Franziska Weidinger (Ministerin für Justiz und Verbraucherschutz):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Verüben Kinder schwerste Straftaten, töten sie gar Gleichaltrige, dann löst dies in ganz besonderer Weise nicht nur Trauer um die Opfer, sondern auch beinahe reflexartig Forderungen nach strenger Bestrafung der Täterinnen und Täter und damit verbunden einer Herabsetzung der in § 19 StGB bei 14 Jahren gezogenen Altersgrenze für die Strafmündigkeit aus. 

Als Folge der im Strafrecht geltenden absoluten Altersgrenze kann in Deutschland eine Prüfung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit bei Kindern selbst dann nicht stattfinden, wenn ein Kind im konkreten Fall 

(Unruhe)

  das Thema scheint irgendwie nicht von Interesse zu sein; das ist interessant   möglicherweise die erforderliche Reife schon erreicht hat. Stattdessen dürfen Ermittlungsverfahren wegen dieses Verfahrenshindernisses gar nicht erst eingeleitet werden oder sind sofort nach Bekanntwerden des Alters einzustellen. 

Die Justiz kann bei der Suche nach der richtigen allgemeinen Festsetzung der Strafmündigkeit auch nicht auf eigene zielführende Statistiken im Kriminalitätsbereich zurückgreifen. Bei der Einstellungsentscheidung ist für die Strafverfolgungsbehörden bisher nämlich nur von Relevanz, ob das Kind bereits 14 Jahre alt ist oder nicht. Alle anderen Verfahren, gleich ob sie gegen acht oder 13 Jahre alte Täterinnen oder Täter eingeleitet wurden, richten sich gegen strafunmündige Kinder und dürfen mit dieser Begründung daher auch nicht weiter durch die Justiz geahndet werden, unabhängig von der Frage, ob sich strafrechtliche Verantwortung aus kriminalempirischen Erkenntnissen ableiten lassen könnte. 

In diesem Zusammenhang erscheint mir der Hinweis wichtig, dass die heute geltende Strafmündigkeitsgrenze nicht Ergebnis einer seinerzeit wissenschaftlich belegten Untersuchung gewesen ist. Vielmehr erfolgte eine rechtspolitische Festlegung und keine jugendpsychologische oder soziologische. 

Seit der Einführung des JGG im Jahre 1923 beginnt die Strafmündigkeit in Deutschland mit 14 Jahren. Zuvor lag die Grenze für Strafmündigkeit bei zwölf Jahren. Im Nationalsozialismus wurde die Strafmündigkeit zeitweise auf zwölf Jahre herabgesenkt. Wissenschaftliche Erkenntnisse lagen dem nicht zugrunde. 

Man höre und staune: In der Vergangenheit habe ich Bestrebungen unterstützt, die darauf abzielen, dass die Bundesregierung eine umfassende Studie zum aktuellen Stand der entwicklungspsychologischen und kriminologischen Forschung einschließlich eines Rechtsvergleichs in Auftrag gibt, um zukünftig strafrechtlich relevante Entscheidungen über Kinder auf einer aktuellen empirischen wissenschaftlichen Grundlage treffen und so die Festsetzung der Strafmündigkeit wissenschaftlich verifizieren zu können. Ein von Sachsen-Anhalt als mitantragstellendem Land eingebrachter Beschlussvorschlag fand allerdings zuletzt bei der Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und Justizminister der Länder nicht die erforderliche Mehrheit. 

Mein Vorgehen unterscheidet sich von dem hier zur Abstimmung stehenden Ansatz insbesondere dadurch, dass ich eine ergebnisoffene Prüfung für erforderlich halte. Die geistige Entwicklung junger Menschen ist unterschiedlich, individuell und komplex. Zudem darf nicht Folgendes verkannt werden: Auch heute ist eine Person mit Vollendung des 14. Lebensjahres nicht zwingend strafrechtlich verantwortlich, weil dies nach § 3 Abs. 1 des Jugendgerichtsgesetzes voraussetzt, dass sie zur Zeit der Tat nach ihrer sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Dies ist im Einzelfall konkret festzustellen und dabei bliebe es auch, wenn die Strafmündigkeitsgrenze von 14 Jahre auf zwölf Jahre abgesenkt würde. 

Im Kontext einer interdisziplinären Betrachtung könnten insbesondere auch bestimmte Kriminalitätsphänomene wie die Bandenkriminalität Berücksichtigung finden sowie der Umstand, dass sich das gesellschaftliche Umfeld für junge Menschen in den letzten Jahren doch sehr gewandelt hat. 

Deshalb halte ich eine Beschlussfassung des Landtags von Sachsen-Anhalt, die auf eine direkte altersbezogene Veränderung der Grenze, die auf Strafmündigkeit abzielt, zum gegenwärtigen Zeitpunkt für nicht zu Ende gedacht. Ich freue mich auf die Befassung im Rechtsausschuss. - Vielen Dank.