Dr. Katja Pähle (SPD): 

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich voranstellen: Ich bin sehr froh darüber, dass sich der Landtag durch die Eröffnung der sehr sehenswerten Ausstellung mit dem Beitrag von Markus Meckel und durch die anschließende Podiumsdiskussion der Fraktionsvorsitzenden mit dem Thema 75 Jahre Grundgesetz bereits in sehr würdiger Form auseinandergesetzt hat. Die heutige Debatte dürfte dafür weniger geeignet sein.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sehr geehrte Damen und Herren! Die AfD-Fraktion führt in der Begründung zu ihrem Antrag den sogenannten Freiheitsindex von 2023 an, dem zufolge eine große Zahl der dafür Befragten angeben, ihre Meinung nicht frei äußern zu können. Auch wenn der Verfasser des Freiheitsindexes aufgrund seines Geschäftsgebarens und seiner empirischen Methoden als durchaus umstritten gelten kann, will ich den Befund ernst nehmen und mich damit auseinandersetzen. 

Dass eine wachsende Zahl von Menschen subjektiv der Auffassung ist, dass ihre Meinungsfreiheit eingeschränkt wird, das erkennen wir an. Schon allein die Verbitterung, die Aggressionen und die Unterstellungen, mit denen viele Debatten mittlerweile geführt werden, insbesondere auf den Social-Media-Kanälen, sprechen Bände. 

(Ulrich Siegmund, AfD: Bei Ihnen z. B.!)

Das Groteske ist nur: Mit dieser Debatte, in der Sie zum wiederholten Mal Ihre ganz eigene Sicht auf die Welt verbreiten, 

(Frank Otto Lizureck, AfD: Was machen Sie denn!)

strafen Sie Ihre eigene Erzählung von der Beschränkung der Meinungsfreiheit Lügen.

(Oliver Kirchner, AfD: Wahlen rückgängig gemacht!)

Denn niemand hindert Sie daran, 

(Oliver Kirchner, AfD: Wahlen rückgängig gemacht!)

hier Ihre Positionen darzustellen. Niemand hindert Ihre Vertreter daran, sich in Talkshows und Bundestagsdebatten so zu äußern, wie Sie es tun. 

(Florian Schröder, AfD: Wäre ja noch schöner!)

Niemand hindert Sie daran, auf Ihren Versammlungen und Demos das zu sagen, was Sie sagen. Niemand hindert Querdenker, Klimaleugner und andere daran, ihre Auffassung im Internet zu posten. Die wohlfeile Formulierung „Das darf man ja heutzutage nicht mehr sagen“ steht meist am Ende einer solchen Aussage und widerlegt sich damit ironischerweise selbst. 

Gleichzeitig macht der Antrag aber auch exemplarisch deutlich, mit welchen Methoden die Erzählung von der Beschränkung der Meinungsfreiheit geschürt wird. Die Beweisführung der AfD ist schon eine toxische Mischung. 

(Ulrich Siegmund, AfD: Was!)

Sie führt als Beispiel für Maßnahmen des Establishments zur Verengung des Meinungskorridors in einem Atemzug Meinungsäußerungen von Bundestagsabgeordneten von CDU und SPD an, ein Urteil eines unabhängigen Gerichts und den mörderischen Angriff eines islamistischen Täters in Mannheim, alles in einen Topf geworfen. 

(Zuruf von Lothar Waehler, AfD)

Das ist perfide, aber es ist bei Ihnen die Regel und nicht die Ausnahme. 

(Zustimmung bei der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man muss in diesem Zusammenhang immer wieder mit zwei Missverständnissen aufräumen. Dieses Missverständnis kam auch bei der Diskussion der Fraktionsvorsitzenden zum Tragen. 

Erstens. Meinungsfreiheit heißt nicht, dass einem niemand widersprechen darf. 

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und von Guido Kosmehl, FDP)

Um ein aktuelles Beispiel zu nehmen: Wenn mein Parteivorsitzender Lars Klingbeil im Fernsehen sagt, dass die AfD eine Nazipartei ist, dann ist das sein gutes Recht. Wenn Alice Weidel das zurückweist, dann ist das ebenfalls ihr gutes Recht. 

(Oliver Kirchner, AfD: Das ist richtig, aber Sie verharmlosen damit den Nationalsozialismus!)

- Herr Kirchner, 

(Ulrich Siegmund, AfD: Na klar!)

wir reden ja über Meinungsfreiheit. Ich habe nur dargestellt, dass sowohl das eine wie auch das andere von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, 

(Ulrich Siegmund, AfD: Aber es muss doch Grenzen haben!)

auch wenn Ihnen das eine nicht gefällt und das andere sehr. Das spielt dafür keine Rolle. 

(Beifall bei der SPD - Ulrich Siegmund, AfD: Doch! Weil es geschichtsvergessen ist!)

Auf starke Meinungen gibt es auch harte Reaktionen. Das ist so. 

(Ulrich Siegmund, AfD: Ist aber geschichtsvergessen!)

Zweitens. Dass man frei seine Meinung äußern darf, heißt nicht, dass alles erlaubt ist. 

(Zustimmung bei der SPD - Lothar Waehler, AfD: Aha! Jetzt widersprechen Sie sich doch!)

- Zuhören!

(Lothar Waehler, AfD: Jetzt widersprechen Sie sich doch!)

- Zuhören! 

(Unruhe bei der AfD - Zuruf von Lothar Waehler, AfD)

- Herr Waehler, unser Strafrecht 

(Daniel Rausch, AfD: Mein Gott!)

bedroht eine Reihe von Delikten mit Verboten und Strafen. Es ist kein Zufall, dass es bei vielen davon um Schlussfolgerungen aus dem Nationalsozialismus geht. So ist es verboten, Naziparolen zu verwenden. Das ist übrigens der Grund für das Urteil gegen Björn Höcke. 

(Oliver Kirchner, AfD: Nein! Ist falsch!)

- Herr Kirchner, ganz ehrlich, 

(Oliver Kirchner, AfD: 1924 waren Sie das von der SPD!)

dass Sie an diesem Pult so reden, 

(Oliver Kirchner, AfD: „Nichts für uns, alles für Deutschland!“ - das war Ihre Parole!)

an diesem Pult, an dem der Vorsitzende des Reichsbanners stand und klar gezeigt und auch historisch belegt hat, wofür das Reichsbanner stand, in dem ich wirklich gern und stolz Kameradin bin, 

(Dr. Hans-Thomas Tillschneider, AfD, lacht)

dass sich diese Gruppe von Männern gegen den aufkeimenden Nationalsozialismus gestellt hat 

(Beifall bei der SPD - Oliver Kirchner, AfD: Dann nehmen wir das als Beispiel!)

und dass sie die Fahne 

(Oliver Kirchner, AfD: Ist doch super!)

der Weimarer Republik in den Farben Schwarz-Rot-Gold zum Teil mit dem Leben verteidigt hat, 

(Oliver Kirchner, AfD: Ist doch richtig!)

weil andere Horden die Farben Schwarz-Weiß-Rot als ihr Signal nehmen wollten,

(Oliver Kirchner, AfD: Dann nehmen wir doch die Parole: Nichts für uns, alles für Deutschland! Ist doch wunderbar!)

Sie sollten sich dafür schämen. Schämen sollten Sie sich. 

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei den GRÜNEN - Unruhe bei der AfD)

Ich habe nicht Jura studiert, trotzdem weiß ich, dass es bei der Verwendung solcher Formulierungen

(Oliver Kirchner, AfD: Ist doch Ihre Parole!)

auf den Kontext ankommt. 

(Frank Otto Lizureck, AfD: Wer will denn hier eine Opposition beseitigen?)

Dass Herr Höcke seine Formulierungen so gewählt hat, um genau auch Ihrer Parteiideologie und Ihrem Programm Ausdruck zu verleihen, 

(Dr. Hans-Thomas Tillschneider, AfD: So ein Blödsinn! - Oliver Kirchner, AfD: Alles für Sachsen-Anhalt! Alles für unsere Heimat!)

das hat das Gericht dazu gebracht, dieses Urteil zu fällen. 

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Übrigens - wo wir gerade dabei sind  , auch Formulierungen wie „Arbeit macht frei“ sind verboten. 

(Beifall bei der SPD)

Das geht einfach nicht. Deshalb sind unsere Strafverfolgungsbehörden an diesen Stellen zuständig. Es ist    

(Oliver Kirchner, AfD: Aber es ist doch Ihr Satz!)

- Er wurde danach von den Nationalsozialisten 

(Oliver Kirchner, AfD: Ihr Satz ist es!)

und von der SS genutzt. 

(Oliver Kirchner, AfD: Ja!)

Deshalb ist er verboten. Darum geht es ja eben. 

(Oliver Kirchner, AfD: Dann nehmen wir doch das positive Beispiel!)

- Herr Kirchner, dass Ihr Intellekt nicht ausreicht, um das nachzuvollziehen, das verstehe ich ja. Aber es ist so. 

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei den GRÜNEN - Oh! bei der AfD - Zurufe von der AfD: Jetzt hören Sie aber mal auf! - Eine Frechheit ist das! - Das ist ja wohl nicht wahr! - Daniel Roi, AfD: Und warum gilt das nicht auch umgedreht? Erklären Sie das mal! - Unruhe)

Es ist verboten. 

(Zuruf von der AfD: Ihr Intellekt reicht nicht aus - das ist ein persönlicher Angriff! - Zuruf von Ulrich Siegmund, AfD - Unruhe))

Es ist verboten, den Holocaust zu leugnen, 

(Zuruf von der AfD: Ihre Drogenpartei, und Sie urteilen hier!)

weil damit das Andenken an die ermordeten Jüdinnen und Juden geschändet wird.

(Frank Otto Lizureck, AfD: Die Wähler haben Sie nicht umsonst abgestraft! - Zuruf von der AfD: Pädophilenpartei!)

Auch Volksverhetzung ist verboten. 

(Zuruf von der AfD: Pädophile und Drogen!)

Gerade die zunehmende Gewaltbereitschaft in dem hinter uns liegenden Wahlkampf - darüber werden wir nach der Pause noch einmal reden - 

(Frank Otto Lizureck, AfD: Splitterpartei!)

beweist, dass der Anstachelung zum Hass Grenzen gesetzt werden muss,

(Zustimmung bei der SPD)

nicht durch die Politik, sondern durch Strafverfolgungsbehörden und Justiz. Beides gehört zusammen: die Freiheit der Meinungsäußerung und der Schutz davor, dass Menschen durch Äußerungen anderer herabgewürdigt werden

(Lothar Waehler, AfD: Ja, genau!)

oder dass die Werte unseres Zusammenlebens gefährdet werden.

(Zurufe von der AfD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Damit ist eigentlich auch schon alles gesagt zu dem Zerrbild, das die AfD hier ein weiteres Mal von unserer Gesellschaft und unserem demokratischen Staat zeichnet.

(Zuruf von der AfD: Das Zerrbild haben Sie gezeichnet! - Weitere Zurufe von der AfD)

Dass Sie sich dabei nicht einmal zu schade sind, sich mit den Schickimicki-Rassisten aus dem bekannten Sylt-Video zu solidarisieren, ist zwar besonders unappetitlich, aber nicht überraschend.

(Zurufe - Unruhe)

Um noch etwas Konstruktives beizusteuern, möchte ich gern darauf zurückkommen, was ich am Anfang meiner Rede und Ihnen allen über die Ausstellung aus Anlass des 75-jährigen Geburtstags des Grundgesetzes gesagt habe, und ich möchte Ihnen das noch einmal ans Herz legen.

(Lothar Waehler, AfD: Vielen Dank, dass Sie für uns so gute Wahlhilfe machen!)

Die Ausstellung macht sehr deutlich, wie sich Menschen in der Zeit von 1945 bis 1949 in den Ländern der sowjetischen Besatzungszone für demokratische Strukturen eingesetzt haben und dadurch politische Verfolgung aushalten mussten. Sie macht deutlich, dass Demokratie zu allen Zeiten von Demokratinnen und Demokraten verteidigt werden musste.

(Zustimmung bei der Linken - Zurufe von der AfD - Unruhe)

Sie macht deutlich, dass wir tatsächlich auf den Schultern von anderen stehen, die das, auch dieses Grundgesetz, für uns erstritten, diskutiert haben, und darauf sollten wir stolz sein. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, bei der Linken und bei den GRÜNEN)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Frau Dr. Pähle, es gibt eine Kurzintervention von Herrn Köhler. - Herr Köhler, bitte.


Gordon Köhler (AfD): 

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Dr. Pähle, niemand hindert Sie daran, Ihre Meinung zu sagen. - Das war der O-Ton in Ihrem Redebeitrag. Ich möchte das einmal mit zwei Beispielen aus der Praxis unterfüttern. Die Diakonie in Gardelegen schmeißt eine ehrenamtliche Hospizhelferin raus. Die Bundesvereinigung der Eltern von blinden bzw. sehbehinderten Kindern beruft eine Regionalbeauftragte aus dem Saalekreis ab. - Beides sind Beispiele dafür, wie man mutige Damen, die für die AfD kandidieren, aus dem Ehrenamt, in dem sie sich gesellschaftlich engagieren, drängt.

Jetzt halten wir einmal fest: Was ist der Grundgedanke des Artikels 5? - Meinungsfreiheit. Das heißt nicht nur, dass man die Meinung äußern kann, sondern auch, dass das folgenlos bleibt.

(Dr. Katja Pähle, SPD, und Guido Kosmehl, FDP: Nein! - Zurufe von der SPD: Nein!)

- Sie sollten sich vielleicht mit dem Geist der Gründungsväter des Grundgesetzes beschäftigen. Das war nämlich die Erfahrung aus der Nazizeit. Sie wollten, dass man seine Meinung frei sagen kann und dass das eben keinen Preis hintenherum hat.

Ich bin der Auffassung, dass in diesem Land die Meinungsfreiheit in Gefahr ist, wie es die Debatte auch zeigt. Das zeigen ganz viele Beispiele, das zeigen auch ganz viele Übergriffe, insbesondere gewalttätige Übergriffe auf AfD-Vertreter. Und deswegen bleiben wir dabei, dass die Meinungsfreiheit hier schlicht und ergreifend in Gefahr ist.

(Beifall bei der AfD - Zuruf von der AfD: Bravo!)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Frau Dr. Pähle, Sie können reagieren.


Dr. Katja Pähle (SPD): 

Herr Köhler, das ist ja auch Ihre Meinung. Dass das Ihre Meinung ist, die Sie hier am Pult, auf den Plätzen und auf Social Media ohne Einschränkungen, ohne Behinderung Ihrer Meinungsfreiheit äußern dürfen, zeigt ja, dass Sie an der Stelle eine andere Meinung haben als ich und als viele andere.

(Zuruf von der AfD: Genau!)

Sie dürfen aber nicht erwarten - und das ist genau dieses Missverständnis  , dass Meinungsäußerung folgenlos bleibt.

(Daniel Roi, AfD: Die schmeißen alle raus bei der Diakonie, oder was! - Eva von Angern, Die Linke: Das entscheiden nicht wir, sondern die Diakonie! - Unruhe)

Dieses Recht haben Sie nicht. Und es gibt Dinge, die landen dann vor einem Gericht, weil unser Grundgesetz genau wie an anderen Stellen unsere Strafgesetze bestimmte Dinge unter Strafe stellen.

(Unruhe bei der AfD)

Um es ganz platt zu sagen, wenn im Mathematikunterricht ein Kind der Meinung ist, dass fünf plus fünf gleich 13 ist, wird es dafür eine schlechte Note bekommen. Es darf trotzdem seine Meinung behalten, aber sie ist einfach falsch.

(Zurufe von der AfD: Sie würden sie aus der Schule schmeißen! - Wir haben unsere Meinung! - Das meinen Sie doch nicht ernst, was Sie da sagen! - Unglaublich! - Sie rufen 1933 aus, Frau Dr. Pähle! - Weitere Zurufe von der AfD)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Herr Köhler steht noch am Mikrofon. Wir haben bei der Aktuellen Debatte zuvor schon gesagt, dass eine Kurzintervention, eine Nachfrage zulässig ist, aber nicht noch eine weitere.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN - Unruhe bei der AfD)

Deswegen will ich das bei dieser Debatte genauso machen.