Tagesordnungspunkt 9
Beratung
a) Die Pandemie ist nicht vorbei - Das Land muss sich den neuen Herausforderungen stellen
Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/343
Änderungsantrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/377
b) Die Pandemie wirkungsvoll bekämpfen: Ampelsystem, verbindliche Regeln und konzertierte Impfkampagne
Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/347
Änderungsantrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/389
Die Einbringerin zu a) ist Frau Anger. Sie haben das Wort.
Nicole Anger (DIE LINKE):
Vielen Dank; Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zu Beginn, im Namen meiner Fraktion allen Menschen unseren Dank auszusprechen, die sich tagtäglich an die Schutzmaßnahmen halten, sich impfen ließen und lassen, aufeinander Rücksicht nehmen. Der Dank geht besonders an diejenigen, die im medizinischen, pflegenden und betreuenden Bereich tätig sind, auf deren Krafteinsatz und Wirken wir in dieser vierten Welle nun mehr denn je angewiesen sein werden.
(Beifall)
Denn wo stünden wir heute, wenn sie alle nicht bis zu diesem Moment alles gegeben hätten?
Zu unserem Antrag, meine Damen und Herren. Die nun vierte Welle der Pandemie trifft uns mit voller Wucht. Insbesondere im Süden und im Osten der Republik steigen die Infektions- und Hospitalisierungsraten massiv an. Diese fatale Dynamisierung besteht bundesweit. Spät, aber immerhin gestern gab es die Bund-Länder-Runde. Mit dem Virus haben sich seit Beginn der Pandemie fast 130 000 Menschen in Sachsen-Anhalt infiziert. Die Aussichten, dass diese Zahl nur langsam weiter ansteigen wird, stehen momentan eher schlecht.
Der Inzidenzwert unseres Landes steigt täglich und liegt seit gestern über 400. Im Altmarkkreis Salzwedel liegt er bereits bei fast 600, im Burgenlandkreis darüber.
Hochdramatisch gestaltet sich die Situation bei Kindern und Jugendlichen. In der Altersgruppe der Fünf- bis 14-Jährigen haben mehrere Landkreise und kreisfreie Städte den Schwellenwert von 1 000 schon seit einigen Tagen deutlich überschritten. Der Altmarkkreis Salzwedel, Harz, Halle, Magdeburg. Burgenlandkreis und Wittenberg haben seit heute in der Altersgruppe fünf bis 14 einen Inzidenzwert von über 2 000; sprich: im Burgenlandkreis fast 300 infizierte Kinder in der Altersgruppe.
Außerdem: Der Hospitalisierungswert wird mit Stand heute mit zwölf angegeben, Tendenz steigend. Das heißt im Klartext: Die Zahl der Menschen, die mit einer Covid-Infektion in ein Krankenhaus eingewiesen werden müssen, steigt schneller an, als die Intensivbetten wieder frei werden.
Laut gestrigem Beschluss der MPK sind die Landesparlamente zur Umsetzung der weitergehenden Regelungen ab einem Hospitalisierungswert von neun einzubinden. Ich erinnere: Wir haben zwölf. Eine Forderung, die wir als LINKE schon zu Beginn der Pandemie getätigt haben, auch um möglichst viel Transparenz in die Entscheidung des Landes für die Menschen zu bringen.
Ich gehe davon aus, dass der Sozialausschuss sehr schnell zur Beratung einberufen wird und wir uns dann in diesem Parlament umgehend zu einer Sondersitzung treffen. Für meine Fraktion heißt das auch, dass wissenschaftliche Expertinnen zu unseren Beratungen hinzuzuziehen sind. Ihre Expertise hilft bei den Entscheidungen, die wir treffen müssen. Denn wir müssen entscheiden, in welcher Form der weitergehende Maßnahmenkatalog umgesetzt werden soll.
Der Ministerpräsident hat gestern schon angekündigt, dass er das eins zu eins tun wolle. Wir müssen klären, was das genau heißt.
(Zustimmung)
Zu den Zahlen und Fakten, mit denen wir täglich konfrontiert werden, kommen Meldungen einer drohenden Überlastung des Gesundheitssystems und von Krankenhäusern hinzu. Die Anzahl der freien Intensivbetten reduziert sich rasant. Das Personal in Kliniken, aber auch in Pflegeeinrichtungen, in Kitas, Schulen, aber auch in den Gesundheitsämtern ist enormen Belastungen ausgesetzt. Viele sind am Ende ihrer Kräfte.
Selbst wenn wir mehr Betten in die Kliniken stellen würden, uns fehlt das Personal. Ausnahmen, wie im MPK-Beschluss, die Personalbemessungsgrenze zu öffnen, scheinen einfach. Aber dies führt dazu, dass das schon erheblich belastete Personal noch mehr zu tun hat, das noch mehr an das Ende seiner Kräfte kommen wird. Es müssen mehr Menschen zur Unterstützung eingestellt werden.
Deswegen: Die Politik muss handeln, und zwar jetzt und heute, im Bund wie auch hier im Land.
(Beifall)
Es ist fünf nach zwölf, um es mit den Worten von Herrn Wieler zu sagen. Diese Pandemie bekämpfen wir wirkungsvoll nur gemeinsam und solidarisch.
Das wirksamste Mittel in dieser Pandemie sind nach wie vor die Impfungen. Ja, das Virus mutiert, der Impfschutz gegenüber der grassierenden Delta-Variante liegt nicht bei 100 %. Aber eine Impfung schützt vor deutlich schwereren Verläufen. Alles andere ist schlichtweg falsch.
Nachdem die Impfungen auf freiwilliger Basis gestartet sind, hat knapp jeder Zweite von drei Menschen in diesem Bundesland Gebrauch von unserem wirksamsten Instrument zur Bekämpfung der Pandemie gemacht. Zahlen, die Mut machen. Dennoch sind die Zahlen bei Weitem nicht ausreichend, um diese Pandemie in den Griff zu bekommen.
Wir dürfen nicht vergessen, ein Teil der Menschen kann sich nicht oder noch nicht impfen lassen. Ich rede hierbei vor allen Dingen von Kindern, aber auch von Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen.
(Zuruf: Gott sei Dank!)
Diese brauchen unseren Schutz und unsere Solidarität.
Um sowohl die Impfquote noch deutlicher zu steigern, als auch die Nutzung der Auffrischungsimpfungen, der sogenannten Booster, umgehend anzubieten, muss das Land verstärkt auf Aufklärung und Information setzen. Dazu hat sich jetzt auch die MPK bekannt. Die Anzahl der Fake News, die über Impfstoffe und deren Wirkungen kursieren, ist nicht nur erschreckend hoch, sondern muss als Anlass einer Intensivierung der Aufklärungsarbeit gesehen werden. Es liegt doch im Interesse aller, dass die Menschen erklärt bekommen, dass weder Bill Gates jemanden chipt, noch der Arm in Folge einer Impfung abfällt, oder wer weiß, was noch so alles im Raum steht.
Daher fordern wir die Landesregierung im Rahmen der Impfkampagne auf, jeder Einwohnerin, jedem Einwohner des Landes Sachsen-Anhalt ein Aufklärungspaket zukommen zu lassen. In diesem soll ein Anschreiben mit persönlicher und ausdrücklicher Bitte, sich impfen zu lassen, enthalten sein. Darüber hinaus müssen dem Paket Informationen beiliegen, in denen die gängigen Impfreaktionen erläutert sind.
(Zuruf)
Ich rede hierbei vorrangig von körperlichen Reaktionen, die schlichtweg normal sind und nach kurzer Zeit auch wieder weggehen.
(Unruhe)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Frau Anger warten Sie einmal ganz kurz. - Ich stelle bei einigen Herren im Plenum fest, dass sie offensichtlich ein erhöhtes Bedürfnis haben, sich gegenseitig auszutauschen, und zwar jenseits dessen, was hier vorgetragen wird. Ich würde Sie darum bitten, das entweder einzustellen oder es vielleicht in den Raum draußen zu verlegen, weil es ansonsten schwer wird, der Rede zu folgen. - Danke.
Nicole Anger (DIE LINKE):
Ich sprach gerade von den normalen Impfreaktionen, die nach kurzer Zeit auch wieder weg sind, wie der bekannte Impfarm, Schlappheit oder Müdigkeit. Des Weiteren soll diesem Aufklärungspaket eine Übersicht beigefügt werden, in der Termine und Orte für Impfungen in der Region dargestellt sind. Menschen müssen eindringlich vermittelt bekommen, wann sie wo schnell die Möglichkeit haben, diesen für uns alle so wichtigen Piks zu bekommen.
Unterstützend dazu brauchen wir eine für die Menschen erreichbare Impfhotline, bei der auch am Wochenende und in den Abendstunden Nachfragen zu den Impfungen gestellt werden können und Unsicherheiten ausgeräumt werden.
(Zustimmung)
Ich bedanke mich an der Stelle auch bei den Mitarbeitenden im Sozialministerium, die bisher das Info-Telefon gemanagt haben. Aber auch dieses Angebot müssen wir explizit ausbauen. Kommen die Menschen nicht zu den Impfungen, müssen die Impfungen zu den Menschen kommen.
Wir alle wissen, dass unser Netz des Gesundheitssystems große Löcher hat, dass nicht alle Hausärztinnen bereit sind, Impfungen anzubieten. Deshalb braucht es aufsuchende Impfungen. Es gilt dazu haben Sie unseren Änderungsantrag vorliegen , alle Impfzentren sehr schnell wieder zu öffnen. Wir brauchen sie dringend als Anlaufstellen für die Menschen in der Stadt, in den Stadtteilen, auf dem Land, in den Dörfern. In einem Flächenland wie Sachsen-Anhalt ist es unabdingbar, auf den ländlichen Raum einen besonderen Fokus zu richten.
Dazu müssen verstärkt mobile Impfteams in den Regionen eingesetzt werden, und zwar einerseits dort, wo die Menschen zusammenkommen, und andererseits, um Versorgungslücken zu schließen. Dabei sind auch alle Hausärztinnen
(Zuruf: Hausärztinnen! Mein Gott!)
verpflichtend einzubinden. Es müssen auch neue, andere Wege in den Blick genommen werden, beispielsweise Apothekerinnen und Apotheker, Gesundheitsämter, Zahnärztinnen und Zahnärzte.
(Unruhe)
Auch sie können das Impfen unterstützen.
Für uns als LINKE müssen solche Angebote aber auch sozialverträglich sein. Es muss einem jeden Menschen in diesem Bundesland ermöglicht werden, ohne eigenen Mehraufwand, insbesondere finanziellen, ein Impfangebot wahrzunehmen.
(Zustimmung)
Daher fordern wir von der Landesregierung, dass Fahrdienste zu Impfangeboten voll und ganz landesseitig finanziert werden. Mit der Vergabe eines Impftermins soll somit eine kostenfreie Beförderung verbunden sein. Um das nachdrücklich zu betonen: Diese Regelung darf nicht allein auf den ÖPNV begrenzt sein, da eben nicht jedes Dorf auf eine gut angebundene ÖPNV-Struktur zurückgreifen kann.
Denken Sie bitte vor allen Dingen an die ältere Generation. Diese hat zurecht als eine der ersten Impfungen bekommen. Sie braucht jetzt ganz schnell den Booster.
Aber für manch einen ist ein weiter Weg oder das lange Anstehen einfach nicht machbar.
Ich möchte daran erinnern, dass auch Menschen ohne Krankenversicherung oder Aufenthaltspapiere gemäß Verordnung ein Anrecht auf die Impfung haben. Auch sie müssen mit entsprechender Ansprache über die Impfkampagne erreicht, eingeladen und abgeholt werden.
(Zustimmung)
Weiterhin muss es unser Anliegen sein, die Arbeitgebenden einzubeziehen, damit sich Infektionen in den Unternehmen nicht ausbreiten. Sie können neben den regelmäßigen Testangeboten und den entsprechenden Arbeitsschutzmaßnahmen bei den Impfungen unterstützen.
Wir fordern eine Verpflichtung von Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen und Unternehmen für Mitarbeitende, und zwar in Gewährung eines Sonderurlaubes von zwei Tagen, wenn diese sich impfen lassen, also die Freistellung am Tag der Impfung und am Folgetag - natürlich unter Fortführung der Entgeltzahlung.
Ich will an dieser Stelle deutlich sagen: Unsere Wertschätzung muss allen gelten, die sich in dieser Pandemie solidarisch zeigen, die sich impfen lassen, die regelmäßig die Testmöglichkeiten nutzen und die die Schutzmaßnahmen anwenden. Impfverweigerer sind nicht nur eine Gefahr für sich selbst, sondern auch für unser Gesundheitssystem.
Übertragungen des Virus können aber durch eine hohe Impfquote in der Bevölkerung wirklich effektiv unterbunden werden. Wir fordern daher ganz besonders mit Blick auf die vulnerablen Gruppen mindestens eine berufsgruppenbezogene Impfpflicht. Wir begrüßen es, dass sich nicht nur Wissenschaftlerinnen dazu bekennen, sondern dies auch die MPK endlich erkannt hat.
Meine Damen und Herren! Darüber müssen wir jetzt entscheiden; denn wir wissen, die volle Schutzwirkung setzt erst 14 Tage nach der vollständigen, in vielen Fällen der zweiten Impfung ein. Damit wir ganz sicher sein können, fordern wir eine Testpflicht für alle Tätigen, also nicht nur, wie die MPK beschlossen hat, in Einrichtungen der Pflege und Gesundheit, sondern auch in Kita, Schule und Jugendeinrichtungen. Diese Tests sind selbstverständlich auch dann anzuwenden, wenn jemand geimpft oder genesen ist.
Diese Tests müssen kostenfrei sein; denn wir sehen es als Aufgabe des Landes an, Infektionsketten frühzeitig zu unterbrechen und so für die Gesundheit aller Sorge zu tragen.
Meine Damen und Herren! Die MPK hat sich in keiner Weise zu Schulen und Kitas geäußert. Dieses regelmäßige Testen muss auch für alle Kinder und Jugendlichen sowie vor allen Dingen die Beschäftigten in Schule und Kita gelten. Gerade die unter Zwölfjährigen haben nicht die Möglichkeit einer Impfung und alle Kinder von zwölf bis unter 18 Jahren entscheiden darüber nicht allein.
Ich habe es eingangs gesagt, in der Altersgruppe der Fünf- bis 14-Jährigen verzeichnen wir eine der höchsten Infektionszahlen. Während das Gesundheitsamt die positiv getesteten Spieler des 1. FCM und ihre Kontaktpersonen in Quarantäne schickt - ich finde, es ist richtig und wichtig, das so zu tun; Stichwort Infektionsketten unterbrechen , gilt dies für unsere Kinder in der Schule nicht. In Quarantäne geht nur das Kind mit dem positiven Testergebnis.
Lehrerinnen berichteten mir, dass Eltern ihre Kinder, welche Kontaktpersonen sind, dann aus Sorge zu Hause behalten. Teilweise ist das dann die ganze Klasse, und dies meist, weil es in den Familien auch vulnerable Gruppen gibt.
Oder wie drückte es ein Vater in einem offenen Brief auf Twitter aus: Ich bitte Sie inständig, für unsere Kinder und auch deren vorerkrankte Angehörige: Nehmen Sie wieder klassenweise oder gar schulweise Kinder und Lehrkräfte in Quarantäne!
Und weiter schreibt er an die Bildungsministerin gerichtet: Frau Feußner, ich bitte Sie inständig, setzen Sie unverzüglich die Präsenzpflicht aus und ermöglichen Sie damit den Eltern, schnell und flexibel zu reagieren.
(Zustimmung)
Was denken Sie, wie es den Kindern geht, die jeden Tag in die Schule müssen, obwohl es dort bekanntermaßen eine Infektion gibt, während die krebskranke Mutter zu Hause ist?
Der Brief sollte Ihnen, Frau Ministerin Feußner, bekannt sein. Ich sage ganz deutlich: Lassen Sie uns diese vierte Welle der Pandemie nicht auf dem Rücken der jungen Menschen austragen.
(Beifall)
Den jungen Menschen im Land wurde in den ersten Phasen der Pandemie viel Verzicht auf Lebensqualität auferlegt. Die meisten waren mit der älteren Generation solidarisch, da wir für alle keinen Impfstoff hatten. Das hat sich ein Stück weit geändert. Aber wo bleibt jetzt die Solidarität mit den jungen Menschen, die sich noch nicht impfen lassen können?
Lassen Sie mich zum Schluss festhalten: Die regierungstragenden Fraktionen neigen und neigten ja immer dazu, Anträge der LINKEN generell abzulehnen. Aber gerade dieser Antrag von uns scheint eine in dieser Pandemie fast rat- und sprachlose Landesregierung zu inspirieren, und man mag ja behaupten, sie habe es auch in den Bund getragen. Kaum war unser Antrag im Informationssystem des Landtages eingestellt, beginnt die Landesregierung, die von uns geforderten Punkte abzuarbeiten.
(Zuruf: Ach, so ein Quatsch!)
Umso mehr freue ich mich, wenn Sie Ihrem eigenen Handeln hier und heute gleich zustimmen werden. Dann bekommen Sie Ihr Agieren in dieser Situation von uns noch demokratisch legitimiert.
(Zuruf: Oh!)
Man sieht also, dass wir als Opposition sehr wohl gute Ideen entwickeln und vor allen Dingen darauf achten, was die Menschen in diesem Land brauchen. Dahin gehend fordere ich Sie auf, unserem Antrag zuzustimmen. - Herzlichen Dank.
(Beifall)