Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE): 

Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Alles wie immer: Da kündigt die Aktuelle Debatte großspurig an, Ursachen beim Namen zu nennen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen - was wir als Land im Übrigen gar nicht können; aber das nur am Rande  , angereichert mit dem immer gleichen „wirklich wahr“ des Herrn Siegmund. Und dann bleibt die AfD eine sachlich-fundierte Ursachenforschung und einen Entwurf praktikabler Gegenmaßnahmen gänzlich schuldig.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Dazu habe ich jetzt von Ihnen weder Konstruktives noch Konkretes gelesen oder gehört. Es erschöpft sich alles wie erwartbar in Populismus und Parolen, 

(Lothar Waehler, AfD: Dann haben Sie nicht zugehört!)

in Bauchgefühl und Stammtischideen und selbstverständlich in dumpfer rassistischer Hetze in einem Atemzug mit Verachtung für Bürgergeldempfängerinnen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Fundierte Analyse, Sach- und Fachpolitik? - Fehlanzeige. Woher aber auch? Ganz ehrlich: In Ihrer Welt mit Ihrem Mindset möchte ich wirklich nicht leben. Immerzu agieren übel meinende sinistre politische Kräfte, 

(Zuruf von der AfD: Ach!)

die anscheinend den lieben langen Tag nichts anderes zu tun haben, als die arme Bevölkerung zu drangsalieren und ihr in die Tasche zu greifen, aus Bösartigkeit oder schlicht aus völliger Ahnungslosigkeit, um unser schönes Land an die Wand zu fahren.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Aus dieser trostlosen Perspektive ist dann z. B. das Rentenpaket II, wie Sie es in Ihrer Antragsbegründung benennen, einfach nur eine weitere Belastung für die Bürger. Derartige Verkürzungen tun schon weh.

Das Ziel des Rentenpaketes der Ampel-Regierung ist die Sicherung des Rentenniveaus. Das heißt, es gilt Millionen Rentnerinnen vor Altersarmut zu schützen und das Rentenniveau stabil zu halten, weil die gesetzliche Rente für viele im Alter die einzige Einkommensquelle ist. Gerade im Osten haben viele keine Mieteinnahmen, keine Dividendenausschüttungen und keine private Zusatzversicherung. Hier ist einzig die gesetzliche Rente verfügbar. Und deshalb muss die zentral gestützt werden. Darauf zielt das Rentenpaket ab.

Es gilt, das Versprechen des Sozialstaates und der Rentenversicherung zu halten, die tragende Säule der Alterssicherung zu sein.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ob man zur Finanzierung stärker und früher auf den Kapitalmarkt setzen sollte, wie es die FDP fordert, ist zu diskutieren. Auch über die Hinweise der Wirtschaft, die Beitragserhöhungen machten Arbeitsplätze in Deutschland teurer und würden daher ökonomische Schäden anrichten, kann und muss man diskutieren. Aber hören Sie doch auf mit Ihren Schauermärchen, die Regierung würde vorsätzlich den Bürgerinnen und unserer Gemeinschaft schaden. Bei Ihnen klingt das so, als seien Herr Heil und Herr Lauterbach Bösewichte wie Voldemort oder Sauron.

(Lothar Waehler, AfD: Das sind Sie auch!)

Bei allen politischen Differenzen glaube ich,

(Unruhe bei der AfD)

beide sind ehrbare Politiker mit klaren und redlichen Anliegen. Die gewählten Wege kann man gut oder schlecht finden. Aber diese Unterstellung, die Politik unterhöhle vorsätzlich unser Staatswesen und die Grundlagen unserer Gesellschaft, sind unlauter.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Wer bei anderen immer nur das Schlechteste annimmt, legt im Grunde nur Zeugnis über sich selbst ab. Aber ein Ausdeuten der verhärmten AfD-Seelen macht nur depressiv. Ihnen zuzuhören und sich ansatzweise in Ihre politische Sicht einzudenken ist wie durch Morast zu wandern.

Das belegt übrigens auch eine aktuelle Studie des Wissenschaftszentrums Berlin. Die kommt nämlich zu dem Schluss - vom Spiegel-Magazin wurde es dann schön auf den Punkt gebracht  , dass Menschen mit hohem wie mit niedrigem Einkommen gleichsam griesgrämig auf ihr Leben blicken, sobald sie sich in der AfD-Welt eingerichtet haben.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD - Ah! bei der AfD)

Für diese Studie hat das WZB insgesamt 5 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in vier Befragungswellen im Zeitraum zwischen 2019 und 2021 interviewt. Und das klingt ziemlich fundiert.

(Lothar Waehler, AfD: Gehen Sie mal eine Stunde arbeiten! - Weiterer Zuruf von Lothar Waehler, AfD)

Daher wenden wir lieber schnell den Blick in eine andere Richtung. Wie steht es denn um die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung?

(Zuruf von Lothar Waehler, AfD)

Die Entwicklung der Ausgabenseite der GKV ist bekannt und letztlich wenig überraschend. Die Kosten steigen. Das kann gar nicht anders sein, da immer mehr ältere Menschen in Deutschland leben. Diese demografische Entwicklung sorgt auch dafür, dass die Zahl der Sterbefälle bisher stetig steigt.

Wenn man jetzt weiß, dass etwa 70 bis 80 % der Gesundheitskosten eines Menschen im letzten Lebensjahr entstehen oder, wie es eine weitere Studie formuliert, dass im letzten Lebensjahr durchschnittlich mehr als zehnmal so hohe Ausgaben für die Gesundheit getätigt wie für andere Menschen in einem Jahr,

(Ulrich Siegmund, AfD: Alt!)

dann wird klar, dass die Kosten im Gesundheitssystem gerade gar nicht anders können als steigen.

Wenn man jetzt noch den medizinischen Fortschritt hinzurechnet, insbesondere die größer werdende Palette an Medikamenten, dann sorgen diese Verbesserungen bei der Versorgung eben auch für höhere Kosten. Denn der Fortschritt macht komplexere und oft teurere Behandlungsmethoden möglich.

Die Behandlung von Hochrisikogruppen verbessert sich aufgrund neuer und kostspieligerer Medikamente, z. B. in der Krebstherapie, wodurch wir auch eine Verlängerung der Lebenserwartung erzielen. Und dann kommen wir wieder an den Anfang meiner Argumentation. Die Menschen werden also älter und benötigen länger medizinische Versorgung. Grobe Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen 40 und 60 % der Ausgabensteigerungen auf diesen Fortschritt zurückgehen.

Natürlich tragen auch politische Entscheidungen zu Kostensteigerungen bei. Bei der Pflegeversicherung hat natürlich der neue eingeführte Pflegebedürftigkeitsbegriff ab dem Jahr 2017 zu höheren Kosten geführt. Das war allerdings auch bitter nötig, weil erst mit diesem Begriff Pflegebedarfe auch aufgrund von z. B. Demenz erfasst worden sind. Das war eine Wahnsinnsentlastung für Millionen von pflegenden Angehörigen in diesem Land.

Auch das Angehörigen-Entlastungsgesetz aus dem Jahr 2020 ging natürlich mit Kostensteigerungen einher. Das ist ganz einfach deshalb so, weil seitdem nur noch Kinder mit einem jährlichen Einkommen von mehr als 100 000 € die Heimkosten für ihre pflegebedürftigen Eltern tragen müssen. Wer Kostensteigerungen nur einseitig als negative Entwicklung begreift, lässt außer Acht, dass diese Gelder direkt Menschen zugutekommen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Durch bessere Versorgung, bedarfsgerechte Pflege und finanzielle Entlastung von Familien befördern diese Gelder letztlich ein längeres und gesünderes Leben. Was bitte kann man denn mit Geld sinnvolleres anstellen?

Lassen Sie uns also lieber über die Einnahmenseite der GKV reden. Hier gibt es viel eher Handlungsbedarf. Wahrscheinlich wissen so gut wie alle hier im Hohen Haus, was jetzt auch von grüner Seite kommt. Richtig: Die Bürgerversicherung. Denn es ist geradezu absurd,

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

die gut Verdienenden, die Selbstständigen und die Beamten aus dem Solidarverband der GKV herauszulassen. Ich behaupte mal, ohne FDP in der Bundesregierung wären wir da auch schon einen großen Schritt weitergekommen.

Zumindest bekennen sich die beiden anderen Ampel-Parteien klar zum Prinzip der Bürgerversicherung, also zum Abschaffen der Zweiklassenmedizin und zu einem echten, umfassend solidarischen Gesundheitssystem, das möglichst alle Menschen einbezieht und fordert und damit die Einnahmeseite klar stärkt. Klar stärkt es auch die Ausgabeseite. Aber das ist eingepreist, glauben Sie es mir.

Ein konkreter Hebel zur Verbesserung der Einnahmenseite wird aktuell bereits angesetzt. Das Stichwort lautet: Beitragsbemessungsgrenze.

(Ulrich Siegmund, AfD: Ach!)

Da bin ich mal ganz auf der Seite, und zwar lobend, des CDU-Gesundheitsministers in NRW Karl-Josef Laumann. Er wird von der Sendung „ZDFheute“ Mitte September wie folgt zitiert: Grundsätzlich müsse mehr Geld ins System über verschiedene Wege und das Anheben der Beitragsbemessungsgrenze sei dafür ein entscheidender Hebel.

Das kann ich voll und ganz unterschreiben. Gut verdienende Arbeitnehmer und auch diejenigen von uns, die freiwillig versichert in der gesetzlichen Krankenversicherung sind, zahlen wegen der Beitragsbemessungsgrenze nur auf einen Teil ihres Einkommens Beiträge für die Krankenkasse. Jemand mit einem kleinen Einkommen zahlt dagegen auf sein ganzes Einkommen Sozialbeiträge. Warum soll denn das gerecht sein?

Mir hat sich nie so wirklich erschlossen, warum ganz entgegen unserem progressiven Steuersystem sehr hohe Einkommen im Verhältnis sogar weniger Beiträge zahlen als die Mittelschicht und niedrigste Einkommen

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

den gleichen Beitragssatz wie höhere Einkommen zahlen.

(Zuruf von der CDU: Nein!)

Das läuft auch dem sozialstaatlichen Credo „starke Schultern tragen mehr“ entgegen. Daher ist auch eine grundsätzliche Debatte über die Beitragsbemessungsgrenze überfällig.

Zumindest sieht der aktuelle entsprechende Verordnungsentwurf des Bundesarbeitsministeriums deutliche Anpassungen an dieser Stelle vor. Für das Jahr 2025 ist eine Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze in der Kranken- und Pflegeversicherung von 62 100 € auf 66 150 € pro Jahr vorgesehen. Und in der Renten- und Arbeitslosenversicherung ist ein Anstieg in den alten Bundesländern von 90 600 € und in den neuen Bundesländern von 89 400 € auf dann bundesweit einheitlich - auch das ist relevant - 96 600 € pro Jahr vorgesehen.

Diese Erhöhung kommt allerdings weniger politisch-programmatisch zustande, sondern sie ergibt sich überwiegend aufgrund der Lohnentwicklung. Die Anpassung basiert auf der Lohnzuwachsrate des Jahres 2023. Das waren 6,4 %. - Genug Zahlen.

Auch wenn es also kleine Stellschrauben zur Verbesserung der Einnahmenseite gibt: Ohne den großen Wurf, ohne die Bürgerversicherung, wird das Herumdoktern an Symptomen bleiben. Die nächste Bundestagswahl wird also auch eine Abstimmung über ein Zukunftsprojekt für ein solidarisches und solides Gesundheitssystem oder eben die Verfestigung der Schieflage in einem reichenfreundlichen Zweiklassensystem ganz nach dem Geschmack eines Friedrich Merz und eines Christian Lindner.

Bis dahin können wir als Bundesland tatsächlich nicht viel mehr tun als abwarten; denn bei dem Thema Sozialversicherung stehen wir also - deswegen hat diese Debatte tatsächlich einen sehr populistischen Ansatz - einfach an der Seitenlinie. - Vielen Dank.