Wulf Gallert (Die Linke): 

Ich frage die Landesregierung vor folgendem Hintergrund: In der letzten Bundestagssitzung wurde mit den Stimmen von CDU, AfD, FDP und BSW ein sogenannter Fünfpunkteplan gegen Migration verabschiedet worden. Darin steht unter Punkt 3 Folgendes:

„Personen, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, dürfen nicht mehr auf freiem Fuß sein. Sie müssen unmittelbar in Haft genommen werden.“

(Ulrich Siegmund, AfD: Jawohl!)

Nach Aussagen der Landesregierung trifft das in Sachsen-Anhalt zurzeit auf 4 703 Personen zu. Meine Kleine Anfrage dazu, wer von den 4 703 Personen unmittelbar oder vollziehbar ausreisepflichtig ist, konnte die Landesregierung nicht beantworten. Bei Statista gibt es Zahlen, die in Bezug auf vollziehbar Ausreisepflichtige in Sachsen-Anhalt auf 800 orientieren. Vor diesem Hintergrund haben wir eine Information vom Finanzministerium bekommen, dass zurzeit für 30 Plätze in Haftanstalten für Ausreisepflichtige eine Investitionssumme von 37 Millionen € vorgesehen worden ist. 

Ich frage die Landesregierung vor diesem Hintergrund: Gibt es eine inhaltliche Bewertung zu diesem Punkt 3 des Fünfpunkteplans? Gibt es eine verfassungsrechtliche Bewertung dazu, dass dort Menschen in Gefängnisse wandern sollen, und zwar sofort, deren einziges Vergehen es offenbar gewesen ist, dass sie eine Verlängerung der Duldung nicht beantragt haben?

(Guido Kosmehl, FDP: Na, na, na!)

Gibt es irgendjemanden in dieser Landesregierung, der sich ausgerechnet hat, in welchem Zeitraum und mit welchen Mitteln 800 Abschiebeplätze für sogenannte vollziehbar Ausreisepflichtige gebaut werden sollen? - Danke. 


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Es erhebt sich Frau Dr. Zieschang. Sie wird für die Landesregierung antworten. 


Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport):

Herr Abg. Gallert, Sie haben eben Zahlen für vollziehbar Ausreisepflichtige genannt. Sie wissen aber aus anderen Zusammenhängen, dass es durchaus Ausreisepflichtige gibt, für die Abschiebungsverbote gelten. Wir haben das gerade bei dem ganzen Thema Afghanistan und Syrien, wo das BAMF Abschiebungsverbote verhängt. Deswegen habe ich unter anderem mit Blick auf mehrfach angekündigte, bislang aber nur einmal vollzogene Abschiebungsflüge nach Afghanistan für Straftäter und Gefährder das BAMF ausdrücklich darum gebeten, dass dann, wenn eine Ausreisepflicht vorliegt, aber ein Abschiebungsverbot vom BAMF verhängt worden ist, auch Abschiebungsverbote überprüft werden, damit die Ausreisepflicht tatsächlich vollzogen werden kann. Insofern muss man Ihre Zahlen noch einmal im Detail einordnen.

Ansonsten wissen Sie aus der bundespolitischen Diskussion genauso gut wie ich, dass es hierzu einen Beschlussantrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in Berlin gab. Ich meine, deswegen gehört die Diskussion eigentlich auch in den Deutschen Bundestag.

(Eva von Angern, Die Linke: Aber Sie müssen es umsetzen! - Weitere Zurufe)

Es war uns völlig klar, dass als Nächstes erst einmal Gesetzesänderungen gemacht werden müssten. Die Aufgabe und der Auftrag an den nächsten Deutschen Bundestag ist es, zu gucken, wie entsprechende Beschlüsse dann womöglich in konkrete Gesetze gegossen werden. Erst dann können Sie eine ernsthafte Bewertung dessen vornehmen, was das im Einzelnen heißt; denn es kommt wirklich auf die konkreten Gesetzesformulierungen an.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Gallert.


Wulf Gallert (Die Linke): 

Frau Ministerin, in diesem Plan steht dezidiert, dass für die Umsetzung des Beschlusses die Länder verantwortlich sind. Bundesrecht bricht Landesrecht. Es ist ein mehrheitlicher Beschluss des Bundestages, der die Länder dazu verpflichtet, die Voraussetzungen dafür zu schaffen.

Der Bundestag hat beschlossen: sofort in Haft -

(Guido Kosmehl, FDP: Nein!)

mit den Stimmen Ihrer Partei, mit den Stimmen der AfD und mit den Stimmen der FDP. Das steht darin. Das habe ich Ihnen gerade eben vorgelesen. Wir werden das heute auch noch einmal auf den Tisch bekommen. 

(Guido Kosmehl, FDP: „Bundesrecht“ heißt Gesetze, keine Beschlüsse!)

Ich weiß, dass wir 4 704 Ausreisepflichtige haben. Ich weiß, dass etwa 20 % von ihnen keinen Duldungstitel haben und dass es auch Statistiken gibt, dass es 803 bei uns sind. 

(Stefan Ruland, CDU: Was ist die Nachfrage, Frau Präsidentin?)

Alle anderen haben eine sogenannte Duldung aus Verhinderungsgründen, 

(Guido Kosmehl, FDP: Bundesrecht ist Gesetz! - Sebastian Striegel, GRÜNE: Herr Kosmehl versucht jetzt, uns nachzuweisen, dass das gar keine Relevanz hat!)

weil die Länder sie nicht zurücknehmen. Trotzdem sind es für Sachsen-Anhalt 803 Menschen - etwa halb so viele, wie wir überhaupt Gefängnisinsassen haben. 

(Stefan Ruland, CDU: Ist das eine Nachfrage, Frau Präsidentin?)

Vor diesem Hintergrund frage ich: Gibt es irgendjemanden in der Landesregierung, gibt es irgendjemanden bei Ihnen, der sich die Konsequenz der Umsetzung dieses Beschlusses überlegt hat?

(Zuruf von der CDU: Entschließungsantrag! - Sebastian Striegel, GRÜNE, lachend: Wollen Sie uns jetzt erzählen, der hat gar keine Relevanz?)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Ministerin, bitte schön.


Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport):

Herr Abg. Herr Gallert, Sie sagen völlig zu Recht: Bundesrecht bricht Landesrecht. 

(Eva von Angern, Die Linke: Also: War nicht so gemeint?)

Ich kenne kein geändertes Bundesrecht. Das übliche Verfahren ist   daran beteiligen einen die Bundesministerien ja dann  : Wenn ein Bundesministerium einen Gesetzentwurf vorbereitet, dann werden nicht nur Interessengruppen angehört, sondern in der Regel auch die Länder, manchmal mit einer 24 Stunden Anhörungsfrist, manchmal auch mit einer längeren Anhörungsfrist. Genau das gibt den Ländern die Möglichkeit, Fragen der Umsetzung, die häufig nicht nur die Länder betreffen, sondern oftmals auch die Kommunen, im Einzelnen zu bewerten. Deswegen werden häufig auch kommunale Spitzenverbände angehört. - Das ist das übliche Verfahren.

Um es abzurunden: Es gab einen Entschließungsantrag. Zwei Tage später gab es Abstimmungen zu Gesetzesänderungen und diese haben nun einmal keine Mehrheit gefunden. Wir setzen uns nicht mit jedem Entschließungsantrag im Deutschen Bundestag auseinander.

(Zuruf von Eva von Angern, Die Linke)

Wir setzen uns aber selbstverständlich mit jeder Gesetzesinitiative auseinander, die aus dem Deutschen Bundestag heraus erfolgt und beraten wird, insbesondere mit Gesetzentwürfen, die aus Bundesministerien kommen. Diese werden wir selbstverständlich immer bewerten; denn das ist Teil unserer Stellungnahmen im Rahmen einer Anhörung des Bundesministeriums.

(Zustimmung bei der CDU)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Frau Ministerin Dr. Zieschang. - Wir sind am Ende der Befragung der Landesregierung angekommen.