Thomas Lippmann (DIE LINKE):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Frau Ministerin Feußner, liebe Kolleginnen und Kollegen in der Koalition, es kommt nicht darauf an, ob wir den Antrag ablehnen oder beschließen oder ob wir ihn durch eine Überweisung in den Bildungsausschuss versenken.

(Unruhe)

Die Dramatik der Situation ist schwer darstellbar. Zu übertreffen wird sie sein, das werden wir alle gemeinsam erleben. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob wir heute und auch in Zukunft Redeschlachten führen, sondern es muss ankommen, dass das, was sich die Koalition, was sich die CDU und das Bildungsministerium bisher überlegt haben und was wir natürlich verfolgen   das wissen wir ja, wir fragen es ja auch ab; wir sollten uns nicht gegenseitig die Kompetenz absprechen  , entweder nicht wirkt oder nicht ausreicht, und zwar in Größenordnungen.

Dieses Auseinanderklaffen von zwei Schulformen im gleichen Altersbereich, nämlich in den weiterführenden Schulen ab Klasse 5 im Moment um neun Prozentpunkte, und es werden zwölf und es werden 15 Prozentpunkte werden, ist ein bildungspolitischer Skandal und ein sozialpolitischer Sprengsatz.

(Beifall)

Da kann man sich nicht hinstellen und alles Mögliche ablehnen und sagen: Wir haben uns bemüht. Das reicht nicht. Vielleicht können wir uns in der heutigen Debatte   Herr Heuer, der gerade nicht da ist, hat vorhin wieder so herumgebrüllt   darauf verständigen, dass es schon ein bisschen komisch ist, wenn die eine Seite brüllt: Ihr habt doch keine Vorschläge!, und sich die anderen Redebeiträge mit den Vorschlägen auseinandersetzen, um sie allerdings alle zu verwerfen.

Vielleicht könnten wir uns zumindest darauf verständigen, dass wir Vorschläge vorgelegt haben. Und wir werden am Ende alle gemeinsam sehen, wie viel davon umgesetzt wird, auch wenn es heute abgelehnt wird. Denn ich sage Ihnen: Zu vielem, vielleicht sogar zu allem, was darin steht, haben Sie gar keine Alternative. Sie haben keine besseren Vorschläge.

(Zuruf)

Sie stehen hier wie in „Des Kaisers neue Kleider“, wo der kleine Junge dann sagt: Der hat doch gar nichts an! - Sie haben gar nichts an. Sie bemühen sich, aber Sie kommen nicht vorwärts.

(Widerspruch)

Zwei, drei detaillierte Geschichten, weil es sonst heute auch nichts weiter bringt. Liebe Katja Pähle, Frau Hohmann hat versucht, es ein wenig herauszukitzeln: Wir haben im Moment kein Problem, im Bereich der staatlich anerkannten Erzieherinnen genügend Fachkräfte auszubilden. Wir haben Einsatzprobleme in den Einrichtungen, weil sie sich darin gefallen, aus der Zeit des Kindereinbruchs nur noch mit massenhaft zwangsweisen Teilzeitarbeitsverträgen und großen Kindergruppen zu arbeiten.

Der nächste Punkt: Personalwirtschaftlich geht nichts, das hat Frau Feußner beim letzten Mal auch schon gesagt. Ich kann keine Gymnasiallehrer an die Sekundarschulen schicken; dann sind sie krank. Als wir schon einmal eine solch dramatische Situation hatten, als es wirklich Schülereinbrüche gab und wir mit Tarifverträgen arbeitsplatzsichernd gearbeitet haben, wurden 2 000 Grundschullehrerinnen für sechs bis acht Jahre in die Sekundarschulen versetzt und anschließend zum größten Teil wieder zurückversetzt.

(Zustimmung)

Da wurden zwischendurch 1 000 Sekundarschullehrkräfte für vier bis fünf Jahre an die Gymnasien versetzt und dann zum großen Teil wieder zurückversetzt. In diesem Lande   ich sage nicht „wir“, also ein Stück weit schon; denn ich war als Personalrat und als Tarifpartner daran beteiligt   sind schon ganz andere Personalbewegungen vonstattengegangen, wenn eine solche Situation entstanden ist.

Eine Sache schreibe ich Ihnen ins Hausaufgabenheft: Vergessen Sie es, dass wir nur ein kurzes Tal durchschreiten müssen, dass sich im Jahr 2025   das werden wir alle hier gemeinsam erleben; das ist eine Legislaturperiode   irgendetwas, auch nur eine Kleinigkeit, entspannen wird.

Frau Feußner hat es jetzt leider wiederholt, obwohl ich sie im Bildungsausschuss gefragt hatte, deshalb stelle ich es noch einmal klar: Wenn überhaupt ab dem Jahr 2025 Schülerzahlen sinken, dann nur in den Grundschulen, auf keinen Fall in den weiterführenden Schulen. Dazu liegen die Zahlen alle vor; die Kinder sind ja alle geboren, wir kennen das alles. Die Schülerzahl in den weiterführenden Schulen, an den Sekundarschulen, an den Gymnasien sowie an den Förderschulen, also die gesamte Klientel, wird bis zum Jahr 2030 nicht absinken. Alles andere, was danach kommt, werden wir    

(Zuruf: Doch! Doch, das steht doch hier!)

  Ach, hör doch auf!   Das ist auch der Grund, warum man noch einmal   Herr Borchert hat es gefragt   in die Vergangenheit schauen muss. Weil die Fehler der Vergangenheit mit den Fehlprognosen und dem Wunschdenken weitergehen.

(Zustimmung)

Sie, wir erzeugen heute die Probleme, mit denen sich ein Parlament in zehn Jahren auseinandersetzen wird, so wie wir uns heute mit dem auseinandersetzen, was vor zehn Jahren passiert ist. Es sind Fehlprognosen. Sie setzen auf sinkende Schülerzahlen.

(Zuruf)

Sie hoffen, dass sich die Schülerzahlen dem annähern, was an Lehrkräften bezahlt werden kann und was Ihrer Meinung nach ausgebildet werden kann. Es wird dieses kurze Tal nicht geben. Das Tal ist viel länger, und es ist viel tiefer, als Sie sich das vorstellen können. Wir werden hier über Zahlen reden. Das können Sie, wenn es so weit ist, alles im Protokoll nachlesen. Dann kann man nicht sagen: Das hat ja keiner gesagt, es hat ja keiner gewusst.

(Zurufe)

Nein, man kann das vorher wissen, weil es dazu Daten gibt.

(Zurufe)

Sie hoffen, dass der Kelch an Ihnen vorbeigeht. Aber wenn es dann so weit ist und er ausgetrunken werden muss, dann waren es die anderen und nicht man selbst.

(Zustimmung)

Als Letztes noch zu der zentralen, wichtigen Frage der Ausbildung der Lehrkräfte. Es ist am Ende nicht so, dass Magdeburg nicht relativ schnell relativ viel Lehrkräfteausbildung aufbauen könnte, sondern man soll es nicht dürfen, weil an dem Strukturbeschluss, der falsch war, festgehalten wird. Halle bekommt die Lehrerausbildung und Magdeburg die Ingenieurausbildung, und wenn man das eine Fass aufmacht, dann wollen die anderen das auch, bzw. wir haben das Geld dafür nicht.

Es liegt nicht an den Kapazitäten, die Magdeburg hat. Magdeburg hat gegen Widerstände auf eigenem Ticket eine Mathematik- und Physiklehrerausbildung aufgebaut, angeboten und mit über ca. 80 Erstsemestern gefüllt, eine ganz wertvolle Geschichte. Magdeburg könnte aus dem Stand Deutsch- und Sozialkundelehrer ausbilden. Das wäre ganz wichtig, aber es wird verboten.

(Zuruf)

Sie könnten Chemielehrer ausbilden, das wird verboten. Nein, sie dürfen es nicht. Sie würden es wollen und dürfen es nicht. Das ist der Punkt, der hierbei eine Rolle spielt. Halle hat in allen schwierigen Fächern, die wir brauchen, NC und schickt Hunderte Bewerberinnen fort. Ich frage es jedes Mal ab.

(Zustimmung)

Es sind keine Dinge, die ich erfinde. Und wir werden dieses Thema natürlich auch ohne Überweisung in den Bildungsausschuss behandeln.

(Lachen)

Es kommen Antworten auf Kleine Anfragen zur Umsetzung des Expertenberichts und zu den Grundlagen der Unterrichtsversorgung. Dann muss sich die Koalition auf die Hinterbeine stellen und sagen: Nein, einen Selbstbefassungsantrag machen wir nicht. Denn wir müssen über diese Dinge sprechen.

Die beiden letzten Punkte: Schauen Sie in die Statistik. Im vorletzten Jahr, 2019/2020, hatte Sachsen-Anhalt im bundesweiten Vergleich das geringste schulische Angebot in allen Schulformen noch mit Ausnahme der Gymnasien, aber sie sind auch in einer Abwärtsbewegung,

(Zuruf: Lebenslanges Lernen!)

das geringste schulische Angebot in Grundschulen, Sekundarschulen, in Förderschulen, überall.

(Guido Kosmehl, FDP: Sie haben erst in allen Schulformen gesagt und dann korrigieren Sie sich wieder!)

  Mensch! Also, Herr Kosmehl, in allen Schulformen, über die wir hier vor allem sprechen, in den Sekundarschulen, den Grundschulen, den Förderschulen, dort, wo mehr als die Hälfte der Klientel ausgebildet wird, haben wir das schlechteste Unterrichtsangebot aller Bundesländer, auch der östlichen, von den westlichen gar nicht zu reden.

(Unruhe)

Letzter Punkt: Wir haben bundesweit das kleinste Hochschulsystem bezogen auf die Bevölkerung, das kleinste Hochschulsystem. Wenn wir die Lehrerausbildung ausweiten, dann explodiert da nichts und dann überfordert uns das finanziell auch nicht, sondern das, was wir für die Existenz des gesamten Bildungssystems brauchen, das muss an der Basis organisiert werden, das muss bezahlt werden und das kann man nicht wegsparen.

(Zustimmung und Zurufe)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Lippmann, würden Sie bitte noch hierbleiben. Der Abg. Herr Borchert hat eine Nachfrage. Würden Sie diese beantworten?


Carsten Borchardt (CDU):

Nein, es ist keine Nachfrage, sondern eine Kurzintervention.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Eine Kurzintervention? - Dann braucht Herr Lippmann auch nicht hier zu bleiben oder sich dazu zu äußern.

(Zurufe)

Herr Borchert, bitte.


Carsten Borchert (CDU):

Ich muss meine Ministerin schützen; denn sie ist ja nicht blöd. Ich habe mir im Bildungsausschuss schon angehört, was Herr Lippmann dort von sich gegeben hat. Wenn meine Ministerin sagt, dass die Schülerzahlen ab dem Jahr 2025 wahrscheinlich zurückgehen werden, dann weiß sie logischerweise, dass das nur die Grundschüler sein können und nicht jene aus den oberen Klassen; denn das sind ja immer noch dieselben. Dass das nun schon das zweite Mal so aufgebauscht wird, als ob meine Ministerin nicht wüsste, was sie sagt, und es nur die Grundschulen betreffen würde. Es kann ja nur die Grundschulen betreffen, das ist doch logisch. - Mann!

(Beifall - Zurufe: Jawohl!)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Herr Borchert. - Damit sind wir fertig oder, Herr Lippmann, wollen Sie etwa erwidern? - Entschuldigung!

(Unruhe)


Thomas Lippmann (DIE LINKE):

Wir können das dann im Bildungsausschuss machen. Bleiben Sie ganz ruhig, Herr Borchert. Ich hätte es gar nicht noch einmal aufgegriffen, wenn es nicht das Argument gäbe, das sei nur vorübergehend, wir könnten da irgendwo durchtauchen, wir brauchten die Lehrerausbildung nicht aufzubauen; denn bis die Lehrkräfte da sind, brauchen wir sie überhaupt nicht mehr. - Das ist der zentrale Punkt.

(Zurufe)

Nein, das, was wir jetzt an Lehrerausbildung aufbauen, fehlt uns natürlich in den nächsten sieben, acht Jahren. Aber in den nächsten zehn, zwölf, 14 und 20 Jahren brauchen wir sie immer noch, weil die Schülerzahlen eben nicht so schnell und so deutlich sinken werden, wie man sich das vielleicht erhofft. Das ist das Problem der ganzen letzten Jahre.

(Beifall - Zuruf)