Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport): 

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren Abgeordneten! Da ich für die zivil-militärische Zusammenarbeit innerhalb der Landesregierung zuständig bin, darf ich heute zu dieser Debatte sprechen. Ich möchte meinen Beitrag beginnen mit einem Zitat des Bundeskanzlers Ludwig Erhard: Der 1. September 1939 ist ein Datum, das uns alle angeht. Damals, mit Hitlers Überfall auf Polen, wurde 25 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg aufs Neue jenes schreckliche Inferno ausgelöst, das in Blut und Tränen, in Not und Verzweiflung endete.

Sie alle werden mir alle zustimmen, dass jeder Krieg zu Trauer, Tod, Verzweiflung, Vertreibung führt und immer die gesamte Gesellschaft betrifft. Ich glaube, der Zweite Weltkrieg ist wirklich das tragischste Kapitel der Geschichte Europas, das wir erleben mussten, was sich auch an Zahlen zeigt, die am Ende das unermessliche Leid nur skizzieren können. 

Im Zweiten Weltkrieg verloren mehr als 60 Millionen Menschen ihr Leben, mehr als die Hälfte davon waren Zivilisten. Unvergessen ist die Ermordung von mehr als 6 Millionen Juden, vor allem in den Vernichtungslagern. Die Menschen, die überlebten, mussten massive Zerstörungen ihrer Wohnorte, Verluste von geliebten Menschen, Hunger, Not, Flucht und damit unvorstellbare Traumata ertragen. 

Seitdem herrschte in Europa lange Frieden. 85 Jahre liegt der Beginn des Zweiten Weltkriegs nunmehr zurück. Die Lehren aus diesem schrecklichen Teil der Weltgeschichte und insbesondere der deutschen Geschichte scheinen heute allerdings zum Teil verdrängt. 

Der 24. Februar 2022 stellt eine Zäsur dar, eine Zäsur auch in unserer als sicher geglaubten Annahme, dass der Frieden in Europa auf Dauer Bestand haben wird. Seit dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine wird wieder Krieg in Europa geführt und auch dieser Krieg forderte und fordert viele Opfer. 

Laut Zählungen des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte verloren im Ukrainekrieg schon heute weit mehr als 11 500 Menschen der ukrainischen Zivilbevölkerung ihr Leben, darunter mehr als 630 Kinder. Zudem wurden weit mehr als 2 600 Zivilpersonen verletzt, darunter mehr als 1 500 Kinder. Hinzu kommen die getöteten und verletzten Soldatinnen und Soldaten aufseiten der Ukraine und Russlands, die insgesamt auf mehrere Hunderttausend geschätzt werden. 

Wegen dieses Krieges haben viele Menschen aus der Ukraine ihre Heimat verlassen. In den Ländern Europas sind etwa 6 Millionen Geflüchtete aus der Ukraine registriert, davon rund 1,2 Millionen Menschen in Deutschland. 

Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass eine Bedrohung von außen leider real ist, auch für Deutschland. Das Ende des Kalten Krieges hatte zum Abbau von Strukturen und Einrichtungen der Verteidigung geführt. Doch in den letzten Jahren hat sich die Sicherheits- und Bedrohungslage für Deutschland und für seine Partner und Verbündeten in der Europäischen Union und der NATO dramatisch geändert. Das Gefühl und die Hoffnung, in Deutschland dauerhaft im Frieden leben zu können, haben sich als trügerisch erwiesen. Nicht nur unsere osteuropäischen Nachbarn, auch Deutschland ist vermehrt und täglich Bedrohungen durch hybride Angriffe in Form von Desinformation, Cyber-Angriffen, Ausspähungen und Spionage sowie Sabotage ausgesetzt. 

Die jüngsten Beitritte von Schweden und Finnland zur NATO zeigen, wie real diese die Bedrohung durch Russland einschätzen. Nach den der Bundeswehr vorliegenden Informationen erfolgt aktuell eine massive Aufrüstung des russischen Militärs. Das Ausmaß der Aufrüstung lässt sich nicht mit dem gegen die Ukraine geführten Angriffskrieg erklären; denn die erheblichen russischen Verluste werden durch die massive Aufrüstung um ein Vielfaches kompensiert. Daher gehen Militärexperten davon aus, dass Russland bei einer Fortsetzung seiner Aufrüstungspolitik in fünf bis acht Jahren in der Lage sein wird, das NATO-Bündnisgebiet mit klassischen Mitteln anzugreifen. 

In dieser Situation ist Nichtstun keine Option. Vielmehr geht es darum, die Verteidigungsbereitschaft und Verteidigungsfähigkeit zu erhöhen, damit es gar nicht erst zu einem Angriff kommt. 

Der Schutz seiner Bürgerinnen und Bürger vor äußeren Gefahren ist die Kernaufgabe des Staates. Ein wichtiger Schritt für die Verbesserung der Verteidigungsbereitschaft der Streitkräfte war die Einrichtung des 100-Milliarden-Sondervermögens für die Bundeswehr. Es muss weiter in die Ausstattung der Bundeswehr investiert werden. 

Deutschland muss gemeinsam mit seinen Partnern und Verbündeten international Verantwortung übernehmen und handlungsfähig sein. Seit Anfang März 2023 wird in der Bundeswehr der Operationsplan Deutschland vorbereitet und entwickelt. Der Operationsplan Deutschland beinhaltet insbesondere den Auf- und Durchmarsch alliierter Verbände durch Deutschland. Ziele sind die Abschreckung Russlands und das Aufzeigen der Verteidigungsbereitschaft des NATO-Bündnisses. 

Diesen Zielen dienen unter anderem auch die zwischen Deutschland und den USA vereinbarte Stationierung von Mittel- und Langstreckenraketen ab 2026 in Deutschland sowie die Stationierung von ca. 50 Transporthubschraubern und des Waffensystems Arrow 3 zur Luftverteidigung mit großer Reichweite am Bundeswehrstandort Holzdorf/Schönewalde, der zum Teil im Landkreis Wittenberg liegt. 

Zudem muss auch die umfassende Stärkung des Bevölkerungsschutzes durch Bund und Länder immer wieder untermauert werden. Dabei ist ein deutlich stärkeres Engagement des Bundes zur Stärkung des Zivilschutzes ebenso unerlässlich wie die Notwendigkeit der Neuausrichtung bzw. Fähigkeitserweiterung im Bereich des Zivil- und Katastrophenschutzes. Hierfür bedarf es entsprechender Haushaltsmittel, die die Länder für den Katastrophenschutz und der Bund für den Zivilschutz bereitstellen müssen. 

Bislang greift der Bund die einhellige Forderung aller Bundesländer nach einem Stärkungspaket Bevölkerungsschutz in Höhe von ca. 10 Milliarden € innerhalb der nächsten zehn Jahre nur teilweise auf. Der Bund muss endlich seine dringendsten Aufgaben im Bereich des Zivilschutzes erfüllen und die finanziellen Mittel, z. B. für die Erarbeitung und Umsetzung eines Schutzraumkonzeptes, bereitstellen und die Ertüchtigung der Warninfrastruktur in den Ländern angehen. 

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Es gibt keinen offiziellen Weltfriedenstag am 1. September und für die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands bedarf es dessen auch nicht. Ein Weltfriedenstag kann keine Kriege verhindern. Das kann nur Diplomatie und, wenn diese nicht greift, eine robuste Verteidigungsfähigkeit, die Angreifer abschreckt. 

Das höchste Gut, das wir Menschen haben, ist das Leben. Einer Bedrohung von Menschenleben durch einen Krieg muss in Deutschland mit allen Mitteln entgegengewirkt werden. Aber wer den Frieden will, der muss sich auf eine Verteidigung in einem Krieg vorbereiten, damit es gar nicht erst dazu kommt. - Vielen Dank. 

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)