Marco Tullner (CDU):

Herr Präsident, ich habe gerade über den Ausdruck „lebenspraktisch“ nachgedacht, aber will mich jetzt auf das fokussieren, was ich vorhabe. 

Ich habe eine Frage an den Wissenschaftsminister, Prof. Willingmann. Das Stichwort heißt Lehrerbildung. Wir haben ja im Land - das kam vorhin bei der Intel-Debatte auch so ein bisschen wieder zum Vorschein - wie eigentlich alle anderen Länder in Deutschland auch das Problem, dass wir Mühe haben, genügend Fachkräfte im Schulbereich zu finden. Dabei ist in der Lehrerausbildung relativ viel passiert, was auch der Landtag beschlossen hat. Ressourcen wurden gebündelt und auch mehr zur Verfügung gestellt. Es wurde eine Extra-Zielvereinbarung für die Lehrerbildung geschaffen. Und auch mit den verschiedenen Modellen, an der Otto-von-Guericke-Universität etc., haben wir auch sehr viele innovative Wege beschritten. 

Am Ende besagt der Expertenbericht zum Lehrkräftebedarf als Zwischenfazit, dass wir - freundlich formuliert - bei den Ergebnissen noch Luft nach oben haben: Die Absolventenquote liegt bei 53 % und die fachliche Steuerung funktioniert nicht so richtig.

Vor dem Hintergrund, dass wir jetzt vor neuen Zielvereinbarungen und hoffentlich bald auch vor Ergebnissen der Zielvereinbarungsverhandlungen stehen, die wir uns im Landtag auch noch einmal zu Gemüte führen, wäre meine Frage an Sie: Welche Erkenntnisse haben Sie aus diesem - ich will nicht sagen ernüchternden, aber doch zu optimierenden - Bericht gewonnen und welche Folgerungen werden daraus für die kommenden Zielvereinbarungen geschlossen?

Ich will noch eine zweite Frage hinterherschieben, die vielleicht auf den ersten Blick ein bisschen komisch klingt. Wir haben ja - wenn wir einmal vorausschauen, dass wir heute über neue Studierende reden, die sich demnächst für den Lehramtsstudiengang entscheiden sollen - immer auch die Frage der Bedarfe. Wenn wir jetzt hören, dass die Kinderzahlen im Kita-Bereich offenbar zurückgehen mit allen Unschärfen, die das hat, dann müssten wir uns eigentlich rechtzeitig auf den nächsten Abschwung im Schweinezyklus, wenn man das so sagen darf, vorbereiten. Ich entschuldige mich für diesen Begriff, der eigentlich völlig despektierlich ist, aber er heißt nun einmal so. Sind das alles Dinge, die Sie in den neuen Zielvereinbarungen berücksichtigen und was können Sie uns dazu schon verraten? 


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Herr Minister, Sie haben das Wort.


Prof. Dr. Armin Willingmann (Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Abg. Tullner, ich will gern auf diese sehr umfängliche Frage antworten. Weil Sie so nett eingestiegen sind, über das Thema Lebensqualität zu philosophieren, hätte ich durchaus Interesse, auch hierzu Ihre Gedanken zu erfahren. Aber dazu können wir uns ja bei Gelegenheit austauschen. 

Lieber Herr Tullner, lassen Sie uns jetzt gar nicht in eine gewisse Rabulistik eintreten über die Frage, ob und wie man Quoten berechnet, was den Erfolg im Studium betrifft, sondern lassen Sie uns etwas sehr Nüchternes anschauen. Wir haben - das wissen Sie sehr gut; denn Sie waren ja viele Jahre Wissenschaftsstaatssekretär - in den letzten zehn Jahren die Anzahl der Studienplätze für das Lehramt verdreifacht gegenüber der Zeit, in der Sie Verantwortung getragen haben. Das heißt, wir sind von etwas um die 400 Studienplätze jetzt auf 1 200 gekommen. Und das ist ein nachholender Prozess; denn wir beide wissen - wir haben damals schon miteinander zu tun gehabt  , dass seinerzeit zu wenig ausgebildet wurde mit Blick auf die weitere Entwicklung. Was aber noch viel schlimmer war: Selbst die, die ausgebildet waren, wurden nicht eingestellt, jedenfalls nur in einem überschaubaren Rahmen. 

Dabei geht es gar nicht um die Frage, wer daran irgendwann Schuld trägt oder nicht. 

(Hendrik Lange, Die Linke:  Das war Bullerjahns Politik!)

Sondern die Entscheidung war seinerzeit abgrundtief falsch, einem Sparkurs den Vorrang zu geben und an dieser Stelle nicht einzustellen. Denn ein Teil des Problems, das wir heute haben, hätten wir nicht, wenn wir seinerzeit kontinuierlich die jungen Menschen, vor allen Dingen die jungen Frauen, die seinerzeit ausgebildet waren, auch eingestellt hätten. Sie arbeiten heute in Niedersachsen, in Hessen, in Nordrhein- Westfalen und in anderen Bundesländern. 

(Zustimmung von Dr. Katja Pähle, SPD, und von Olaf Meister, GRÜNE)

Nun aber zur aktuellen Entwicklung. Seit 2016 und insbesondere seit 2018 haben wir die Studienplatzkapazität weiter erhöht. Sie liegt im Moment bei 1 200 Erstsemesterstudienplätzen bei einem Volumen von etwa 5 000, 5 500 Abiturientinnen und Abiturienten. Das ist schon sehr ambitioniert, und es muss uns nicht wundern, dass diese Studienplatzkapazität nicht ausgelastet wird. Warum wird sie nicht ausgelastet? - Weil die Nachfrage nach diesem großen Angebot eben geringer ist. 

Das Lehramtsstudium hat aus unterschiedlichen Gründen eine unterschiedliche Attraktivität, aber vor allen Dingen konkurrieren wir mit den Fachkräftebedarfen, die wir auch in den Ingenieurwissenschaften haben, die wir bei Juristen haben, sicherlich bei Medizinerinnen und Medizinern usw. usf. Das heißt, aus einem überschaubaren Pool eigener Abiturientinnen und Abiturienten müssen wir einen hohen Fachkräftebedarf decken. Wir können es, wenn Sie so wollen, aus eigener Kraft im Grunde nicht mehr. Wir sind froh, dass junge Menschen von außen kommen. 

Jetzt steht im Expertenbericht etwas von 53 % Erfolgsquote im Lehramtsstudium. Dazu sagen meine Leute, die auch Quoten berechnen können: Darin fließt zu viel ein, was in Wirklichkeit kein Abbruch des Studiums ist, sondern ein anderes Kriterium, nämlich Studienfachwechsler und dergleichen. Natürlich verzerrt so etwas die Berechnung. 

Lieber Marco Tullner, wir beide kennen es aus gemeinsamen Schlachten und auch aus gemeinsamer Tätigkeit in der Landesregierung: Die Frage, ob die jungen Menschen das Fach wechseln oder endgültig scheitern, ist ja nicht ganz trivial. Ich will nur versuchen, die Einzigartigkeit des Problems ein bisschen zu relativieren. Diese Erfolgsquoten, meine Damen und Herren, haben wir in Deutschland im Lehramtsstudium nach Feststellung der KMK fast überall. Das hängt also gar nicht so sehr an uns. Vielmehr hängt es vor allen Dingen daran, dass offenbar mit einem erhöhten Zugang zum Lehramtsstudium, also viel mehr Studierenden, die Zahl derjenigen, die dieses Studium nicht erfolgreich abschließen, respektive die sich innerhalb ihres Studiums umorientieren, größer wird. Das ist misslich, aber so ist es. 

Damit Sie das einordnen können: In den Ingenieurwissenschaften haben wir, wenn man diese Berechnungen zugrunde legt, eine Erfolgsquote von etwa 58 %. In den Naturwissenschaften liegen wir bei etwa 65 %. Bei den Geisteswissenschaften liegen wir deutlich höher, ich glaube bei 78 %. Aber ansonsten bleibt es dabei: Wir haben nirgendwo eine Erfüllung von 100 % und dergleichen. 

Nun gibt es etwas   Sie haben es nicht angesprochen, aber ich will es gleich ansprechen  , zu dem sich die Martin-Luther-Universität sehr ambitioniert verpflichtet hat: Sie hat in der Zielvereinbarung 2020 bis 2024 einen Erfolg von 75 % im Lehramtsstudium garantiert. Das verfehlt sie grandios. 

Nun sage ich Ihnen: Dafür gilt eigentlich der schöne römische Rechtsgrundsatz „Impossibilium nulla est obligatio“. 

(Oh! bei der Linken)

Das Unmögliche muss man nicht erfüllen. Diese Zahl, wer immer sie dort hineingeschrieben hat   mir wird bedeutet, das war ein Wunsch der Martin-Luther-Universität  , war von Anfang an völlig unrealistisch. Das ist auch im Durchschnitt der Bundesrepublik keine realistische Zahl. 

Deshalb will ich mich an dieser Stelle in Bezug auf die Zahlen nicht herausreden, sondern Ihnen sagen: Wir müssen   das sollten und werden wir in der nächsten Zielvereinbarung auch tun  , wir werden eine Quote festlegen, aber diese muss sich am Mittel dessen orientieren, was realistisch zu erreichen ist. 

Was sagt nun die Universität selbst? - Wenn man einem Studienabbruch entgegenwirken will   das gilt für alle Fächer, nicht nur für das Lehramtsstudium  , dann braucht man eine intensive Begleitung und Betreuung der Studierenden. Das kollidiert ein wenig mit der hohen Anzahl der Erstsemestler, die jetzt zugelassen werden. Die Studierenden brauchen eine intensive Betreuung, sie brauchen frühzeitig Tutorien, Mentoring-Programme und Ähnliches. Sie brauchen, um den Praxisschock zu verhindern, eine frühere Berührung mit der Schule. 

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Nun könnte man eigentlich sagen: Schule kennen sie doch - allerdings komischerweise nur von der anderen Seite. 

(Zustimmung von Jörg Bernstein, FDP)

Das ist das Dilemma. Schule kennen sie. Sie wissen, wie man einen Unterricht interessant gestaltet - als Schülerin und als Schüler. Aber sie wissen möglicherweise nicht, wie man es als Lehrerin oder Lehrer macht. 

(Beifall bei der FDP)

In der Tat gibt es dort Bedarf und dort müssen Angebote unterbreitet werden. Das tun wir   lieber Herr Tullner, Sie wissen auch, dass wir an dieser Stelle Geld einsetzen müssen   mit dem Zukunftsvertrag „Studium und Lehre stärken“, also mit dem Zukunftspakt, der zwischen Bund und Ländern geschlossen wurde. Wir werden Gelder, die in der letzten und in der laufenden Zielvereinbarungsperiode noch für die Erhöhung der Kapazität eingesetzt wurden, künftig   weil wir sie aus dem Landeshaushalt bezahlen   für Qualitätsmaßnahmen einsetzen. 

Wir werden also ganz gezielt darauf achten, dass junge Menschen im Lehramtsstudium eine andere Art von Begleitung erfahren, womöglich auch mit dem Ziel, ihnen frühzeitig zu sagen, dass man vielleicht doch auf das falsche Pferd setzt, wenn man meint, Lehrerin oder Lehrer zu werden zu wollen. Mancher von ihnen wird ein ganz glänzender Jurist oder Ingenieur oder sonst etwas. Das ist auch gut so. 

Das wäre die Antwort auf Ihre Frage. Aber bitte, Sie haben vorhin, glaube ich, nachfragen wollen. Ist irgendetwas offengeblieben? Ich antworte gern. 


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger: 

Herr Tullner hat eine Nachfrage. - Bitte. 


Marco Tullner (CDU): 

Vielen Dank, Herr Präsident. - Das, was Sie vorgetragen haben, lieber Minister Willingmann, ist aller Ehren wert. Natürlich haben wir alle eine gemeinsame Geschichte und eine gemeinsame Verantwortung. Das ist das Schöne, dass wir uns so lange und so bewährt untergehakt haben und an dieser Stelle die gemeinsame Verantwortung leben. 

Die Frage ist: Was folgt denn jetzt daraus? Um es etwas grobmotorischer zu machen: Wir als Landtag stellen in erheblichem Umfang Finanzmittel zur Verfügung, aufwachsend in den letzten Jahren, und erwarten, dass damit ein Problem gelöst wird. In den Zielvereinbarungen stehen Quoten, die vom Wissenschaftsministerium durchaus mitgetragen worden sind. Nun stellen wir fest, dass diese Quoten regelmäßig gerissen werden. 

Nun haben Sie sich sehr akademisch und sehr erfrischend darüber ausgelassen, warum Quoten relativierend zu betrachten sind. Aber sie stehen trotzdem drin und entfalten vor allem in der Politik eine Wirkungsmacht. Ich würde sagen, am Ende wird man an Zahlen und Quoten gemessen. Deswegen würde mich interessieren, welchen Ehrgeiz und welche Strategien Sie entfalten, um sich an diesen Quoten erfolgreich messen zu lassen.


Prof. Dr. Armin Willingmann (Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt): 

Vielen Dank für die Nachfrage. Wenn ich unklar geblieben sein sollte, dann darf ich es wiederholen. Die Quote von 75 %, die in der Zielvereinbarung steht, ist eine unrealistische Quote, und zwar deshalb, weil nirgendwo in der Bundesrepublik diese 75 % erreicht werden. Deshalb bitte ich einfach um Verständnis. Wir brauchen eine realistische Quote, die mit den Maßnahmen, die wir zusätzlich ergreifen, zu erreichen ist. 

Wir können uns ständig an Zahlen messen. Ich mache nur darauf aufmerksam, dass wir jetzt frühzeitig erklären und übrigens auch schon im ganzen Prozess erklärt haben, dass es Unfug gewesen ist, mit einer so hohen Quote hineinzugehen. Es wäre wünschenswert, wenn die Durchschnittsquote der Bundesrepublik erreicht werden würde. Derzeit liegen wir einmal darüber und einmal darunter. Das hängt vom jeweiligen Lehramt ab. In den Fächern ist das   das wissen Sie   etwas unterschiedlich. Im Grundschullehramt ist die Erfolgsquote recht ordentlich. Im Sekundarschullehramt ist die Schwundquote sehr hoch. Dafür gibt es Gründe. Das kann man aber zusammenfassen. 

Ich will es noch einmal sagen: Selbstverständlich brauchen wir an dieser Stelle eine klar messbare Größe und wir brauchen eine viel, viel strengere Evaluierung. Lieber Marco Tullner, das ist ein Versäumnis, das wir uns durchaus gemeinsam ans Revers heften können. Man hätte schon in den letzten zehn Jahren oder in den letzten 15 Jahren darauf achten müssen, dass diese Prozesse in der ersten und in der zweiten Phase der Lehramtsausbildung viel enger begleitet und von uns controlled werden. 

Ministerien haben sich dabei ein wenig zurückgelehnt und gesagt, das kriegen die Hochschulen, das kriegen die Lehrerseminare schon selbst hin. Das wird auf jeden Fall besser werden. Wir werden an dieser Stelle ein engeres Controlling einführen, um Fehlentwicklungen, nämlich bspw. mit Blick auf die Frage, warum in bestimmten Fächern ein besonders hoher Wechselbedarf vorhanden ist, entgegenzuwirken. Das scheinen mir vernünftige Maßnahmen zu sein, und dafür setzen wir   das wollte ich gerade deutlich machen   Bundesgelder ein, nämlich jene aus dem ZSL.