassen Sie uns dazu gern auf die Zahlen schauen. Aber ich erwähne es nur einmal: Der anerkannte Beruf der Erzieherin und des Erziehers hat ein Einsatzspektrum bis zum 27. Lebensjahr der Klientinnen und Klienten. Es ist nicht nur Kita, sondern es sind viele Bereiche, in denen diese Menschen mit ihrer Fachexpertise gebraucht werden. Deshalb werden wir auch hier eine Verknappung des Personals zu verzeichnen haben. Das passiert auch schon. - Vielen Dank.
(Beifall)