Tagesordnungspunkt 9
Erste Beratung
Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung der Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt
Gesetzentwurf Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/4776
Einbringen wird den Gesetzentwurf Abg. Frau Lüddemann. - Frau Lüddemann, bitte schön.
Cornelia Lüddemann (GRÜNE):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Was macht eigentlich ein Haus zu einem guten Haus? Was macht ein Bauwerk zu einem hochwertigen Bauwerk? - Wenn wir auf den klassischen gesetzlichen Rahmen schauen, dann erschöpft sich diese Frage einzig in den Fragen der Sicherheit.
Solange ein Haus stabil und tragfähig steht, die Baumaterialien verlässlich und geprüft sind; solange ein Brandgeschehen möglichst vermieden wird und solange Verfahren geregelt sind, Abstände eingehalten sowie Zuständigkeiten delegiert werden, scheint alles in Ordnung. Bauordnungen können aber mehr.
(Jörg Bernstein, FDP: So ist es! - Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Reicht!)
Zur Gefahrenabwehr wollen wir eine ökologische und gesunde, menschenfreundliche Zielrichtung des Bauens stellen.
(Zustimmung von Wolfgang Aldag, GRÜNE)
- Danke schön, Herr Abgeordneter.
(Lachen bei der Linken - Thomas Krüger, CDU, lacht)
Ein Haus bietet Obdach; soll es auch. Aber alles andere muss von außen zugeführt werden: Energie, Wärme, Wasser wird noch oft über weite Strecken zu den Gebäuden hin- und auch weggeleitet. Wir planen unser Lebensumfeld nicht ganzheitlich. Häuser und Gebäude sind immer noch ressourcenverbrauchende und meist auch CO2-emittierende Bauwerke. Vereinzelt, geplant und gebaut, ohne wirkliche Bezugnahme auf alles andere, was das Leben der Menschen bestimmt, etwa Mobilität oder gesellschaftliche und soziale Teilhabe. Auch die Flächen rund um die Gebäude werden meist unabhängig voneinander betrachtet. Wände hochziehen, Dach drauf, fertig; so könnte man meinen.
Wir können Häuser und Freiflächen aber auch ganz anders denken, dann planen und schlussendlich bauen. Wir können sie als in die Umgebung integrierte Bauwerke entwerfen; als Bauwerke, die ihre eigene Energie produzieren; als Bauwerke, die auch Lebensraum für Tiere und Pflanzen sind;
(Jörg Bernstein, FDP: Wer verbietet das?)
als Bauwerke mit aktivem Wassermanagement, als Teil regionaler Mobilitätsketten.
(Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE)
Sie sind nicht nur toter Beton, sondern lebendige Häuser organisch bezogen auf die Umweltbedingungen vor Ort, einbezogen in die klimatischen Bedingungen , möglichst unabhängig in Sachen Energiegewinnung und zukünftig auch in Sachen Energiespeicherung, CO2 bindend statt freisetzend.
Bezogen auf kommunale Mobilitätskonzepte mögen Häuser statisch sein, aber als Ausgangs- und Endpunkt von Mobilitätsketten ist deren Gestaltung absolut relevant für das Mobilitätsverhalten ihrer Bewohner. Das alles soll sich in der Bauordnung niederschlagen.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Um solche ganzheitlichen Häuser zu befördern, brauchen wir einen neuen gesetzlichen Rahmen, der nicht nur der Gefahrenabwehr dient, sondern ein zukunftsfähiges, ein nachhaltiges Bauen befördert.
(Jörg Bernstein, FDP: Zuerst braucht man Geld dafür!)
Wie wir heute bauen, prägt unsere Städte von morgen und übermorgen. Es prägt nicht nur unsere Umwelt, sondern auch die Art und Weise, wie wir als Menschen in den Häusern und darum herum leben.
Denn Bauen schafft Fakten, sehr langlebige Fakten. Gesellschaftliche Ziele und Herausforderungen sind daher im heutigen Bauen zu berücksichtigen: postfossile Energiegewinnung, Anpassung an Extremwetterereignisse; Schutz der Artenvielfalt, moderne Mobilität. Dies muss integraler Teil der Baupraxis für menschenfreundliches Leben werden.
Das Staatsziel Klimaschutz, prominent in unserer Landesverfassung verankert daran erinnere ich an dieser Stelle gern , gilt es anzuwenden und damit ernst zu nehmen, gerade mit Blick auf die Bauordnung. Die Bauwende ist eine der großen Stellschrauben für Klimaschutz als Menschenschutz.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Was heißt das konkret? - Das ist ziemlich einfach: Solargründächer, Zisternen, Nutzung von Grauwasser, garantierte Versickerungsmöglichkeiten, Recyclingbaustoffe, Holzbauten. All das sind Standards, die unsere Städte lebenswerter machen, die unsere Umwelt schonen, die unser Leben sicherer machen.
Es sind Standards, die sich für die Bewohner der Gebäude ökonomisch rechnen,
(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Eben nicht!)
weil sie etwa kostengünstigen Strom beziehen, Heiz- und Nebenkosten sparen, der nächste Starkregen eben nicht in den Keller läuft und diesen volllaufen lässt. Es sind Standards, die sich volkswirtschaftlich rechnen, weil wir Gewerke stärken und nachhaltige Arbeitsplätze fördern, weil wir Kosten für die Beseitigung von Katastrophenfolgen sparen.
Dafür reicht schon ein kurzer Blick in die Welt, zuletzt nach Spanien, um die gesamte Tragik der Folgen des aktuellen Lebensstils vor Augen geführt zu bekommen. Viele von uns erinnern sich sicherlich noch an das Winterhochwasser in Mansfeld-Südharz. Auch dort haben sich diese Fragen akut gestellt.
Werte Kolleginnen und Kollegen! Ob Sie es sehen wollen oder nicht, die Klimakrise ist da und wir müssen uns anpassen. Die gute Nachricht ist: Wir können das. Rücken wir die Freiflächen bei Bauvorhaben durch einen Freiflächengestaltungsplan in den Fokus, befördern wir nicht nur dessen ökologische Gestaltung, sondern befördern auch das Soziale.
Freiflächen sind viel stärker auch als Begegnungsraum zu planen. Nehmen wir ein klassisches Beispiel, nämlich den Spielplatz auf einem Gelände. Er ist eben nicht nur lästige Pflichtübungen mit einem kleinen Sandkasten, der dann, weil alles so unattraktiv ist, bald zuwächst, sondern ist eine wichtige Freifläche, um sich im besten Fall generationsübergreifend zu begegnen. Wohnen sollte immer ein Zusammenwohnen sein, auch in Mietshäusern. Wir wollen zudem Hitzeinseln vermeiden, damit sich Menschen im Sommer in begrünten und verschatteten Außenbereichen treffen und begegnen können, vielleicht sogar in Gemeinschaftsgärten.
Für Neubauten und grundhafte Dachsanierung wollen wir Fotovoltaik schrittweise bis zum Jahr 2028 verbindlich vorschreiben.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Für geeignete Dächer wollen wir zudem Begrünung auf dem Dach und an der Fassade. Zum Bereich Fotovoltaik kann ich noch berichten: Wir haben unsere Bauordnung in einem partizipativen Verfahren erarbeitet. Wir haben eine Anhörung durchgeführt und auch viel in Social Media verbreitet. Die allermeisten positiven Rückmeldungen kamen tatsächlich für den Vorschlag, jede größere Parkplatzfläche vor einem Supermarkt, vor einem Behördengebäude mit Fotovoltaik auszustatten. Das ist also ein Ziel, das sich die Menschen in diesem Land wünschen. Zudem wollen wir regelhaft Regenwasser nutzen und die Versickerung ermöglichen.
Selbstverständlich haben wir das brauche ich wahrscheinlich denjenigen, die mich kennen, nicht zu sagen auch eine soziale Komponente vorgesehen und wollen wirtschaftliche sowie soziale Härten vermeiden.
Also auf der einen Seite wollen wir Standards, die dem Schwammstadtprinzip folgen, auf der anderen Seite wollen wir die Schaffung von neuen Möglichkeiten in Bezug auf Holzbau und Mobilität. Es gilt, bestehende Einschränkungen des Holzbaus abzuschaffen; es gilt, Mobilitätsgerechtigkeit zu fördern.
Radle ich zum Bürgeramt und kann mein Rad dort nur notdürftig im Regen abschließen, dann benachteiligt dies einseitig bestimmte Verkehrsteilnehmer. Wenn eine Kommune samt Mobilitätskonzept und ÖPNV-Plan eine verkehrsberuhigte und damit menschengerechte Innenstadt plant, dann sollte sie Eingriffsrechte haben, wenn ein Bauträger in diesem Bereich einen allzu großen Parkplatz plant.
Hierzulande sind solche Regeln und Vorgaben für ein ganzheitliches Bauen derzeit noch Zukunftsmusik. Aber bundesweit kann man an vielen Stellen diese glückliche Realität bereits besichtigen.
(Jörg Bernstein, FDP: Glückliche Realität!)
Solargründächer werden in Hamburg ab dem Jahr 2027 verbindlich. Dabei muss man sich vor Augen führen, dass Hamburg zwar einen sehr urbanen Kern hat, aber auch einen sehr breiten kleinstädtischen Raum darum herum. Es funktioniert dort. Die dortige Verbraucherzentrale erarbeitet entsprechend Empfehlungen zur Umsetzung und Beratung.
Gesetzlich verbindliche Gründächer finden Sie in Berlin. Solardächer sind in der Mehrzahl der Bundesländer verbindlich vorgeschrieben bzw. sehen deren Bauordnungen absehbar eine solche Regelung vor. Wir können im Norden beginnen mit Hamburg, Bremen, Niedersachsen, über NRW, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz bis hin nach Bayern und Baden-Württemberg. Sie sehen also, da bleiben nicht mehr viele Länder übrig. Wir sind hinten dran und das wollen wir GRÜNE ändern.
Ein weiterer Punkt ist: In Hessen wird gegenwärtig an einer Muster-Zisternensatzung gearbeitet.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Einmal ins europäische Ausland geschaut, finden Sie in Paris Sie zunehmend Holzhochhäuser: den 15-stöckigen Wohnturm „Le Berlier“ mit einer Höhe von knapp 50 m oder den neu fertiggestellten „Woodscraper“. Das ist ein Holzhaus, Hut ab, mit 17 Stockwerken.
Das sind noch nicht einmal die höchsten Holzhochhäuser. Der Turm am Mjøsasee in Brumunddal, Norwegen, Fertigstellung bereits vor fünf Jahren, im März 2019, ist aktuell das höchste Holzgebäude mit 18 Stockwerken; einziges Baumaterial ist Holz. Auf Projektebene gibt es Entwürfe für Höhen von mehr als 100 m und 30 Stockwerken, etwa das Projekt „Baobab“ ebenfalls in Paris. Wir sind hier nicht in Paris, das ist klar; bei uns hat der Holzbau eine sehr niedrige Grenze. Aber wir wollen sie mit unserer Bauordnung ein kleines Stück anheben.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Mit Holz, Solar und Begrünung ist es aber nicht getan. Ein gutes Haus zeichnet sich durch weitere Qualitätsmerkmale aus. Insbesondere durch die Abschaffung von Angsträumen. Wir wollen Häuser für alle, in denen sich alle in allen Räumen wohl fühlen können.
Doch Räume, die nicht einsehbar sind, die nur über künstliche Belichtung verfügen, werden als bedrohlich empfunden; sie werden im Gegenteil oft gemieden. Das gilt es gerade auch bei den geforderten Abstellräumen für Fahrräder, Kinderwägen, Rollatoren zu vermeiden.
Diese Räume wollen wir in Zukunft garantiert barrierefrei und als lichtoffene Räume gestalten. Es darf nicht sein, dass Kinder vor der Fahrt zur Schule gerade wenn es morgens noch dunkel ist mit mulmigem Gefühl in den Fahrradkeller gehen müssen. Eine Einladung zur Radmobilität ist das dann nicht.
Ähnlich ist es natürlich, wenn Frauen oder eben auch Eltern den Kinderwagen aus der hintersten dunklen Ecke hervorziehen und über ein Treppenhaus nach oben bugsieren müssen. Mit der Bauordnung ist auch für die barrierefreie Mobilität zu sorgen, für einen guten Anschluss des Gebäudes an das Mobilitätsverhalten der Bewohnenden. Wettergeschützte und mit einem möglichen Diebstahlschutz ausgestattete Radabstellanlagen sind dafür ebenso zu garantieren.
Ein begrüntes Haus, in dem sich alle frei bewegen können, in dem eigene Energie produziert, mit dem Regenwasser gehaushaltet und Nahmobilität mitgedacht wird ich finde, das klingt toll und genau das will ich als Leitbild für die Menschen in diesem Land normieren.
Das ist aber nur die eine Hälfte unseres Anliegens. Denn nachhaltiges Bauen ist auch ein Bauen, das günstig, flexibel und ohne unnötige Bürokratie stattfindet. Auch dazu haben wir ein paar Vorschläge gemacht. Bauen im Bestand wollen wir erleichtern, indem wir etwa Dachausbauten vereinfachen. Geringfügige Änderungen im Bestand sollen sich nicht auf die Zuordnung zu einem Gebäudetyp auswirken. Eine solche höhere Einstufung des Gesamtgebäudes macht es nur kompliziert. Also weg damit, könnte man sagen. Wenn ich mich an die gestern geführte Diskussion beim VDI erinnere, scheint es für solche Regelungen auch Partner zu geben.
Gleichzeitig sollen Behörden Abweichungen von bestehenden Vorgaben zulassen, wenn diese zum einen natürlich nicht der Sicherheit abträglich sind und wenn sie zum anderen folgenden Zielen dienen: der Energiewende, dem Erhalt von Gebäuden und der Erprobung neuer Bauformen.
Das ist der Vorschlag zum sogenannten Gebäudetyp E; Sie kennen das, wir haben hier bereits ausführlich darüber gesprochen. Innovationen hemmen durch überbordende, kleinteilige Regelwerke - auch dazu sagen wir: Nein.
Dabei sind wir ganz beim verehrten Kollegen Grube, der sehr ausführlich für diesen Gebäudetyp E geworben hat. Das finden Sie auch hier in unserer Bauordnung wieder.
Zur Verfahrensklärung und um die bestehenden Genehmigungsfiktionen in ein sauberes Verfahren zu bringen, wollen wir den Beginn der Bearbeitungsfrist sauber definieren. Erst wenn der Bauaufsichtsbehörde alle nötigen Unterlagen vorliegen, soll die Dreimonatsfrist beginnen, aber dann soll sie auch wirklich „nur“ drei Monate dauern.
Für alle, die gestern dabei waren, noch einmal zur Erinnerung: Das ist für viele Behörden eine hohe Hürde. Wir haben gestern über den Fachkräftemangel in Ämtern besprochen. Aber das ist der Anspruch, den wir in diesem Land realisieren müssen.
Aktuell ist es so, dass mit Antragseingang noch längst nicht gesagt ist, dass die Behörde entscheidungsfähig ist. Daher werden jetzt oftmals Verzichtserklärungen zur Genehmigungsfiktion vollzogen, weil zwar der dreimonatige Bearbeitungszeitraum formal abgelaufen ist, aber eben noch nicht qualifiziert entschieden werden kann und daher oftmals die Empfehlung des Amtes ist, auf die Genehmigungsfiktion zu verzichten. Das halte ich nicht für sinnvoll, und das müssen wir deutlich anders machen. Wir brauchen eine echte dreimonatige Bearbeitungszeit.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Von der großen Fiktion und Vision für ein Bauen von morgen bis hin zu kleinen technischen Verfahrensfragen deckt unsere Bauordnung die gesamte Regelungsbreite ab. Die grüne Bauordnung entstand, wie ich eben schon erwähnte, in Rückkopplung mit der Fachwelt. Wir haben vor der Einbringung in den Landtag ein eigenes Anhörungsverfahren durchgeführt, zahllose Gespräche geführt, die wegweisenden Empfehlungen der Bundesarchitektenkammer, der Landschaftsarchitekten und -ingenieure einbezogen und uns gelungene Beispiele anderer Bauordnungen zu eigen gemacht.
Wenn wir als Land beispielgebend werden wollen, wenn wir hierzulande ein gutes Bauen für morgen ermöglichen wollen, dann brauchen wir eine grundsätzliche Novelle unserer Bauordnung.
Für die Menschen im Land hoffe ich auf eine ernsthafte Diskussion; denn sicher gibt es noch viele andere Vorschläge, die man aufnehmen kann. Ich würde mich tatsächlich freuen, wenn wir uns ernsthaft mit diesen Vorschlägen auseinandersetzten könnten. - Vielen Dank.