etlef Gürth (CDU): 

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht war der Vortrag des Kollegen Tillschneider nicht Perlen vor die Säue, sondern eher ein Eber vor liebreizenden Perlen. Man weiß es nicht, man wird es sehen; jeder soll es sehen, wie er es selber will. Der Antrag selbst   wir haben nur wenige Minuten   ist einfach ein   in einem Wort   Witz,

(Zustimmung von Sandra Hietel-Heuer, CDU)

und mit zwei Worten: ein schlechter Witz. Das, was darin steht, ist sowas von lächerlich, dass man sich eigentlich dafür schämen müsste. Aber ich muss es nicht, es ist nicht mein Antrag.

(Lachen und Zustimmung bei der CDU)

Allein im ersten Teil wird hopplahopp und fernab jeder Fachlichkeit ein Verfassungsrecht ausgehebelt: die kommunale Selbstverwaltung. Nicht mehr, wie jetzt, der Gemeinderat oder der Stadtrat entscheidet über die Stadtentwicklung, die Ausrichtung, die Architektur, über B Pläne, Ortsgestaltungssatzung und dergleichen mehr. Sie müssen Ihr neues Idol einmal richtig lesen, über das Sie hier reden; das haben Sie nicht gemacht. Dieser komische Trump-Act   das können Sie nachlesen; den gibt es auch übersetzt ins Deutsche   sieht als zentrale Stelle die GSA, die General Service Agency, vor. Diese entscheidet abschließend, wie gebaut werden darf, ob so oder so. Sie müssen die Vorschläge einreichen.

Wenn ich mich nach drei Jahren Diskussionen im Stadtrat entschieden habe, eine Innenstadt so oder so zu entwickeln, dann entscheiden die Bürgerinnen und Bürger im Stadtrat, wie das passieren soll, und nicht Ihre Trump-Behörde, die wir hier zusätzlich einrichten sollen. Das ist doch aberwitzig, eine Aushebelung der kommunalen Selbstverwaltung.

(Beifall bei der CDU, bei der Linken, bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Wir haben in Sachsen-Anhalt mehr als 800 Jahre Baugeschichte. Gehen Sie auf den Domplatz, drehen Sie sich einmal um die eigene Achse. Sie sehen die größte gotische Kirche nördlich der Alpen. Sie sehen hier Barock, Sie sehen hier die Moderne, Sie sehen Neorenaissance. All das ist nur ein Ausschnitt der Vielfältigkeit der Architektur in unserem wunderschönen Bundesland. Aber Sie sehen nirgendwo Klassizismus. Wenn jetzt hier ein Bau einstürzt, müsste der Nachfolgebau klassizistisch erbaut werden.

Ein zweites und letztes Beispiel. Gehen wir in die älteste Stadt unseres Landes, nach Aschersleben. Vor dem Rathaus stehen ganz oft Architektengruppen, die aus ganz Deutschland kommen. Warum? Ich habe es nicht verstanden, bis sie es mir erklärt haben. Warum seid ihr nicht in Quedlinburg, warum Aschersleben? - Drehen Sie sich vor diesem Rathaus einmal um 360 Grad, betrachten Sie die Gebäude, in denen Goethe gewohnt hat, in denen Wallenstein untergekommen ist. Sie haben Renaissance, Sie haben Neorenaissance, Sie haben Fachwerkbauten, uralte Fachwerkbauten, Sie haben Jugendstil, Sie haben Klassik. Sie sehen so viele verschiedene Baustile, wenn Sie sich einmal um die Achse drehen, aber Sie sehen nirgendwo Klassizismus. Wenn einer dieser Bauten, aus welchen Gründen auch immer, ersetzt werden müsste, soll dort dann ein klassizistischer Säulenbau wie ein Tempel von Athen hingesetzt werden? Erzählen Sie das mal den Bürgern!

(Olaf Meister, GRÜNE, lacht)

Warum Klassizismus? - Klassizismus ist eine kleine Epoche, 1740 bis maximal 1870. Die Preußen haben von 1644 bis 1918 regiert. Was meinen Sie, was sie da gebaut haben? Welchen Klassizismus meinen Sie denn? Es gibt keine preußische Architektur, die gibt es nicht. Deswegen gibt es auch keinen preußischen Klassizismus, den Sie einfordern. Was soll das denn eigentlich sein? Ich hätte gern von Ihnen gewusst, was Sie meinen.

Sie können Knobelsdorff nehmen   er hat bspw. Sanssouci gebaut; das ist Barock  , Schinkel, das Schauspielhaus. Sie können Schlüter nehmen, Sie können Gropius, Martin, nehmen - dessen Neffe hat später das Bauhaus gegründet. Sie nehmen all diese verschiedenen großen Architekten, die weltweit Anerkennung finden, und sagen, das sei alles Klassizismus. Das geht doch von den alten Griechen und Römern bis in die Renaissance, als Wurzeln des sogenannten Klassizismus.


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Es geht jetzt ein bisschen zu weit in die Historie für die Redezeit, Herr Gürth. 


Detlef Gürth (CDU): 

Ja, das stimmt, das sehe ich ein.


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Das tut mir leid. Kommen Sie mal zum Ende.


Detlef Gürth (CDU): 

Vielen Dank. - Es ist so viel Unsinn darin, dass man sich quasi in Rage reden könnte.

(Hendrik Lange, Die Linke: Das hat Tillschneider ja gemacht!)

Ich habe diesen Antrag gleich einem Architekten gegeben. Der meinte, ich würde die AfD verunglimpfen wollen, das sei doch wohl ein Witz. Ich sagte: Nein, das ist deren Ernst; das meinen die auch so.

Ich will nur einen Satz zum Abschluss sagen, Herr Präsident.

(Lachen bei der CDU und bei der SPD)


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Einen kurzen, einen ganz kurzen, Herr Gürth.


Detlef Gürth (CDU): 

Einen letzten Satz. - Ich will hier nicht den Wiesel vor Lammert machen, aber eines ist mir wirklich wichtig: Architektur ist nicht Hausbauen. Architektur darf nie, wirklich nie, singulär betrachtet werden - nie!  , sondern immer im Kontext der Zeit.

(Beifall bei der CDU, bei der Linken, bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Architektur ist immer im Kontext der Kunst und der Künste,


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Herr Gürth.


Detlef Gürth (CDU): 

der Bildung, der Musik 


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Herr Gürth!


Detlef Gürth (CDU): 

und des sich wandelnden ästhetischen Empfindens einer Gesellschaft    


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Herr Gürth, der Kontext „Zeit“ war jetzt wirklich das Stichwort.


Detlef Gürth (CDU): 

Beschäftigten Sie sich damit. 


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Jetzt entziehe ich Ihnen das Wort. Machen Sie für den nächsten Redner Platz.


Detlef Gürth (CDU): 

Ich empfehle dringend die Ablehnung des Unsinns.

(Lachen und Zustimmung bei der CDU)


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Hallo, Herr Gürth! Es ist schon spät am Abend, aber trotz alledem. - Danke.