Sebastian Striegel (GRÜNE):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Migrationswende jetzt. Kurz hatte ich den Eindruck, die AfD wolle endlich erkennen, dass ihre rassistische Migrationspolitik gescheitert ist, und befürworte eine 180-Grad-Wende hin zu gelingender Zuwanderung. - Weit gefehlt.
(Zuruf von der AfD)
Es bleibt bei ihrer alten braunen Leier. Das ist nicht verwunderlich. Der AfD geht es beim Thema Migration und auch ansonsten nie um Lösungen. Sie leben vom Aufhetzen, vom Suchen nach Schuldigen. Ihre ganze Kraft ist auf Angst gebaut.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Wir wollen gelingende Zuwanderung gestalten. Sie bauen Mauern und spannen Stacheldraht. Wir gestalten Zukunft für die Menschen in unserem Land.
(Lachen bei der AfD)
Sie setzen auf Menschenfeindlichkeit. Wir streben nach Humanität und Ordnung.
(Lothar Waehler, AfD: Dann wandere doch aus!)
Gerade haben sich die ostdeutschen Ministerpräsidenten parteiübergreifend zur Förderung der Fachkräfteeinwanderung bekannt. Die Ministerpräsidenten wollen gelingende Migration. Ich denke, das ist ein bemerkenswerter Paradigmenwechsel, hörte man doch auch aus den Reihen der Union über Jahrzehnte vor allem, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Wir sind ein solches und wir brauchen für diese Einsicht handhabbare Regeln.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Wir dürfen die Einwanderung nicht als Schreckensthema inszenieren, sondern Migration so weit als möglich steuerbar machen. Das kann gelingen, wenn wir uns ehrlich machen.
Das gesamte Asyl- und Migrationsrecht ist in Deutschland historisch quasi als Gefahrenabwehrrecht konzipiert worden. Dieses Abwehrrecht verhindert und erschwert den Zugang zu Perspektiven. Sich ein Leben aufzubauen, Arbeit zu finden, eine Familie zu gründen oder sie hierher nachzuholen, Gesundheitsleistungen wahrzunehmen - all das wurde von früheren Bundesregierungen für Migrant*innen extrem schwierig gemacht.
Die aktuelle Bundesregierung hat dies in Teilen geändert, z. B. mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht oder einem echten Einwanderungsgesetz. Die Bundesregierung hat - zumindest ist das noch gelungen, bevor sich die FDP aus der Verantwortung gestohlen hat - noch ein neues Staatsbürgerschaftsrecht geschaffen,
(Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)
das allen hier lebenden Ausländern, die sich erfolgreich in den Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft integriert haben, ein Angebot macht. Richtig so. Wir brauchen gelingende Zuwanderung. Am Ende dieser gelingenden Beheimatung kann und sollte auch die Einbürgerung stehen.
Die Bevölkerung in Deutschland - das ist in der heutigen Debatte schon klargeworden - ist stark überaltert. Das wissen wir alle hier schon lange. In Sachsen-Anhalt liegt das Durchschnittsalter inzwischen bei 48 Jahren und es steigt weiter. Das stellt uns vor riesige Herausforderungen. Die Überalterung unserer Gesellschaft wird die öffentlichen Haushalte enorm belasten. Wir brauchen, um dem entgegenzuwirken, gelingende Zuwanderung.
Nach Deutschland geflüchtete Menschen wurden bislang systematisch aus dem Arbeitsmarkt herausgehalten. Was für eine falsche Entscheidung, die auch zur Belastung der Sozialsysteme wurde. Doch nicht, weil diese Menschen faul sind, sondern weil es konservative Migrationspolitik genau so wollte.
Geflüchtete sollten ab dem ersten Tag, an dem sie hier sind, hier arbeiten dürfen, und zwar nicht in Ausbeutungsverhältnissen, wie es der AfD vorschwebt, sondern auf einem Arbeitsmarkt, der ihre Arbeitskraft dringend braucht.
(Zuruf von Lothar Waehler, AfD)
Wenn wir auf die Zahlen schauen, dann sehen wir: Trotz langwieriger Verfahren, trotz Arbeitsverboten, trotz Sprachbarrieren, trotz der Unsicherheit für viele Arbeitgeber, dass die Mitarbeiter oder Auszubildenden abgeschoben werden könnten, und trotz der erst jetzt Wirkung zeigenden Verbesserungen der Bundesregierung, haben geflüchtete Männer nach acht Jahren eine höhere Erwerbstätigenquote als die durchschnittliche männliche Bevölkerung in Deutschland. Ein Anteil von 86 % von ihnen geht arbeiten, darunter rund drei Viertel in Vollzeit.
Rund 60 % aller erwerbstätigen Geflüchteten arbeiten zudem als Fachkraft. Diese Menschen belasten also nicht unsere Sozialsysteme, sie zahlen in diese ein, ja, sie erhalten sie aufrecht.
Auch auf Sachsen-Anhalt bezogen sehen wir: Es gibt kein Zuwanderungsproblem per se, sondern zu lösende Schwierigkeiten ganz konkreter Art. Die Prognosen der Landesregierung halten sich hinsichtlich der Neuzugänge von Geflüchteten für das Jahr 2025 im Rahmen. Im Innenausschuss haben Sie, Frau Ministerin, von, glaube ich, 3 000 Menschen gesprochen, die Sie im nächsten Jahr erwarten. Ich glaube, das ist eine Größenordnung, mit der wir umgehen können. Wir können Lösungen finden und dafür sollte Sachsen-Anhalt bereit sein.
Wir sollten vor allem auf der Bundesebene weiter nach Lösungen suchen, wie wir Menschen, die hierhergekommen sind und die sich hier integrieren wollen, tatsächlich integrieren können und wie wir dafür sorgen, dass sie vom ersten Tag an auch im Arbeitsmarkt Fuß fassen können.
(Zustimmung von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)
Natürlich bedeutet das auch, die Kommunen an dieser Stelle zu unterstützen. Die Bundesregierung hat mit der Einführung der Pro-Kopf-Pauschale die Forderung der Kommunen nach einer Entlastung erfüllt. Ich empfehle, hier endlich einmal tief durchzuatmen.
Für uns GRÜNE bleibt klar: Hören wir der Wissenschaft zu, auch wenn es um Migration geht. Arbeiten wir an den Fluchtursachen. Diese liegen nicht in der Bequemlichkeit, sie liegen auch nicht irgendwie in der Idee, man könne sich hier in Deutschland ausruhen, könne Geld bekommen und könne auf der faulen Haut liegen, sondern die liegen in Konflikten, in politischer Verfolgung und in der galoppierenden Erderhitzung.
(Oliver Kirchner, AfD: 63,5 %, Herr Striegel!)
Halten wir uns bei Antworten an die europäische Ebene, Herr Kirchner. Denn nur im europäischen Verbund mit unseren Nachbarinnen und Nachbarn in Europa werden wir diese Themen bewältigen.
Stoßen wir doch bitte unseren Nachbarn nicht weiter mit Alleingängen vor den Kopf. Ich glaube, die Forderung nach Grenzkontrollen ist nichts, das uns auf Dauer weiterbringt. Das System, sozusagen einfach einen Zaun aufzustellen oder so zu tun, als ob man einen Zaun aufstellte, und dann zu sagen, wir schieben das immer eine Stufe weiter, das bringt nichts. Wir müssen europäische Regelungen finden. Diesbezüglich kann ich auch nur an die CDU appellieren: Arbeiten Sie mit uns, arbeiten Sie mit den anderen demokratischen Kräften daran, dass wir solche Regeln auch solidarischer Art finden.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Unternehmen wir noch mehr Anstrengungen, um die Menschen dazu zu bewegen, dauerhaft in Sachsen-Anhalt zu bleiben. Bauen wir die Integrations- und Sprachangebote aus, insbesondere auch mit Angeboten für Frauen. Machen wir uns nicht von der Bundesregierung abhängig, sondern gehen wir als Land voran; denn wir haben besondere Herausforderungen. - Vielen herzlichen Dank.