Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es klingt nach einem logischen Schluss, vor allem schlechte Bezahlung für den Pflegenotstand in der Bundesrepublik und in Sachsen-Anhalt verantwortlich zu machen. In der Breite und der Unterschiedlichkeit der beruflichen Pflege gibt es ganz sicher Bereiche, in denen die übliche Bezahlung weit unter dem liegt, was man bei der zu tragenden Verantwortung und der hohen Belastung erwarten dürfen sollte.

Besonders in den ostdeutschen Bundesländern ist der Abstand zwischen den Löhnen in den ver-schiedenen Pflegebereichen sehr groß. Aber der einzige Grund für den Pflegenotstand sind sie sicherlich nicht. Ich behaupte, es ist nicht einmal der wichtigste.

(Zuruf)

Die Debatte über höhere Löhne in der Pflege ist wichtig - genauso wichtig wie die Debatte über die Arbeitsbedingungen. Aber beide werden nur dann erfolgreich sein, wenn wir ernsthaft die Diskussion über die Bedeutung der Pflege und das Bild von ihr führen.

Die Geschichte der professionellen Pflege begann im 18. Jahrhundert mit der dienenden Assistenz. In Deutschland bedurfte es zunächst nur einer rudimentären Ausbildung von wenigen Wochen. Die aus dieser Zeit stammende Haltung „Pflege kann jede und jeder, er oder sie müsse nur fürsorglich und aufopferungsvoll genug sein“ zieht sich bis heute durch das öffentliche Verständnis von Pflege in Deutschland.

(Zustimmung)

Ich erinnere an dieser Stelle nur einmal an das verunglückte Videoprojekt „Ehrenpflegas“ der vorherigen Bundesregierung oder an die aktuelle Bemerkung von Jens Scholz   seines Zeichens Vorsitzender des Verbandes der Universitätsklinika Deutschlands  , der in der Zeitung „Welt“ sagte, dass es nicht von Nächstenliebe für die Patientinnen und Patienten zeuge, wenn Ver.di sich die Uniklinika als Streikobjekt aussuche.

Auch das Klatschen auf Balkonen und das öffentliche Lob für die Pflege   wie auch heute hier  , beziehen sich vor allem auf die Aufopferung und den großen Einsatz meiner Kolleginnen in der Coronapandemie und nicht auf die Expertise von beruflicher Pflege.

Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das dringlichste Problem, wenn wir über die Pflegekrise in Deutschland sprechen.

(Beifall)

Denn es hat unmittelbar mit der Attraktivität der Pflegeberufe zu tun. Es ist der entscheidende Schlüssel, um mehr junge Menschen für Berufe in der Pflege zu begeistern und Kolleginnen im Beruf zu halten.

Es tut mir wirklich leid, dass ich an dieser Stelle die neue Bundesregierung kritisieren muss, an der meine Partei Anteil hat - wenngleich ich heute höre, dass die Berufung allein durch den Kanzler erfolgt ist. Es ist ehrlich gesagt ein Akt höchster Ignoranz, dass im neuen Expertinnengremium zur Beratung der Bundesregierung in der Pandemie richtigerweise neben Virologinnen, auch Vertreterinnen verschiedenster anderer, auch praktischer Berufsgruppen ihre Fachkenntnisse und Perspektiven vorbringen und nutzbar machen sollen, jedoch darin keine Beteiligung der Berufsgruppe Pflege und der Pflegewissenschaft vorgesehen ist.

(Zustimmung)

Denn berufliche Pflege trägt als eigenständiger Heilberuf einen Bärenanteil an der Versorgung Langzeitpflegebedürftiger und akut Kranker und das gilt natürlich auch in der Pandemie.

Berufliche Pflege ist heute in der Lage, aus einer eigenen wissenschaftlichen Basis heraus Expertise, eigene Lösungen für Prävention, Beratung und Heilung zu entwickeln. Das kann die Grundlage für einen berechtigten Berufsstolz sein, aber in der aktuellen Lage ist es vor allem die Grundlage für Frustration.

Neben der grundsätzlichen Belastung durch Schichtdienste und körperliche Arbeit ist es vor allem der Frust darüber, dass die Bedingungen es nicht erlauben, so zu arbeiten, wie man es gelernt hat und als richtig empfindet, der die Kolleginnen in den Kliniken aus dem Beruf treibt.

Mangelnde Anerkennung von Expertise und Fachlichkeit von Pflege sowie mangelnde Entwicklungsmöglichkeiten - diesen Problemen ist mit mehr Geld allein nicht abzuhelfen. Dafür braucht es mehr Chancen auf Akademisierung, die Verankerung von pflegerischer Expertise in allen für Gesundheit zuständigen Bundesgremien - im Koalitionsvertrag gibt es für den GBA dafür einen Aufschlag sowie die Eröffnung neuer Berufsbilder für die Pflege. An dieser Stelle kann ganz nebenbei berufliche Pflege helfen, Gesundheitsversorgungslücken zu schließen. Es braucht die Chance auf berufliche Selbstvertretung und klare Kommunikation.

Wir haben in Deutschland eine Vielzahl verschiedener Berufe in der Pflege. Das reicht von der Fachschwester für Intensivmedizin   die übrigens, Herr Pott, nicht nach drei Jahren, sondern nach einer Zusatzausbildung, die auch noch einmal mehrere Jahre dauert, erst beatmen darf   über die ambulante Wohnschwester bis hin zum Altenpfleger. Es gibt mehr verschiedene Qualifizierungen für pflegerische Hilfskräfte in Deutschland, als wir Bundesländer haben.

Der Rückgang der Zahl von Klinikbetten hat mit dem Personalrückgang in dem einen Pflegeberuf zu tun und in dem anderen nicht. Aber, werte Kolleginnen von der AfD, die Belastungen durch die Coronapandemie, grundsätzlich und konkret in der persönlichen Erfahrung, und gleichzeitig die Ignoranz, mit der Teile der Gesellschaft alles untergraben wollen, was diese Pandemie und diese Belastung endlich beenden könnte, erreichen bei vielen Intensivpflegerinnen eines ganz sicher nicht: Eine Impfpflicht wird in Sachsen-Anhalt   übrigens ausweislich einer heute gemachten Pressemitteilung   einer Einschätzung der Expertinnen vom Landespflegerat nach nicht maßgeblich zu einer Personalflucht führen.

(Zuruf: Das werden wir sehen!)

  Die Expertinnen sagen das. Die haben mit Sicherheit mehr Ahnung als Sie.

(Zustimmung - Zuruf)

Eine Pflegekräftekrise haben wir in allen Bereichen der Pflege und die Instrumente dagegen müssen unterschiedlich sein. Ich bin froh darüber, dass die neue Bundesregierung das Thema berufliche Pflege im Blick hat und an vielen Stellen wichtige Schritte geht. Die Vereinheitlichung der Assistenzberufe, die Wiedereinführung eines verbindlichen Personalbemessungsinstruments, die Erweiterung der pflegerischen Rollen, die Übertragung heilkundlicher Aufgaben, die Förderung der beruflichen Selbstverwaltung und der hochschulischen Ausbildung sind ebenso wichtige Maßnahmen für attraktivere Pflegeberufe wie die angekündigte Erhöhung der Löhne in der Langzeitpflege.

Eine Debatte über die Finanzierungsstruktur unseres Gesundheitssystems   wie von den LINKEN in dem Antrag zur Aktuellen Debatte angeregt   ist grundsätzlich wichtig und zu führen. Ich versperre mich dem auch nicht. Wenn es um Augenhöhe von Pflegeberufen und Respekt für diese geht, ist sie aber nur mäßig zielführend. Länder mit weitaus weniger am Gemeinwohl ausgerichteten Gesundheitssystemen als Deutschland, z. B. die USA, locken vor allem wegen mehr Anerkennung, Aufstiegschancen und beruflicher Reputation junge Pflegekräfte als gelobtes Land.

Andersherum wird aber vielleicht ein Schuh daraus. Wenn die Expertise beruflicher Pflege anerkannt und wertgeschätzt wird, wenn die berufliche Pflege selbstverständlich zu den Beratungsgremien der Bundesregierung und auch der Landesregierungen gehört, dann wird das auch die Debatten um die Struktur unserer Gesundheitsversorgung verändern.

Aber natürlich ist eine gute tarifliche Bezahlung auch Ausdruck von Respekt und Wertschätzung und natürlich muss das Land im Hinblick auf tarifliche Bezahlung und gute Arbeit Vorbild sein. Das gilt für alle Unternehmen, auch die, für die Sachsen-Anhalt mittelbar Verantwortung trägt.

Und ja, man kann es als Tür zur Tarifflucht bezeichnen, wenn unsere Uniklinika und die Landeskliniken der Salus anstelle des TV-L auf Haustarifverträge setzen. Insofern beraten wir über den Antrag der LINKEN sehr gern in den Ausschüssen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung)