Tagesordnungspunkt 10

Aussprache zur Großen Anfrage

Bürokratische Belastung von Unternehmen durch Berichtspflichten

Große Anfrage Fraktion SPD - Drs. 8/4487

Antwort der Landesregierung - Drs. 8/4801

Unterrichtung Landtag - Drs. 8/4843

Wir haben eine 45-Minuten-Debatte und starten mit Herrn Hövelmann für die Fraktion der SPD.  -Bitte, Herr Hövelmann, Sie haben sofort das Wort.


Holger Hövelmann (SPD): 

Vielen Dank, Herr Präsident. - Vom Karst zur Bürokratie.

(Lachen bei der SPD)

Ich versuche es mit einem Zitat.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Beides kann ziemlich hart sein!)

- Beides kann ziemlich hart sein, ja. Das war nicht mein Zitat.

Der Beamte, der sich am roten Band der Bürokratie erfreut, um daraus möglichst ordentliche Pakete zu machen, sie zu etikettieren und sorgfältig auf einem der obersten Regale außerhalb der Reichweite von Menschen zu verstauen, dieser Funktionär ist der besondere Fluch und die bezeichnende Plage Englands. - So schrieb es 1851 der berühmte Schriftsteller Charles Dickens.

Seine Einschätzung, meine sehr verehrten Damen und Herren, mag auch 170 Jahre später jedenfalls punktuell immer noch zutreffend sein. Jeder Bürger, jede Bürgerin, jeder Unternehmer, jede Unternehmerin, die wir auf dieses Thema ansprechen, könnte sicher spontan ein Erlebnis mit dem wiehernden Amtsschimmel benennen. Die Klagen über übermäßige Anforderungen vonseiten der Behörden füllen regelmäßig die Zeitungsseiten.

Der Internationale Währungsfonds identifizierte Anfang des Jahres den Dschungel an Regulierungen als einen der größten wachstumshemmenden Faktoren für die deutsche Wirtschaft. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wird Sie daher vielleicht überraschen, dass ich erst einmal ein Lob auf die Bürokratie aussprechen möchte. Denn zunächst ist Bürokratie nichts anderes als das Handeln nach Gesetz und Vorschrift.

Der Mensch wird unabhängig von Stand und Vermögen betrachtet. Es gibt in den Verfahren keine Bevorzugung des Starken, und das schützt besonders den Schwachen. Denn wer es sich leisten kann, der lebt gut in einem Staat mit wenig Regeln, wer es sich nicht leisten kann, der bleibt im Konflikt mit seinen Mitmenschen auf der Strecke, selbst wenn er im Recht ist. Das sehen wir gerade dort, wo Entbürokratisierung als Abschaffung aller Institutionen, Regeln und Kontrollen verstanden wird.

In Argentinien ist die Zahl der Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, seit dem Amtsantritt von Präsident Milei auf 53 % gestiegen, trotz einer Verbesserung der Wirtschaftsdaten. In der Türkei starben bei dem großen Erdbeben im vergangenen Jahr 44 000 Menschen, weil reihenweise an den Bauvorschriften vorbei errichtete Gebäude einstürzten.

Auch in Deutschland   man soll nicht immer nur anderswo hinschauen   erleben wir, was zu wenig Bürokratie anrichten kann. So konnten erhebliche Hygienemängel bei einem hessischen Wursthersteller über Jahre bestehen und wurden erst nach mehreren Todesfällen durch belastete Produkte 2019 aufgedeckt. Der Grund dafür waren mangelhafte Kontrollen der zuständigen Lebensmittelbehörde.

Entbürokratisierung, meine sehr verehrten Damen und Herren, kann für uns als SPD daher nicht die Abschaffung von Regeln um jeden Preis sein.

(Beifall bei der SPD)

Aber wir wissen auch, nicht alles, was man aus guten Gründen vielleicht einmal an Regeln eingeführt hat, ist auch heute noch vernünftig und praktikabel.

Unsere Große Anfrage zielte auf ein Thema ab, das unsere Unternehmen besonders häufig mit übermäßiger Bürokratie verbinden: die Pflicht zur Erstellung und Übermittlung von Berichten an staatliche Institutionen. Das ist oftmals eine zeit- und personalaufwendige Arbeit, die für das jeweilige Unternehmen erst einmal wenig oder auch gar keinen Mehrwert hat.

Wir waren daher zunächst überrascht von der Antwort der Landesregierung auf die Frage, wie viele Berichte die Verwaltung in den letzten Jahren von Unternehmen entgegengenommen hat. Im Jahr 2023 sollen es zusammengerechnet für die verschiedenen angefragten Bereiche rund 4 000 gewesen sein. Demgegenüber stehen, wenn man die Zahlen des Statistischen Landesamtes zugrunde legt, 69 000 gemeldete Unternehmen in unserem Land.

Nach diesen Zahlen mussten gerade einmal 6 % aller sachsen-anhaltischen Unternehmen überhaupt einen Bericht abgeben. Das rechnet Berichtspflichten in mehreren Bereichen noch nicht mit ein. Man kann natürlich hinterfragen, ob dieses Verhältnis so stimmt.

Nun kann man sich zurücklehnen und sagen: Wunderbar, das Problem ist doch gar nicht so groß, wie wir immer dachten. Das stimmt natürlich nicht und wird auch von jedem Unternehmer so bestätigt werden können; denn, wenn wir nach Berichtspflichten in anderen Bereichen oder durch Bundesgesetze oder europäische Vorgaben gefragt hätten, wären doch schnell viele Hundert Seiten an Antworten zusammengekommen. Auch das ist kein Grund zu sagen: Na ja, wenigstens bei den landesrechtlichen Vorgaben sieht es ganz gut aus.

Schauen wir nur einmal auf die Berichtspflichten bei der Förderung von Unternehmensgründungen. In den Jahren 2022 und 2023 wurden zahlreiche Berichtspflichten nicht erfüllt. Sie können das in der Antwort auf die Große Anfrage nachlesen. Ich glaube nicht, dass das immer nur an den Unternehmen lag. Gerade bei der Existenzgründung muss man auch von der Unerfahrenheit der Verpflichteten ausgehen. Wer weiß am Anfang der Selbstständigkeit schon, welches Formular wann wo sein muss?

Oder nehmen Sie die Pflicht von Landwirten zur Führung von Weidetagebüchern. Es ist zwar die Umsetzung von EU-Recht, aber dennoch darf die Frage erlaubt sein: Was bringt es uns tatsächlich, wenn wir wissen, wie viele Kühe in welchem Zeitraum auf dieser oder jener Parzelle standen?

(Beifall bei der SPD)

Irgendjemand muss das, theoretisch jedenfalls, auch lesen, auswerten und darauf basierend Entscheidungen treffen. Das gilt übrigens auch für die Vielzahl an Formularen, die im Rahmen der statistischen Berichtspflichten eingereicht werden sollen.

Ich möchte nicht in Abrede stellen, dass hinter all diesen Berichten ein ernsthaftes Anliegen steht, nur zumindest auf den ersten Blick ist der Zweck nicht immer klar erkennbar. Das sorgt schnell für Frust; denn es scheint so, als wäre die Bürokratie manchmal nur für die Bürokratie selbst da.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte positiv hervorheben, dass die digitale Einreichung von Unterlagen in weiten Teilen für unsere Unternehmen möglich ist oder absehbar möglich sein wird. Dennoch könnte vieles auch in unserem Land schneller gehen.

Ich will ein Beispiel dafür nennen, dass das in unserem Lande auch gut funktioniert. Die Wirtschaftspolitiker dieser Koalition waren jüngst bei UPM in Leuna. Dort wird eine neue Bioraffinerie gebaut. Die Vertreter des Unternehmens waren uns gegenüber außerordentlich dankbar für die schnelle und zuverlässige Bearbeitung der erforderlichen Unterlagen durch das Land. Sie haben das auch durchaus in Konkurrenz zu anderen bundesdeutschen Standorten gestellt und uns erklärt, wie zufrieden sie mit der Arbeit der Behörden in Sachsen-Anhalt sind.

Nur: Das hören wir sehr oft von den Unternehmen, die große Investitionen tätigen, relativ selten von den kleinen. Sie erwarten aber auch, dass man ihnen so entgegentritt und ihnen bei ihren Anliegen unter die Arme greift.

(Beifall bei der SPD und bei der FDP)

Nun weiß ich, dass große Unternehmen eine deutlich größere Wirkung auf den regionalen Arbeitsmarkt und den Standort Sachsen-Anhalt haben, aber gleichwohl sollte es unser gemeinsames Anliegen sein, die vermeintlich Kleinen nicht aus den Augen zu verlieren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bürokratische Belastungen zu schaffen, ist leicht, sie wieder abzuschaffen eher nicht. Das will ich Ihnen aus fast 20-jähriger persönlicher Erfahrung mit Debatten zum Bürokratieabbau bestätigen. Indem wir Verfahren vereinfachen, die digitale Einreichung ermöglichen oder dafür sorgen, dass die Belastungen für unsere Bürgerinnen und Bürger und für unsere Unternehmen von Anfang an möglichst klein bleiben, können wir gegensteuern.

Ich bin daher sehr dankbar, dass wir gestern mit der Einreichung des Gesetzentwurfs zum Normenkontrollrat eine solche bürokratievermeidende Instanz auf den Weg gebracht haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Geiste wollen und können wir dafür sorgen, dass das Wort „Bürokratie“ im eigentlichen  Klammer auf   positiven   Klammer zu   Sinne erhalten bleibt als das Handeln nach klaren und fairen Regeln für alle, das die Schwachen genauso schützt und stärkt wie die Starken, das dafür sorgt, dass jeder die gleichen Chancen hat und nicht nur der einen wirtschaftlichen Erfolg hat, der gute Anwälte bezahlen kann.

(Beifall bei der SPD)

In diesem Geiste, meine sehr verehren Damen und Herren, wollen wir als SPD zukünftig handeln und regieren. - Herzlichen Dank.