Karin Tschernich-Weiske (CDU): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Was nach 75 Jahren Grundgesetz bleibt, ist die völlig falsche Frage. Für mich steht nach dem Durchdenken des Debatteninhalts eher die Erkenntnis: Ja, es lebt noch, und wie. 

(Beifall bei der CDU) 

Unser Grundgesetz ist die Basis für ein gutes Leben in Freiheit, Gleichheit und Frieden. Es stellt den Menschen mit seiner unantastbaren Würde in den Mittelpunkt seines Wertesystems. Es bindet staatliches Handeln an die Beachtung der Grundrechte. Zur Garantie der Freiheit gehört die Meinungsfreiheit nach Artikel 5. Danach kann jeder die eigene Meinung mit eigenen Werturteilen äußern. 

Trotzdem kennt die Meinungsfreiheit auch Grenzen. Sie gilt z. B. nicht für unwahre Tatsachenbehauptungen oder Beleidigungen. Weil das der Knackpunkt der Debatte ist, will ich die Schranken aus Artikel 5 Abs. 2 des Grundgesetzes zitieren: Diese Rechte, nämlich auf Meinungsfreiheit, finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Das ist der Punkt, den die AfD an dieser Stelle verkennt. 

(Dr. Hans-Thomas Tillschneider, AfD: Nein!) 

Kein Grundrecht bis auf das der Menschenwürde gilt absolut und uneingeschränkt. So ist das Debattenbeispiel der Rechteeinschränkung während der Corona-Pandemie auch schnell aufgelöst. Nach Artikel 2 Abs. 1 des Grundgesetzes hat jeder das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt. Aber nach Artikel 2 Abs. 2 des Grundgesetzes hat jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. So musste zu Pandemiezeiten das eine Grundrecht gegen das andere Grundrecht abgewogen werden und der Gesetzgeber schränkte die Handlungsfreiheit des Einzelnen zugunsten des Gesundheitsschutzes der anderen ein.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich kann bereits an dieser Stelle wiederholen, dass unser 75-jähriges Grundgesetz ein Fels in der Brandung der Herausforderungen unserer Bundesrepublik ist und sich jeden Tag aufs Neue bewährt. 

(Zustimmung bei der CDU) 

Das Problem, das die AfD zum Grund für diese Debatte machte, war eine in der „Zeit“ veröffentlichte Meinungsumfrage, wonach nur 40 % der Deutschen glauben, ihre politische Meinung frei äußern zu können. Woran liegt das? - In den letzten Jahren hat sich in unserem Land eine regelrechte Empörungskultur entwickelt, die mehrere Ursachen hat. Ich habe den Eindruck, dass in den letzten Jahren eine Meinungsbildung nur noch über ein Schwarz-Weiß-Denken funktioniert

(Zustimmung bei der CDU)

und, egal in welchem Bereich, eine Polarisierung stattfindet. In den sozialen Netzwerken wird eine Meinung, die nicht der eigenen entspricht, regelmäßig mit Beleidigungen bedacht. 

(Zuruf von der Linken)

Auf der privaten Ebene scheint eine Diskussion, die durch den Austausch von Argumenten auf der Basis von Tatsachen gekennzeichnet ist, immer seltener zu werden. Vielmehr beruft man sich auf seine gefühlte Wahrheit. Öffentlich traut sich aufgrund dieser Polarisierung und der aufgeheizten Gemüter so mancher nicht mehr, offen das zu sagen, was er wirklich denkt. Da bitte ich jeden, einmal sich selbst zu reflektieren, und schließe dabei ganz ausdrücklich die Vertreter der Presse mit ein: 

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Ulrich Siegmund, AfD: Jawohl!)

Wird die Meinung von Menschen, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit und ihrer gesellschaftlichen Stellung, wirklich ausgewogen und neutral wiedergegeben? Befinden wir alle uns schon in einem Zustand der vorausschauenden Selbstzensur?

(Zustimmung bei der CDU, bei der AfD und bei der FDP)

Ich kann für mich sagen, dass ich mir oft genug einen Kommentar zu einem Bauchgefühl verkneife, weil ich Sorgen habe, mit dem Aussprechen der wahrgenommenen Umstände falsch verstanden oder zitiert zu werden und damit in die rechte Ecke gestellt zu werden.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Dieser Mechanismus ist aber genau das, was die politischen Ränder stark macht. Wenn wir Parteien der Mitte es nicht mehr wagen, die Missstände zu benennen und diese dann auch aktiv zu bekämpfen, werden viele Menschen sich den Parteien zuwenden, die ohne diese Selbstzensur die Probleme der Gegenwart benennen - selbst dann, wenn auch sie an deren Lösung scheitern würden. 

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Die AfD hat dieses Aussprechen der Probleme zu ihrem Markenkern gemacht

(Ulrich Siegmund, AfD: Jawohl!)

und braucht nicht einmal realistische Lösungen anzubieten, um gewählt zu werden. 

(Ulrich Siegmund, AfD: Doch!)

Sie schürt mit der Behauptung von der Einschränkung der Meinungsfreiheit die Ängste und die Empörung in der Bevölkerung. 

(Ulrich Siegmund, AfD: Sie haben es ja gerade bestätigt!)

Das sieht man bereits im Text dieser Debattenanmeldung. 

(Oliver Kirchner, AfD: Man nimmt einen bunten Mix aus allem!)

Da ist davon die Rede, dass nur 40 % der Befragten glauben, ihre Meinung frei äußern zu können. Selbst die „Zeit“ titelt - so verkürzt - genau das. Wirft man dann einen Blick in den Text des Artikels, erkennt man sehr schnell, dass es explizit um die politische Meinung geht, und das ist eine wichtige Differenzierung. 

Wir selbst - und das auch ganz klar - gemeinsam mit der Presse und dem Rundfunk haben es in der Hand, zu einer offenen politischen Diskussion ohne Selbstzensur zurückzufinden. 

(Zustimmung bei der CDU)

Wir müssen in politischen Diskussionen mutiger sein und uns endlich wieder trauen, das zu sagen, was wir denken. Dem müssen dann auch Taten folgen, die unbequem sind, z. B. eine Kürzung des Bürgergeldes für Menschen, die arbeiten können, aber nicht wollen. 

(Beifall bei der CDU)

Wir müssen dem anderen wieder zuhören und unsere Meinung aufgrund von Tatsachen bilden, statt den Inhalt von TikTok-Videos ungeprüft zu übernehmen. 

(Beifall bei der CDU)

Dann müssen wir hoffentlich auch nicht mehr solche Debatten führen

(Sandra Hietel-Heuer, CDU: Ja!)

und können uns stattdessen den wirklichen Herausforderungen unseres Landes widmen. 

(Beifall bei der CDU und von Andreas Silbersack, FDP)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Vielen Dank, Frau Tschernich-Weiske. Frau von Angern möchte eine Nachfrage stellen - wenn Sie die zulassen. Bei Herrn Siegmund habe ich das jetzt nicht verstanden.

(Ulrich Siegmund, AfD: Ich wollte auch eine Frage stellen!)

- Auch eine Nachfrage. Gut. - Frau von Angern ist aber zuerst an der Reihe.


Eva von Angern (Die Linke): 

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank, dass Sie die Frage zugelassen haben. Ich möchte mich ganz kurz dazu einlassen. Ehrlich gesagt, ich erlebe, gerade mit Blick auf die sozialen Medien, eine Zeit, in der so viele unterschiedliche Meinungen Raum bekommen wie noch nie zuvor. Wie oft habe ich am Infostand Dinge gehört, die ich in den Jahren zuvor nie gehört habe und nach wie vor unanständig finde, die aber gesagt werden. Das kannte ich in den vielen Jahren zuvor nicht. 

Was mich aber berührt, und deswegen stelle ich die Nachfrage: Wenn Sie sich als frei gewählte Abgeordnete an das Rednerpult stellen und sagen: „Ich traue mich nicht, bestimmte Dinge zu sagen, weil ich Sorge habe, was danach passiert“, 

(Jörg Bernstein, FDP: Ja!)

frage ich Sie einmal ganz konkret: In welchem Rahmen trauen Sie sich welche Dinge nicht zu sagen und vor welcher Repression haben Sie Angst?

(Olaf Meister, GRÜNE: Wir können es ja nicht sein!)


Karin Tschernich-Weiske (CDU): 

Wenn ich die Artikel lese, mit den Inhalten, die uns alle angehen, dann fällt mir auf, dass immer dieselben Parteien dort weniger erwähnt sind und dass manchmal Dinge verkürzt dargestellt werden, sodass der Eindruck hinterlassen wird: Na ja, die gehen doch in die rechte Ecke. - Ich finde uns gerade nicht paritätisch dargestellt.

(Hendrik Lange, Die Linke: Was, was?)

- Ja, das ist so. Ich meine, wir könnten jetzt ganz viele Artikel hervorziehen und gucken, welcher Politiker welcher Partei dort um seine Meinung gebeten wird und welcher nicht. 

(Daniel Roi, AfD: Das können Sie doch den Linken nicht sagen! Das wollen die doch so!) 

Ich mache das jetzt an keiner Partei fest. Aber das geht mir so, und dann werde ich vorsichtiger. Das ist so. 


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Vielen Dank, Frau Tschernich-Weiske. - Es gibt noch eine Nachfrage - wenn Sie die zulassen - von Herrn Siegmund.


Karin Tschernich-Weiske (CDU): 

Ja, ja.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Ja, ja. Okay, gut. - Herr Siegmund.


Ulrich Siegmund (AfD): 

Vielen Dank. - Vorab: Das war jetzt nicht geplant, aber da muss ich Sie unterstützen: Wenn sich Frau von Angern einmal mit ihren Kollegen unterhalten würde, würde sie feststellen, dass es inzwischen sogar wissenschaftlich verbrieft ist, dass es genau das gibt, was Sie gerade gesagt haben, wie wir in der Enquete-Kommission zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk erlebt haben. Aber das ist bei den Linken anscheinend noch nicht angekommen.

(Zuruf von der AfD: Nein!)

Ich habe trotzdem eine ganz kurze Frage. Sie haben sich in Ihrer Rede einmal völlig selbst widersprochen. Sie haben auf der einen Seite gesagt, dass wir Blödsinn erzählen, dass es diese Angst nicht geben kann, dass das Quatsch ist, und auf der anderen Seite haben Sie die ganze Zeit von Ihrer eigenen Angst gesprochen. Das ist ein absoluter Widerspruch. Das heißt, wir sagen, es gibt diese Sorge der Menschen, dass sie ihre Meinung nicht frei äußern können. Das alles sei in unserem Antrag übertrieben. Zeitgleich ging Ihre ganze Rede aber im Prinzip darum. Also, das war ein Widerspruch, den ich einfach einmal herausarbeiten wollte.

Eine Frage habe ich noch an Sie. Sie haben gesagt, Sie trauten sich jetzt einmal, etwas Unbequemes auszusprechen, nämlich dass Bürgergeld nicht mehr an Menschen fließen sollte, die keine Lust haben, arbeiten zu gehen. Da würde ich Sie gerne fragen: Warum ist das denn eine unbequeme Aussage?

(Daniel Roi, AfD: Außerdem hat es Herr Waehler auch gesagt! - Weiterer Zuruf)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Frau Tschernich-Weiske.


Karin Tschernich-Weiske (CDU): 

Ja, das ist selbstverständlich. Aber jetzt müssen wir gucken, dass wir es umgesetzt bekommen. Dazu brauchen wir die Bundesregierung. Es gibt noch viel mehr Wahrheiten, zu denen wir zurückfinden müssen. 

Trotzdem, wenn wir jetzt noch einmal zu diesem Artikel, überhaupt zu dieser Debatte zurückfinden wollen: Sie melden hier eine Debatte an und wollen über das Grundgesetz und über Meinungsfreiheit reden. Dann ziehen Sie hier vom Leder und kommen mit Ihren ganzen Meinungen, die Sie jedes Mal, egal zu welcher Debatte, zum Ausdruck bringen. Aber zur Meinungsfreiheit und zum Grundgesetz und dazu, ob das Grundgesetz weiter Bestand hat und Anwendung findet, habe ich nur in den letzten Sätzen etwas gehört. 

(Oliver Kirchner, AfD: Die Überschrift lesen! Immer die Überschrift lesen, das hilft!)

Das sind Titel, die einfach nicht dem Inhalt Ihrer Debattenbeiträge entsprechen. Das ist wirklich schade; denn wir würden uns gerne mit wichtigen Themen auseinandersetzen und unser Land voranbringen, statt immer das gleiche Gezeter zu hören.