Sebastian Striegel (GRÜNE): 

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Friedrich Merz glaubt also nicht an grünen Stahl. Ehrlich gesagt: Woran das CDU-Mitglied Friedrich Merz glaubt, das möge er doch bitte zuerst mit sich selbst ausmachen. 

(Guido Heuer, CDU: Ja, das gilt bei Habeck aber auch!)

Aber wer als Kanzlerkandidat Politik für unser Land machen will, der sollte weniger glauben oder meinen, sondern der sollte seine Worte auf Fakten aufbauen 

(Oh! bei der CDU und bei der FDP - Lachen bei der AfD - Zuruf von der AfD: Das sagt der Richtige!) 

und Schlussfolgerung mit Bedacht ziehen. 

(Guido Kosmehl, FDP: Was ist denn mit Sozialabgaben auf Kapitalerträge? - Weitere Zurufe)

Der Abgesang auf die deutsche Stahlindustrie, den Friedrich Merz unlängst gegenüber Beschäftigten anstimmte, geht fehl. Merz gefährdet mit solchen unbedachten Aussagen die Zukunft Deutschlands. 

(Nadine Koppehel, AfD: Das sagt ein Grüner!)

Er zeigt deutlich, wie wenig Ahnung von Industriepolitik er hat. 

(Xenia Sabrina Kühn, CDU: Reden Sie von Herrn Habeck, oder was?)

Und er hat sich, Herr Heuer, inzwischen auch korrigieren müssen. 

(Guido Heuer, CDU: Ich habe überhaupt nichts korrigieren müssen! Was ist denn das für eine Aussage? - Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Merz!) 

Denn mit der deutschen Stahlproduktion geht es nicht zu Ende. Im Gegenteil, sie ist und bleibt ein wichtiges Fundament für weitere Industrien, auch wenn sie in Zukunft nicht mehr durch massives Wachstum, sondern vor allem durch wirtschaftliche Resilienz hervorstechen wird. 

Der Draghi-Bericht, der im September des letzten Jahres veröffentlicht wurde, hat deutlich gezeigt, dass Deutschland auf die heimische Produktion von energieintensiven Grundstoffen wie Stahl, Papier oder auch Glas angewiesen ist. Für diese Produktion muss der Staat Sicherheit und stabile Rahmenbedingungen garantieren. Klimaschutz und Wirtschaft stehen dabei keineswegs im Widerspruch. Ganz im Gegenteil: Sie können einander beflügeln. 

(Zuruf von Guido Heuer, CDU)

Alle großen Volkswirtschaften haben sich auf den Weg gemacht, ihre Stahlproduktion zu dekarbonisieren. Stahl, der mit fossiler Energie hergestellt wird, hat auf dem Weltmarkt künftig kaum noch eine Chance. 

(Jörg Bernstein, FDP, lacht)

Unternehmen setzen zunehmend auf emissionsfreie Ausgangsmaterialien, um ihre Produkte nachhaltiger und zukunftsfähiger zu gestalten. 

(Guido Kosmehl, FDP: Alle großen Volkswirtschaften! Alle!)

Gleichzeitig zeichnet sich ab, dass teilweise große Volkswirtschaften verstärkt protektionistisch agieren werden, indem sie ihre Stahlindustrien bspw. durch Einfuhrzölle und Übernahmeverbote schützen. 

(Jörg Bernstein, FDP: Wir müssen das machen!)

Vor diesem Hintergrund ist es entscheidend, dass wir auf die Wettbewerbsfähigkeit unseres grünen Stahls setzen und ihn als Vorreiter in den globalen Märkten positionieren. 

Das postfossile Zeitalter ist unumkehrbar eingeläutet. Der Ökonom Prof. Jens Südekum betont   ich zitiere  : 

„Das Land, das als erstes die Klima- und Ressourcenneutralität erreicht, hat seine wirtschaftliche Basis auf den Weltmärkten für Jahrzehnte gesichert.“ 

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Zuruf von Jörg Bernstein, FDP: Verloren! Verloren!)

China ist übrigens gut dabei. Die Reise hin zu grünem Stahl wurde bereits begonnen. Wer diesen Weg jetzt wieder rückwärts laufen will, der gefährdet Zehntausende Jobs in der Industrie. 

(Frank Bommersbach, CDU: Das ist Ihre grüne Politik!) 

Die Wirtschaftsvereinigung Stahl   das ist nun wirklich kein grüner Fanklub   kritisiert daher auch zu Recht die Aussagen von Friedrich Merz. 

Eine zukunftsfähige Industrie in Deutschland muss sich darauf verlassen, 

(Guido Heuer, CDU: Genau, die hört nur vorübergehend auf zu produzieren!)

dass das regulatorische Umfeld auch unter neuen Regierungskonstellationen stabil bleibt. Einmal zugesagte Förderprogramme, wie die bewilligten Mittel für den Umbau der deutschen Stahlindustrie, müssen auch in Zukunft noch zur Verfügung stehen. Die große Transformation unserer Leitindustrien kann nur unter einer verlässlichen und stabilen Politik funktionieren. 

Die Bundesrepublik hat sich im Jahr 2015 zur Einhaltung des Pariser Klimavertrags verpflichtet. Die EU hat sich als Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Mit dem deutschen Klimaschutzgesetz, welches im Jahr 2019, also noch unter der schwarz-roten Koalition, in Kraft trat, wurde für Deutschland die Klimaneutralität für 2045 festgelegt. 

Seit Jahren arbeitet die deutsche Wirtschaft gemeinsam mit der Politik an diesem Transformationsprozess. Es wurden Investitionen in Milliardenhöhe für klimaneutrale Prozesse getätigt. Und Sachsen-Anhalt mischt dabei mit. Der Standort in Ilsenburg zeigt, wie herausragend unsere heimische Stahlindustrie ist. Denn die Ilsenburger Grobblech GmbH   sie ist hier schon erwähnt worden   stellt Produkte her, die weltweit nur von sehr wenigen Unternehmen hergestellt werden können. 

Bis 2033 sollen die CO2-Emissionen der Salzgitter AG um 95 % sinken. Durch den Einsatz von Wasserstoff statt Erdgas kann diese Dekarbonisierung stattfinden. Grünen Wasserstoff gibt es aber nur mit erneuerbaren Energien und die müssen dafür weiter ausgebaut werden. 

(Guido Kosmehl, FDP: Oder mit Atomstrom!)

Friedrich Merz findet   auch das wurde hier schon gesagt   Windräder bekanntlich hässlich. Ich finde sie außerordentlich schön. 

(Oh! und Lachen bei der AfD - Zurufe von der CDU und von der FDP) 

Ich muss bei jedem sich drehenden Windkraftwerk in Sachsen-Anhalt daran denken, dass es uns eine Umdrehung näher an Industrien mit Zukunft bringt. 

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Jörg Bernstein, FDP: O mein Gott! - Lachen bei der CDU und bei der AfD) 

Allerdings benötigen wir hierzulande noch mehr Tempo bei der Energiewende. Dafür sind Planungssicherheit und die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren auf kommunaler Ebene wichtig. Auch das Akzeptanz- und Beteiligungsgesetz, Herr Minister, lässt schon viel zu lange auf sich warten. Damit wir mehr Windkraftanlagen und PV-Freiflächenanlagen bauen können, brauchen wir das Vertrauen unserer Bürgerinnen und Bürger. 

(Zuruf von Frank Bommersbach, CDU) 

Durch den Gesetzentwurf könnten die Kommunen direkt und ohne großen Aufwand finanzielle Mittel aus den bereitgestellten Anlagen schöpfen. 

(Zuruf von Guido Heuer, CDU)

Das ist ein wichtiges Puzzleteil in der Energiewende 

(Guido Kosmehl, FDP: Ihr habt fünf Jahre mitregiert - nichts ist passiert!)

und unabdingbar für die Herstellung von grünem Wasserstoff - wenn die Koalition doch endlich einmal zu Potte käme. 

(Guido Kosmehl, FDP: Ah, ja! Fünf Jahre hattet ihr Zeit!)

Stahl ist bei dem Thema klimaneutrale Transformation einer der größten Hebel. Wird die weltweite Stahlindustrie mithilfe von grünem Wasserstoff klimaneutral, lässt sich so viel CO2 einsparen wie ganz Indien, weltgrößter Emittent von Treibhausgasen, ausstößt. 

Allein die Salzgitter AG ist für 1 % der deutschen CO2-Emissionen verantwortlich. ThyssenKrupps Stahlproduktion erreicht 2,5 % der deutschen CO2-Emissionen. Umso wichtiger ist es, dass sich diese Unternehmen dem Wandel verschrieben haben.

Ich konnte mir dazu gemeinsam mit Kollegen Redlich und amerikanischen Kolleg*innen vor eineinhalb Jahren in Duisburg einen Eindruck verschaffen. Durch den europäischen Emissionshandel steigen die Produktionskosten beim Einsatz fossiler Energieträger kontinuierlich an. Durch die Energiepreiskrise in Folge der russischen Invasion in der Ukraine stiegen sie zwischenzeitlich sogar sehr stark. Die Energiepreiskrise ist überwunden; die Preissteigerungen durch den Emissionshandel aber werden weitergehen.

Damit unsere europäischen Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben, wurde der europäische Grenzausgleichsmechanismus, Carbon Border Adjustment Mechanism, kurz CBAM, entwickelt. Dieser wird teilweise die internationalen Wettbewerbsnachteile, die sich durch den Emissionshandel ergeben, ausgleichen. Langfristig werden dann die erneuerbaren Energien kostensenkend wirken.

Mit den eingeführten Klimaschutzverträgen wird ein weiteres Potenzial entfaltet, weil hierbei der Staat die Risiken bei der Preisentwicklung von CO2-freiem bzw. grünem Wasserstoff abfedert. Der Staat schafft hierdurch schon heute den Anreiz zur Dekarbonisierung. Nun ist es wichtig, dass wir auf diesem Weg weiter unterwegs sind und die kommende Regierung die Finanzierung dieses Förderinstrumentes beibehält. Wir bauen im großen Maße unsere Industrien um und wir schaffen dadurch neue grüne Jobs.

Als ehemaliges Braunkohleland stehen wir in Sachsen-Anhalt im Jahr 2025 für Wirtschaft und Innovation, sowie für treibhausgasneutrale Energiewirtschaft und Umwelt. Unter den Kohleländern haben wir bisher den größten Anteil an Strukturwandelfördermitteln ausgegeben. Dass der Einsatz dieser Gelder richtig war, zeigt sich immer wieder sehr deutlich. Wir werden zukünftig zu den Vorreitern bei der Herstellung von grünem Wasserstoff gehören.

Mit dem Reallabor in Bad Lauchstädt   auch noch einmal mein Wahlkreis  , gehen wir hierbei große Schritte.

(Frank Bommersbach, CDU: Sie haben keinen Wahlkreis!)

Der 50 MW starke Windpark wird die Elektrolyse mit Energie versorgen, sodass grüner Wasserstoff erzeugt wird. Ein erster Abnehmer wurde mit der Raffinerie in Leuna gefunden. Die unterirdische Kaverne vor Ort kann den Wasserstoff zudem sicher speichern.

In der Wasserstoffwirtschaft werden wir bis 2045 bis zu 20 000 Arbeitsplätze schaffen und sichern. Umso wichtiger ist es, dass das Land endlich die notwendigen Mittel zur Unterstützung des Elektrolyseurs der Linde AG bereitstellt. Herr Wirtschaftsminister   inzwischen ist er gar nicht mehr im Raum; schade  , hierbei sind Sie gefordert.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Über Friedrich Merz heißt es, er komme aus dem Sauerland und wohne in Arnsberg am Ende einer Sackgasse.

(Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)

Er muss aufpassen, dass seine gedankenlosen Kommentare die Industrie in unserem Land nicht in eine eben solche führen.

(Frank Bommersbach, CDU: Das hat doch Ihr grüner Wirtschaftsminister schon gemacht!)

Als Grüne setzen wir auf Zuversicht und Stabilität. Mit unserem politischen Handeln schaffen wir die Transformation.

(Alexander Räuscher, CDU, lacht)

Wir bleiben Energieland, wir bleiben Industrieland, weil wir uns verändern, Herr Kosmehl.

(Guido Kosmehl, FDP: Nee!)

Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Striegel. Es gibt eine Frage von Herrn Heuer. - Herr Heuer, bitte. 


Guido Heuer (CDU):

Danke, Frau Präsidentin. - Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung. Herr Striegel, im Land Sachsen-Anhalt   Herr Kosmehl hat es dazwischengerufen   haben Sie fünf Jahre mitregiert. In Baden-Württemberg stellen Sie den Ministerpräsidenten seit dem Jahr 2011. Wir können es alle gerne einmal miteinander aufarbeiten.

Ein wichtiger Faktor   Herr Minister Prof. Willingmann hat es vorhin gesagt  , eines der wichtigsten Dinge in der Wirtschaft ist Optimismus. Ich frage Sie, was für ein Verständnis Ihr Wirtschaftsminister Habeck von Wirtschaft hat, wenn er sagt: Die Unternehmen hören vorübergehend auf zu produzieren und gehen nicht in die Insolvenz.

(Zustimmung von Frank Bommersbach, CDU)

Einmal ganz ehrlich: Was Sie hier erzählen, ist ein Ammenmärchen.

Jetzt eine konkrete Frage: Was ist der Unterschied zwischen der für 2033 geplanten grünen wasserstoffbasierten Produktion in Salzgitter und dem, was dieses Land festgelegt hat? - Der Unterschied ist nämlich der: Das eine ist eine unternehmerische Entscheidung; das andere, was wir als Staat machen, ist es nicht. Denn der Staat war immer schon der schlechteste Unternehmer. - Punkt.

(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Das stimmt allerdings!)


Sebastian Striegel (GRÜNE):

Herr Fraktionsvorsitzender Heuer. Es war ziemlich viel und ein bisschen durcheinander. Aber versuchen wir einmal, die Dinge auseinanderzuziehen.

(Guido Heuer, CDU: Ja, wenn ich Sie nicht hätte! - Lachen bei der CDU)

Zunächst einmal zur Frage: Was haben die GRÜNEN für die Erneuerbaren in Sachsen-Anhalt getan? - Eine ganze Menge. Deswegen stehen wir deutlich besser da als im Bundesdurchschnitt.

(Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE - Zuruf von Frank Bommersbach, CDU)

Der Energieminister hat es gesagt. - Wir waren viele Jahre in der Regierung, Herr Bommersbach. Vielleicht erinnern Sie sich noch daran: Heidrun Heidecke hat die Grundlagen dafür gelegt, dass Sachsen-Anhalt heute bei den erneuerbaren Energien vorne mit dabei ist. - Das waren die Anfänge.

Zur zweiten Frage. Salzgitter ist ein gutes Stichwort.

(Frank Bommersbach, CDU: Herr Striegel!)

Haben Sie das Interview mit Gunnar Groebler in „Capital“ gelesen? - Er hat ganz deutlich gesagt: Ja, es ist eine unternehmerische Entscheidung; er braucht dafür stabile staatliche Rahmenbedingungen.

(Zuruf von Guido Heuer, CDU)

Er hätte sich dabei im Übrigen vermutlich noch deutlich mehr Unterstützung gewünscht, auch von der CDU, aber er sagt: Wir brauchen stabile Rahmenbedingungen. Wir brauchen das Einhalten von Versprechen, die Regierungen gegeben haben, damit die Transformation gelingen kann. Nichts anderes erwarten wir von einem Kanzler der nächsten Bundesregierung; ganz egal, ob er Olaf Scholz, Robert Habeck oder auch vielleicht Friedrich Merz heißt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Lachen bei der CDU und bei der FDP - Zuruf: Träum weiter! - Guido Kosmehl, FDP: So eine Selbstüberschätzung! - Zuruf von Frank Bommersbach, CDU)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Heuer hat noch eine Nachfrage. - Herr Heuer noch ganz kurz.

(Zuruf)


Guido Heuer (CDU):

Herr Striegel, ich habe eine etwas polemische Frage: Wären Sie bereit dazu, in den ländlichen Raum, in ein Eigenheim am Rand eines Dorfes zu ziehen, wo ein Kilometer entfernt ein 250 m hohes Windrad steht, wo Sie   das war ja auch Ihr Vorschlag  , zwei Smarts oder ähnliche Fahrzeuge haben, für deren Nutzung Sie sich dann eintragen können, um einkaufen zu fahren? Ansonsten könnten Sie dann dort gerne mit dem Lastenfahrrad fahren. - Das ist nämlich der Unterschied, ob man in Halle oder auf dem Dorf wohnt und die Folgen ertragen muss. Das ist die Wahrheit; Sie nehmen sie nicht zur Kenntnis.

Dass wir uns wandeln müssen, ist logisch; das ist normal. Die CDU steht für die Wasserstoffstrategie, aber nicht für die Fantastereien, die Sie von sich gegeben haben.

(Zustimmung von Thomas Krüger, CDU)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Striegel, wollen Sie reagieren?


Sebastian Striegel (GRÜNE):

Ich stelle fest: Der Fraktionsvorsitzende der größten Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt, Guido Heuer von der CDU, redet im Rahmen einer Debatte über die Industriepolitik dieses Landes von Lastenfahrrädern. Es zeigt einmal mehr: Der Mann hat keine Ahnung von Industriepolitik.

(Lachen bei der CDU und bei der AfD)