Andreas Silbersack (FDP):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin sehr dankbar dafür, dass die CDU-Fraktion um Guido Heuer diese Aktuelle Debatte 35 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs beantragt hat. Ich bin auch dankbar dafür, dass Johannes Beleites, der Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der SED-Diktatur in Sachsen-Anhalt, anwesend ist.
Es ist ein wichtiger Tag für uns. Es ist auch deshalb ein wichtiger Tag, weil wir ansonsten möglicherweise nicht so hier sitzen würden. Denn gerade die DDR war eben keine Demokratie, kein Freiheitsstaat.
Der Fall des Eisernen Vorhangs - es wurde schon mehrfach gesagt - hatte tatsächlich viele Aspekte. Es war Michail Gorbatschow, der in Russland eine neue Freiheit möglich machte oder zumindest das Denken dafür. Es waren aber auch Solidarność und die Ereignisse in Polen. Das erleben wir, wenn wir zu Conny Pieper nach Danzig fahren und das Solidarność-Zentrum sehen. All das dürfen wir nicht vergessen. All das waren Aspekte, die die Zeit nach 1945 prägten: das Eingesperrtsein, die Unfreiheit.
Das Wort „Freiheit“, das in der Vergangenheit schon viel besungen wurde, spielte gerade für uns DDR-Bürger damals eine wesentliche Rolle. Denn die Unfreiheit spürte man täglich. Man hatte natürlich die Möglichkeit zu leben, zu atmen, zu essen und auch eine Entwicklung zu nehmen.
All das fand aber im Korsett der Unfreiheit statt. Wer diese Unfreiheit einmal erlebt hat, der weiß die Freiheit zu schätzen und der weiß auch, wie wichtig es ist, dass diese Freiheit im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert ist. Das ist für uns wesentlich und heute wichtiger denn je, meine Damen und Herren.
Ich möchte an dieser Stelle auch daran erinnern, dass vor 1989 viele bei diesem Drang nach Freiheit im Gefängnis gelandet sind. Ich selbst habe auch an einem solchen Prozess teilgenommen, als ein Freund von mir verurteilt wurde und dann ein halbes Jahr lang, obwohl er das Abitur abgelegt hatte, in Unfreiheit saß.
Insofern möchte ich an dieser Stelle daran erinnern, dass wir auf das Thema der Opferentschädigung für diejenigen, die quasi die Vorreiter waren, tatsächlich immer das Auge werfen sollten, und die Entschädigung für diese Opfer der DDR-Diktatur immer wachhalten und tatsächlich verfolgen. Ich halte das für wesentlich.
(Zustimmung bei der FDP, bei der CDU und von Dr. Katja Pähle, SPD)
Ich möchte auch daran erinnern, dass es zu DDR-Zeiten, als möglicherweise in den Köpfen einiger zwei deutsche Staaten existierten, auch in der Bundesrepublik Deutschland viele sagten: Nun lasst uns doch das zementieren, was existent ist. Sie haben die DDR als eigenständigen Staat anerkannt.
Ich will das jetzt gar nicht personifizieren oder auf eine Partei schieben, aber es war kurz vor knapp. Es war kurz vor knapp, dass die DDR als eigenständiger Staat anerkannt worden wäre. Dann hätten wir eben keine Vereinigung gehabt in der Form, wie wir sie letztlich erlebt haben.
Dieses besondere Momentum im Jahr 1989 ist für uns tatsächlich ein Glück, das man gar nicht mit Worten beschreiben kann. Dieses Momentum hatte natürlich auch Vorläufer, z. B. die Öffnung der Grenze am 10. September durch Gyula Horn in Ungarn und natürlich die legendäre Rede von Hans-Dietrich Genscher - das wurde schon von Guido Heuer genannt - in der Prager Botschaft. All das waren eruptive Momente deutscher Geschichte, die es im 20. Jahrhundert selten gab. Es waren ganz seltene Momente, die Momente der Freiheit.
(Zustimmung von Guido Heuer, CDU)
Dieses Wort „Freiheit“ kann man gar nicht häufig genug nennen, weil Freiheit etwas ist, was es immer und immer wieder zu verteidigen gilt. Wenn wir heute darüber reden, was Freiheit bedeutet, und einen verklärten Blick auf die Freiheit haben, dann sollten wir immer daran denken, was wir in der DDR erlebt haben. Dort war es nicht möglich, dass man es mit Wahlen in die bestimmte eine oder andere Richtung schieben konnte, sondern es war vorgegeben; es war eine Diktatur.
Das Wesen der Demokratie besteht darin, dass man Wahlen gewinnen kann und seine Prozentzahlen verbessern kann. Insofern, Herr Kirchner, muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich finde es ausgesprochen schade, dass Sie im Grunde genommen auf der einen Seite sagen, dass Sie glauben, dass Sie in einer Diktatur landen, und dass Sie auf der anderen Seite selbst zum Besten geben, dass Sie bei den Wahlen immer besser werden.
(Oliver Kirchner, AfD: Weil die Leute es merken!)
Logisch wäre es dann, dass genau das nicht möglich ist. Das Wesen einer Diktatur würde darin bestehen, dass demokratische Wahlen ausgeschlossen wären.
(Oliver Kirchner, AfD: Von einer Diktatur habe ich nicht gesprochen! - Dr. Hans-Thomas Tillschneider, AfD: Ihr wollt ja verbieten! Na klar! Wenn die AfD verboten ist, dann ist es so weit! Dann habt ihr es erreicht!)
Das sind sie aber nicht. Dem Irrtum unterliegen Sie. Den Freiheitsbegriff zu missbrauchen, ist ein Wesen dieser Zeit. Deshalb kann ich nur all jene, die tatsächlich Unfreiheit erlebt haben und für die die Freiheit wesentlich ist, bitten, genau dafür zu kämpfen und dafür einzustehen, und zwar egal in welcher Form, ob in der Stadt, auf dem Land oder in der Familie. Wir müssen die Freiheit erhalten und wir müssen die Freiheit im Grundgesetz erhalten. Das ist unsere Verpflichtung.
Es waren sicherlich herausfordernde Zeiten für Ostdeutschland; es waren herausfordernde Zeiten nach 1989.
Ich bin aber davon überzeugt, dass die Freiheit Kräfte freisetzt, die die Diktatur nie freisetzen wird. - Vielen Dank, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP, bei der CDU und bei der SPD)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Herr Tillschneider, eine Intervention?
Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD):
Herr Silbersack, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es hier - anders als in der DDR - freie Wahlen - noch! - gibt und dass deshalb diese Vergleiche mitunter etwas polemisch oder überzogen sind. Nun wird aber bekanntlich allenthalben ein AfD-Verbot diskutiert. Käme es dazu, hätten wir keine freien Wahlen mehr.
(Stefan Gebhardt, Die Linke: Das entscheidet ein Gericht! - Eva von Angern, Die Linke: Das entscheidet ein Gericht und nicht Sie!)
Dann bestünde kein Unterschied mehr zur DDR. Dann könnten Sie nämlich Herrn Kirchner nicht erwidern: Oh, es gibt ja noch freie Wahlen.
Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Wie stehen Sie eigentlich angesichts dieser Debatte zu der Geschichte mit dem AfD-Verbot?
Andreas Silbersack (FDP):
Zu dem ersten Punkt muss ich sagen: Die AfD versucht ja immer, durch imaginäre Ängste, die sie schürt, irgendetwas herauszusaugen. Das ist ja ihr Wesen. Sie sagen n o c h freie Wahlen, d. h., es könnte auch anders sein. - Nein, wir haben freie Wahlen. Wir leben in einem freien Land mit einer Demokratie, mit einer Erfassung.
(Beifall bei der FDP, bei der CDU und bei der SPD)
Das heißt, Sie dürfen im Grunde nicht selektiv in eine Zukunft schauen, die imaginär ist und die es nicht geben wird, sondern Sie müssen sich mit der Realität auseinandersetzen.
(Zurufe von der AfD)
Ich sage Ihnen auf Ihre Frage hin: Ich möchte nach dem derzeitigen Stand der Dinge kein Verbotsverfahren.
(Beifall bei der FDP und bei der CDU)
Denn ich habe überhaupt keine Lust, Steigbügelhalter zu sein, damit Sie sich wieder als Opfer fühlen und sagen: Hu, hu, hu. - Nein, das will ich nicht.
(Zustimmung bei der FDP - Zurufe von der AfD)
Ich möchte, dass wir uns inhaltlich auseinandersetzen.
(Zuruf von der AfD)
- Nein, das ist vollkommen klar.
(Zuruf von der AfD)
Sie zelebrieren Ihre Opferrolle, schüren Ängste und saugen aus den wirklichen Problemen unserer Zeit Ihren Nektar. Aber das wird zeitlich begrenzt sein,
(Zurufe von der AfD)
weil die Menschen dies verstehen und die Politik natürlich auch handeln wird. Insofern kann ich Ihnen ganz klar sagen: Ich würde ein AfD-Verbotsverfahren derzeit nicht in die Wege leiten,
(Zuruf von Daniel Roi, AfD)
weil es, wie gesagt, einfach nur Ihrer Tirade in Bezug auf Opfer und Demütigung entspricht. - Vielen Dank, meine Damen und Herren.