Guido Henke (Die Linke): 

Herr Präsident! Geehrte Damen und Herren! Die Einreichung dieser Aktuellen Debatte durch die CDU-Fraktion hat mich in der vergangenen Woche überrascht. Ich habe mir überlegt: Warum? Ich darf da-ran erinnern: Im Dezember 2022 gab es einen Antrag der Koalitionsfraktionen in der Drs. 8/1985 mit dem Titel „Verkürzung ausufernder Planungszeiten in Deutschland - Straffung von Genehmigungs-verfahren für alle Infrastrukturvorhaben“. Dieser Antrag wurde von den Koalitionären beschlossen. Es gibt dann in der Drs. 8/2272 vom Februar 2023 eine Beschlussrealisierung, einen Bericht der Lan-desregierung. Kurzfassung: Ja, wir arbeiten daran, wir wollen das auch. Im Übrigen ist die Landesre-gierung darum bemüht, den Beschluss umzusetzen. Das ist gut. 

Das heißt, so richtig mit Beschleunigung hat es die CDU offensichtlich nicht, wenn wir jetzt das gleiche Thema - inhaltlich ist das sehr dicht beieinander - noch einmal aufrufen, welches wir vor mehr als zwei Jahren schon per Beschluss auf den Weg gebracht haben.

Das Lustige ist, dass die Beschlussrealisierung durch die Landesregierung zu den Akten genommen wurde. Ich habe keinen Ausschuss gefunden, der sich das auf die Tagesordnung gesetzt hat, um sich über den weiteren Verlauf des Verfahrens informieren zu lassen. Das ist doch bemerkenswert und hat ein bisschen etwas mit Schaufenster zu tun. Denn zwischendurch gab es auch im alten Bundestag dazu Beratungen. 

Es gab z. B. den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Beschleunigung von verwaltungsgerichtli-chen Verfahren im Infrastrukturbereich - das war die Drs. 20/5165  , in dem einiges ausgeführt wur-de. Dort wurde aus Sicht meiner Fraktion unter anderen die Frage aufgeworfen, wie man das alles genauer definiert, um es präzise zu machen, und nicht nur das Wünschen und Wollen in den Raum gestellt.

Dann gab es den Gesetzentwurf zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren im Verkehrsbe-reich und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/1187 über die Straffung von Maßnahmen zur ra-scheren Verwirklichung des transeuropäischen Verkehrsnetzes, Bundestagsdrucksache 20/6879. Da-rin ging es um das überragende öffentliche Interesse und wie man das abwägt.

All das fand in den vergangenen zwei Jahren nicht Eingang in eine Beratung über die Beschlussreali-sierung dieses Landtags. Mir gibt das ein bisschen zu denken. Daher habe ich mir überlegt, was die CDU-Fraktion dazu veranlasst haben könnte. Möglicherweise ein Griff in die politische Mottenkiste? Das Thema ist uralt. Wahrscheinlich geht es darum, die Rolle rückwärts von Noch-nicht-Kanzler Merz dem Parteivolk irgendwie geschmacklich näherzubringen.

(Beifall bei der Linken)


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Herr Henke, warten Sie einmal ganz kurz. An der Stelle ein Zwischenruf in das Gebäude: Dass die Kol-legen der Landesregierung hier auf einen Redebeitrag verzichtet haben, mag in ihrem eigenen Ent-scheidungsbereich sein. Dass sie jetzt aber eine vollständige Abstinenz von unserer Plenartagung rea-lisieren, scheint mir doch Ausdruck einer gewissen Missachtung zu sein.

(Beifall bei der Linken und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der SPD)

Ich hoffe, das wird relativ schnell wieder abgestellt, ansonsten müsste man mit einem Antrag auf Zi-tieren rechnen. Letzte Warnung, würde ich einmal sagen - rosa Karte.

Herr Henke, Sie haben das Wort.


Guido Henke (Die Linke): 

Herr Präsident, Ihr Wort in die Ohren der Mitglieder der Landesregierung. Wertschätzung sieht an-ders aus, das stimmt.

(Beifall bei der Linken)

Sehr geehrte Damen und Herren! Kollege Grube hat es schon sehr gut angesprochen: Wir müssen uns genau überlegen, wie wir diese ewigen Zeiten verkürzen können, ohne dabei auf gewohnte Qualität zu verzichten.

(Rüdiger Erben, SPD, und Tobias Krull, CDU, unterhalten sich) 

- Ich hoffe, ich störe nicht, Kollege Erben.

(Heiterkeit)

Schauen wir uns einmal die Begründung zu der Aktuellen Debatte an. Darin stehen einige schöne Din-ge, was alles gestrafft werden soll, und dann sind wir bei der Einspruchsberechtigung der Reform des Verbandsklagerechts. Hier lassen Sie den Begriff „materielle Präklusion“ weg, der noch in dem Antrag vom Dezember 2020 genannt wurde, aber hier wahrscheinlich inhaltlich gemeint ist. 

Der letzte Anstrich hat mich dann doch sprachlos gemacht. Sie formulieren, dass es diesen Investiti-onsbooster braucht, der folgende Maßnahmen beinhalten soll - jetzt genau zuhören!  : Abschaffung des Vergaberechts - des Vergaberechts!  , nicht die Abschaffung eines Vergabegesetzes, eines Hand-buches. Sie wollen das Vergaberecht abschaffen. Ist Ihnen klar, was das bedeutet? - Ich gehe davon aus. Kollege Heuer, gerade nicht da, ist kein Dummer, und Kollege Gürth habe ich in der Diskussion um das Vergaberecht vor Jahrzehnten, solange beschäftigen wir uns damit, kennengelernt. Ich frage mich: Was wollen Sie damit erreichen? Wollen Sie wieder Hoflieferanten einführen? Man kennt sich, eine Hand wäscht die andere? Man vertraut sich. 

(Beifall bei der Linken)

Wie wollen Sie denn die Eignung des Bieters feststellen, die Zuverlässigkeit für bestimmte Tätigkeiten, die Qualifikationen, die personelle Ausstattung, die Sachausstattung, die Einhaltung technischer Normen? Welche Preisermittlungsgrundlagen gibt es? Die Wirtschaftlichkeit und Auskömmlichkeit des Angebots einschließlich der Anwendung von Aufmaß- und Abrechnungsregeln?

Ja, meine Damen und Herren, dazu gibt es z. B. die VOB, die im nächsten Jahr ihren 100. Geburtstag feiern wird - ein bewährtes Instrument.

(Ministerin Petra Grimm-Benne nimmt auf der Regierungsbank Platz)

- Frau Ministerin, es ist mir eine Ehre. 

(Eva von Angern, Die Linke, und Olaf Meister, GRÜNE, lachen - Zuruf von Ministerin Petra Grimm-Benne)

Das Instrument regelt z. B. das Ausschreibungsverfahren und es regelt die Nachprüfbarkeit eines An-gebots. Das ist doch wohl entscheidend. Welcher Amtsleiter eines Bauamtes, welcher Minister - hier ist gerade wieder keiner - würde denn die Verantwortung übernehmen, ein ungeprüftes Angebot frei Hand zu erteilen?

(Eva von Angern, Die Linke: Ich nicht!)

Wir wissen es nicht. Aber diese Aussage - Abschaffung des Vergaberechts - ist doch unvorstellbar. Gehen dann auch die technischen Spezifikationen nicht mehr nach VOB Teil C, DIN 18299 und fol-gende, die alles festlegen: besondere Leistung, Nebenleistung, was kostenpflichtig ist und was nicht, die Aufmaßregeln, die Abrechnungsvorschriften? Das braucht man alles für ein transparentes Ver-fahren. Mit dieser Formulierung kloppen wir VOB, VOL und VOF in die Tonne, und jeder macht, wie er meint. Und davon versprechen wir uns qualitativ schnell umgesetzte Planungen und Bauvorha-ben?

Dann müsste man konsequenterweise auch die HOAI abschaffen - die Planer, Architekten und Inge-nieure werden sich bei Ihnen bedanken, und das würde richtig etwas bringen. - Nein, wenn wirklich etwas helfen soll, dann brauchen wir eine kluge Systematik und Herangehensweise und nicht eine Absenkung von Baustandards und Naturschutz.

(Beifall bei der Linken)

Ein ganz kleines Beispiel: Kollege Gürth verstieg sich zu der kritischen Hinterfragung der 6-%-Steigungsregelung für Rampen und waagerechte Ruhezonen. Haben Sie einmal Menschen im Roll-stuhl oder mit Rollator gefragt, was diese 6 % bedeuten und warum es diese Ruhezonen zwischen-durch geben muss? Das ist nicht willkürlich beschlossen worden von irgendeinem Beamten in irgend-einer verstaubten Stube. Das ist Erfahrungswissen, sind Erfahrungswerte.

(Beifall bei der Linken)

Ich möchte nicht erleben müssen, dass meine alte Mutter mit ihrem Rollstuhl nicht weiterkommt.

(Beifall bei der Linken)

Wenn wir wirklich etwas erreichen wollen - ich bin einmal gutwillig - in dem Sinne, dass wir qualitativ hochwertig planen und bauen und die Projekte fertigstellen wollen, dann muss es Regeln geben bis hin zum Handwerksrecht, Vermeidung von Schwarzarbeit. Das muss alles noch gemacht werden.

(Zuruf von der CDU)

Ansonsten verweise ich auf meine Ausführungen aus der Debatte zur genannten Drs. 8/1985 vom Dezember 2022. Dazu stehen wir nach wie vor. Vielleicht schaffen Sie es ja doch einmal, die Be-schlussrealisierung der Landesregierung in die zuständigen Ausschüsse zu holen und einmal ganz konkret zu arbeiten. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Linken)


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Herr Henke, es gibt ein Fragebegehren von Herrn Gürth. Wollen Sie seine Frage beantworten?


Guido Henke (Die Linke): 

Aber klar, wir kennen uns doch so lange, Herr Gürth.


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Na, dann los. - Sie haben das Wort, Herr Gürth.


Detlef Gürth (CDU): 

Kollege Henke, ich möchte gern Ihre Frage beantworten, ob ich mir die Frage gestellt habe, warum es 6 % Steigung als maximale Obergrenze für Rampen für Rollstuhlfahrer sind. Natürlich wird diese Fra-ge gestellt und sie ist auch beantwortet.

Aber warum sind diese 6 % bei uns so felsenfest festgenagelt und wenige Kilometer Luftlinie weiter sind sie bei 10 %? Weil die Schweizer Bergvölker mehr Oberarmkraft haben? Oder halten Sie es nicht auch für sinnvoll, darüber nachzudenken, ob man apodiktisch, dogmatisch 6 % festnageln soll, selbst mit der Folge, dass man damit die wichtige Barrierefreiheit, die man erreichen könnte, verhindert? 

Die Realität geht doch an den 6 % zulasten der mobilitätsbehinderten Menschen vorbei. Die Realität ist eine Treppe und ein oftmals nicht funktionierender Fahrstuhl. Wenn ich aber einen gewissen Spiel-raum habe und wenn mir vielleicht ein oder zwei Meter fehlen, dann ist es doch besser, ich habe 6,5 % oder 7 % Steigungswinkel und arbeite anders mit den Absätzen, habe dafür aber einen barrie-refreien Zugang. Sollte man nicht gerade im Interesse derer, für die wir diese Vorschriften machen, im Interesse der Barrierefreiheit viel mehr Spielraum ermöglichen, anstatt an der Regel festzuhalten, auch wenn es dann gar keine Rampe gibt?


Guido Henke (Die Linke): 

Kollege Gürth, genau das ist es: Sie sprechen von Spielraum; das ist Ermessensspielraum, das ist Ab-wägung. Ich maße mir nicht an zu entscheiden, ob etwas mit 10 % Steigung geht. Dafür halte ich mich nicht qualifiziert. Dazu müsste ich mich mit all denen auseinandersetzen, die davon betroffen sind.

(Beifall bei der Linken)

Das wäre z. B. etwas, das in unsere Ausschüsse gehört. Machen Sie es konkret: kein Hoflieferanten-tum, sondern Befassung mit diesen Dingen in unseren Arbeitsgremien.

(Beifall bei der Linken)