Kristin Heiß (Die Linke): 

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Präsident! Sicher waren die meisten von Ihnen in diesem Jahr schon auf dem Weihnachtsmarkt, vielleicht hier um die Ecke, oder Sie haben den Weihnachtsmarkt in Halle, in Wernigerode, in Quedlinburg oder in anderen kleinen Städten im Land besucht. Dort stehen die Menschen eng gedrängt am Bratwurststand, wärmen ihre Hände an der Glühweintasse, teilen sich Schmalzkuchen oder Schokoweintrauben am Spieß.

(Zuruf von Stefan Ruland, CDU)

Wenn Sie die Weihnachtsmarktbesucher einmal ansprechen und ihnen mitteilen, dass wir dieses Jahr noch eine Coronanotlage haben - und sehr wahrscheinlich im kommenden Jahr auch noch  , dann wird man Ihnen vielleicht unterstellen, dass Sie schon etwas tiefer in das Eierpunsch-Glas geschaut haben.

(Zustimmung bei der Linken - Zuruf von Ulrich Siegmund, AfD)

Mit Notlage verbinden die Menschen Ausgangssperren, geschlossene Geschäfte, abgesagte Weihnachtsmärkte, lange Schlangen an Test- und Impfzentren, Maskenpflicht und 1,5 m Abstand zueinander. 

Kurzum: Nach Notlage fühlen sich dieses Jahr und diese Vorweihnachtszeit nicht einmal annähernd an.

(Frank Bommersbach, CDU: Ich dachte, Sie haben das verstanden!)

Trotzdem hat uns die Landesregierung vor einigen Wochen einen Antrag auf Feststellung einer Notlage für das Jahr 2025 vorgelegt. In dem Antrag geht es im Kern und einzig und allein um das Corona-Sondervermögen und darum, dass es auch im kommenden Jahr finanziert werden muss, um die dort aufgezählten Maßnahmen weiterführen zu können.

Notwendig ist dieser Antrag wegen der Schuldenbremse. Die Länder dürfen seit 2020 nur noch Schulden aufnehmen, wenn eine Notlage besteht oder eine Naturkatastrophe eintritt oder wenn diese im Rahmen von sogenannten finanziellen Transaktionen einen Gegenwert erschaffen.

(Guido Kosmehl, FDP: Richtig!)

Wir brauchen diese Notlage also dringend, damit uns das Corona-Sondervermögen nicht flöten geht. Der Bund und alle anderen Bundesländer haben übrigens genauso verfahren; sie alle haben sich eine Notlage und ein Sondervermögen geschaffen.

(Guido Kosmehl, FDP: Das stimmt nicht!)

Wie sieht es jetzt bei denen aus? - Im Jahr 2024 haben von 16 Bundesländern noch genau zwei eine Notlage und ein Corona-Sondervermögen: das Saarland und Sachsen-Anhalt. Alle anderen Länder haben bereits im Jahr 2022, 2023 oder in diesem Jahr ihre Auszahlungen beendet und tilgen bereits die aufgenommenen Schulden.

Warum also gehen wir einen anderen Weg? Wenn Sie die Landesregierung fragen, wird Sie Ihnen mit der Pandemieresilienz kommen - so steht es auch im Antrag. Wenn Sie die Abflüsse im Sondervermögen anschauen, wird ein anderer Grund deutlich: Das Geld fließt einfach nicht ab.

(Beifall bei der Linken)

Die Landesregierung braucht mehr Zeit, um die Maßnahmen im Sondervermögen umzusetzen. Um dies zu tun, sollen wir ein weiteres Notlagenjahr ausrufen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie sich den Notlagen-Antrag anschauen, wird Ihnen auffallen, dass jede der noch bestehenden Maßnahmen beschrieben und die Notwendigkeit für deren Weiterfinanzierung begründet wird.

(Guido Kosmehl, FDP: Ja!)

Es handelt sich um 39 Maßnahmen, die im Jahr 2025 weitergeführt werden sollen. Zur Erinnerung: 60 Maßnahmen wurden im Jahr 2022 gestartet; in diesem Jahr laufen 21 davon aus, es bleiben also noch 39 übrig - darunter Investitionen in Krankenhäuser, Digitalisierung und Baumaßnahmen an Schulen, Ausstattung von Hochschulen, Neubau des Landesamtes für Verbraucherschutz und Luftfilteranlagen.

Das klingt alles erst einmal sinnvoll und nachvollziehbar. Wenn man aber einen Blick in den Wirtschaftsplan des Sondervermögens wirft, ergibt sich plötzlich ein ganz anderes Bild. Dort steht auf Seite 4 eine schicke Tabelle mit dem Titel „Aufstockung der Maßnahme lfd. Nr. 42 ‚Digitalisierung der Verwaltung‘“. Darunter steht: Die Maßnahme wird um 183 Millionen € aufgestockt.

In der Tabelle steht dann, welche Maßnahmen Geld abgeben sollen, um die Digitalisierung der Verwaltung zu finanzieren. Und ab da wird es richtig spannend. Von den 39 Maßnahmen im Notlagenantrag - den Maßnahmen, die ganz wichtig sind, die unbedingt weitergeführt werden müssen, wegen denen wir mit einer Notlüge dienen Notlage beschließen sollen -

(Guido Kosmehl, FDP: Oh! Das ist doch keine Notlüge!)

sollen 33 Geld abgeben, um die Digitalisierung der Verwaltung zu bezahlen. Und das nicht zu knapp: Die Krankenhäuser sollen 11 Millionen €, soziale Einrichtungen und Beratungsstellen 9,5 Millionen € und der gesamte Bildungsbereich soll fast 60 Millionen € abgeben.

(Guido Kosmehl, FDP: Das ist schwach!)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sind das nicht aber die Bereiche, die besonders von der Coronapandemie betroffen waren, die besonders viel Verschleiß hatten und die sich um die Menschen im Land gekümmert haben? Und da nehmen wir Geld raus, um - mit Verlaub - die Verwaltung zu digitalisieren?

In der berüchtigten Maßnahme 42 sind bisher 321 Millionen € veranschlagt. Die Maßnahme steht allen Ministerien zur Verfügung, d. h., jedes Haus hat dort seine Untermaßnahmen. Das Innenministerium hat die mobile IT der Polizei angemeldet, das Wirtschaftsministerium die Neubeschaffung von Notebooks und das Sozialministerium die Beschaffung von Videokonferenztechnik. Ob das wirklich mega-coronabedingte Investitionen sind, bezweifeln wir stark. Aber darum geht es jetzt nicht.

Von den 312 Millionen € sind mit Stand 30. November 2024 gerade einmal 129 Millionen € abgeflossen; das ist nicht einmal die Hälfte. Und jetzt sollen noch einmal 183 Millionen € obendrauf kommen? - Damit steckt in dieser einen Maßnahme fast eine halbe Milliarde €.

(Guido Kosmehl, FDP: Ja!)

Lassen Sie mich das einmal ins Verhältnis setzen. Erster Vergleich: Von den 60 Maßnahmen ist das mit Abstand die größte Maßnahme von allen - mit Abstand! - für die Verwaltung. 

(Guido Kosmehl, FDP: Ja!)

Zweiter Vergleich: Die Maßnahme 42 ist für die Digitalisierung vorgesehen. Das ist ein wichtiges Thema, daher wäre es richtig clever, wenn wir dafür sogar einen eigenen Einzelplan hätten - und wer hätte es gedacht: Wir haben sogar einen - den Einzelplan 19 für IT- und Kommunikationstechnologie.

Auch in diesem Einzelplan haben alle Ministerien ihre eigenen Kapitel. Wenn man sich dann einmal die Entwicklung des Einzelplans 19 anschaut, dann fällt auf: Der wird immer kleiner. Woran könnte das nur liegen, Frau Dr. Hüskens? In diesem Jahr stehen im Einzelplan 19 noch 232 Millionen €. 

Im nächsten Jahr sind es 212 Millionen € und im Jahr 2026 sind es nur noch 207 Millionen €.

(Eva von Angern, Die Linke: Macht ja Sinn!)

Die Digitalisierungsmaßnahme wird im Sondervermögen immer größer, sogar so groß, dass dort dann mehr als doppelt so viele Mittel drin sind wie in dem gesamten dafür zuständigen Einzelplan. Verrückt!

(Zuruf von Eva von Angern, Die Linke)

Man kann diese Verschiebung in das Sondervermögen sogar sehen. Das Konsensverfahren des MF fand sich vorher im Einzelplan 19. Das Bildungsmanagementsystem des MB fand sich vorher im Einzelplan 19. Die Mittel für die Weiterentwicklung von „kifoeg.web“ im Bereich des Sozialministeriums - na, wer ahnt es? - waren früher im Einzelplan 19 veranschlagt.

(Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)

Kurz gesagt: Die Regierung saniert ihren Kernhaushalt über das Corona-Sondervermögen.

(Zuruf von Eva von Angern, Die Linke)

Dass sie das zum Teil von Anfang an getan hat, ist uns allen hier klar. Aber dass sie es aber in diesem Maße und nachträglich, nach dem Beschluss über das Sondervermögen, tut, hat eine neue Qualität.

(Zuruf von Eva von Angern, Die Linke)

Zur Erinnerung: Als Sie hier das Sondervermögen im Jahr 2021 beschlossen haben, haben Sie das mit einem abschließenden Maßnahmenkatalog getan. 

(Guido Kosmehl, FDP: Ja!)

Sie haben nicht beschlossen, dass die Landesregierung zu den beschlossenen Maßnahmen im Nachhinein einfach Untermaßnahmen schafft, um den Kernhaushalt zu entlasten.

(Guido Kosmehl, FDP: Doch! Das steht im Gesetz! Das ist falsch! Das steht im Gesetz!)

Die Landesregierung weiß das natürlich.

(Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)

Darum macht sie es uns als Legislative ja auch ganz besonders schwer herauszufinden, was da gerade passiert. 

Die Erkenntnisse, die ich Ihnen in den letzten Minuten hier präsentiert habe, sind das Ergebnis von fünf Monaten Nachfragen, Nachhaken, Dranbleiben und Auswerten.

Man muss sechs verschiedene Dokumente nebeneinanderlegen, um zu verstehen, was hier gerade läuft. Ein Beispiel: Von den damals beschlossenen 1,9 Milliarden € sind bis Ende November dieses Jahres nur 743 Millionen € tatsächlich abgeflossen. Das sind gerade einmal 39 %.

(Eva von Angern, Die Linke: Das ist bitter! - Guido Kosmehl, FDP: Ja!)

Besonders geringe Mittelabflüsse haben wir leider im Bereich des Sozialministeriums und des Bildungsministeriums zu verzeichnen. Erst durch unsere Abfrage zu den Mittelbindungen konnten wir erkennen, dass es zumindest eine gute Tendenz gibt. Im Bereich der Pflege liegen die Bewilligungen bei über 98 %. Hier könnte sogar noch mehr abfließen, da diverse Anträge noch offen sind.

Bei den Krankenhausinvestitionen liegt die Mittelbindung bei 86 %. Auch in diesen Bereich gehören mehr Mittel, die bei anderen Maßnahmen liegen bleiben.

(Zuruf)

Die Baumaßnahmen an Schulen liefen bisher schlecht, was sicherlich auch an der sehr spät veröffentlichten Richtlinie lag. Aber jetzt ist sie da und bis Januar 2025 können Mittel beantragt werden. Hierbei geht es auch um kleinere, schnell umzusetzende Baumaßnahmen, wie den Einbau von Waschbecken, den Umbau von Toiletten oder schlichtweg das Einsetzen von Fenstern, die man nicht nur anklappen, sondern zum Stoßlüften komplett öffnen kann.

Hier nun Millionen Mittel zu entnehmen, um die Verwaltung zu unterstützen, ist einfach falsch.

(Beifall bei der Linken)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir schon mit einer Notlüge arbeiten, dann sollten wir das jetzt zur Verfügung stehende Geld dort einsetzen, wo es wirklich gebraucht und sinnvoll genutzt wird. Deshalb haben wir unseren Entschließungsantrag formuliert, in dem Sie genau diese Punkte wiederfinden können.

Mit der Änderung des Gesetzes über das Corona-Sondervermögen wollen wir für mehr Transparenz sorgen, damit wir im kommenden Jahr von der Landesregierung eine umfängliche Berichterstattung erhalten auch zu der Mittelbindung und Untermaßnahmen und nicht wieder alles einzeln erfahren müssen. 

Außerdem wollen wir eine derart große Umschichtung, wie sie bei der Maßnahme 42 geplant ist, zukünftig unterbinden und auf maximal 25 % der Gesamtsumme beschränken, und dann natürlich nur unter Einbeziehung des Landtages.

Wir bitten um Überweisung unserer beiden Beratungsgegenstände, um sie im Finanzausschuss zu beraten und dann gemeinsam mit dem Haushalt zu beschließen. - Vielen Dank.