Tagesordnungspunkt 11
a) Erste Beratung
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Abfallgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt
Gesetzentwurf Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/352
b) Beratung
Sofortiger Einlagerungsstopp für die Deponie der Deponieklasse II in Roitzsch
Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/318
Änderungsantrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/376
Alternativantrag Fraktionen CDU, SPD und FDP - Drs. 8/383
Alternativantrag Fraktion AfD - Drs. 8/387
Einbringer zu a) und b) ist der Abg. Herr Lange. - Herr Lange, Sie haben das Wort. Bitte sehr.
Hendrik Lange (DIE LINKE):
Vielen Dank, Herr Präsident! - Meine Damen und Herren! Erneut befassen wir uns im Landtag mit dem Thema Müll und heute besonders mit der Situation der Deponie in Roitzsch. Die Genehmigung dieser Deponie war schon oft Thema in den Ausschüssen. Und das Einlagerungsgeschehen steht vor Ort weiter in der Kritik.
Auch wenn das Landesverwaltungsamt diese Kritik zu entkräften versucht, gibt es erneut Anlass, die Deponie der Deponieklasse II zu hinterfragen. Ein erneutes Gutachten, das Erkenntnisse der Erkundung für das neue Deponievorhaben der Firma Papenburg auf dem Gelände des ehemaligen Tagesbaues „Freiheit III“ und die beigebrachten Gutachten zur genehmigten Klasse-II-Deponie verbindet, ist tatsächlich eine neue Situation. Die Ergebnisse sind erschreckend und verlangen sofortiges Handeln.
(Unruhe)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Warten Sie bitte, Herr Lange. - Ich würde darum bitten, dass wir uns jetzt zu Ende sortieren und dass wir das Fehlen - hallo, liebe Kolleginnen und Kollegen! - der Plasteabtrennungen nicht dazu benutzen, uns während der Rede über fünf Plätze hinweg zu unterhalten, sondern etwas Ruhe einkehren lassen. Das würde der Debatte guttun, a) dem Redner, weil er sich besser konzentrieren könnte und b), falls es doch jemanden gibt, der sich dafür interessiert, dieser auch zuhören kann.
(Beifall)
Danke. - Herr Lange, weiter geht es.
Hendrik Lange (DIE LINKE):
Danke schön. - Die Ergebnisse sind erschreckend und verlangen sofortiges Handeln.
Bereits ein von der Initiative „Pro Roitzsch“ vorgelegtes Gutachten kommt zu der Erkenntnis, dass die Setzungsverhältnisse im Untergrund der Deponie dazu führen werden, dass der Fuß mit dem Grundwasser in Berührung kommt. Das neue Gutachten weist das ebenfalls nach, besagt sogar, dass die Deponie vielleicht schon einen nassen Fuß hat.
Es kommt zu der Erkenntnis, dass der inhomogene aufgeschüttete Untergrund zu einem sehr unterschiedlichen Setzungsgeschehen führen wird und somit sowohl die künstliche Basisabdichtung als auch die Entwässerung der Deponie Gefahr laufen, beschädigt und funktionsunfähig zu werden, es vielleicht schon sind.
Meine Damen und Herren! Die Abfallstoffe der Deponieklasse II sind stark kontaminiert. Darum werden hohe Ansprüche an diese Deponien gestellt. Und es braucht eine Ewigkeitsgarantie. Inwieweit diese auf aufgeschüttetem Untergrund mit einer künstlichen Basisabdichtung überhaupt möglich ist, haben wir schon in mehreren Ausschusssitzungen bezweifelt, zumal die verwendeten Folien nur eine Garantie von wenigen Jahrzehnten haben.
Das neue Gutachten zeigt jetzt auf, dass Gefahr in Verzug ist. Damit das Grundwasser und der Roitzscher See nicht in Mitleidenschaft gezogen werden, fordern wir den sofortigen Einlagerungsstopp.
(Beifall)
Meine Damen und Herren! Neben der akuten Gefahr zeigt das Gutachten eklatante Fehler im Genehmigungsverfahren auf, die die Schlussfolgerung zulassen, dass die Genehmigung nie hätte erteilt werden dürfen. So zeigt das Gutachten auf, dass die Erkundung des Untergrunds gerade einmal durch vier Bohrungen und acht Drucksondierungen erfolgt ist. Obwohl der Bericht zur Baugrundbeurteilung auf die Notwendigkeit weiterer Erkundungen entsprechend DIN 4020 verweist, sind diese in den Genehmigungen nicht dokumentiert.
Auf der Errichtungsfläche der Deponie von ca. 23 ha hätte es entsprechend dieser Norm mindestens 40 Bohrungen geben müssen. Zudem wurden keine Bodenproben untersucht. Somit sind die Bodenkennwerte nicht ermittelt worden. Der Gutachter kommt daher zu der Schlussfolgerung - Zitat : Die Planfeststellungsunterlagen sind daher als untauglich einzustufen. Konsequenterweise muss der Weiterbetrieb der Deponie als unverantwortlich eingestuft werden.
Meine Damen und Herren! Was für eine Watsche für die Genehmigungsbehörde und was für ein Alarmsignal für uns alle.
(Beifall)
Meine Damen und Herren! Zudem weist das Gutachten nach, dass die Erkundung der Grundwasserverhältnisse nicht ordnungsgemäß stattgefunden hat, dass die technisch korrekte Anlage einer Grundwassermessstelle nicht dokumentiert worden ist und dass Schichtwasser bereits 2,30 m unter der Geländeoberkante angetroffen wurde.
Schichtwasser hat Einfluss auf die Basisabdichtung und die Bodenkennwerte. Auch das Schichtwasser darf nicht mit dem eingelagerten Müll in Berührung kommen, da es sonst vergiftet wird.
Der Gutachter stellt fest Zitat : Die Errichtung einer Deponie ohne Erkundung der tatsächlichen Grundwasserverhältnisse im Bereich der Aufstandsfläche ist unverantwortbar.
(Beifall)
Meine Damen und Herren! Was für eine Watsche für die Genehmigungsbehörde und was für ein Alarmsignal für uns alle.
Meine Damen und Herren! Wenn eine Ingenieurin bei einer Brücke feststellt, dass sie einsturzgefährdet oder fehlerhaft geplant und gebaut ist, wird diese Brücke gesperrt. Wenn ein geowissenschaftliches Büro einschätzt, dass eine Deponie fehlerhaft geplant ist und Annahmen nur auf Schätzungen und nicht auf Untersuchungen nach DIN beruhen, und wenn ein geowissenschaftliches Institut daraufhin einschätzt, dass das Grundwasser für Mensch und Umwelt gefährdet ist, dann brauchen wir einen Einlagerungsstopp. Es braucht eine Überprüfung der Genehmigung aufgrund der neuen Erkenntnissen und eine Überprüfung der Basisabdichtung, um eine bereits vorhandene Schädigung auszuschließen.
(Beifall)
Meine Damen und Herren! Mit Blick auf das Gutachten könnte man jetzt scherzhaft oder im Ernst fragen, warum wir gerade dem Landesverwaltungsamt noch die Genehmigungsverfahren für die Deponieklassen I und 0 anvertrauen wollen oder ob wir da nicht den Bock zum Gärtner machen!
Ich sage ganz deutlich: Wenn einer Behörde mit der Kompetenz des Landesverwaltungsamtes solche Fehler - wir wollen ausgehen, dass es Fehler sind, und nicht mehr dahinter steckt - unterlaufen, dann verstehe ich, warum die kommunale Ebene sich mit einer deutlich schlechteren Personalausstattung an dieser Stelle zum Teil überfordert fühlt.
Es ist daher richtig, die Kompetenzen zu bündeln, zumal die Kreise oft die Klagen der Vorhabenträger fürchten. Allerdings habe ich an anderer Stelle schon darauf hingewiesen, Intransparenz der Verfahren, die Regelung, dass die Unternehmen die Gutachten beibringen, und die Erfahrungen der geringen Abwehrmöglichkeiten durch die Menschen vor Ort erschüttern das Vertrauen in unsere staatlichen Institutionen und in die Politik.
(Beifall)
Ich kann niemandem verdenken, dass man einem Gutachten, das die Firma, die mit Müll viel Geld verdienen möchte, in Auftrag gegeben hat, nicht traut. Man muss der Initiative „Pro Roitzsch“ dankbar sein für die Hartnäckigkeit.
(Beifall)
Wir haben schon sehr frühzeitig auf ein Gutachten der früheren Bergbauunternehmen hingewiesen, dass dort überhaupt keine Eignung für eine Müllhalde gegeben ist. Man muss auch dankbar sein, dass die Stadt Sandersdorf-Brehna sich ein solches Gutachten geleistet hat und auch in der Lage war, sich das leisten zu können. Viele können das eben nicht. Viel besser wäre es, wenn die Genehmigungsbehörde unabhängig Gutachten beauftragt und dafür eine Gebühr einnimmt. Viel besser wäre, wenn die Menschen vor Ort von Anfang an mit hoher Transparenz einbezogen würden.
(Beifall)
Besser wäre es auch, wenn eine Ausnahme wie eine künstliche Basisabdichtung über alle Zweifel erhaben ist.
Meine Damen und Herren! Misstrauen schafft auch, dass sich die Firmen de facto selbst kontrollieren, insbesondere wenn eine Firma für ihre rechtswidrigen Praktiken bereits zur Rechenschaft gezogen wurde.
Inwieweit hier noch Vertrauen im Sinne der Deponieverordnung vorhanden sein kann, lasse ich einmal offen. Fakt ist aber, dass es die Menschen vor Ort nicht akzeptieren, dass Firmen mit Asbest aus Italien viel Geld verdienen, während man den Menschen vor Ort den Müll vor die Füße kippt und sie mit den Folgen leben müssen.
(Beifall)
Meine Damen und Herren! Leider kann unser Gesetzentwurf nur das regeln, was in den Anhörungen als minimal regelbar herausgearbeitet wurde. Die Tatsache, dass Müll in der EU als frei handelbares Gut zu behandeln ist, mit dem sich private Firmen eine goldene Nase verdienen, können wir in unserem Bundesland allein nicht ändern. Wohl aber können wir Müllimporte aus anderen Bundesländern einschränken. Diesbezüglich nenne ich ein skurriles Beispiel: Die Firma Papenburg Entsorgung bildet eine Art Konsortium mit der Firma RockTec, die mit viel Bohei Lithium in Deutschland zur Batterieherstellung produzieren möchte.
Batteriebetriebene Autos werden gebraucht das ist keine Frage , wenn wir dem Klimawandel etwas entgegensetzen möchten. Warum macht da jetzt die Entsorgungsfirma von Papenburg mit? - Weil das Rohgestein mit einem Anteil von etwa 2 % Lithium in einer Fabrik raffiniert werden soll und die Restgesteine in einer Deponie landen sollen. Ursprünglich war dafür unter anderem der Standort Jüdenberg gleich neben dem Trinkwasserschutzgebiet und in Sichtweite zum Tourismus-Hotspot Ferropolis im Gespräch. Nun haben wir vernommen, dass sich RockTec für Brandenburg entschieden hat.
Was unser Gesetz jetzt aber verhindern kann, ist, dass die Wertschöpfung der Lithiumproduktion zwar in Brandenburg stattfindet, der Müll aber in Sachsen-Anhalt landet. Skurril ist das Beispiel deshalb, weil man ja klimafreundliche Fahrzeuge mit dem Lithium herstellen möchte, dafür aber ein ganzes Gebirge aus Kanada über den Atlantik schippern möchte, anstatt das Lithium vor Ort zu gewinnen und diese nur geringe Menge nach Europa zu transportieren. Die Förderkulisse schafft hier einen klaren klimapolitischen Fehlanreiz; aber das ist ein anderes Thema.
(Zustimmung)
Ein weiteres Beispiel ist die Drohung, dass sogenanntes frei gemessenes Material aus den abzubrechenden Atomkraftwerken im Westen und Süden der Republik in Sachsen-Anhalt auf den Deponien landet. Auch das möchten wir verhindern. Kurzum: Wir sind nicht die Müllhalde der Nation.
(Beifall)
Meine Damen und Herren! Zum Recycling habe ich bei der Einbringung des Gesetzentwurfes in der letzten Wahlperiode schon etwas gesagt. Deswegen möchte ich mich kurzfassen. Ich habe dabei auch etwas über das interessante Projekt Urban-Mining des Umweltbundesamts berichtet. Ich habe darauf hingewiesen, dass wir mit Blick auf die Müllvermeidung wesentlich höhere Anstrengungen unternehmen müssen. Das beginnt schon bei dem Verpackungsmaterial und das endet darin, dass man sich, wenn man neue Materialien entwickelt, auch Gedanken darüber machen muss, wie man sie später entsorgt. Deswegen will ich mich an der Stelle kurzhalten. Hierzu macht unser Gesetzentwurf gute Vorschläge.
Ich freue mich auf die Debatte und bitte um die Überweisung des Gesetzentwurfes zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Umwelt und Wirtschaft und mitberatend an den Ausschuss für Landesentwicklung.
Lassen Sie uns bitte heute das politische Signal zum Einlagerungsstopp in Roitzsch absenden. Die Menschen vor Ort warten darauf, dass im Sinne von Mensch und Umwelt gehandelt wird. Dem Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stimmen wir gern zu. Wir finden ein Monitoring auch sinnvoll, um zu gucken, ob schon etwas im Grundwasser ist.
Zu den Koalitionsfraktionen: Ich habe vorhin das Beispiel mit der Brücke genannt. Wir sind mit diesem Gutachten auf eine Situation aufmerksam gemacht worden, in der Gefahr im Verzug ist. Mir ist schon klar, dass wir politisch keinen Einlagerungsstopp verordnen können, aber es wäre natürlich ein politisches Signal, wenn es der Landtag entsprechend fordert.
(Zustimmung)
Handeln muss die Behörde, die das beaufsichtigt. Handeln muss das Ministerium an der Stelle. Jetzt zu sagen, wir machen noch ein Gutachten und in dieser Zeit bis zur Fertigstellung wird weiter eingelagert, verschlimmert die Situation vor Ort.
(Zustimmung)
Das können Sie nicht wollen. Sie können ein solches Signal auch an die Leute vor Ort nicht wollen, weil das nämlich bedeutet, ihre Nöte und Sorgen nicht ernst zu nehmen. Machen Sie das nicht. Ich kann nur versuchen, Sie vor diesem Fehler zu bewahren. Ich weiß allerdings auch um die Verhältnisse und Mehrheiten im Hohen Haus und dass Sie sich mit Ihrem Alternativantrag festgelegt haben. Ich kann Sie nur eindringlich darum bitten, Mensch und Umwelt vor das Profitinteresse einer Firma zu stellen. - Danke.
(Beifall)