Guido Kosmehl (FDP):
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte macht wieder deutlich, auf welche Art und Weise die AfD-Landtagsfraktion und insbesondere Herr Siegmund versuchen, Stimmung zu machen. Es hätte sich natürlich angeboten, eine Debatte über das Ende des al-Assad-Regimes zu führen. So wollten Sie das aber gar nicht anlegen, weil Sie in Ihrer eigenen Fraktion den größten Fan von Baschar al-Assad haben.
Es schadet auch nicht, einmal zu schauen, wie Sie sich insgesamt in den letzten Jahren zu dieser Frage verhalten haben. Sie gerade Sie als Sozialpolitiker, Herr Siegmund kennen alle rechtlichen Grundlagen und können das genau einordnen. Diese fachliche Tiefe spreche ich Ihnen zu. Sie machen das aber in Ihren Reden nicht, weil Sie sonst z. B. sagen müssten, dass das Bürgergeld diesen Begriff versuchen Sie immer herabzuwürdigen dem vor einigen Jahren noch bestehenden Sozialhilfeanspruch entspricht.
Das ist das, was wir in unserem Land den Menschen, die sich hier aufhalten, als Grundsicherung geben. Das hat nichts mit Ihrer rassistischen Einstellung zu tun, dass Sie das jetzt nur mit den Migranten machen. Das ist ein Anspruch, der sich entwickelt hat. Der hieß einmal Sozialhilfe, dann ALG II, also Hartz IV, und ist dann in „Bürgergeld“ umbenannt worden.
(Zuruf von Oliver Kirchner, AfD)
Der Anspruch ist, den Menschen, die in Deutschland sind, eine Grundsicherung zu geben, meine sehr geehrten Damen und Herren.
(Zustimmung von Andreas Silbersack, FDP, und von Dr. Katja Pähle, SPD - Zuruf von Oliver Kirchner, AfD)
- Herr Kirchner, da Sie doch angeblich immer auf dem Boden der Verfassung stehen, müssten Sie doch auch die Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Kenntnis nehmen,
(Zustimmung von Konstantin Pott, FDP)
die besagen, dass dieser Anspruch besteht, auch für Kinder. Deshalb ist der Anspruch da. Wer versucht, das immer nur mit den Ausländern zu begründen, der versucht eben, Angst zu säen und Hetze zu verbreiten.
Wenn Sie sich einmal näher mit den Punkten Rückführung und Abschiebung beschäftigen würden, dann wüssten Sie z. B., dass es gar nicht möglich ist, Menschen in einen Flieger zu setzen und in ein Land zu schicken, so wie Sie das hier wieder verkündet haben. Man braucht eine Landegenehmigung. Für die Landegenehmigung sind Passagierdaten notwendig. Die bekommt man doch gar nicht. Das heißt, das Flugzeug darf vielleicht in unserem Luftraum abheben, aber es kann gar nicht landen.
Was erwarten Sie denn eigentlich? Das können Sie nicht so einfach lösen. Ich denke, man kann von einer AfD, die seit 2016 hier im Landtag vertreten ist, erwarten, dass sie sich diese Kenntnisse mittlerweile angeeignet hat, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Bevor ich noch etwas zur Situation in Syrien sage, will ich eine Bemerkung voranstellen. Ein Thema hat Herr Tillschneider ganz zum Ende und nicht als sein Hauptthema angesprochen, aber er hat es angesprochen, nämlich die Frage nach der Implementierung einer westlichen Demokratie. Dazu sage ich persönlich an dieser Stelle: Ja, wir müssen sehr genau darauf achten, dass wir den Menschen und den Ländern, die sich auf den Weg machen, Demokratie zu finden und internationale Menschenrechtskonventionen zu achten, die wir unterstützen wollen, nicht per se ein System überstülpen, von dem sie keine Kenntnis haben. Das hat weder in Afghanistan, noch beim arabischen Frühling funktioniert. Vielmehr müssen wir die Menschen mitnehmen, um einen Weg, ein Regierungssystem zu finden.
(Zustimmung von Andreas Silbersack, FDP, und von Dr. Katja Pähle, SPD)
Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, dieses Regierungssystem muss doch auf den international gültigen Menschenrechten basieren. In den Menschenrechten ist die Freiheit, die individuelle Freiheit verankert. Deshalb müssen wir die Länder auch unterstützen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zur Lage in Syrien. Niemand kann derzeit eine verlässliche Lageeinschätzung zu Syrien geben. Deshalb ist es auch richtig, sehr genau zu schauen. Das hat das BAMF mit seiner Entscheidung gemacht, die Verfahren zunächst einmal auszusetzen, weil sie in der individuellen Prüfung den Verfolgungsgrund gar nicht feststellen können und weil derzeit die Informationen sehr schwierig zu bekommen sind.
Selbst ein Vizepräsident eines Landtages, der geschätzte Kollege Gallert, argumentiert hier mit Fake News zum Thema Richterbesetzung in Syrien. Das waren Fake News. Das hat die Korrespondentin der ARD auch relativ schnell selbst korrigiert und sie hat gesagt: Oh, ich habe da etwas missverstanden. Die Aussage, dass alle weiblichen Richterinnen ihre Fälle abgeben sollen und es zukünftig nur noch Männer machen sollen, ist nicht richtig. Eine solche Entscheidung von der derzeitigen Regierung gibt es nicht. Das heißt nicht, dass es ausgeschlossen ist. Wir müssen aufpassen, welche Informationen wir verbreiten.
(Zustimmung bei der FDP, bei der SPD und bei den GRÜNEN)
Herr Gallert, wenn das so gewesen wäre oder wenn das so kommen würde, dann wäre das für die FDP natürlich ein Schutzgrund, wenn eine Richterin aus Syrien flieht.
(Zustimmung bei der FDP, bei der SPD und bei den GRÜNEN)
Das ist doch ganz klar. Deshalb müssen wir zusehen, dass wir die Fakten sauber sammeln. Das können wir nicht als Landtag von Sachsen-Anhalt machen. Deshalb ist meine Bitte in Richtung des grün-geführten Außenministeriums auf der Bundesebene: Wir müssen jetzt sehr detailliert und sehr genau monitoren, wie die Lage und die Einschätzung sind. Wir brauchen, gerade aus dem Auswärtigen Amt, immer auch die Lage- und Sicherheitseinschätzung,
(Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE)
die wir zur Grundlage machen. Es hat, sehr geehrter Herr Kollege Striegel, bei manchen Ländern sehr lange gedauert, z. B. beim Irak, bevor wir wieder dorthin abschieben konnten, weil die Bewertung dort nicht kam. Ich bitte herzlich darum, dass das jetzt zügiger geschieht. Denn wir müssen letztlich auch Entscheidungen treffen.
Denn, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Aussetzung der Bearbeitung der Asylverfahren beim BAMF heißt nicht, dass die Personen nicht hierbleiben dürfen, sondern die bekommen zunächst eine Duldung, weil es ein laufendes Verfahren ist. Das heißt, wir müssen eigentlich ein Interesse daran haben, dass diese Verfahren entschieden werden, gerade mit Blick auf die Anerkennungsquote, bundesweit und auch in Sachsen-Anhalt, und auf den Asylgrund nach für Artikel 16a des Grundgesetzes könnten diese Verfahren auch zügig bearbeitet werden.
Ich wiederhole es noch einmal: Es ist richtig, zunächst abzuwarten, wie die Lage ist, und zu prüfen, ob man das, was vorgetragen wird, auch tatsächlich machen kann.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Sigmund sieht sich hier immer wieder gern als Opfer bezüglich seiner Teilnahme an einem Treffen in Potsdam.
(Zurufe von der AfD)
Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass Sie Herrn Sellner gut zugehört haben. Denn bei dem, was Sie den Menschen draußen sagen, lassen Sie wesentliche Punkte einfach weg und Sie versuchen, sie nachträglich zu machen. Das betrifft z. B. die Fragen, wie viele Syrer tatsächlich hier integriert sind, und was es bedeuten würde, wenn die, die her integriert sind, das Land verlassen müssen.
(Dr. Katja Pähle, SPD: Ja!)
Sie sprechen in Ihrer Rede mehrfach von „die Syrer müssen verlassen“. Sie kommen dann irgendwann zu der Aussage: Na ja, gut integrierte aber nicht. Dann sprechen Sie aber davon, dass Personen, die 20 oder 30 Jahre hier sind, natürlich nicht gehen sollen. Von denjenigen Syrern, die ich kenne, sind auch ein paar nach 2015 gekommen und arbeiten hier z. B. als Ärzte. Die würden doch nicht darunterfallen. Das heißt, die wollen Sie wieder weghaben. Was für ein Irrsinn! Die sind doch integriert und die zahlen doch in unser Sozialsystem ein, meine sehr geehrten Damen und Herren.
(Zustimmung bei der SPD)
Die brauchen keine Hilfe. Das wären doch die idealen Migranten, die Sie unterstützen müssten. Das passt aber nicht in Ihr Bild.
Genauso, Herr Siegmund, verweisen Sie eigentlich in jeder Debatte zur Migration auf Dänemark.
(Ulrich Siegmund, AfD: Habe ich heute gar nicht gemacht!)
Sie haben es heute nicht gemacht und ich sage Ihnen auch warum. Es gefällt Ihnen natürlich nicht, was die Dänen gerade machen. Wenn wir den dänischen Vorschlag umsetzen würden, einem Rückkehrer 27 000 € in die Hand zu drücken, dann wären Sie doch die Ersten, die sagen würden: Es kann doch nicht sein, dass wir denen auch noch Geld für die Rückfahrt geben. Deshalb haben Sie den Hinweis heute nicht gegeben, weil Ihnen das nicht gefällt.
Man kann darüber reden, wie wir weiter vorgehen wollen. Wir brauchen eine europäische Initiative, die den Wiederaufbau mit forciert. Das ist keine Aufgabe für Deutschland allein, das ist eine europäische Aufgabe. Und ja, wir müssen auch überlegen, ob wir das, was wir bisher in Sachsen-Anhalt für die freiwillige Rückkehr gemacht haben, ggf. mit unseren Partnern gemeinsam noch anders gestalten können. Es ist fraglich, Frau Ministerin, ob die 1 000 € ausreichend sind, ob das Angebot für eine freiwillige Rückkehr ist richtig. Aber das dänische Modell ist für mich aber too much, zu hoch.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir brauchen vor allen Dingen eines:
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Überlegen Sie bitte, wie Sie zum Ende kommen.
Guido Kosmehl (FDP):
Herr Präsident, das ist jetzt mein letzter Satz. - Wir brauchen vor allem für diejenigen, die sich hier integriert haben und jetzt noch die verschiedenen Schutzstatus genießen, eine Möglichkeit, dass sie über den Spurwechsel tatsächlich als Zuwanderer legal in Deutschland bleiben können oder kommen können, damit wir hier auch auf diese Menschen bauen können. - Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Herr Kosmehl, einen Augenblick, bitte. Herr Sigmund wollte noch eine Intervention tätigen.
Ulrich Siegmund (AfD):
Vielen Dank, Herr Präsident und Herr Kosmehl. - Auf die meisten Punkte gehe ich nachher ein, aber eine Sache möchte ich jetzt klarstellen. Dazu habe ich mich gleich am Anfang gemeldet. Ich muss etwas zurechtrücken, was Sie am Anfang zum Thema Bürgergeld gesagt haben. Ich habe wirklich gestaunt, dass das aus Ihrem Mund kam. Sie sind meiner Kenntnis nach in der FDP. Das hätte ich von den Linken erwartet. Dass Sie überhaupt nicht mehr hinsichtlich des Leistungsgedankens unterscheiden, unterscheidet uns nämlich.
(Zurufe von der SPD: Oh!)
Wenn ich die Faktenlage habe, Herr Kosmehl, wenn mir jeder Unternehmer sagt, dass das Bürgergeld dazu verlockt, keinen Leistungsgedanken mehr zu haben, weil man nachher vielleicht 100 €, 200 €, 300 € netto mehr in der Tasche hat, obwohl man 40 Stunden lang arbeiten geht, dann verlockt das Bürgergeld dazu, nicht mehr arbeiten zu gehen. Das ist Faktenlage in diesem Land, Herr Kosmehl. Dann unterscheidet uns das beide voneinander.
Ich bin wirklich, wie gesagt, erstaunt darüber, dass Sie das sagen. Sie waren früher einmal, vor 20, 30 Jahren, Vertreter der fleißigen Leute in diesem Land. Das ist lange vorbei. Einen Leistungsgedanken gibt es nur mit der AfD.
Einen weiteren Fakt haben Sie auch völlig ausgeklammert. Ich habe gesagt, statistisch landet ein Syrer zehnmal häufiger im Bürgergeld als ein Deutscher. Selbst wenn ich die demografischen Aspekte, die Herr Gallert aufgeführt hat, einfließen lassen würde, wäre es immer noch sieben- bis achtmal häufiger als bei einem deutschen Staatsbürger. Das sind Unterschiede, die können Sie einfach nicht leugnen. Das ist die Faktenlage.
Jemand, der durch fünf, sechs, sieben sichere Länder in das Land geht, in dem es das meiste Geld gibt, den bezeichne ich einfach nicht mehr als Kriegsflüchtling, sondern als Wirtschaftsmigranten,
(Oliver Kirchner, AfD: So ist es!)
weil es offenbar nicht um die Sicherheit geht, sondern um das Geld. Diese Differenzierung möchte ich. Ich möchte eine soziale Grundsicherung für Menschen, die unverschuldet in Not gekommen sind durch Krankheit oder Unfall; das habe ich gesagt. Wer dem Staat aber ins Gesicht sagt, ich habe keine Lust, eine Arbeit anzunehmen, die mir angeboten wird, der hat in diesem Land kein Geld auf unsere Kosten zu bekommen. So einfach ist das. Das unterscheidet uns voneinander.
(Zustimmung bei der AfD)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Bitte.
Guido Kosmehl (FDP):
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Sigmund, Sie können das immer wieder versuchen, Sie werden mich dabei nicht locken.
(Ulrich Siegmund, AfD: Oh!)
Ja, ich bin Mitglied der Freien Demokraten, und, ja, die Beschlusslage der Freien Demokraten zum Thema Bürgergeld ist ganz klar. Wir haben Reformbedarf und haben auch in unserem Wahlprogramm verankert, dass wir noch stärkere Anreize dafür setzen wollen, aus dem Bezug des Bürgergeldes herauszukommen. Das Bürgergeld ist eine Grundsicherung. Das ist nur eine elementare Grundsicherung für Menschen. Ja, natürlich, diejenigen, die arbeiten könnten, müssen wir befähigen und sozusagen auch stärken.
(Nadine Koppehel, AfD: Ja!)
Für diejenigen, die nicht arbeiten wollen Frau Koppehel, Sie können vielleicht auch einmal zuhören , haben wir an der Stelle bereits bei der letzten Reform sozusagen stärkere Möglichkeiten gefunden, übrigens auch, weil der Ministerpräsident den Vermittlungsausschuss angerufen hat. In dem Vermittlungsausschussverfahren wurden zum Leidwesen, sage ich jetzt einmal, der beiden verbliebenen Ampelkoalitionäre noch einige Dinge Sie sagen „Verschärfung“, ich sage „Konkretisierung“ durchgesetzt, auf die sich die Ampel vorher nicht einigen konnte. Auf dem Tisch lagen diese Dinge ja immer wie die Frage, wen können wir fördern. Deshalb: Die FDP-Position ist völlig klar.
Herr Siegmund, eines lasse ich Ihnen aber nicht durchgehen. Sie behaupten immer, dass Sie Sozialpolitiker sind, und machen das auch schon viele Jahre lang. Sie kennen die Unterschiede und versuchen dennoch, diese elementare Grundsicherung, die ein Verfassungsauftrag ist, deren Berechnung und deren Höhe vom Bundesverfassungsgericht festgelegt sind, als eine milde Gabe an die Migranten und nur an die Migranten darzustellen. Damit entlarven Sie sich selbst, dass es Ihnen nicht um die Sache geht, sondern einfach nur um Hetze. - Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU, bei der Linken, bei der SPD und bei den GRÜNEN)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Danke, Herr Kosmehl.