Tagesordnungspunkt 8
Beratung
Rettungsschirm für die Schulen in Sachsen-Anhalt!
Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/435
Einbringen wird den Antrag für die Fraktion DIE LINKE der Abg. Herr Lippmann.
Thomas Lippmann (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ende letzter Woche hat die Bildungsministerin endlich einen Bericht zur Unterrichtsstatistik vorgelegt, einen sehr kurzen. Darin wird allerdings bestätigt, was schon im September absehbar war. Die Unterrichtsversorgung ist weiter im freien Fall. Mit nur noch 94 % über alle Schulen hinweg ist sie erneut auf einen Tiefpunkt gesunken.
Noch viel schlimmer sieht es in den einzelnen Schulformen aus. Mit 98 % werden einzig die Gymnasien noch so leidlich über Wasser gehalten. Doch dafür rutschen die anderen Schulen ins Bodenlose. Mit nur noch 89 % Unterrichtsversorgung sind die Sekundarschulen in einen Bereich gefallen, den man sich bisher nicht vorstellen konnte.
Nicht viel besser ergeht es den Gemeinschaftsschulen und den Förderschulen, die auch nur wenig darüber liegen. Der Verlust an Bildung ist gewaltig und er trifft vor allem die, die die meiste Unterstützung in der Schule brauchen. Das ist sozialer Sprengstoff.
(Beifall)
Das Kind liegt im Brunnen und die Landesregierung hat keinen Plan, wie es da wieder herauskommen soll. Das Bildungsministerium wiederholt stereotyp die immer gleichen Ausschreibungen, obwohl inzwischen klar ist, dass es für Hunderte Stellen gar keine Bewerberinnen und Bewerber gibt. Die letzten Hoffnungen ruhen auf noch mehr Seiteneinsteigern und dem Erfolg von Kopfjägern. Das alles wird aber nichts daran ändern, dass die Lücken bei den Lehrkräften von Jahr zu Jahr größer werden.
Wenn nicht endlich anders agiert wird, gibt es keine Aussicht auf Besserung, und zwar weit über das Jahr 2030 hinaus. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die bittere Wahrheit für Zehntausende Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern.
(Zustimmung)
Die Ursachen für diese fatale Entwicklung sind hausgemacht. Sie sind nicht von außen gekommen oder vom Himmel gefallen. Was wir jetzt ausbaden, wurde vor mehr als zehn Jahren verzapft
(Zuruf: Vor mehr als 25 Jahren!)
mit den abstrusen Personalentwicklungskonzepten aus dem Finanzministerium, mit denen seit dem Jahr 2007 die gesamte Personalentwicklung im Land vor die Wand gefahren wird.
(Zustimmung)
Die Verantwortlichen für dieses Fiasko konnten und können immer wieder ungestraft abtauchen, weil die Folgen ihrer Fehlprognosen und Fehlentscheidungen immer erst Jahre später sichtbar werden. Doch alles, was wir heute beklagen, war absehbar.
(Zuruf)
Man hätte es wissen können und man hätte es verhindern müssen.
(Zustimmung)
Es gab mehr als genügend Aufforderungen, den Kurs zu ändern, immer wieder, auch hier im Parlament. Seit Anfang der 2000er-Jahre gibt es Analysen zum Lehrkräftebedarf und Forderungen zur Lehramtsausbildung, mit denen der Landespolitik widersprochen wurde.
(Guido Heuer, CDU: 2000 wart ihr quasi in der Regierung!)
All das wurde ignoriert und als lästige Nörgelei und Besserwisserei abgetan. Es macht fassungslos, mit welcher Penetranz sich CDU und SPD
(Guido Heuer, CDU: Ich lach mich scheckig! Ich lach mich scheckig!)
besseren Einsichten widersetzen und das Schulsystem unaufhaltsam in die Krise führen.
(Guido Heuer, CDU: Das ist so lächerlich!)
Es gibt Verantwortliche für den Schlamassel,
(Guido Heuer, CDU: 2000 saßen Sie quasi in der Regierung!)
und die heißen Prof. Böhmer und Dr. Haseloff.
(Beifall - Guido Heuer, CDU: Lächerlich!)
Sie haben in der fünften und sechsten Wahlperiode Jens Bullerjahn in seinem Kürzungswahn freie Hand gelassen und applaudieren ihm öffentlich bis heute.
(Guido Heuer, CDU: Ohne ihn hätten wir keine Rücklagen gehabt! Ihr hättet alles herausgepustet!)
Dass der eine dem anderen jetzt den Verdienstorden des Landes umhängt, verschlägt einem die Sprache und macht wütend.
(Zustimmung - Zurufe)
Es ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die den Karren heute und in den kommenden Jahren wieder aus dem Dreck ziehen müssen
(Guido Heuer, CDU: Na, ist doch wahr! So einen Mumpitz kannst du dir doch nicht anhören! - Lachen)
und nicht wissen wie sie das schaffen sollen.
(Guido Heuer, CDU: So ein Schwachsinn!)
Es ist bezeichnend für die Politik der letzten Jahre,
(Guido Heuer, CDU: Ihr habt gerade mit denen zusammen gestimmt im Stadtrat! - Zuruf: Wir müssen es auch aushalten!)
dass eine rücksichtslose Kürzungspolitik gefeiert wird, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen,
(Unruhe)
welchen Preis das Land und seine Menschen dafür bezahlen müssen.
(Beifall - Unruhe)
Wer ein solches Chaos anrichtet, der verdient keine Auszeichnung. Vielmehr würde ein Ministerpräsident gebraucht, der dem Niedergang nicht weiter tatenlos zuschaut, sondern endlich Verantwortung für die Personalentwicklung im Land übernimmt.
(Beifall - Guido Heuer, CDU: Die Gewerkschaften sind froh, dass er weg ist! - Zuruf: Ja! - Lachen)
Doch dafür, dass aus den Fehlern gelernt würde, gibt es weder in der Landesregierung noch bei der CDU und der SPD ernsthafte Anzeichen.
(Zurufe: Oh, oh, oh! - Unglaublich!)
Es gibt weiterhin ein unfassbares Maß an Wunschdenken, Ignoranz und Verantwortungslosigkeit. Mit dem Bericht der vom Landtag eingesetzten Expertenkommission zur Ermittlung des Lehrkräftebedarfs liegen seit mehr als drei Jahren belastbare Daten vor. Doch die darin formulierten klaren Vorgaben für die Ausrichtung und den Ausbau der Lehramtsausbildung wurden von der alten Kenia-Koalition nicht nur ignoriert, sie wurden wider besseres Wissen bestritten und bekämpft.
(Zuruf)
Regierung und Koalition waren nicht bereit, die Realität zur Kenntnis zu nehmen. Leider versagt auch das für die Universitäten und die Lehramtsausbildung zuständige Ministerium eklatant, erst unter Jan-Hendrik Olbertz, der die Lehramtsausbildung für die allgemeinbildenden Schulen in Magdeburg geschlossen hat, und später unter Armin Willingmann, in dessen Zuständigkeit die notwendige Erweiterung der Lehramtsausbildung in Halle und auch wieder in Magdeburg ebenso blockiert wurde und wird wie die stärkere Ausrichtung der Belegungen am Bedarf der Unterrichtsfächer.
Alles, was die nächsten Generationen von Schülerinnen und Schülern ausbaden müssen, ist hier im Land entstanden, nirgendwo anders.
(Beifall - Guido Heuer, CDU: Ich habe noch nicht einen Lösungsvorschlag gehört! Nicht einen!)
Und nur wir können das ändern.
(Guido Heuer, CDU: Na, wie denn?)
Deshalb verbietet es sich,
(Guido Heuer, CDU: Vorschläge bitte! - Lachen - Zurufe)
alles wie bisher weiterlaufen zu lassen.
(Guido Heuer, CDU: Vorschläge! - Zuruf: Hat er doch! - Guido Heuer, CDU: Ich würde gern darüber reden! - Lachen)
Wir können und dürfen nicht untätig zuschauen,
(Guido Heuer, CDU: Da kommt nur: Mehr Lehrer einstellen!)
wie sich Bildungsministerium und Landesregierung mit ihren Misserfolgen abfinden und die Schulen immer tiefer und immer länger in ein Tal der Tränen steuern.
(Unruhe)
Es muss allen klar sein, dass sich hier nichts von allein lösen wird.
(Unruhe)
Wenn die CDU forsch behauptet, ab dem Jahr 2025 würde sich die Situation durch sinkende Schülerzahlen entspannen, dann hat sie den Bericht der Expertenkommission schlicht nicht gelesen.
(Zustimmung)
Denn das Gegenteil ist der Fall. Der massive Lehrermangel wird in den weiterführenden Schulen mindestens bis zum Jahr 2030 andauern und, wenn die Weichen jetzt nicht anders gestellt werden, auch noch weit darüber hinaus. Und er wird sich deutlich verschärfen.
Für das Protokoll zum späteren Nachlesen: Bis zum Ende der Wahlperiode wird die Gesamtversorgung unter 90 % sinken. Während sich die Gymnasien dann noch weiter über 95 % bewegen werden, werden die Sekundarschule auf 80 % absinken. Auch die Gemeinschaftsschulen und die Förderschulen werden unter 85 % liegen.
(Zuruf: Das ist doch Quatsch!)
Mit dieser Landesregierung und dieser Koalition gibt es für die Schulen zurzeit kein Licht am Ende des Tunnels.
(Guido Heuer, CDU: Vorschläge! Ich habe noch keine gehört! - Lachen)
Man kann es gar nicht so schwarz malen, wie es kommen wird.
(Guido Heuer, CDU: Nein, es kommt kein Vorschlag!)
- Hast du den Antrag nicht gelesen?
(Zuruf)
- Mein Gott! Ihr werdet ihn ja ablehnen, aber ich komme gleich dazu.
(Guido Heuer, CDU: Dann möchte ich die aber hören! Sie sind doch der schlaue Bildungspolitiker!)
- Ja.
(Guido Heuer, CDU: Na dann, Vorschläge bitte! Mit Namen und Hausnummer! Mann, Mann, Mann!)
- Herr Heuer, wenn Sie ein bisschen weniger herumschreiben würden, könnte ich erstens leiser reden und zweitens meine Rede fortsetzen.
(Zustimmung - Zurufe - Unruhe)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Lassen Sie doch den Redner weiter ausführen.
(Unruhe)
Thomas Lippmann (DIE LINKE):
Ich habe ja Verständnis dafür, dass man das nicht hören will, aber das lässt sich nicht vermeiden.
Mit den derzeit 800 Studienplätzen in Halle und den weiteren 200 in Magdeburg werden kaum zwei Drittel des benötigten Lehrkräftenachwuchses ausgebildet. Es war ein Fehler, die Lehramtsausbildung in Magdeburg zu schließen, und es ist ein Fehler, sie nicht schon längst wieder aufgebaut zu haben.
(Beifall)
Deshalb muss zum nächsten Wintersemester die Lehramtsausbildung in Halle und in Magdeburg in den bekannten Mangelfächern um jeweils 200 Studienplätze erweitert werden. Dafür sind mit beiden Universitäten umgehend Zusätze zu den Zielvereinbarungen abzuschließen.
(Unruhe)
Die Erweiterung muss durch das Land natürlich voll ausfinanziert werden. Auch diese Erweiterung der Studienkapazitäten wird wahrscheinlich noch nicht ausreichen, aber es ist ein überfälliger Schritt, der jetzt unbedingt gegangen werden muss.
Ganz besondere Probleme gibt es laut der Analyse der Expertenkommission beim Lehramt an Sekundarschulen. Hier werden bis zum Jahr 2025 und darüber hinaus lediglich etwa 20 % des prognostizierten Bedarfs ausgebildet. Eine Katastrophe! Es gibt nicht nur zu wenige Studienplätze, es gibt vor allem auch viel zu wenige Interessenten, die in dieser Schulform arbeiten wollen.
Das zeigt, dass die Trennung in eine Ausbildung für eine beliebte und eine für eine unbeliebte Schulform gescheitert ist. Statt die Ausbildung für das Lehramt an Sekundarschulen ohne Erfolg fortzuführen, muss die Ausbildung für das Lehramt an Gymnasien als gemeinsame Laufbahn für alle weiterführenden Schulen erweitert werden. Eine solche Reform würde auch zu einer erheblich besseren Nutzung der Ausbildungskapazitäten an den Universitäten und im Vorbereitungsdienst führen.
Diese Änderungen in der Lehramtsausbildung, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind unverzichtbar, um den Mangel langfristig zu beenden. Dadurch wird sich die Situation in den Schulen aber erst ab dem Jahr 2030 grundlegend verbessern lassen. Bis dahin müssen kurzfristige Sofortmaßnahmen ergriffen werden. Dafür zeigen wir in unserem Antrag mehrere Zugänge auf.
Wenn auf lange Sicht massenhaft Lehrkräfte fehlen, dann müssen in den Schulen andere geeignete Menschen dauerhaft eingesetzt werden. Das können zusätzliche pädagogische Mitarbeiterinnen, Schulsozialarbeiterinnen und Sprachlehrkräfte sein.
(Zurufe: Wo sollen die denn herkommen?)
Das können aber auch Hilfskräfte zur Unterrichtsbegleitung, zur Assistenz und zur Unterstützung der Förderung sein. Die verbleibenden Fachlehrkräfte müssen sich ausschließlich auf die Erteilung von Fachunterricht konzentrieren können. Der ausgedünnte Fachunterricht muss für den Lernerfolg der Kinder und Jugendlichen so effizient wie möglich gestaltet werden.
(Zustimmung)
Wenn die Grundschulen ihren gesetzlichen Auftrag für die verlässliche Öffnungszeit von täglich fünfeinhalb Stunden wegen des Personalmangels nicht mehr erfüllen können, dann können die Kinder nicht ohne eine sinnvolle Beschäftigung in der Luft hängen und nur beaufsichtigt werden. Angebote von Hortträgern, die Kinder früher in die Hortbetreuung zu übernehmen, gibt es schon lange, und sie werden auch praktiziert. Das Bildungsministerium hat sich bisher nur geweigert, den Hortträgern die entstehenden Kosten zu erstatten. Dieser Streit muss ein Ende haben.
(Beifall)
Die meisten der konkreten Vorschläge sind nicht neu. Wir haben Sie in der letzten Wahlperiode schon mehrfach im Plenum vorgetragen und darüber im Bildungsausschuss diskutiert. Die CDU reagiert darauf, wie heute auch wieder, gern patzig und mault herum, wir hätten gar keine Vorschläge.
(Guido Heuer, CDU: Wenn ich mal richtig maule! Das haben Sie noch nicht erlebt!)
Dabei weigert sie sich nur, sie zur Kenntnis zu nehmen. Wenn Sie, liebe CDU, das alles für untauglich oder unnötig halten und es im Bildungsministerium oder in der CDU dafür bessere Ideen gibt - dann heraus damit! Legen Sie los!
Eines geht aber nicht: weiterhin untätig zu bleiben und sich einfallslos hinter der nächsten erfolglosen Ausschreibung zu verstecken. Es geht nicht, mehr als die Hälfte der Schülerschaft in Sekundarschulen, Gemeinschaftsschulen und Förderschulen zu schicken und dort das Personal einfach ausbluten zu lassen. Es geht nicht, Geld, das für die Bildung der Kinder und Jugendlichen gebraucht wird, in Haushaltslöchern verschwinden zu lassen.
(Guido Heuer, CDU: Ah, jetzt kommen wir gleich zum Pensionsfonds! - Lachen)
Sie sagen selbst, der Mangel liegt nicht am Geld. Im Personalhaushalt des Bildungsministeriums werden 100 Millionen € übrig bleiben, weil die Stellen nicht besetzt werden.
(Zuruf)
Es ist Geld da für andere Maßnahmen.
(Beifall)
Sagen Sie nicht, es liegt am Geld!
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Herr Lippmann, kommen Sie langsam zum Ende, bitte.
Thomas Lippmann (DIE LINKE):
Ich komme zum Ende. - Wachen Sie auf aus Ihrer Lethargie! Beenden Sie Ihr Wunschdenken! Stellen Sie sich der Wirklichkeit und krempeln Sie die Ärmel hoch! - Vielen Dank.
(Beifall)