Hendrik Lange (Die Linke): 

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 9. Oktober 2019 ereignete sich in Halle und in Wiedersdorf ein brutaler Angriff, ein Akt rechten Terrors. Die Tat markiert eine Zäsur, die wir noch lange spüren werden; vor allem trifft dies für die Hinterbliebenen zu, für die Angehörigen und für die weiteren Betroffenen. 

Zwei Familien und Freundeskreise trauern um ihre Toten: um Jana und Kevin. Mindestens drei weitere Menschen in Halle und in Wiedersdorf wurden verletzt. Auch für die mehr als 50 Menschen in der Synagoge in Halle änderte der Anschlag alles. Die abstrakte Bedrohung des Antisemitismus wurde konkret und unabweislich, sie wurde persönlich. 

Wer den Hinterbliebenen zuhört, die Überlebenden trifft, dem zerreißt es das Herz. Terror ist ein öffentliches Bekenntnis, aber die unmittelbaren Folgen tragen die Opfer und die direkt Betroffenen. Aus dem Leben gerissen wurden am 9. Oktober zwei Menschen, herzensgut, verbunden mit ihren Familien und Freundeskreisen. Jana wird als Passantin auf dem Gehweg hinterrücks erschossen, direkt vor der Mauer der Synagoge, die der Täter nicht überwinden konnte. Sie verkennt die Gefahr, weil sie sie verkennen musste; denn Terror bricht in unseren Alltag ein, verstört, überrascht. Er zielt auf das zivile Leben. 

Kevin, erst kürzlich in einer Malerfirma angestellt, freut sich auf die Mittagspause mit einigen Kollegen. Er ruft vorher seinen Vater an und fragt, ob es okay sei, dass er zum Döner-Imbiss gehe; denn eigentlich war zum Thema Essen etwas anderes besprochen. Der Vater lenkt ein: selbstverständlich. Wenig später ist Kevin tot. Er wird im Imbiss erschossen. Nichts ist mehr selbstverständlich. Diese Erzählung des Vaters - wer sie hört, der ahnt den Abgrund, in den eine Familie stürzt. 

Wer im Prozess den Überlebenden zugehört hat, der hat etwas über viele Arten des Schmerzes erfahren, aber auch über die Entschlossenheit, über Trotz, über Solidarität, über Politik und über Ideologie. Man muss nicht nur die Tat überleben, man muss es auch schaffen, danach weiterzuleben. Wer im Prozess zugehört hat, der sieht auch das Versagen des Täters, ohne Mord und Hass in der Welt klarzukommen, er sieht das Versagen eines Bezugssystems und das Fehlen eines Frühwarnsystems.

Meine Damen und Herren! Die Gefahr des Antisemitismus ist lange nicht gebannt. Seit dem 7. Oktober 2023 sehen sich Jüdinnen und Juden einer neuen Welle des Hasses ausgesetzt. Die Jüdische Gemeinde zu Halle, deren Mitglieder der Täter ermorden wollte, wird bis heute von Terror verherrlichenden Zuschriften überschwemmt. Zuvor gab es bereits antisemitische Schmähungen und Hetze gegen die Gemeinde, die einen Bezug zum Terror des 9. Oktober hatten. 

Erst in dieser Woche wurden in Halle Stolpersteine zerstört, die an die Opfer des Naziterrors erinnern. Vor wenigen Tagen geschah dies in Zeitz. Das betraf etwa den Stolperstein von Gustav Flörsheim. Der deutsch-jüdische Mediziner wurde von den deutschen Faschisten in Auschwitz ermordet und zuvor im Roten Ochsen in Halle gefoltert: als Widerstandskämpfer und als Jude. 

Antisemitismus äußert sich in vielen Verbrechen, in der Schändung von Mahnmalen für die Schoah, in Beleidigungen im Alltag, in brutalen Übergriffen auf jüdische Personen und in der Beschädigung von Synagogen. Zuletzt wurde bekannt, dass ein Anschlag auf die israelische Botschaft in Berlin geplant und zum Glück vereitelt wurde. Der Antisemitismus kann vielfältige Ziele haben und in verschiedenen Milieus und Strukturen auftreten. Beim Anschlag in Halle bediente sich der Täter der Verherrlichung des Nationalsozialismus und behauptete eine jüdische Weltverschwörung, die ihn zum Mord motivierte. 

Meine Damen und Herren! Alle Erscheinungsformen des Antisemitismus müssen nachhaltig bekämpft werden.

(Beifall bei der Linken, bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Unsere Solidarität gilt den jüdischen Gemeinden im Land, gilt bedrängten Nachbarn, Student*innen, Gastronomen und Künstlern. 

Zur Analyse der Tat von Halle gehört auch, dass es ein rassistischer Terroranschlag war. Das zeigt der Angriff auf den Kiez-Döner, und das zeigt auch der rassistisch motivierte Versuch, einen Passanten zu überfahren. 

(Beifall bei der Linken und bei der SPD - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Der damalige Kiez-Döner, der heute der Erinnerungsort TEKIEZ ist, wird bis heute immer wieder angegriffen. In der Nacht vor dem Gedenken zum 5. Jahrestag wurde der Ort mit Hakenkreuzen beschmiert. In Halle kommt es, wie auch an anderen Orten Sachsen-Anhalts, immer wieder zu rassistischen Übergriffen und brutalen Attacken. Menschen mit vermeintlicher und tatsächlicher Migrationsgeschichte werden zum Problem erklärt, werden verdrängt und im Alltag diskriminiert. 

Die Amadeu Antonio Stiftung hat diese rassistische Grundstimmung anhand der Vorfälle in einer Woche in Deutschland dokumentiert. In einer beispielhaft genannten Woche kam es jeden Tag zu mindestens einem rassistischen Vorfall. Das ging über rassistischen Parolen, über die Gründung einer rechtsextremen Bürgerwehr bis hin zum Anschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft. 

Der rassistische Täter von Halle konnte sich auf einen Rassismus beziehen, der gesellschaftlich verankert ist. Die Konsequenz daraus muss deshalb sein, jede Form von Rassismus zu bekämpfen. Wir müssen uns hinter alle Betroffenen rassistischer Hetze stellen. Rassismus darf im Land Sachsen-Anhalt und auch sonst nirgendwo Platz haben. Rassismus gehört geächtet und nicht verbreitet.

(Beifall bei der Linken, bei den GRÜNEN und bei der SPD - Zustimmung bei der CDU)

Dieses Land hat die Pflicht, sich gegen jede Form von Antisemitismus und Rassismus zu stellen. Dafür ist politisch noch viel zu tun. 

Derzeit geraten antirassistische und antifaschistische Projekte bundesweit unter Druck. Eine Welle des Antisemitismus erfasst etliche gesellschaftliche Bereiche. Die Verhöhnung der Opfer des Terrors vom 9. Oktober sowie die Verherrlichung der faschistischen deutschen Geschichte haben Konjunktur. Dagegen muss es heißen: Erinnern heißt Handeln! Wir müssen handeln, indem wir den Betroffenen und Überlebenden zuhören. Es kann und darf kein Gedenken ohne Betroffene geben. Diese müssen endlich vollumfänglich unterstützt werden. Ihr Leid muss offiziell gesehen werden, genau wie sie klar als Betroffene antisemitischen und rassistischen Terrors anerkannt werden müssen. Bürokratische Probleme und Abwehrhaltungen dürfen wir uns als Gesellschaft nicht erlauben. 

Meine Damen und Herren! Wir müssen handeln, indem wir uns solidarisieren und diejenigen unterstützen, die Rassismus und Antisemitismus entgegentreten und an die Gefahren des rechten Terrors erinnern. Gemeinsam können wir die geschändeten Stolpersteine ersetzen, uns rassistischer und antisemitischer Hetze entgegenstellen, ein würdiges Gedenken fördern und verhindern, dass die rassistische und antisemitische Propaganda verfängt. 

Dazu gehört auch, die Leistungsfähigkeit der Landeszentrale für politische Bildung nicht durch den Stopp der Besetzung frei werdender Stellen zu schmälern.

(Beifall bei der Linken)

In Halle erinnert auch das zivilgesellschaftliche Bündnis gegen Rechts an die Betroffenen des Anschlages von Halle und Wiedersdorf. Überall in der Stadt gibt es Gedenkbanner. Seit fünf Jahren unterstützen Aktivist*innen, Vereine und Parteien die Selbstorganisation der Betroffenen. Auch die HFC-Fans halten das Gedenken aufrecht. Diese Vielfalt, diese Klarheit, diese Solidarität in der Stadt ist ein Geschenk, für das wir dankbar sein müssen. 

Lassen Sie uns unter demokratischen Akteuren daran arbeiten, dass die Geschichte rechten Terrors nicht immer weitergeht. Rechten Terror gab es danach etwa in Hanau, wo ein Rassist im Februar 2020, also wenige Monate nach dem Terroranschlag in Halle, zehn Menschen ermordete.

Umso wichtiger ist es, ein klares Zeichen gegen den Terror zu setzen und diesem Zeichen Taten folgen zu lassen. Das erwarte ich von allen Demokratinnen und Demokraten im Land. Lassen Sie uns die offene Gesellschaft gegen Terror und Demagogie, gegen Hass und Hetze, gegen Unrecht, gegen Antisemitismus und gegen Rassismus verteidigen. Lassen Sie uns gedenken, erinnern und handeln. - Vielen Dank.