Tagesordnungspunkt 5

Beratung

Bürokratie abbauen - Standortvorteil Energiewende beschleunigen

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/4259


Herr Striegel möchte den Antrag gern einbringen. 


Sebastian Striegel (GRÜNE):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich meine Rede mit einem energiepolitischen Lob an die CDU beginnen. Ich weiß, das ist selten, aber ich freue mich wirklich sehr darüber, dass Ihre Partei nun zumindest die Atomkraft ad acta gelegt hat. Das Thema Kernenergie ist entschieden, das hat Ihr Vorsitzender Friedrich Merz beim Jahreskongress des BDEW in der vergangenen Woche gesagt und damit allen Plänen für eine Renaissance der Atomkraft eine Absage erteilt. An dieser Stelle hat ganz offensichtlich der Druck der Realität Wirkung gezeigt und eine Lernerfahrung ermöglicht. Atomkraft ist teuer, gefährlich und in ihrer mangelnden Flexibilität nicht gut mit erneuerbaren Energiesystemen kompatibel. 

(Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE, und von Susan Sziborra-Seidlitz, GRÜNE)

Ich wünsche mir, dass dieses Lernen für die Energiewende weitergeht, bei der CDU und auch bei den anderen demokratischen Fraktionen. Die Energieagenda 2035 der Union auf der Bundesebene spiegelt dieses Lernen bisher nicht wider. Sie atmet den Geist einer Wirtschaftspolitik aus dem letzten Jahrhundert. Es wird Zeit, dass die CDU an dieser Stelle zu einer Stärkung der Erneuerbaren umsteuert. 

(Zustimmung von Susan Sziborra-Seidlitz, GRÜNE, und von Dorothea Frederking, GRÜNE)

Der Klimawandel und die notwendige Energiewende verlangen ein entschlossenes und koordiniertes Handeln. 

(Detlef Gürth, CDU: Wann geht es denn damit los? Sagen Sie einmal!) 

Wir sind mit Robert Habeck und seinem Team auf einem guten Weg. Erste Weichen für einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien und von effizienten Speichersystemen sind gestellt. Ich wünsche mir, dass wir auch die CDU zu einem Partner für eine gelingende Energiewende machen können. Das würde den Wirtschaftsstandort Deutschland nachhaltig stärken. 

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Zuruf von Oliver Kirchner, AfD)

Ich habe in den vergangenen Monaten mit einer Vielzahl von Akteuren aus dem Energiemarkt gesprochen. In einer Hinsicht waren sich alle einig, nämlich dass die aktuellen marktwirtschaftlichen Prozesse dazu führen werden, dass wir viel früher aus dem Kohlestrom aussteigen werden, vor 2030. Es gilt, sich darauf vorzubereiten und das Tempo bei der Energiewende zu erhöhen. 

(Alexander Räuscher, CDU: Wendehals!)

Die Anpackerinnen und Anpacker der Energiewende haben sich in den 1990er-Jahren nicht entmutigen lassen. Sie haben entschieden gehandelt und profitieren heute massiv davon. Mit der aktuellen Bundesregierung haben wir auf der Bundesebene endlich wieder Anpacker*innen unter uns. 

(Christian Hecht, AfD: Anpacker*innen!)

Am 5. Juni hat der Umweltausschuss des Bundestags einer Novelle des Bundesemissionsschutzgesetzes zugestimmt. Das Gesetzgebungsvorhaben will Genehmigungsverfahren nach dem Emissionsschutzrecht vereinfachen, damit Anlagen, vor allem Windanlagen, schneller gebaut werden können - eine weitere Reform der Ampel, die zur Verfahrensbeschleunigung führt. 

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Zurufe von Alexander Räuscher, CDU, und von Oliver Kirchner, AfD)

CDU, SPD und FDP haben sich hier im Land das Ziel gesetzt, Genehmigungsprozesse für die Errichtung erneuerbarer Energieerzeugungsanlagen zu verschlanken und zu beschleunigen. Sie wollen Bürokratieabbau - wir auch. Deshalb unser Antrag zur Verfahrensbeschleunigung, den wir, ergänzend zu Ihrem Koalitionsvertrag, auf den Netzausbau auf Verteilnetzebene erweitert haben, dort finden schließlich viele Erzeugungsanlagen ihren Netzanschluss. 

Schnelle und effiziente Genehmigungsverfahren sind das Rückgrat einer erfolgreichen Energiewende. Das ist unsere Lernerfahrung aus den Gesprächen mit Praktikern. Unser Ziel ist, dass die Kommunen bei der Herausforderung der Energiewende entlastet werden, sowohl fachlich als auch in ihrer alltäglichen Arbeit. Unser Antrag gibt dabei entscheidende Handlungsmöglichkeiten vor. 

Zunächst zu den Mustergenehmigungsunterlagen. Der Dschungel an Paragraphen und Gesetzen wird zunehmend dichter. Es bedarf daher einfacherer Mustergenehmigungsanlagen und eines Katalogs für Auflagen und Nebenbestimmungen, der jederzeit barrierefrei abrufbar ist. Die Vereinheitlichung der Genehmigungsunterlagen wird nicht nur die Antragsteller entlasten, sondern auch die Effizienz der Genehmigungsbehörden steigern. In der Vergangenheit haben sich Verfahren oft aufgrund von Personalwechsel oder aufgrund von Ausfällen in der Sachbearbeitung verzögert. Das führte ggf. zu veränderten Anforderungen an die einzureichenden Gutachten. Eine Standardisierung kann hierbei Abhilfe schaffen und die Verfahrensdauer erheblich verkürzen. 

Digitale Bekanntmachung und Einreichung. Viel zu lange wurde die Digitalisierung der öffentlichen Hand vernachlässigt. Das fällt uns jetzt bei Genehmigungsverfahren auf die Füße. Wir wollen die Wirtschaft entlasten, indem zukünftig alle Unterlagen im Genehmigungsprozess digital eingereicht werden können. Dass ein Projektierer mit dem Laster vorfahren muss, um Dutzende Aktenordner an die Genehmigungsbehörde zu übergeben, muss ein Ende haben. 

(Oh! bei der CDU)

Kommen wir zu Stabstellen und der Taskforce. Unsere Nachbarbundesländer machen es vor. Niedersachsen hat bereits eine schnelle Eingreiftruppe realisiert, die die Landkreise fachlich effektiv bei bereits existierenden Rechtsgrundlagen unterstützt, immer dann, wenn dort ein größeres Projekt zu realisieren ist. Aber auch Änderungsvorschläge für bestehende Rechtsgrundlagen werden in solchen Taskforces entwickelt, um Verfahren zu beschleunigen. Wir wollen von den Siegern lernen. Noch bringt Sachsen-Anhalt nur durchschnittliche Leistungen im Ausbau von Windenergie an Land. Wir wollen Sieger werden. 

Positiv hervorzuheben ist schon heute die Arbeit der LENA. Unsere Landesenergieagentur ist in der Wissensvermittlung und  vernetzung bereits sehr gut aktiv. Das Land muss diese nun weiter fördern, indem Kompetenzen aufgebaut werden und eine schnelle Eingreiftruppe organisiert wird. Wir müssen hierbei das Rad nicht neu erfinden, sondern können von den Erfolgen anderer Bundesländer lernen. Es zeigt sich immer wieder, wie wichtig ein funktionierender Austausch zwischen den Akteuren ist. 

Kommen wir zu den automatisierten Systemen für Auskünfte. Wir fordern ein automatisiertes System für benötigte Auskünfte von Landkreisen. Viele der angeforderten Informationen für die Antragstellung sind in allen Projekten gleich. Ein breites automatisiertes System zur Bereitstellung dieser Informationen wird den Aufwand für die Antragstellung reduzieren und die Effizienz erhöhen. Die Behördenmitarbeiter*innen müssen diese Informationen nicht mehr extra zusammenstellen. Das führt zu einer erheblichen Zeitersparnis. Eine Standardisierung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen bei Hochspannungsleitungen wäre ein Beispiel für einen ersten Inhalt dieses Systems. 

Ebenso trägt die Erleichterung der Baulastenregelung erheblich zur Zeitersparnis bei Genehmigungsprozessen bei. Wir fordern daher, dass Genehmigungen erteilt werden können, sobald der Nachweis der Baulast vorliegt, auch wenn die finale Eintragung noch nicht abgeschlossen ist. Bisher müssen die Baulasten vor Genehmigungserhalt von den Eigentümern unterzeichnet werden und die Behörde muss diese dann in das Baulastenverzeichnis übertragen. Dieser Vorgang benötigt Zeit und verzögert die Genehmigung, zum Teil deutlich über Monate hinweg. Eine Eintragung der Baulasten auch noch nach der Genehmigung und vor dem Baubeginn wäre möglich, da zwischen der Genehmigung und dem Baubeginn immer einige Monate vergehen und in diesem Zeitraum noch ausreichend Zeit für eine Eintragung vorhanden ist. Dies würde den Genehmigungsprozess deutlich beschleunigen. 

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Die Energiewende, meine Damen und Herren, ist nicht nur eine klimapolitische Notwendigkeit, sondern vor allem eine Chance für unseren Wirtschaftsstandort. Wie der Ökonom Jens Südekum treffend feststellt - ich zitiere  : 

„Das Land, das als erstes die Klima- und Ressourcenneutralität erreicht, hat seine wirtschaftliche Basis auf den Weltmärkten für Jahrzehnte gesichert.“

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen tragen nicht nur zum Klimaschutz bei, sondern stärken vor allem die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Wir müssen jetzt handeln, um die Energiewende zu beschleunigen und den Weg für eine nachhaltige und zukunftsfähige Energieversorgung zu ebnen; denn die ineffizienteste Energie ist immer noch die, die wir gar nicht erst herstellen. 

Werte Abgeordnete! Abschließend möchte ich Folgendes sagen: Die vor uns liegenden Herausforderungen sind groß, aber die Chancen sind noch größer. Wir haben die Möglichkeit, die Energiewende aktiv zu gestalten und unser Land in eine nachhaltige Zukunft zu führen. Entscheidend ist jetzt, Entschlossenheit, Mut und eine klare Vision zu zeigen. Auf der Bundesebene macht die Ampel das, glaube ich, an dieser Stelle vor. Ich glaube auch, dass sie besser ist als ihr Ruf oder als das, was von ihr hier im Land manchmal vermittelt wird. Ich bitte Sie, unserem Antrag zur Verfahrensbeschleunigung zuzustimmen und somit ein klares Zeichen für die Zukunft unseres Landes zu setzen. - Herzlichen Dank. 

(Beifall bei den GRÜNEN)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke, Herr Striegel. Herr Kosmehl hat eine Frage. - Bitte, Herr Kosmehl. 


Guido Kosmehl (FDP):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Striegel, ich würde Sie gern etwas fragen, weil Sie sich beim Einstieg in Ihre Rede mit den Positionen der CDU beschäftigt haben. Ich hätte gern von Ihnen aus der Sicht der GRÜNEN-Landtagsfraktion eine Einschätzung zum Umsteuern des Bundeswirtschaftsministers Habeck hinsichtlich des Kohleausstieges bzw. zu dem von den GRÜNEN immer wieder geforderten Vorziehen des Kohleausstieges. Wie schätzen Sie das ein? Ist das endlich die Einsicht, dass wir auf dem richtigen Weg sind? 


Sebastian Striegel (GRÜNE):

Das Entscheidende an dieser Stelle ist, dass sich Herr Habeck, genau wie wir, die Zahlen angeguckt hat und gesehen hat: Es braucht - wenn das von den Akteuren an dieser Stelle jedenfalls nicht gewünscht ist - keine politischen Weichenstellungen mehr. Das regelt der Markt. 

(Lachen - Olaf Meister, GRÜNE: Das ist so! - Zurufe von Guido Kosmehl, FDP)

An dieser Stelle haben wir keinen Dissens, Herr Kollege Kosmehl. Ich weiß nicht, mit wem Sie Kontakt haben, aber wenn ich mich mit den Akteuren in der Energieszene unterhalte, dann ist relativ klar, dass niemand das von den Ministerpräsidenten Reiner Haseloff und Herrn Kretschmer vorgesehene Ausstiegsdatum 2038 für realistisch hält. Für Sachsen-Anhalt war sowieso klar: 2034 ist hier spätestens Schluss, weil Profen ausgekohlt ist. Aber all diejenigen, die im Markt aktiv sind, gehen davon aus, dass Kohle schon deutlich vor 2038 kein Geschäftsmodell mehr sein wird. 

(Zuruf von Kathrin Tarricone, FDP)

Wir sagen - und das ist, finde ich, entscheidend, und ich glaube, das ist auch Aufgabe von Politik in einem Markt  : Wir dürfen das nicht rein marktgetrieben machen, sondern wir müssen uns jetzt als Gesellschaft darauf vorbereiten. Deswegen ist meine Fraktion in der nächsten Woche in Zeitz mit den Akteuren im Gespräch; denn wir fragen uns: Wie schaffen wir es, dass das marktgetriebene Vorziehen des Kohleausstiegs, das vor 2030 kommen wird, auch so abgefedert wird, dass wir die Strukturwandelprozesse so organisieren, dass wir dann bereit sind für das, was der Markt an dieser Stelle tut? Das ist unsere politische Aufgabe. Wir haben sie angenommen. 

Ich hoffe, dass wir viele hier im Raum haben, die mit uns in den Diskussionsprozess gehen, um zu erörtern, wie wir das gut vorbereiten können. Denn ich glaube, wir müssen am Ende als gemeinsames Ziel haben, dass es in den Kohleregionen nicht zu einem Strukturabbruch, sondern zu einem echten Strukturwandel kommt. Ich hoffe, dass wir auf der Bundes- wie auf der Landesebene in unterschiedlichen Rollen gemeinsam streiten können.