Dr. Katja Pähle (SPD):
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist durch viele nationale und internationale Studien seit geraumer Zeit wissenschaftlich bekannt, dass es in Deutschland einen verfestigten Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg von Kindern gibt.
(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)
Kinder, die aus benachteiligten Elternhäusern stammen, sind später selbst gering gebildet, brechen häufiger die Schule ab, machen weniger oft eine Berufsausbildung und besuchen seltener die Universität. Wir kennen die Studien, insbesondere auch die von dem Verein ArbeiterKind, in denen immer wieder darauf hingewiesen wird, dass quasi die Erstakademiker es oftmals besonders schwer haben. Der soziale Aufstieg durch Bildung ist für diese Kinder weitaus schwieriger und dauert länger.
(Guido Kosmehl, FDP: Aber nicht unmöglich!)
- Nicht unmöglich, sondern schwieriger und länger. Aber genau an dieser Stelle setzen jetzt, sehr geehrter Herr Kosmehl, sowohl das Bundes-Startchancen-Programm als auch unser eigenes Talentschulen-Programm an. Ich hätte nie gedacht - das gebe ich offen zu; das war aber in den Koalitionsverhandlungen schon klar -, dass an dieser Stelle die Freien Demokraten und die Sozialdemokraten gemeinsam streiten und kämpfen. Das finde ich sehr positiv.
(Guido Kosmehl, FDP: Wie so oft in der Bildungspolitik!)
- Genau.
(Zuruf von der CDU: Oh Gott!)
Ich habe dem Kollegen Tillschneider zugehört. Vor dem Hintergrund der Wahlanalysen, an denen man ablesen kann, dass die AfD insbesondere von Geringverdienern und auch von Menschen ohne hohe akademische Abschlüsse gewählt wird, die, wie ich es verstanden habe, einfach aus genetischen Gründen so dumm sind, muss ich schon sagen: Herr Tillschneider, ich hätte nie gedacht, dass Sie Ihre eigenen Wähler so beschimpfen. Aber das mag Ihnen nicht aufgefallen sein.
(Zustimmung bei der SPD - Dr. Hans-Thomas Tillschneider, AfD, lacht)
Unser Bildungssystem, insbesondere aufgrund der frühzeitigen Aufteilung der Schülerinnen und Schüler und vor dem Hintergrund der sozialen Lagen, kann man, ehrlich gesagt, ungerechterweise und zugespitzt als „Sortiermaschine“ bezeichnen. Deshalb brauchen wir sowohl das Bundesprogramm als auch die Initiative hier im Land. Wir brauchen eine auf einen langfristigen Kampf gegen diese Bildungsungerechtigkeiten ausgerichtete Veränderung an unseren Schulen.
Wir wissen, dass soziale Lagen das Lernen beeinflussen. Als der Bildungsausschuss in Irland war, haben wir da sehr viel über den Rucksack gelernt und gehört, den Kinder mitbringen, bevor sie in der Schule ankommen. Sind im Elternhaus Bücher vorhanden? Wird abends beim Zu-Bett-Gehen vorgelesen? Werden zu Hause Lieder gesungen? Wird mit dem Kind gebastelt oder nicht? Wenn Mutti und Vati erwerbstätig sind, fällt dafür die Zeit weg. Und wenn dann zusätzlich das Interesse nicht vorhanden ist, wird es noch schwieriger, zusätzlich Zeit dafür zu gewinnen.
An diesen Stellen setzt das Startchancen-Programm an. Und weil Frau Hohmann sich schon gemeldet hat, will ich auch gleich noch etwas zum Unterschied zu unserem Landesprogramm sagen. Wir müssen Bildung anders denken.
(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)
Wir dürfen nicht vergessen, woher die Kinder kommen. Wir müssen die Schule darauf vorbereiten, dass diese Kinder kommen. Wir alle wollen, dass sie ihre Talente entfalten, damit sie tatsächlich etwas zu unserer Bundesrepublik, zu unserer Gesellschaft und auch zur Wirtschaftskraft der Bundesrepublik beitragen können.
Dort setzt das Startchancen-Programm an. In der ersten Säule geht es darum, die Infrastruktur zu stärken, aber insbesondere auch mit Mitteln für zusätzliches Personal und zusätzliche Projektentwicklungen als dieses zu tun.
Im letzten Teil meiner Rede möchte ich noch etwas zu der Frage, wo jetzt die Erweiterung in dem vorliegenden Antrag ist, sagen. Natürlich sind wir jetzt erst einmal sehr froh darüber, dass wir beim Bund das Signal haben, dass das Startchancen-Programm anläuft. Herr Staatsminister Robra hat ausgeführt, wie viele Schulen es zum bereits beginnenden Schuljahr sein werden und was dann noch kommt.
Ich sehe in unserem Antrag natürlich die Aufforderung an das Bildungsministerium, das Bundesprogramm effektiv einzusetzen. Aber die Schulen in diesem Programm, an denen es darüber hinaus noch einmal andere Bedarfe gibt, sollen mit zusätzlichen Mitteln des Landes unterstützt werden.
Ich weise auf Punkt 5 und insbesondere auf die aufgelistete Berufsorientierung hin. Wir wissen noch nicht, was in dem Programm in Säule 2 und 3 auf der Bundesebene enthalten ist. Uns als Koalition, bestehend aus CDU, SPD und Freien Demokraten, ist es wichtig, an dieser Stelle schon einmal den Fokus z. B. auf die Berufsorientierung zu setzen. Es geht darum, auch die Möglichkeit zu haben, externe Partner dafür gewinnen und dafür auch kurzfristig Chancenbudgets zur Verfügung zu stellen. Es geht also darum, Möglichkeiten zu haben, um nicht alles mit den Angestellten im Schulsystem abdecken zu müssen, sondern das Ganze mit einem Einkauf von Angeboten von außen realisieren zu können. Wir wissen, dass die aktuellen Schulbudgets nicht ausreichen, um das zu ermöglichen.
(Zustimmung von Guido Kosmehl, FDP)
Das heißt, es geht darum, den Kanon, den der Bund uns sehr gut vorgibt und über den wir sehr froh sind, zu erweitern mit Blick auf den besonderen Hintergrund der Schulen in unserem Land und die besonderen Bedarfe hier im Land.
Deswegen halte ich diese begleitende Initiative für richtig. Wir haben diesen Antrag gerne mit eingebracht und wir hoffen auf Umsetzung im Landeshaushalt. - Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Danke, Frau Dr. Pähle. - Wie Sie selbst festgestellt haben, gibt es Fragen. Die erste Frage stellt Herr Dr. Tillschneider. - Herr Tillschneider, bitte.
Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD):
Es ist eine Intervention. - Wissen Sie, ich verstehe schon, dass Sie es nicht verkraften, dass Ihnen die Arbeiterschaft wegläuft. Aber ich habe überhaupt keine Wählergruppe beschimpft. Ich habe allgemeine Wahrheiten ausgesprochen.
(Zuruf: Nein! - Juliane Kleemann, SPD, lacht)
Mit Ihrer verlogenen Bildungspolitik, die inflationär Abschlüsse herausgibt, die am liebsten jedem das Abitur geben will und deshalb die Maßstäbe herabsetzt und sich selbst belügt, ist niemandem gedient. Wir machen eine ehrliche Bildungspolitik. Ich habe hier ehrlich gesprochen. Und ich sage Ihnen eines: Die Ehrlichkeit schätzen unsere Wähler. Dafür sind wir gewählt worden.
(Beifall bei der AfD)
Dr. Katja Pähle (SPD):
Herr Tillschneider, Sie haben hier am Pult gesagt, dass soziale Lagen und dass das Sein in einer sozialen Lage auch dafür sorgt, dass man weniger intelligent ist oder nicht. Sie haben ausgeführt, dass die hohen Anteile bei den Studierenden und Akademikern aus Akademikerfamilien nämlich genau daher rühren und die anderen es einfach nicht schaffen, weil sie den Aufstieg aufgrund ihrer Intelligenz nicht schaffen.
(Olaf Meister, GRÜNE: Sind doof!)
Das ist das, was Sie hier gesagt haben. Sie haben die sozialen Lagen mit Intelligenz verknüpft. Ich finde, das ist ein starkes Stück.
(Zustimmung bei den GRÜNEN und von Rüdiger Erben, SPD - Zuruf von der AfD: Das hat er doch gar nicht gemeint!)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Die nächste Frage stellt Frau Hohmann. - Frau Hohmann, bitte.
Monika Hohmann (Die Linke):
Recht schönen Dank, Herr Präsident. - Ich habe eine Nachfrage. Frau Dr. Pähle, Sie sprachen davon, dass die Talentinitiative ein langfristig angelegtes Programm sein soll. Da wäre jetzt meine Frage: In dem Antrag steht etwas von zehn Jahren. Die Talentinitiative soll also genauso lange wie das Startchancen-Programm aufrechterhalten werden. Ist das aus Ihrer Sicht dann langfristig? Oder wollen Sie darüber hinaus nach den zehn Jahren weiterarbeiten?
Dann noch vielen Dank für die Klarstellung, dass dieser Antrag verbunden ist mit Haushaltsmitteln, die dann eventuell on top zu den Mitteln, die der Bund zur Verfügung stellt bzw. die die Kofinanzierung des Landes sein werden, kommt. Ist das richtig?
Dr. Katja Pähle (SPD):
Ich fange mit dem zweiten Teil an. So haben wir immer darüber diskutiert. Natürlich ist der erste Punkt die Kofinanzierung der Bundesmittel im Startchancen-Programm.
Aber unser Anspruch ist es schon, dass wir, weil wir auch eine Vorstellung davon haben, was an der einen oder anderen Schule zusätzlich noch notwendig ist, auch dafür streiten werden, zusätzliche Mittel, wenn sie tatsächlich notwendig sind, bereitzustellen, um besondere Aspekte, wie z. B. die die Berufsorientierung, finanzieren zu können. Im Antrag steht auch, dass ein Netzwerk aus diesen Talentschulen geschaffen werden soll. Es geht darum, dass man das für all diese Sachen noch mal macht.
Zu Ihrer ersten Frage nach der Langfristigkeit. Frau Hohmann, wir beide wissen, wie sich der normale Rhythmus bei parlamentarischer Arbeit darstellt. Ich erwähne nur das gemeinsame Lieblingsprojekt Schulsozialarbeit. Da ringen wir manchmal um zwei Jahren.
Vor diesem Hintergrund halte ich zehn Jahre und auch die Verpflichtung auf zehn Jahre schon für sehr langfristig. Ähnlich wie an anderen Stellen habe ich die Hoffnung, dass auf der Grundlage der Erkenntnisse, die sowohl mit dem Bundesprogramm als auch mit der Begleitung durch diese Initiative gewonnen werden, andere Abgeordnete in anderen Legislaturperioden entscheiden werden, dass es vernünftig ist, das fortzusetzen und vielleicht auch auszuweiten. Denn eigentlich - das haben wir in Irland gesehen - ist das eine Grundvoraussetzung, wenn man in der Bildung tatsächlich umsteuern und Kindern Chancen eröffnen will.
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Danke. - Es gibt noch eine Intervention. Oder ist es eine Frage?
Angela Gorr (CDU):
Intervention.
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Es gibt eine Intervention von Frau Gorr. Genauso habe ich das empfunden.
(Angela Gorr, CDU, versucht, das Mikrofon einzuschalten - Markus Kurze, CDU: Angela, ein kleiner Knopfdruck reicht!)
Angela Gorr (CDU):
Ich könnte ja sagen, Frauen und Technik. Das will ich aber nicht sagen.
Dr. Katja Pähle (SPD):
Nein.
Angela Gorr (CDU):
Frau Dr. Pähle, ich möchte zwei Sachen vorausschicken. Ich habe keinerlei Schnittmengen mit der AfD und ich werde auch dem Antrag zustimmen. Aber ich habe eine ganz klare Forderung.
Und zwar fordere ich, dass ein respektvoller Blick auf die betroffenen Schulen und auf deren Schülerinnen und Schüler sowie auch auf die Lehrerschaft geworfen wird, damit dort keinerlei Stigmatisierung passiert.
Dr. Katja Pähle (SPD):
Hm.
Angela Gorr (CDU):
Ich stehe hier nicht in erster Linie als CDU-Politikerin, sondern als eine Person, die einmal mit einem ehemaligen SPD-Staatssekretär für Bildung in meinem Heimatort stand, als ein Fördermittelbescheid übergeben wurde. Der Grund meiner Empörung hat sich jetzt hier leider wieder gezeigt. Sie ist viele Jahre lang stabil geblieben. Damals wurde der Fördermittelbescheid überreicht mit den Worten: Ach, es ist ja ganz schön hier, so viele Kinderchen, und endlich wird mal für diese Problemschule in einem Problemviertel etwas getan.
Das war so eine Verächtlichmachung
Dr. Katja Pähle (SPD):
Hm.
Angela Gorr (CDU):
aller Menschen. Es waren sämtlichen Kinder und die gesamte Lehrerschaft dort.
Ich hoffe, dass einige Dinge, die jetzt hier geäußert wurden, keine Rolle spielen werden, wenn nachher darüber gesprochen wird, welche Schulen ausgewählt werden; denn aus meiner Sicht ist es eigentlich schon immer so, dass Kinder gefördert werden sollten, die benachteiligt sind, in welcher Art und Weise auch immer.
(Zustimmung von Markus Kurze, CDU)
Dr. Katja Pähle (SPD):
Frau Gorr, Sie haben mich und auch meine Fraktion da komplett an Ihrer Seite. Deswegen gebe ich zu, dass auch ich eine andere Wahrnehmung hatte, als ich das Wort „Talentschulen“ zum ersten Mal gehört habe. Aber in der Nachbetrachtung bin ich der FDP für diese Benennung sehr dankbar, weil es tatsächlich darum geht, klarzumachen, dass jedes Kind ein Talent hat. Die sind unterschiedlich ausgeprägt.
(Zustimmung bei der FDP)
Das gebietet auch der Respekt vor denen, die eine duale Ausbildung oder Abitur machen. Es ist nichts mehr wert als das andere. Wir brauchen alle; wir brauchen jeden und jede. Wir wollen Sorge dafür, dass tatsächlich jeder und jede seinen oder ihren Anteil leisten kann.
Deshalb müssen wir wegkommen von der Stigmatisierung. Wir müssen eher davon reden, dass wir individuelle Chancen eröffnen und unterstützen wollen. Wir müssen dafür sorgen, dass diese dann tatsächlich umgesetzt werden können.