Tagesordnungspunkt 5
Beratung
Landesfonds Rentengerechtigkeit - Anerkennung für ostdeutsche Lebensleistung
Antrag Fraktion Die Linke - Drs. 8/4477
Einbringerin für die Fraktion ist Eva von Angern. Sie haben das Wort.
Eva von Angern (Die Linke):
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Wir sind als Landespolitikerinnen und Landespolitiker in Sachsen-Anhalt den Menschen verpflichtet. Aber was liegt eigentlich in unserer Hand? Wir wissen, bei vielen der großen Themen geht es nicht ohne Berlin, ohne den Bundestag, ob bei der Pflege, der Gesundheit, bei der Armutsbekämpfung, bei der aus unserer Sicht ungerechten Vermögensverteilung oder eben auch bei der Rente. Wir sind auf Entscheidungen des Bundes angewiesen.
Gucken Sie doch nicht so ernst, Herr Schmidt. Es geht erst los!
(Dr. Andreas Schmidt, SPD: Ich gucke interessiert und erwartungsvoll!)
Umso dringlicher, meine Damen und Herren, sollten wir genau das in der Hand behalten, was wir als Landtag von Sachsen-Anhalt entscheiden können. Als im Jahr 2023 der Härtefallfonds für ostdeutsche Rentnerinnen und Rentner diskutiert wurde, lag ausnahmsweise eine rentenpolitische Entscheidung auf unserem Tisch, auf dem Tisch der Landespolitik. Eine Entscheidung, auf die viele Menschen in Ostdeutschland, aber auch in Sachsen-Anhalt gewartet haben. Mehr als 30 Jahre haben die betroffenen Gruppen für ihre Ansprüche gekämpft, die sie in DDR-Zeiten erarbeitet haben und die nach bundesdeutschem Recht nicht anerkannt worden sind. Dass es nach so vielen Jahren überhaupt so etwas wie den Härtefallfonds gibt, auf den sich die vorletzte Bundesregierung geeinigt hat, ist allein der Hartnäckigkeit dieser Interessensgruppen zu verdanken.
(Beifall bei der Linken und bei der SPD)
Es gehört zur Wahrheit aber auch dazu: Nicht wenige von ihnen können die Ergebnisse ihres Kampfes - in Anführungsstrichen - „nicht einmal mehr genießen“, weil sie aufgrund der langen Zeit, um es klar zu benennen, des Aussitzens in Berlin inzwischen verstorben sind. Ich erinnere an dieser Stelle insbesondere an die Gruppe der in der DDR geschiedenen Frauen, die bis zum Europäischen Gerichtshof gegangen sind. Sie machten Jahrzehnte auf die strukturelle Diskriminierung von Frauen aufmerksam. Ich erinnere mich, wie ich als Bundestagskandidatin als eine von vielen Kandidatinnen immer wieder freundlich von ihnen vor der Bundestagswahl bearbeitet worden bin. Doch die Versprechen wurden von den Regierenden nach der Wahl leider nie eingehalten. Sie waren stets bitter enttäuscht, wussten natürlich auch sie um ihr Alter.
Einzig die PDS und später Die Linke hat jährlich dieses Thema im Rahmen der Haushaltsdebatten im Bundestag immer wieder auf den Tisch gepackt. Immerhin erwirkten die in der DDR Geschiedenen eine Abmahnung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland durch den UN-Ausschuss zur Beseitigung jeder Diskriminierung von Frauen CEDAW. Oder aber die ehemals im Bergbau, bei der Post und im Gesundheitswesen der DDR Beschäftigten - sie haben sich noch einmal zu einem runden Tisch organisiert und haben sowohl öffentlich als auch in vielen direkten Runden mit der Bundes- und Landespolitik um eine Entschädigungslösung gerungen.
Entschädigungen - das wissen wir alle - sind die Minimallösung. Im Gegensatz dazu hätten anerkannte Zusatzansprüche zur Rente Beträge bedeutet, die die Renten jeden Monat erhöhen, lebenslange Zahlungen. Das wäre eine ganz andere Größenordnung als eine einmalige Entschädigungslösung gewesen. Aber klar, davon will ein Bundesfinanzminister nichts wissen. Doch das wäre tatsächlich angemessen und gerecht gewesen.
(Beifall bei der Linken)
Meine Damen und Herren! Nun war die Lösung all der harten Kämpfe der Härtefallfonds. Um ja nicht zu viel Geld ausgeben zu müssen, fügte der Bund in der Härtefallstiftung das Erfordernis der Bedürftigkeit ein. Das Ergebnis spüren wir jetzt. Als wäre die jahrzehntelange Ungleichbehandlung nicht schon Härtefall genug! Und: lediglich 2 500 € sind pro anspruchsberechtigter Person vorgesehen. Wäre das Land Sachsen-Anhalt der Härtefallstiftung des Bundes beigetreten, hätte sich dieser Betrag wenigstens verdoppelt. Ich sage Ihnen, mit 5 000 € kann man schon ein bisschen was machen. Da kann man die Enkelkinder mit in den Urlaub nehmen, da kann man auch einmal eine größere Anschaffung tätigen. Aber nein, das war ihnen in Sachsen-Anhalt bisher nicht vergönnt.
Fakt ist, die Landesregierung hat sich der Teilnahme an dieser Stiftung verweigert. Zur Erinnerung: Wir, die Linksfraktion, haben das hier im Landtag beantragt, es gab aber keine Mehrheit. Die Koalition hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, dieser Forderung einen Alternativvorschlag entgegenzusetzen. Sie hätten gern noch etwas mehr Geld daraus machen können, aber das ist auch nicht geschehen. Was es allerdings sehr wortreich gab - ich kann mich gut an die Debatten erinnern -, waren Sonntagsreden über Respekt und ostdeutsche Lebensleistung. Die Landesregierung, allen voran CDU und SPD, haben sehr wortreich erklärt, wie wichtig eine Lösung für diese immer noch offene Wunde in der Rentenfrage ist.
Meine Damen und Herren! Worte ersetzen keine Taten!
(Beifall bei der Linken)
Fakt ist, die Lösung des Härtefallfonds, die die gleichen Parteien im Bund befürwortetet haben, wurde im Landtag abgelehnt, und das ist schon eine gewagte Verrenkung; für die Betroffenen bitter. Sicherlich spielten auch die schwer kalkulierbaren Kosten für die Landeskasse eine Rolle. Aber wir wissen jetzt alle, wie erschreckend klein die Zahl der Bewilligungen der Härtefallstiftung ist. Aus Sachsen-Anhalt sind nur rund 4 000 Anträge für alle drei Fallgruppen insgesamt eingegangen. Dabei gab es rund 2 000 Anträge mit Bezug zur Lebens- und Arbeitszeit in der DDR.
Mehr als die Hälfte der Anträge aus Sachsen-Anhalt ist bereits bearbeitet. Aber die Anerkennungsquoten sind bescheiden. Von den Anträgen, die sich auf die Beschäftigungszeiten in der DDR beziehen, sind gerade einmal 195 anerkannt. 195! Wir reden über Sachsen-Anhalt. Hochgerechnet bedeutet das vielleicht, dass wir am Ende bei 300 bis 400 Bewilligungen in dieser Betroffenengruppe ankommen könnten. Das sind unter 10 %.
Deutlich höher ist die Zahl der Bewilligten bei der Fallgruppe der jüdischen Kontingentflüchtlinge mit 43 %. In absoluten Zahlen sind das allerdings auch nur 400 Betroffene, die uns dennoch auf ein - was auch mich überrascht hat - großes Armutsproblem in osteuropäischen und jüdischen Gemeinschaften aufmerksam machen und worüber wir reden müssen.
Da die Zahlen jetzt auf dem Tisch liegen, da die Kosten jetzt kalkulierbar sind und mit Blick auf die vielen gut klingenden Redebeiträge der vorangegangenen Debatten, fordern wir als Linke, den nächsten Schritt in eine kleine Gerechtigkeit zu gehen. Wir beantragen deshalb heute, über einen Landesfonds die Verdopplung der Entschädigungen zu sichern. Es gab hier so viel Zustimmung zumindest in Worten pro Rentengerechtigkeit, pro ostdeutsche Lebensleistung. Wie wäre es, wenn Sie beim Wort bleiben und für die Betroffenen in Sachsen-Anhalt tatsächlich aktiv werden?
(Beifall bei der Linken)
Andere Bundesländer machen es uns vor. Als Linke, als Opposition halten wir an unserem Versprechen gegenüber den betroffenen Rentnerinnen und Rentnern fest und vertreten deren Rechte hier im Parlament.
Es gibt noch ein weiteres Problem zum Thema Ostrente: Wie wäre es, wenn wir als Landtag von Sachsen-Anhalt die ostdeutschen Interessen auch in der Zukunft selbstbewusst ernst nehmen und nicht nur darüber reden? Machen Sie nicht die Fehler, die offenen Baustellen solange zu verschleppen, bis ganz andere darauf ihre Fundamente bauen.
Meine Damen und Herren! Stichwort Höherwertung in der Rentenberechnung für ostdeutsche Beschäftigte: Sie wissen, diese fällt im Zuge der Rentenangleichung nach jetziger Beschlusslage ab 2025 weg. Aber das bedeutet wiederum die weitere Benachteiligung des Ostens; denn, wer zum Beispiel in fünf Jahren in Rente geht, hat wahrscheinlich die Verwerfungen der 90er-Jahre - und die meisten erinnern sich daran - voll mitgenommen: Arbeitslosigkeit, Umschulung, ABM, und eben - und das bis heute - Niedriglohn.
Auch wer aktuell in Ostdeutschland beschäftigt ist, der hat eine Lohnlücke von bis zu 18 % im Schnitt im Vergleich zu Westdeutschland. Dieser Lohnlücke folgt eine Rentenlücke, selbstverständlich, und in vielen Fällen heißt das ganz klar Armut im Alter. Bereits heute haben 183 000 Menschen in Sachsen-Anhalt eine Rente unter 1 250 €. Weil ich Herrn Erben gerade sehe: Ich hatte kürzlich einen Infostand in Weißenfels. Ich habe nicht eine Rentnerin, nicht einen Rentner gefunden, der da heranreichte. Die haben mich belächelt und gesagt, ach das ist die Durchschnittsrente? In Weißenfels finden Sie da wahrscheinlich niemanden. Es sind übrigens 43 % der Rentnerinnen und Rentner im Bundesland, die unter 1 250 € Rente haben.
Deshalb fordern wir als Linke, dass der Aufwertungsfaktor, der die Lohnlücke Ost bei der Rentenberechnung bisher ausgeglichen hat, fortgesetzt wird.
(Beifall bei der Linken)
Denn Fakt ist: Ohne Lohngerechtigkeit kann es keine Rentengerechtigkeit geben. Dafür muss sich die Landesregierung über den Bundesrat oder Formate wie die Ministerpräsidentenkonferenz Ost einsetzen. Das ist Bundesrecht. Da können wir nicht entscheiden, wir können nur die Landesregierung beauftragen, und insofern beantragen wir heute: Übernehmen Sie hier und heute Verantwortung für die Rentnerinnen und Rentner in Sachsen-Anhalt und machen Sie Druck für ostdeutsche Interessen, nicht in Interviews, sondern dort, wo man tatsächlich etwas erreichen kann; denn es bleibt viel zu tun.
Das möchte ich am Ende noch einmal sagen: In den letzten 30 Jahren ist eine Menge Fehler gemacht worden. Ein Fehler durchzieht die Bundespolitik seit 30 Jahren. Es gibt es eine Unterschätzung der Ostdeutschen, weil nur lediglich 17 % der Menschen in unserer Republik in Ostdeutschland leben - ja, 17 %! Das ist nicht die Hälfte der Bevölkerung, aber ich möchte daran erinnern, das ist die politische Hälfte der wiedervereinten Republik, und dabei geht es um nicht mehr und nicht weniger als Respekt und Anerkennung. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der Linken und bei den GRÜNEN)