Olaf Meister (GRÜNE): 

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Entscheidung von Intel, die in Magdeburg geplante Großinvestition um zwei Jahre zu verschieben, war eine ausgesprochen unangenehme Nachricht. Das bringt jedoch ganz erhebliche Nachteile für den Wirtschaftsstandort Sachsen-Anhalt, letztlich auch für Deutschland und für Europa.

Das Problem wäre dabei weniger die Verschiebung an sich. Es wäre nicht das erste Großprojekt mit zeitlichen Verzögerungen; das kommt vor. Auch wenn man den enormen zeitlichen Druck bedenkt, der bisher von Investorenseite ausgeübt wurde, wäre die eine oder andere Entspannung im Planungsablauf durchaus zu begrüßen. Wichtige Fragen - ich erinnere an die Proteste zur Wassernutzung aus dem Bereich der Colbitz-Letzlinger Heide - sind noch offen und könnten mehr Zeit gut vertragen. Ähnliches würde auch für die Bereitstellung anderer Infrastruktur gelten.

Tatsächlich ist es aber schwieriger. Natürlich schwingt bei der Verschiebung des Baustarts aus Gründen der finanziellen Leistungsfähigkeit Intels ganz offenkundig die Frage mit, ob Intel denn in zwei Jahren in der Lage bzw. vor dem Hintergrund der sich dann ergebenden Marktsituation willens sein wird, dieses ambitionierte Projekt wirklich anzugehen. Dieser Zweifel stellt aber alle weiteren Anstrengungen infrage.

Wie soll man Infrastruktur planen oder gar bauen, wenn man nicht sicher weiß, ob sie in dieser konkreten Form gebraucht wird? Das trifft die öffentliche Infrastruktur genauso wie Private, seien es Zulieferer auf angrenzenden Flächen oder der Wohnungsbau. Für Magdeburg ergibt sich durch die Größe des infrage stehenden Investments die unangenehme Situation, dass die Gesamtentwicklung praktisch auf Eis liegt - ein schwerer Schlag, eine schwere Belastung.

Natürlich muss man über einen Plan B nachdenken und darüber, welche anderen Nutzungen unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Wirkungen in welcher Zeit entstehen könnten. Ich bin diesbezüglich grundsätzlich optimistisch. Wir müssen die Fläche in die angedachte Richtung, nämlich in Richtung eines Großinvestments im Hightech-Bereich, weiterentwickeln und der Versuchung widerstehen, dort jetzt kleinteilig - was weiß ich - eine Schnellimbisskette, ein Autohaus, einen Logistikbetrieb hinzustellen.

Herr Grube ist auf die Geschichte des Standorts eingegangen. Dass wir überhaupt in dieser Situation sind, über diese Frage reden zu können, lag an der Entscheidung der Stadt in den 2000er-Jahren, die Fläche nach dem Versuch der BMW-Ansiedlung, die nicht geklappt hat, genauso liegenzulassen, wie sie ist. Das war eine grundsätzliche Entscheidung, die wir damals getroffen haben, die richtig ist.

Das Aufschieben und die damit faktische Reservierung auf unbestimmte Zeit - die Hauptfläche auf dem Magdeburger Gebiet gehört Intel und steht für andere Dinge schlicht nicht zur Verfügung - führt aber dazu, dass das im Moment reine Planspiele sind. Die wichtigste Voraussetzung, Planungssicherheit, ist eben gerade nicht gegeben.

Wir stehen zu dem geplanten Investment, wir brauchen aber im Interesse unseres Landes Klarheit. Daher lautet die dringende Bitte an Intel, schnell für klare Verhältnisse zu sorgen - so oder so.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wenn der negative Fall - Intel sagt endgültig ab - eintreten würde, wäre dies eine schlechte Nachricht. Das Intel-Investment ist die Chance für Magdeburg und Sachsen-Anhalt, wirtschaftlich in einer anderen Liga zu spielen. Es ist die Möglichkeit, Wertschöpfung in einem Zukunftssegment ins Land zu holen, sich an die Spitze wirtschaftlicher Veränderungen zu setzen. Dies hätte Folgewirkungen auf andere Unternehmen, auf Wissenschaft und Forschung, auf Kultur, auf die Gesellschaft bis hin zu den Möglichkeiten im Städtebau.

Die Absage wäre aber nun auch keine verheerende Katastrophe. Wir sind nicht mehr in den 1990er-Jahren mit großer Massenarbeitslosigkeit. Der Standort Magdeburg ist dynamisch. Die Vorteile unserer Region, die Intel zu uns brachten, wirken weiter und sind auch für andere interessant. Unser bisheriges Ziel, kleinteiliges Wachsen aus eigener Stärke, ist weiterhin möglich, auch wenn es der längere und mühsamere Weg ist. Wir können das Land und die Stadt positiv entwickeln, wenn wir denn die nötige Sicherheit haben.

Im Umfeld der Entscheidung Intels gab es auch einige Absonderlichkeiten, die im Rahmen der Debatte Beachtung finden sollten. Da ist das schon angesprochene Verhalten des Bundesfinanzministers Lindner. 22.04 Uhr - Intel verkündet seine Entscheidung, 22.25 Uhr - der Finanzminister will das Geld zurück. Die Tagesschau hat das schon um 23.48 Uhr gemeldet. Also, als Follower von Herrn Lindner sah man erst einmal nur: Mein Gott, der will das Geld zurückhaben.

Ich habe als Finanzer volles Verständnis für die Nöte von Finanzpolitikern im Bund. Bei solch einer industriepolitisch wichtigen Entscheidung erwarte ich aber mehr Weitblick und Engagement.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Dann muss doch erst einmal die von mir gerade angesprochene Sicherheit klargestellt werden: Auch wenn es sich verzögert, der Bund steht zu seinen Zusagen. - Das wäre die Botschaft, die ich von einer Bundesregierung, egal welcher Couleur, erwarte.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Das ist auch die Forderung, die Sachsen-Anhalt klar an den Bund richten muss.

Es gab auch Versuche, die Problematik ganz billig und schnell für die eigene Agenda zu nutzen. Julia Klöckner, CDU, fiel mir dabei auf, die die Ursachen für die Probleme des US-Konzerns Intel inklusive der Verschiebung von Projekten in Polen und Malaysia und die weiteren Entlassungen klar bei der Ampel verortet. 

Ich habe nichts gegen zugespitzte Kritik, auch an der Ampel. Das ist ja auch die Aufgabe der Opposition. Aber einfach mal in Trump‘scher Manier offenkundig Unfug zu behaupten und zu sagen, die Ampel sei schuld an der Entwicklung in Polen, weil es gerade so schön ins Bild passt und Klicks bringt, hat nichts mit ernsthafter Wirtschaftspolitik zu tun.

So etwas ist Gift für unser Gemeinwesen. Dazu muss ich Frau Klöckner - es kann ja sein, dass die CDU wieder einmal in Regierungsverantwortung ist - auch fragen: Was heißt denn das? Was erwartet sie denn? Ist das der neue Standard? Dürfen die anderen das dann auch? Dürfen wir das dann immer so infrage stellen? 

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Wir wollen das gar nicht!)

Das ist doch wirklich nicht gut für das Gemeinwesen. Das ist nicht die Art und Weise, in der wir politisch miteinander diskutieren sollten. 

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ein erwartbarer Tiefpunkt ist die Positionierung der AfD-Fraktion in der Öffentlichkeit. Trotz der ernsten Lage, die ein verantwortungsbewusstes Handeln erfordert, kommt gleich wieder die Suche nach irgendetwas Verhetzbarem: Es muss ein Untersuchungsausschuss her. Hierzu wurde in den sozialen Medien von Verdächtigen geraunt. Ich habe heute darauf gewartet, dass Herr Rausch sagt, wer die Verdächtigten sind und was diese gemacht haben. Es kam nichts in dieser Richtung. Herr Siegmund sprach außerhalb des Plenums darüber: drei Millionen je Arbeitsplatz. Das ist natürlich erst einmal eine krasse Zahl, wenn man sie hört. Damit kann man gut Stimmung machen. 

Die aufgemachte Forderung, 10 Millionen € für den Mittelstand auszugeben, ist gut gebrüllt; aber Chips baut aufgrund des enormen Kapitalaufwandes kein Mittelständler. Diese Forderung, wenn man sie zu Ende denkt, heißt ganz klar: Nein zum Aufbau einer solchen Industrie in Deutschland. Ja zu einer dauerhaften Abhängigkeit von China und den USA. Das ist die Forderung. 

Sie müssen mir sagen, wo die germanische Chipschmiede steht und wer das sein soll, der uns das hier präsentiert, damit wir das aus eigener Kraft stemmen können. Das ist wirklich Unsinn und unverantwortlich. Sie stellen sich bewusst gegen die strategische Entscheidung, nur weil es populistisch gerade in den Kram passt. 

(Zustimmung bei den GRÜNEN) 

Auch Die Linke hat mich heute enttäuscht mit ihrem Wechsel ins „Wir haben es immer gewusst“-Lager und den Aussagen zum Pentagon, zu dem internationalen Finanzkapital und den wahnsinnigen Vorleistungen der Stadt Magdeburg. Ich weiß jetzt gar nicht, welche wahnsinnigen Vorleistungen das sind. Ich dachte, wir wären diesbezüglich weiter. 

Was war denn die Forderung an die Landesregierung, bevor Intel kommt? Wäre jetzt die Forderung tatsächlich: „Schickt die weg! Das ist ein Großkonzern. Der macht möglicherweise auch Dinge mit dem Pentagon. Das hat keinen Sinn, das wollen wir nicht.“ Das wäre ja die Konsequenz, wenn man das als Vorwurf aufmachen würde. Das sehe ich nicht, wurde damals auch nicht als Kritik geäußert; berechtigterweise meine ich. 

Mit Blick auf die jüngsten Wahlergebnisse im Osten stellt sich mir die bange Frage, ob sich bei uns im Osten das Fenster für solche von einer langfristigen Strategie getragenen und einen langen überparteilichen Konsens benötigenden industriepolitischen Entscheidungen schließt. Denn hier kommen politische Kräfte auf, 

(Zuruf von der AfD: Wie die GRÜNEN!)

die nur dem kurzfristigen populistischen Effekt folgen und weder willens noch in der Lage sind, zu langfristigen Entscheidungen im Landesinteresse zu stehen. Wir tragen diese Entscheidungen.

(Zuruf von der AfD)

- Hören Sie sich Ihren Debattenbeitrag, den Sie hier gebracht haben, noch einmal an. 

(Zuruf von der AfD)

Das entscheiden aber letztlich die Wählerinnen und Wähler. Unsere konkrete Aufgabe im Land Sachsen-Anhalt muss es sein, die Hängepartie - die es nun einmal ist - so kurz wie möglich zu halten, um wieder Planungssicherheit zu schaffen und Entwicklungen zu ermöglichen. - Danke. 

(Beifall bei den GRÜNEN)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Herr Meister, es gibt eine Nachfrage von Herrn Kosmehl. 


Guido Kosmehl (FDP):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Meister, ich möchte Sie als haushaltspolitischen Sprecher etwas fragen. Sie kennen wahrscheinlich die Aufstellung des Bundeshaushaltes für die Jahre 2024 und auch für 2025. Die Zusage der Bundesregierung über die Gesamtmittel in Höhe von 9,9 Milliarden € bezieht sich nicht auf den KTF in Gänze, sondern nur auf Teile des KTF. 

Würden Sie als finanzpolitischer Sprecher die Mittel, die im allgemeinen Bundeshaushalt zur Unterstützung der Investitionen veranschlagt sind und bei denen Sie davon ausgehen, dass sie jetzt, weil die Investitionen Intel um zwei Jahre verschoben wurde, nicht benötigt werden, im Haushaltsjahr 2025 umplanen, oder würden Sie sagen, dass diese Mittel zwar weiterhin im Haushalt stehen bleiben sollten - sie fließen aber nicht ab, weil es die Maßnahme ja nicht gibt  , man dann aber schaut, wie in den nächsten Jahren Barmittel neu generiert werden können?


Olaf Meister (GRÜNE):

Mittel, die nicht abfließen, machen finanzpolitisch ganz wenig Sinn. Die spannende Frage ist: Welches Signal gibt man nach außen? Dieser Tweet hatte - das ist Ihnen, glaube ich, klar - eine ganz krasse Wirkung, als nämlich vonseiten der Bundesregierung 21 Minuten, nachdem Intel eine Entscheidung getroffen hatte, deutlich gesagt wurde: „So, jetzt nicht mehr!“ Das ist die Wirkung, und das ist nicht okay. 

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich habe Verständnis dafür, dass man im Bundeshaushalt schauen muss. Es gibt pragmatische Entscheidungen, die man treffen muss. Aber die Botschaft müsste doch gesendet werden. Diese Botschaft hat Kollege Lindner aber nicht gesendet. Die anderen Mitglieder der Koalition im Bund haben diese Botschaft gesendet. Das ist vielleicht die Frage, die Sie intern mit ihm klären sollten. Sie sollten klären, wieso solche industriepolitisch wichtigen Dinge nicht auf der Tagesordnung stehen.