Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Gesundheit ist keine Ware, nein, Gesundheit ist ein Menschenrecht. Als politischer Auftrag bedeutet dies das Recht auf das höchste erreichbare Maß an körperlicher und geistiger Gesundheit für alle, gemäß dem Sozialpakt der Vereinten Nationen. Das ist der Standard, der nach heutigen Maßstäben auch an das im Grundgesetz und in unserer Landesverfassung verankerte Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit anzulegen ist. Das ist unser Anspruch, das ist unser Auftrag.
(Zustimmung bei der SPD)
Krankenhäuser erbringen einen bedeutenden Teil der Gesundheitsversorgung. Ihre Situation beschäftigt uns hier im Hohen Haus schon seit einiger Zeit. Im Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung lassen wir uns regelmäßig von der Landesregierung über neue Entwicklungen berichten.
Deshalb vorweg: Ich empfehle eine Überweisung des Antrags „Gesundheit in öffentliche Hand. Krankenhäuser retten statt Renditen sichern“ in diesen Ausschuss. Denn der Antrag behandelt einen Teilaspekt der bereits bestehenden parlamentarischen Begleitung der Landesstrategie für die Zukunft der Krankenhauslandschaft. Es ist daher sinnvoll, ihn in diesem Gesamtkontext zu behandeln.
Bedarf es eines Krankenhausgipfels, wie Die Linke ihn in diesem Antrag vorschlägt? - Ich meine nicht; denn alle relevanten Akteure sind bereits in die Krankenhausplanung einbezogen. Frau Ministerin hat ausgeführt, dass noch in diesem Jahr eine neue Krankenhausplanung vom Ministerium vorgelegt werden wird. Die Vorbereitungen laufen. Wir können uns im Ausschuss konkret auf diesen Prozess beziehen.
Die Krankenhausplanung erfolgt auf der Grundlage der kürzlich beschlossenen Krankenhausreform. Man kann einiges kritisieren, aber es ist endlich eine Reform gelungen, die seit vielen Jahren überfällig und unter anderen FDP- und CDU-Gesundheitsministern nicht gelungen ist. Kern der Reform ist eine Neuordnung der Vergütungsregeln und eine Abkehr von der bisherigen Finanzierungsstruktur. Das ist ein Erfolg.
(Zustimmung bei der SPD)
Aber Frau Ministerin sagte es bereits es gibt noch einiges auf Bundesebene für die neue Bundesregierung bis zur Umsetzung zu tun. Der Bund ist gefordert, den über den Bundesrat erhobenen Ansprüchen nachzukommen und die Rechtsgrundlage für die Anpassung der Landesbasisfallwerte zu schaffen, um eine Refinanzierungslücke zu schließen, sowie die neue Vorhaltevergütung weiter auszugestalten.
Dringlich ist es, ein einmaliges Nothilfeprogramm für existenzbedrohte Krankenhäuser in Höhe von 5 Milliarden € auf den Weg zu bringen, wie von Sachsen-Anhalt und weiteren Bundesländern gefordert.
(Zustimmung bei der SPD)
Denn die finanzielle Lage vieler Krankenhäuser ist angespannt. Unmittelbare Ursachen sind insbesondere steigende Personal- und Sachkosten, hohe Energiekosten sowie steigende Ausgaben bei den Baukosten.
Dies kommt hinzu zu den schon seit Jahren bestehenden strukturellen Herausforderungen, die nun mit der Krankenhausreform angegangen werden: rapide demografische Veränderungen, Fachkräftemangel, verbesserte Möglichkeiten, aber auch gestiegene Anforderungen durch den medizinischen Fortschritt, zudem die Notwendigkeit, bei Gesundheitsnotlagen wie z. B. Pandemien die Versorgungskapazitäten schnell hochfahren zu können, und dies vor dem Hintergrund knapper öffentlicher Haushalte und komplexer Strukturen der Selbstverwaltung unseres Gesundheitswesens.
Aktuell zeigt das Schutzschirmverfahren der Pfeifferschen Stiftungen hier in Magdeburg, dass auch ein etabliertes, modernes und breit aufgestelltes Haus in Geldnot kommen kann. Nach dem schrecklichen Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt wurden auch dort zahlreiche Opfer behandelt. Es wurde deutlich, wie wichtig es ist, dass solche funktionalen und belastbaren Strukturen vorhanden sind. Nun gilt es, keinen Versorgungsengpass entstehen zu lassen. Dazu gehört auch, Solidarität mit den Beschäftigten der Klinik zu zeigen. Es sollten jedoch zumindest das Planungskonzept und Möglichkeiten der Sanierung vorliegen, bevor Entscheidungen getroffen werden.
Als Sozialdemokratin bin ich überzeugt davon, dass systemrelevante Bereiche staatliche Unterstützung bei Bedarf bekommen müssen, aber es kann nicht eine Rettungsaktion nach der anderen geben. Von Fall zu Fall muss man auch über die Rückführung in die öffentliche Hand sprechen. Bezogen auf große Krankenhausketten, die Gewinne an Aktionäre ausschütten, wollen wir eine Profitdeckelung oder die Verpflichtung des Reinvestierens; denn Gemeinwohl, Qualität und Notwendigkeit müssen im Mittelpunkt stehen.
(Zustimmung bei der SPD)
Die Krankenhausreform führt dazu, dass Kliniken auch unabhängig von der Zahl der Fälle eine Grundfinanzierung erhalten. Dadurch wird der Druck verringert, möglichst viele lukrative Eingriffe durchzuführen. Gleichzeitig steht die Behandlungsqualität vorne an. Das bedeutet, dass komplexe Behandlungsfälle nur noch in den dafür bestmöglich ausgestatteten Krankenhäusern versorgt werden sollen.
Wir stellen in Sachsen-Anhalt keinen Standort infrage. Das hat auch das Krankenhausgutachten belegt. Es geht vielmehr darum, die vorhandenen Standorte optimal zu verbinden und zu nutzen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Die unsichtbare Hand des freien Marktes kann keinen Verband wechseln und kein Skalpell halten.
(Jörg Bernstein, FDP: Toll!)
Rasante Krankenhausprivatisierungen haben in den letzten Jahrzehnten zu einigen problematischen Entwicklungen geführt. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Verstaatlichung aller Krankenhäuser eine Patentlösung sei. Nichtstaatliche Krankenhäuser, sowohl gemeinnützige als auch gewinnorientierte, leisten in ihrer Gesamtheit einen wesentlichen Beitrag innerhalb unseres Gesundheitssystems.
Wir müssen auf das System schauen, in dem wir uns bewegen, um etwas bewegen zu können. Deswegen erwähne ich zwei maßgebliche, unterschiedliche Ansätze zur Finanzierung und Organisation des Gesundheitswesens. Sie heißen nach ihren politischen Vätern in Deutschland und England Bismarck und Beveridge.
Die Finanzierung nach dem Bismarck-Modell, wie in Deutschland oder Japan, erfolgt wesentlich über die Krankenkassen mit relativ geringen und eng definierten staatlichen Beiträgen. Damit verbunden ist eine größere Trägervielfalt als bei den steuerfinanzierten und staatlich organisierten Beveridge-Systemen, wie in Großbritannien oder Schweden.
Das Beveridge-Modell hat den Vorteil, dass sich die Erbringung der Leistungen leichter und unmittelbarer steuern lässt. Großbritannien zeigt allerdings immer wieder erschreckend negativ auf, wie anfällig dann ein rein staatliches Krankenhaussystem ist, wenn eine Politik der Unterfinanzierung betrieben wird.
(Zustimmung bei der SPD und von Susan Sziborra-Seidlitz, GRÜNE)
In Dänemark sind Krankenhäuser grundsätzlich in staatlicher Hand, aber selbst hier gibt es Finanzierungslücken. Eine interessante Rolle spielt jetzt die Pharmafirma „Novo Nordisk“, die über Public-Private-Partnerships und Stiftungsförderung spürbar zur Krankenhausfinanzierung beiträgt.
Eine Fusion der beiden genannten Modelle kann eine Mischform schaffen, die Vorteile beider Systeme kombiniert und Nachteile minimiert, sozusagen B&B, Bismarck und Beveridge. Beispiele solcher Ansätze sind die Niederlande oder die Schweiz.
Meine Damen und Herren! Rekommunalisierung, die Überführung eines Krankenhauses in die öffentliche Hand, kann von Fall zu Fall ein sinnvoller Weg sein. Sie löst jedoch nicht das strukturelle Finanzierungsproblem.
Die Krankenhausreform schafft Voraussetzungen für einen effizienten Einsatz von finanziellen und personellen Ressourcen. Gleichzeitig ist offensichtlich, dass mehr öffentliche Mittel für die Gesundheits- und Krankenhaussysteme gefunden werden müssen. Einen höheren Anteil an Steuerfinanzierung, also ein Beveridge-Element, halte ich grundsätzlich für sinnvoll, Hand in Hand mit guter Haushalts-, Steuer- und Finanzpolitik.
(Zustimmung bei der SPD)
Aus meiner Sicht als Ärztin und sozialdemokratische Gesundheitspolitikerin bedeutet dies auch: Der Aufwuchs beim Verteidigungsetats sollte evidenzbasiert sein, nicht das Ergebnis eines Überbietungswettbewerbs der Parteien oder Kandidaten. Es darf nicht auf Kosten des Gesundheitsetats oder anderer gesundheitsrelevanter Investitionen gehen. - Ich bitte um Überweisung des Antrags in den Sozialausschuss.
(Zustimmung bei der SPD)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Frau Richter-Airijoki, Sie sind 28 Sekunden vor Ihrer Zeit fertig. Ich möchte das bloß einmal würdigen.
(Lachen und Zustimmung bei der SPD, bei der Linken und bei den GRÜNEN)
Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD):
Ich habe mich extra beeilt. - Danke.