Wulf Gallert (Die Linke):
Kollege Hövelmann, das eine ist das, was wir alle wollen, das andere ist die alte Wahrheit, gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht.
(Beifall bei der Linken und bei den GRÜNEN)
Das haben wir vor uns liegen. Worin sind wir uns alle einig? - Wir wollen eine wohnortnahe Versorgung der Menschen in den ländlichen Regionen, in denen es im Umfeld keinen Supermarkt gibt. Dem wird aus unserer Perspektive niemand widersprechen.
Die Frage, die wir uns trotzdem zu stellen haben, ist, ob es ein gewisses Risiko oder vielleicht sogar auch ein gewisses inhaltliches Argument gibt, das uns zu einer Einschränkung der Sonntagsöffnung führt, die über die reine Festlegung, es darf kein Personal verwendet werden, hinausgeht.
Über diese Einschränkungen ist in anderen Bundesländern vielfach diskutiert worden und sie sind zum großen Teil ausgeurteilt worden, und zwar nicht vor 100 Jahren,
(Olaf Meister, GRÜNE, lacht)
sondern - das hat uns der GBD aufgeschrieben - vor zwei Jahren und vor elf Jahren. Dort sind Festlegungen getroffen worden, die eine solch radikale Öffnung, wie hierin vorgesehen ist, eben genau nicht nahelegt.
Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst hat uns in einer noch sehr diplomatischen Variante aufgeschrieben: Wenn jemand gegen dieses Gesetz klagt, dann gewinnt er so sicher, wie morgen die Sonne aufgeht.
(Unruhe bei der CDU)
Er hat es in einer sehr diplomatischen Art gesagt.
(Oh! bei der CDU)
Wir kennen diese Sätze alle. Wir machen im Grunde genommen nichts anderes, als eine Scheinlösung zu projizieren und zwei oder drei Tage vor der Bundestagswahl zu sagen, wir hätten die Lösung. Mit einer sehr, sehr hohen Wahrscheinlichkeit tritt in einem halben Jahr die Situation ein, sagen zu müssen, es tut uns leid, leider hat jemand geklagt - Ver.di hat ganz klar gesagt, dass sie klagen werden , und leider hat uns das Verfassungsgericht ein Urteil bescheinigt, dass es so nicht funktioniert, und leider, das tut uns jetzt wirklich leid, haben sich Investoren oder Interessenten umsonst auf den Weg gemacht. Das erschüttert Vertrauen in Politik und das darf nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der Linken und bei den GRÜNEN)
Natürlich gibt es ein paar Argumente, die man aus der Sicht der Arbeitnehmer durchaus berücksichtigen kann, das will ich sagen, und zwar das Argument, dass mit jedem Schritt die Sonntagsöffnung mehr realisiert wird und mit jedem Schritt immer mehr Leute in Bezug auf ihre Arbeit in den Sonntag hineingezogen werden.
Nun kann man sagen, dass im Gesetz niemand steht. Aber natürlich ist die Situation nicht so einfach; denn die Verkaufsmöglichkeiten am Sonntag - das ist die Situation - sind so wichtig, weil dann der größte Umsatz gemacht wird. Und warum wird der größte Umsatz gemacht? - Weil andere Geschäfte geschlossen sind und nicht, weil das Geschäft wohnortnah ist, sondern weil dann Leute dorthin fahren, die ansonsten ganz normal im Supermarkt einkaufen würden. Deswegen ist der Sonntag als Standbein für den Umsatz so wichtig.
Deswegen muss man sich überlegen, inwiefern durch solche Möglichkeiten immer mehr Druck aufgebaut wird.
Es gibt durchaus Gegenargumente. Man könnte bspw. sagen, lieber so, als die Tankstelle mit drei Leuten zu besetzen, die den Laden betreiben.
(Zuruf: Genau!)
Aber darüber muss man diskutieren. Wenn man sagt, dann soll Ver.di doch klagen, dann sind sie die Bösen; wir haben alles versucht, wir wussten zwar, dass es schiefgeht, aber wir sind nicht schuld.
(Ulrich Thomas, CDU: Wer ist „wir“?)
Das ist eine Situation, die wir, glaube ich, dem Land nicht zumuten können.
Jetzt will ich sagen, wie man an anderer Stelle, und zwar vor allen Dingen die CDU, mit derartigen Geschichten umgeht, wenn Gesetze verabschiedet werden, bei denen die CDU z. B. der Meinung gewesen ist, dass sie vor dem Verfassungsgericht nicht standhalten. Ich werde zitieren, und zwar Ihren Bundeskanzlerkandidaten Friedrich Merz.
(Ulrich Thomas, CDU: Unseren nicht Ihren! Er ist unser aller Kandidat! - Lachen bei der CDU)
- Nein.
Friedrich Merz: „Wir werden Sie mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln dazu zwingen, unsere Verfassung einzuhalten.“
Das war eindeutig, weil es in der Verfassung steht, und nicht, weil ich es gut finde oder weil es schon 100 Jahre alt ist, sondern das ist seine Position: Das steht in der Verfassung, deshalb muss es eingehalten werden.
Ihr Kollege Middelberg sagte: „Nicht wer klagt, hat mit dem Ergebnis zu leben, sondern der, der rechtswidrig handelt und die Verfassung umgangen hat, der hat mit dem Ergebnis zu leben.“
(Beifall bei der Linken)
Das ist Ihr Problem; nicht übermorgen bei der Bundestagswahl, aber in fünf Monaten, wenn Sie die Leute enttäuscht haben. Deswegen können wir diesem Gesetz nicht zustimmen, liebe Kolleginnen.
Wir beantragen die Rücküberweisung an den Ausschuss. Lassen Sie uns mit Ver.di, lassen Sie uns mit den Sonntagsinitiativen darüber reden. Ein wirklich verfassungssicheres Gesetz zu machen, ist unsere Alternative. - Danke.
(Beifall bei der Linken)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Vielen Dank, Herr Gallert. Es gibt eine Intervention von Herrn Räuscher und eine Frage von Herrn Hövelmann, wenn Sie diese zulassen.
Wulf Gallert (Die Linke):
Ja.
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Herr Räuscher beginnt.
Alexander Räuscher (CDU):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Gallert, die Verfassungskeule ist natürlich schwer beeindruckend, aber ich erkläre Ihnen das technisch: Der Laden, der ein Tor hat, das sich automatisch öffnet, ist nichts anderes als ein Fahrkartenautomat oder eine Vending-Maschine, so wird es in der Fachsprache genannt, die in diesem Fall überdacht ist.
Wenn Sie diese Keule herausholen, dann verhindern Sie auch jeden Verkauf von Fahrkarten oder ähnlichen Dingen, die über Verkaufsautomaten erworben werden können.
(Olaf Meister, GRÜNE: Lesen Sie, was der GBD aufgeschrieben hat!)
Insofern würde ich Ihnen sagen, differenzieren Sie es, wenn Sie es können. Das können Sie nämlich nicht; denn dann müssten Sie sagen, welche Dienstleistungen und welche Produkte erlaubt sind und welche nicht. Dabei würde es sich wieder um eine tiefe Einmischung handeln.
Ich kann Ihnen nur empfehlen, diese Verfassungskeule nicht zu sehr zu schwingen; denn das könnte schiefgehen.
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Herr Gallert, wollen Sie reagieren?
Wulf Gallert (Die Linke):
Herr Räuscher, ich gehe davon aus, dass Sie die Stellungnahmen des GBD nicht kennen.
(Olaf Meister, GRÜNE: Ja, das glaube ich auch!)
Das ist bei Ihrer Frage sehr deutlich geworden. Das sollte man aber tun, wenn man sich dazu äußert. Der GBD hat die bisherigen Ergebnisse der Verfassungsgerichte und die Argumentationen der Verwaltungsgerichte zu diesem Thema aufgeschrieben und seine Schlussfolgerung ist sehr eindeutig.
Deswegen frage ich, warum man mit Vollgas auf die rote Ampel zufährt. - Lasst uns doch mit Ver.di und den Sonntagsinitiativen darüber reden, welche Möglichkeiten es gibt.
(Zurufe)
- Doch, man kann. Die FDP kann nicht mit Gewerkschaften reden, das ist klar. Wir könnten es, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wir wollen die Rücküberweisung des Gesetzes, weil wir glauben, dann eine Lösung für alle zu finden, die nicht in einem halben Jahr im Orcus landet. Das ist unser Ziel, damit wir den Leuten wirklich helfen und nicht irgendeinen Popanz aufbauen. - Danke.
(Beifall bei der Linken)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Jetzt stellt Herr Hövelmann seine Frage. - Herr Hövelmann, bitte.
Holger Hövelmann (SPD):
Vielen herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Gallert, Sie haben am Ende Ihrer Rede und in der Beantwortung der Frage des Kollegen Räuscher deutlich gemacht, dass Sie die Rücküberweisung des Gesetzes wollen, um mit Ver.di zu reden.
Wulf Gallert (Die Linke):
Unter anderem.
Holger Hövelmann (SPD):
Stimmen Sie mir zu, dass der Vertreter von Ver.di in dem Fachgespräch unmissverständlich erklärt hat, dass Ver.di, egal was wir vorschlagen, es nicht akzeptieren wird?
(Zustimmung von Guido Kosmehl, FDP)
Die Frage ist, was macht es dann für einen Sinn, sich noch einmal das Gleiche sagen lassen zu müssen?
(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Herr Gallert.
Wulf Gallert (Die Linke):
Herr Hövelmann, sind Sie Mitglied einer Gewerkschaft?
Holger Hövelmann (SPD):
Ich bin Ver.di-Mitglied.
Wulf Gallert (Die Linke):
Sehr schön. - Herr Hövelmann, das Problem, nicht das Problem, sondern das Schöne ist, dass Ver.di eine demokratische Organisation ist. Jetzt können Sie mir Folgendes glauben: Ich habe nicht nur mit dem Kollegen gesprochen, der dort war, sondern ich habe mit anderen Kolleginnen und Kollegen gesprochen, die bei Ver.di Verantwortung haben.
Ich habe darum gebeten, zu versuchen, an dieser Stelle eine gemeinsame Position zu finden oder einen Kompromiss zu finden, bei dem man aufeinander zugeht. Die Antworten waren nicht so wie die, die wir im Ausschuss gehört haben, weil ich nämlich versucht habe, ein Stück weit hinter den Kulissen einen Weg zu öffnen, der uns gemeinsam auf einen sicheren Pfad führt.
Ich habe Signale bekommen, dass man sehr wohl darüber reden kann und dass man sehr wohl mit den Kirchen darüber reden kann. Ich kann dann zwar auch nicht garantieren, dass es keine Klage gibt, aber wir können vielleicht ein Gesetz entwickeln, das zumindest die relativ hohe Chance hat, vor einem Verfassungsgericht durchzukommen, und zwar indem man die inhaltlichen Argumente, die gegen dieses Gesetz sprechen, aufnimmt, und zwar auch die Argumente von Ver.di, der Kirchen und der Initiativen zum Schutz des Sonntages, und sagt, das geht ihnen nicht weit genug, aber wir haben es versucht, wir haben es aufgenommen, wir haben bestimmte Kriterien formuliert und mit diesen Kriterien kann man dann auch vor einem Verfassungsgericht bestehen.
So, wie es jetzt ist, wird das Gesetz vor einem Verfassungsgericht definitiv nicht bestehen. Mein Glaube wird durch die Rechtsprechung und durch den GBD gestützt. - Danke.
(Zustimmung bei der Linken und bei den GRÜNEN)