Katrin Gensecke (SPD): 

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Neben dem Heizungsgesetz gab es wohl kein politisches Projekt der Ampelregierung, das so intensiv diskutiert und mit so vielen Falsch-behauptungen und einer unsäglichen Neiddebatte auf dem Rücken der Schwächsten in unserer Ge-sellschaft ausgetragen wurde wie die SGB-II-Reform, das Bürgergeld.

(Beifall bei der SPD - Zuruf: Ja!)

Mit welchen Falschaussagen wurde hier nicht Stimmung gemacht?

(Eva Feußner, CDU: Das ist falsch!)

Bezieher von Bürgergeld würden nicht arbeiten. - Das ist falsch. Ich möchte noch einmal die bundes-weiten Zahlen nennen. 5,5 Millionen Menschen beziehen Bürgergeld. Ja, aber davon sind allein 1,8 Millionen Kinder und Jugendliche. Und mehr als 2 Millionen Menschen stehen dem Arbeitsmarkt einfach nicht zur Verfügung, weil sie nicht arbeiten können, weil sie schwerste gesundheitliche Prob-leme haben, auch unsichtbare Erkrankungen wie psychische Erkrankungen, oder weil sie ihre Ange-hörigen betreuen, pflegen oder einfach bei vielen Alleinerziehenden die Kinderbetreuung fehlt.

(Unruhe)

Weitere 800 000 Menschen arbeiten, allerdings   das ist die Crux   ist ihr Lohn so gering, dass sie zu-sätzliche finanzielle Unterstützung brauchen, nämlich die sogenannten Aufstocker. Meine Damen und Herren, es kann doch nicht sein, dass Menschen, die ihren Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit verdienen, zusätzlich Leistungen beantragen müssen, weil das Gehalt einfach nicht zum Leben reicht.

(Beifall bei der SPD)

Diese Menschen sind nicht faul. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit. Denn ist es gerecht, dass man, wenn man arbeitet, so wenig verdient, dass man aufstocken muss, weil das Geld am Monatsende einfach nicht reicht? - Nein, das ist es nicht.

Um es deutlich zu sagen: Wir haben immer noch viel zu viele Menschen, gerade hier in Sachsen-Anhalt, die mit einer abgeschlossenen Ausbildung, mit einer Qualifizierung immer noch in Vollzeit zum Mindestlohn arbeiten   das ist die eigentliche Crux   und zusätzliche Leistungen wie Wohngeld und Kindergeldzuschlag beantragen müssen, weil die Kosten einfach das Gehalt übersteigen. Das ist das eigentliche Dilemma, dass der Lohn nicht zum Leben reicht.

Deshalb war es auch richtig, den Mindestlohn von 12 € einzuführen. Das haben wir als SPD durchge-setzt. Ich glaube, das war die richtige Entscheidung.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU)

Mit der Erhöhung wurde der Niedriglohnsektor eingedämmt. Das war gerade in Sachsen-Anhalt wichtig, wo die Tarifbindung nach wie vor viel zu gering ist und die Löhne viel zu niedrig sind.

240 000 Menschen haben seit dem Jahr 2022 von der Erhöhung des Mindestlohns profitiert. Vielen ist nicht klar, dass bei uns im Land immer noch jeder dritte Beschäftigte für weniger als 15 € pro Stunde arbeitet. Das gilt vor allem für Beschäftigte im Gastgewerbe, im Dienstleistungssektor, bei Lie-ferdiensten, aber auch vereinzelt im Einzelhandel. Deshalb ist die Forderung der SPD nach einem Mindestlohn von 15 € genau richtig.

(Zustimmung bei der SPD)

Die Lebenshaltungskosten sind in den letzten Jahren stärker gestiegen als die Löhne. Und es geht um Respekt, um Respekt vor der Arbeit. Es ist niemandem geholfen, wenn eigene Ängste dazu führen, andere Menschen nach ökonomischen Kriterien zu bewerten und damit Stimmung von den einen gegen die anderen gemacht wird.

Und es geht wirklich niemandem besser, wenn wir den Einkommensschwächeren etwas wegneh-men. Denn all die vermeintlichen Einsparungen beim Bürgergeld, die dann in die Ankurbelung, sozu-sagen in die Wirtschaft fließen, ich glaube, das ist eine falsche, das ist eine Milchmädchenrechnung.

Sehr geehrte Damen und Herren! Kern der Reform war, dass die Bürgergeldempfänger nicht nur ir-gendeine Arbeit aufnehmen sollen, sondern eine Perspektive auf eine längerfristige, auf eine realisti-sche Beschäftigung. Denn rund zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen haben keine richtige Berufsaus-bildung. Ihnen fehlen Qualifikationen. Wir wissen, welche Anforderungen der Arbeitsmarkt heute stellt. Deshalb soll und muss der Fokus zukünftig auf Qualifizierung, auf Weiterbildung und Vermitt-lung in Arbeit liegen.

Wer sich weiter qualifiziert und erfolgreich abschließt, der bekommt auch eine Prämie mit dem Bür-gergeld. Diese Maßnahmen sind langfristig wichtig für unsere Volkswirtschaft und auch für unseren Sozialstaat. Denn wir benötigen vor allem Fachkräfte, die an allen Ecken und Enden fehlen, die Steu-ern und Sozialabgaben zahlen können. Qualifizierte Fachkräfte bedeuten langfristig höhere Löhne, später auch höhere Renten, für den Staat mehr Steuereinnahmen und für die Unternehmen letztlich verlässliche Mitarbeitende.

(Zustimmung bei der SPD)

Eine andere Behauptung war   das haben wir heute hier wieder gehört  : Arbeit lohnt sich nicht. Es wurde immer wieder behauptet, der Lohnabstand sei zu gering und wenn man Bürgergeld bezieht, habe man einfach mehr in der Tasche. Auch das ist eine falsche Behauptung.

Denn wenn jemand nur zum Mindestlohn arbeitet, dann hat er die Möglichkeit, seine Ansprüche gel-tend zu machen und Wohngeld oder Kindergeldzuschlag zu beantragen. Dann wird letztendlich auch das Kindergeld gezahlt, was beim Bürgergeld nicht der Fall ist. In jeder Konstellation, ob als Familie, als Single, hat jeder, der arbeitet, am Ende mehr in der Tasche. Das haben zahlreiche Studien bestä-tigt.

Aber um keinen falschen Eindruck zu hinterlassen und die Höhe des Bürgergeldes einmal einzuord-nen: Wer Bürgergeld bezieht, der ist arm. Mit 563 € im Monat lebt man unter der Armutsgrenze. Deshalb war die Erhöhung im Januar 2024 genau richtig. Das hat uns das Bundesverfassungsgericht vorgegeben. Das ist völlig richtig.

(Zustimmung bei der SPD)

Ein weiterer Mythos ist, dass das alles Verweigerer seien, die nicht arbeiten wollten. Das ist falsch. Natürlich ist es richtig und es wurde mehrfach angesprochen, dass es diese kleine Gruppe von Ver-weigerern gibt; aber die ist sehr, sehr klein. Und wenn man jetzt nach noch schärferen Sanktionen ruft, dann sollte man sich an den letzten Oktober erinnern; denn damals hat die Bundesregierung schon schärfere Regeln beschlossen.

Wer sozusagen eine zumutbare Ausbildung, eine zumutbare Arbeit, eine zumutbare Eingliederungs-maßnahme oder Termine ohne triftigen Grund   ich denke, das einmalige Versäumen eines Termins wird sicherlich nicht dazu führen   ablehnt, der muss in Zukunft sofort mit Leistungskürzungen von 30 % für drei Monate rechnen.

Und eines   die Ministerin hat es angesprochen; sie hat mir regelrecht aus dem Herzen gesprochen  : Ich glaube, die Schwarzarbeit muss besser kontrolliert und dann auch sanktioniert werden.

(Zustimmung bei der SPD)

Lassen Sie mich hervorheben: Das Bürgergeld bietet auch einen besseren Schutz bei Arbeitslosigkeit als früher die Hartz-IV-Regelung; denn es sichert Ersparnisse, das sogenannte Schonvermögen, und Wohnkosten werden länger abgesichert. Es gibt vor allen Dingen auch finanzielle Unterstützung bei Weiterbildung und bei Abschlüssen.

Noch einige Worte zur Debatte der Linken. Wir haben im Jahr 2023 auch noch eine ganz andere Situ-ation auf dem Arbeitsmarkt gehabt als jetzt im Jahr 2025. Heute ist er von einem Mangel an Fach-kräften geprägt. Bis 2040 werden in Sachsen-Anhalt rund 167 000 Menschen in die Rente gehen. Daher ist es ganz entscheidend, dass unser Land an Bedeutung und an Attraktivität gewinnt, dass sich Menschen hier wohlfühlen, dass sie hierbleiben, dass sie hier arbeiten und in die Systeme einzah-len.

Zudem muss man sagen: Es gibt noch keine Verhandlungsergebnisse. Es ist auch noch überhaupt kein Koalitionsvertrag bekannt. Es gibt lediglich die Position aus dem Sondierungspapier. Aber es gibt noch keine Koalition. Ich glaube, an dieser Stelle habe ich großes Vertrauen und hoffe darauf, dass die Verhandlerinnen und Verhandler in Berlin das Richtige durchsetzen werden. Für uns ist das Bür-gergeld nach wie vor wichtig. Wir werden es auf keinen Fall aufgeben. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Frau Gensecke. - Es gibt eine Nachfrage von Herrn Staudt?


Thomas Staudt (CDU):

Ja.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Gut, Herr Staudt.


Thomas Staudt (CDU):

Frau Gensecke, Sie sprachen von Fachkräften, die wir unbedingt benötigen. Fachkraft wird man, wenn man eine Ausbildung macht. Dann bekommen wir Fachkräfte. Jetzt ist meine Frage: Welche Motivation haben junge Menschen, eine Ausbildung zu beginnen, wenn sie nach den Vorgaben Ihrer Partei 15 € Mindestlohn bekommen? Wie bekommen wir dann Fachkräfte? - Das ist meine Frage.


Katrin Gensecke (SPD):

Man muss das Pferd von vorn anspannen. Wenn wir einmal schauen, wie ausgebildete, qualifizierte Fachkräfte in Sachsen-Anhalt teilweise bezahlt werden, dann ist das einfach schlimm.

(Jörg Bernstein, FDP: Das stimmt doch nicht! Was sind denn das für Erzählungen? - Guido Heuer, CDU: Das stimmt doch gar nicht! - Zuruf von Daniel Rausch, AfD)

- Doch, das stimmt. Es gibt schon jetzt ganz viele Menschen, die gut ausgebildet sind.

(Daniel Rausch, AfD: Dann muss man einmal den Betrieb wechseln, dann gibt es auch mehr Geld!)

Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Staudt.


Thomas Staudt (CDU):

An dieser Stelle widerspreche ich. Ich bin selbst Ausbilder. Ich habe sechs Auszubildende. Ich kenne viele Menschen, die nicht motiviert sind; denn man bekommt danach 15 €. Ich weiß nicht, warum ich zur Lehre gehen soll. Ich kriege sowieso 15 € und in drei Jahren vielleicht 17 €. Das ist so demotivie-rend für die Menschen, die arbeiten gehen. Wir werden dadurch keine Fachkräfte bekommen, nie-mals. Das ist der falsche Weg.

(Zustimmung bei der FDP)


Katrin Gensecke (SPD):

Aber ich verstehe Ihre Frage nicht, warum es demotivierend ist, wenn man 15 € Mindestlohn be-kommt.

(Zuruf von Tim Teßmann, CDU)


Thomas Staudt (CDU):

Es ist demotivierend, wenn man ihn ohne eine Ausbildung bekommt.


Katrin Gensecke (SPD):

Ich verstehe die Frage nicht. Dann muss man auch einmal schauen, inwieweit die Ausbildungsvergü-tung geregelt ist. Ich habe Ihre Frage ehrlich nicht verstanden.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielleicht wäre es sinnvoll, wenn Sie das direkt klären.