Sven Schulze (Minister für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will vielleicht da anschließen, wo ich gestern aufgehört habe, bei Gesprächen, die wir derzeit mit vielen Unternehmerinnen und Unternehmern führen. Bei allen Herausforderungen wird eines immer wieder genannt, das sind die Dokumentations- und Nachweispflichten. Kollege Hövelmann hat eben schon deutlich darauf hingewiesen.
Ich habe in den letzten Wochen, nachdem diese Anfrage bei uns eingegangen ist, ganz bewusst hinterfragt und einmal genau geschaut, wenn das Thema Bürokratie genannt wird, wo die Ursache ist und welche Bereiche von den Unternehmen am meisten genannt werden, in denen es Vereinfachungen geben könnte.
Es wird oft die Forderung zum Abbau übermäßiger Bürokratie, vor allem im EU-Recht und auf Bundesebene, vorangestellt. Es geht im Wesentlichen um Berichtspflichten in den Bereichen Nachhaltigkeitsberichterstattung, Industrieemissionen und Lieferketten sowie um die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren.
Wichtigen politischen und gesellschaftlichen Zielstellungen stehen Bürokratiebelastungen für Unternehmen in einem teilweise kaum zu bewältigendem Ausmaß gegenüber. Bürokratie bindet Ressourcen. Die Ressourcen können nicht gleichzeitig für Innovation oder Produktivitätssteigerung eingesetzt werden, Zeit und Ideen werden nicht effektiv, nicht kreativ genutzt - mit weiteren Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.
Im Rahmen der Großen Anfrage vom 16. August 2024, über die wir heute debattieren, hat die SPD Fraktion Bürokratiebelastungen von Unternehmen durch Berichtspflichten thematisiert. In der Vorbemerkung wird auf übermäßige Bürokratie als Innovations- und Wachstumshemmnis sowie auf das Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag, den Erfüllungsaufwand durch Berichtspflichten für Unternehmen zu senken, aufmerksam gemacht.
Die Antwort auf die Große Anfrage gibt einen Überblick über die entsprechenden landesrechtlichen Regelungen. Konkret werden in zehn Frageblöcken Berichtspflichten in verschiedenen Förder- und Rechtsgebieten dargestellt. Im Fokus des Interesses stehen jeweils Angaben zur Anzahl der eingegangenen Berichte, der nicht vollständigen Erfüllung der Berichtspflichten sowie etwaiger Sanktionen und Auflagen. Zwei weitere Frageblöcke beziehen sich abschließend auf die Rahmenbedingungen für Berichtspflichten im Sinne vor allem der Digitalisierung sowie der Schaffung von Stellen zum Abbau von Bürokratie.
Landesrechtlich verursachte Berichtspflichten für Unternehmen sind fast ausschließlich mit Förderung verbunden. Die mit Förderung verbundenen Berichtspflichten können dabei vor allem zwei Kategorien bzw. Quellen zugeordnet werden; zum einen EU-Vorgaben bzw. Vorgaben aus dem EU-Beihilfe- und Zuwendungsrecht sowie Vorgaben, die sich aus den Verwaltungsvorschriften der Landeshaushaltsordnung Sachsen-Anhalt ergeben.
Soweit ein Unternehmen Fördermittel beantragt und einen Zuwendungsbescheid erhält, besteht in der Folge zwangsläufig eine Berichts- und Dokumentationspflicht, sei es bspw. bei der Mittelanforderung oder sei es bei den abschließenden Verwendungsnachweisen. Diese Berichtspflichten sind gleichsam notwendiger Bestandteil jeder Zuwendung. Denn es geht hierbei um öffentliche Mittel, die ausgegeben werden. Für diese Haushaltsmittel trägt der Zuwendungsgeber, die öffentliche Hand, gegenüber dem Steuerzahler eine Verantwortung im Sinne wirtschaftlicher und sparsamer Mittelverwendung.
Spezifische Berichtspflichten für Unternehmen, die sich aus dem EU-Beihilfe- und Zuwendungsrecht ergeben, finden sich im europarechtlich dominierten Bereich der Landwirtschafts- und Agrarförderung auch wieder. Hierbei zeigt sich das Spannungsfeld, in dem sich Bürokratieabbau bewegt. Einerseits soll Förderung möglichst bürokratiearm erfolgen. Andererseits muss der Einsatz der sehr begrenzten öffentlichen Mittel zweckentsprechend sein. Nur wirklich Berechtigte sollen dem Förderzweck entsprechende Zuwendung erhalten.
Wie im Frageblock 11 der Großen Anfrage thematisiert, kann und muss die Digitalisierung einen großen Beitrag zur Entlastung der Unternehmen von Bürokratie leisten. Als Beispiel sei das Kundenportal der Investitionsbank Sachsen-Anhalt, der zentralen Fördereinrichtung des Landes, genannt. Bei Fördervorhaben, die mit Mitteln der EU-Fonds EFRE, ESF und JTF finanziert bzw. kofinanziert werden, erfolgt die Kommunikation zur Mittelabforderung, zum Verwendungsnachweis, zum Zweckfindungsnachweis und zum Zwischennachweis bereits vollkommen elektronisch. Für die weitere Förderung ist die elektronische Kommunikation teilweise ebenfalls bereits möglich bzw. wird aufgebaut.
Zur Digitalisierung von Kommunikation zwischen der Verwaltung und Unternehmen sind Anforderungen im Rahmen der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes normiert. Zu den eigens für den Bürokratieabbau geschaffenen Stellen wurden im Frageblock 12 daher nur die Stellen aus dem Landesverwaltungsamt genannt, die gesondert für OZG-Umsetzungsaufgaben eingerichtet wurden.
Generell gilt: Der Abbau übermäßiger Bürokratie ist eine Querschnittsaufgabe innerhalb der Landesverwaltung, die nicht auf gesondert geschaffenen Stellen wahrgenommen wird. Ich möchte an dieser Stelle bekräftigen, dass es der Anspruch jedes Bereiches der Landesverwaltung sein muss, bei jedem Fachthema einen eigenen Beitrag zum Bürokratieabbau zu leisten. Ein Bürokratiecheck sollte in jedem Fachressort bei jeder Maßnahme selbstverständlich sein. Bei gleichwertigen Lösungsmöglichkeiten sollte immer den bürokratieärmeren, die Unternehmen entlastenden Maßnahmen der Vorzug eingeräumt werden.
Im Kern geht es darum, übermäßige Bürokratie zu vermeiden. Genau diese Formulierung ist auch in der Vorbemerkung der Großen Anfrage enthalten. Bürokratische Belastungen der Unternehmen dienen jeweils einem oder mehreren bestimmten Zwecken bzw. öffentlichen Interessen. So sollten bspw. Berichtspflichten bei Förderungen eine Sicherstellung der zielgenauen und sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel ermöglichen. Es ist daher keine einfach zu beantwortende Frage, wo erforderlich in übermäßig kippt. Gleichzeitig ist es eine entscheidende Frage für die Wirtschaft in Sachsen-Anhalt.
Wir haben in den letzten Tagen bei uns im Ministerium ein Thema diskutiert ich weiß, dass es dazu morgen eine Debatte gibt , das Tariftreue und Vergabegesetz. Hieran möchte ich beispielhaft darstellen, dass auch die Verwaltung ich vertrete in dem Fall das Wirtschaftsministerium immer wieder versucht, Wege zu finden, um Dinge zu vereinfachen.
Wir haben in der vergangenen Woche alle Player an einen Tisch geholt: die Kommunen, die Unternehmen, die Vergabestellen, die entsprechenden Institutionen, die für sie auch sprechen. Auch die Gewerkschaften waren mit am Tisch. Ich möchte meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die im Vorfeld gemeinsam mit mir Ideen dazu entwickelt haben, was man vereinfachen kann, meinen Dank aussprechen. Von denen, die da am Tisch saßen, wurde gesagt, das ist genau der richtige Weg und wir sind der Verwaltung dankbar dafür, dass man Ideen entwickelt hat, wie man das Vergabegesetz an dem Beispiel möchte ich es deutlich machen vereinfachen kann.
Ich werde das demnächst auch im Wirtschaftsausschuss vorstellen und mit den Abgeordneten im Ausschuss darüber diskutieren. Das zeigt im Übrigen auch, dass man nicht immer nur auf die Verwaltung schimpfen sollte, sondern dass die Verwaltung in der Lage ist, wenn sie das Feedback und die Unterstützung auch der jeweiligen Vorgesetzten haben, Ideen zu entwickeln, wie man Dinge vereinfachen kann. Darüber werden wir diskutieren. Das ist ein Beispiel dafür, wie geltende Gesetzgebung, für die das Land verantwortlich ist, vielleicht noch erleichtert werden kann.
Ich will ein zweites Beispiel nennen. Ich lege immer Wert darauf, dass Bürokratieabbau auch im ganz Kleinen anfangen kann. Wir haben in dieser Legislaturperiode eine Meisterprämie in diesem Land eingeführt. Die erste Frage, die vonseiten derer, die es betrifft, nämlich die, die einen Meister machen, kam, war: Was müssen wir denn jetzt alles einreichen, damit wir diese Meisterprämie bekommen? Wir haben es gemeinsam hinbekommen das ist ja im Landtag beschlossen worden; verantwortlich ist das Wirtschaftsministerium , dass ausschließlich ein einziges Dokument erforderlich ist, um diese Meisterprämie zu bekommen: Das ist der Meisterbrief. Mehr wird nicht benötigt.
(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)
Das zeigt auch, dass man bürokratiearm etwas auf den Weg bringen kann. In gleicher Form haben wir es bspw. auch in diesem Jahr geschafft, die Hilfen für die Obstbauern hinzubekommen. Die Obstbauern haben zurückgemeldet, auch die im Weinbau betroffenen Unternehmen. Wir haben gezeigt, dass es funktioniert, dass es auch einfach geht.
(Zustimmung von Andreas Silbersack, FDP)
Ein drittes Thema, das ich benennen will, ist auch eine ganz kleine Sache, die nicht viel Geld kostet, aber sehr bürokratiearm ist, und die im Übrigen von allen Fraktionen im Landtag immer wieder gefordert wird: die Unterstützung für die schafhaltenden Betriebe. Wir haben dabei nicht noch eine dritte Institution gebraucht, die dafür Riesendinge erlassen hat, sondern wir haben das im Ministerium selbst gemacht. Die Unternehmen haben sich zurückgemeldet und gesagt: Ihr habt als Land gezeigt, wenn ihr wirklich wollt, dann könnt ihr Dinge auch einfach machen.
Deswegen sage ich das ist die Quintessenz dessen, was ich zum Schluss erwähnt habe : Wir gucken uns manchmal die ganz großen Dinge an und wir schauen auch manchmal ausschließlich nach Brüssel und Berlin, wenn es um Bürokratieabbau geht. Wir haben aber in diesem Land gezeigt, dass es durchaus möglich ist, die Dinge, die wir zu 100 % selbst zu verantworten haben, bürokratiearm zu machen. Das sollten wir auch in der Zukunft so tun. Deswegen war diese große Anfrage wichtig.
Ich will zum Schluss allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meines Ministeriums danken. Eine Große Anfrage zu bearbeiten und abzuarbeiten ist nicht ganz einfach. Es sind viele Excel-Tabellen dabei gewesen das muss man dazu sagen und viele Fragen, die eine große Tiefe hatten. Deswegen ist es wichtig gewesen, nicht nur die Antworten zu geben, sondern auch aus diesen Fragen und aus den Antworten das eine oder andere für die Zukunft zu lernen. Wenn wir uns wirklich anstrengen und gemeinsam wollen, dann werden wir wie bei den Beispielen, die ich gebracht habe, in den nächsten Jahren weiter Bürokratie hier in Sachsen-Anhalt abbauen können. - Vielen Dank.
(Zustimmung bei der CDU)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Danke, Herr Minister Schulze. - Frau Kleemann möchte gerne eine Frage stellen. - Ich habe jetzt überlegt, ob Sie immer noch wollen, weil Sie so schön vor sich hingeguckt haben.
Juliane Kleemann (SPD):
Ja. - Herr Minister, vielen Dank für Ihren Redebeitrag. Ich habe eine Frage, weil Sie ja auch schon mal Abgeordneter in Brüssel gewesen sind und jetzt ein großes Ministerium zu verantworten haben. Meine Frage zu den Berichtspflichten ist: Sehen Sie mit den Brüsseler Erfahrungen und mit den Regierungserfahrungen hier in Sachsen-Anhalt Möglichkeiten die Antwort habe ich nämlich in Ihrem Redebeitrag nicht gefunden hinsichtlich der Berichtspflichten, ich sage einmal entspannter zu werden?
Denn wir haben, wie Sie gesagt haben, das Problem, dass das öffentliche Gelder sind und die ordentlich verwendet werden müssen. Die Berichtspflichten haben so ein Stückchen etwas mit Misstrauen zu tun oder auch mit großer Kontrolle. Sehen Sie aus Ihren Erfahrungen heraus Möglichkeiten, an der Stelle vielleicht mehr in Vertrauen und in Stichproben zu investieren?
(Zustimmung von Kathrin Tarricone, FDP)
Sven Schulze (Minister für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten):
Das ist eine sehr, sehr gute und eine extrem wichtige Frage. Ich bin dankbar dafür, dass ich die Zeit bekomme, darauf einzugehen. Der Kollege Hövelmann hat es, wenn ich es richtig verstanden habe, auch in einem Satz erwähnt: Eine aus meiner Sicht unnötige Berichtspflicht, die aber ihren Ursprung nicht in Sachsen-Anhalt hat, sondern in Brüssel, die auch mein Ressort Landwirtschaft betrifft, ist ein Heft für die Weidetierhalter, in dem sie dokumentieren müssen, wo sie denn genau mit ihren Schafen oder mit anderen Tieren, die auf der Weide stehen, waren.
(Thomas Staudt, CDU: Mit wem haben Sie gesprochen?)
Ich halte das für völlig überreguliert. Das hat aber damit zu tun, dass das eine Förderung, die wir mit ausgeben, kofinanziert oder in dem Fall sogar zu 100 % aus europäischen Mitteln finanziert wird. Würden wir das nicht machen und es kommt eine Kontrolle, in dem Fall aus der Europäischen Union, dann kann das sogar soweit führen das Land Sachsen-Anhalt hat damit leider Gottes auch negative Erfahrungen gemacht , dass wir das ausgezahlte Geld letzten Endes aus der eigenen Tasche bezahlen müssen.
Wer das nicht versteht oder nichts damit zu tun hat: Es ist so, dass wir das Geld bezahlen und uns dann von der Europäischen Union zurückholen. Die EU würde im Zweifelsfall aber sagen: Das kriegt ihr nicht von uns, weil ihr es falsch verwendet habt oder nicht dokumentiert habt. Und wir bleiben dann auf den Kosten sitzen. Deswegen wundere ich mich manchmal auch zurecht wie Sie auch, wie hoch und tief der Detailgrad der Dokumentation ist. Es hat aber wirklich oft damit zu tun.
Jetzt will ich, wenn es erlaubt ist, noch 30 Sekunden nutzen, um zu sagen, was man ändern kann. Ich glaube, dass es enorm wichtig ist, dass man zukünftig noch stärker auch aus den Bundesländern heraus in Brüssel und Berlin lobbyiert und zeigt, was gut funktioniert, das sollte man nicht stärker dokumentieren und warum man vielleicht auch einmal das Vertrauen in die Mitgliedstaaten, in die Bundesländer vonseiten der Europäischen Union braucht.
Deswegen halte ich es durchaus für sinnvoll, spätestens in der nächsten Legislaturperiode darüber nachzudenken, jemanden in der Regierung zu haben, der sich nicht ausschließlich auf Brüssel und Berlin konzentriert, sondern der diesen Bereich Bürokratieabbau als federführenden Bereich mit in seinem Ministerium hat. Ich glaube, es würde sehr helfen, diese Kombination Berlin, Brüssel, Magdeburg und Bürokratie stärker zu betrachten.
Denn ich glaube, dass man dabei Synergieeffekte erzielen könnte, die am Ende des Tages kein Geld kosten, sondern Geld sparen und den Unternehmen und den Bürgern helfen würden. Deswegen sollten wir vielleicht spätestens beim nächsten Mal darüber nachdenken, dieses Thema noch stärker aufzugreifen. Andere Bundesländer machen das auch schon.