Olaf Meister (GRÜNE):
Genau, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren! In Vertretung für Herrn Aldag, dem ich von hier aus „Gute Besserung!“ wünsche: Die Naturkatastrophe in Süddeutschland hat uns mit voller Wucht getroffen und zeigt uns einmal mehr die unbändige Kraft der Natur.
(Zuruf: Ach!)
Die Bilder von überfluteten Straßen, zerstörten Häusern und verzweifelten Menschen haben sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt.
(Zuruf: Ach was!)
Doch inmitten dieser Tragödie haben wir auch eine überwältigende Welle der Solidarität und des Zusammenhalts erlebt. Die Einsatzkräfte vor Ort, Feuerwehr, Polizei, Technisches Hilfswerk, das Deutsche Rote Kreuz und viele andere Hilfsorganisationen, aber auch Freiwillige und Nachbarinnen und Nachbarn haben in den letzten Tagen Großartiges geleistet.
(Zuruf: Stimmt!)
In der heutigen Debatte wollen wir genau über diese Solidarität reden. Aber Solidarität allein bei Folgen von Extremwetterereignissen zu zeigen, wäre zu kurz gedacht, wenn wir darüber sprechen wollen, wie wir die Folgen des Klimawandels solidarisch tragen können.
Wir sollten uns - die Aktuelle Debatte legt darauf einen Schwerpunkt - zuerst mit den bereits eintretenden Risiken und Schäden und den Gründen dafür beschäftigen. Denn bevor wir die Opfer des Klimawandels finanziell verpflichten, müssen wir doch über die Gründe der Klimakrise reden und diese in den Blick nehmen.
Jährlich entstehen durch die Klimakrise Kosten in der gleichen Größenordnung wie bei der Ahrtal-Flut. Wir können diese nicht nur auf die Betroffenen abwälzen.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Wir haben tatsächlich die Situation, dass wir in bestimmten Bereichen für viele Menschen keine Versicherung oder sehr teure Versicherungen anbieten. Ich meine, wir können die Menschen damit nicht allein lassen. Herr Büttner - ich weiß nicht, was seine genaue Position am Ende dazu war - schilderte das Problem vor Ort an der Saale.
Ich meine tatsächlich: Da muss Solidarität herrschen. Menschen, die in so einem Bereich leben, haben diese Solidarität der Gemeinschaft verdient. Es ist nicht fair, einfach zu sagen, das macht der Staat; wenn es passiert, rücken wir aus und machen das. Vielmehr meine ich, die Lösung ist eine bundesweite Pflichtversicherung, die tatsächlich dazu führt, dass wir versicherbare Risiken haben und diese Risiken über die Menschen verteilen können und für alle tragbar machen.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Der Klimawandel bedeutet eine globale Krise, die unser Leben hier und jetzt beeinflusst. Die Auswirkungen sind in Sachsen-Anhalt bereits deutlich spürbar. Seit dem Jahr 1881 hat sich die Temperatur in unserer Region um 1,6 °C erhöht. Wenn wir weitermachen wie bisher, könnte die Durchschnittstemperatur bis zum Ende des Jahrhunderts um 4,2°°C steigen.
(Zuruf: Wie zu erwarten war!)
Diese drastischen Veränderungen bringen erhebliche Risiken mit sich. Es wird wärmer. Der Niederschlag verschiebt sich und nimmt ab.
(Unruhe)
Folgen sind unter anderem die Austrocknung der Böden und die Zunahme von Extremwetterereignissen - die Folgen sehen wir gerade , was das Hochwasserrisiko erheblich erhöht.
Die Aussage, dass wir von nichts gewusst hätten - ich hatte Ministerpräsidenten Söder so verstanden , stimmt schlicht nicht.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Wir sind gewarnt und haben die Pflicht zu handeln. Das Vorsorgeprinzip leitet uns an, frühzeitig und vorausschauend zu handeln. Daher sind Schutzmaßnahmen, die das Risiko von Extremwetterereignissen verringern, der erste wichtige Schritt.
(Unruhe)
Mit einem Landesklimaschutzgesetz können wir als Teil der weltweiten Bemühungen den Klimawandel tiefgreifender bekämpfen und verpflichtende Ziele setzen. Leider wird dieses Thema seit Jahren verzögert.
Auch der neue Aktionsplan vom Zukunfts- und Klimaschutzkongress muss verbindlicher umgesetzt werden. Ein scharfes Kennzahlenmanagement mit Sanktionen wäre ein wichtiges Instrument im Controlling. Wir werden dies weiter verfolgen und Druck auf die Landesregierung ausüben.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Und ja, Klimaschutz kostet. Aber wenn wir uns die Zahlen anschauen, so kostet uns kein Klimaschutz eben noch mehr. Bis zum Jahr 2050 können Kosten von bis zu 900 Milliarden € für die Gesellschaft entstehen. Die Flutkosten lagen laut BMWK im Jahr 2021 bei 240 Milliarden €. Das ist Geld, das für die Vorsorge besser eingesetzt wäre. Klimaschädliche Technologien und Verhaltensweisen sollten stärker finanziell in die Verantwortung genommen werden.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Dies bringt mich zu meinem zweiten Punkt des Vorsorgeprinzips, der Klimaanpassung. Denn ist es nicht so: Wo einst Flüsse und Bäche unproblematisch über die Ufer traten, sind jetzt häufig Baugebiete im Weg. Flutwellen richten nun noch größere Schäden an. Diese Entwicklung zeigt, dass unsere derzeitigen Planungs- und Genehmigungsprozesse unzureichend sind. Die Errichtung von Gebäuden in gefährdeten Gebieten stellt nicht nur ein enormes Risiko für die Bewohner, sondern auch für die gesamte Gesellschaft dar.
Besonders streng müssen wir bei der Planung und Genehmigung von kritischer Infrastruktur wie Krankenhäusern und Umspannwerken sein. Stromausfälle und deren Folgen, Tote und Verletzte, können und müssen vermieden werden. Der weitere Ausbau in Überschwemmungsgebieten wäre im Kontext der Pflichtversicherung unsolidarisch und verantwortungslos.
Die verheerenden Hochwasserereignisse der Jahre 2002 und 2013 sowie die Neujahrsüberflutungen in diesem Jahr an der Helme in Mansfeld-Südharz haben deutlich gemacht, wie wichtig eine effiziente Vorsorge und Bereitschaft für derartige Naturkatastrophen auch in unserem Bundesland sind. Durch Siedlungsbau und Industrie sind an der Elbe in Sachsen-Anhalt allein 2400 km² an ursprünglichen Überschwemmungsflächen der Elbe verloren gegangen.
Wir haben im Jahr 2016 in der Regierung ein Programm „Mehr Raum für unsere Flüsse“ ins Leben gerufen und finden es positiv, dass die Landesregierung es unter dem Namen „Fluss, Natur, Leben“ als Maßnahmenprogramm weiterführt. Doch von den darin geplanten 34 Deichrückverlegungen und Errichtungen von Flutpoldern bis zum Jahr 2027 mit einer Fördersumme von 59,2 Millionen € befinden sich bisher nur zwei in der Bauausführung. Da, meine ich, müssen wir ran.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Durch den Klimawandel wird es trotz Anpassungsmaßnahmen zu Schadensereignissen kommen. Wenn dies eintritt, müssen wir als Gesellschaft vorbereitet sein.
Somit komme ich zur dritten Stufe der gesellschaftlichen Verantwortung während und nach der Katastrophe. Auch hierbei lehrt uns das Kooperationsprinzip, dass der Schutz eine gemeinsame Aufgabe von Staat sowie Bürgerinnen und Bürgern ist. Die Stärkung unseres Katastrophenschutzes ist daher eine essenzielle Gemeinschaftsaufgabe. Das Land darf die Landkreise und Kommunen sowie die Einsatzkräfte und Freiwilligen nicht allein lassen.
Werte Abgeordnete! Wir sind uns einig, der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Meistens sind wir einig, wir sollten es zumindest sein.
Solidarität bedeutet, dass wir uns gegenseitig unterstützen, dass wir zusammenhalten und gemeinsam nach Lösungen suchen. Das heißt auch, dass wir erstens solidarische Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels angehen müssen, und nicht nur zur Schadensbewältigung. Nur so können wir die Risiken durch Extremwetterereignisse wie Hochwasser mindern und eine lebenswerte Zukunft für kommende Generationen sichern. Zweitens Klimaanpassung. Das werden wir viel stärker im kommunalen Planungsprozess verankern müssen. Drittens: den Katastrophenschutz sicherstellen und Maßnahmen Nachsorge gemeinsam verbessern. Wir teilen die Forderung von Prof. Willingmann. Es ist an der Zeit, Blockadehaltungen abzulegen und konstruktiv voranzugehen.
(Zuruf: Ja!)
Wir halten eine gesetzliche Verankerung einer Elementarschadenversicherungspflicht mit risikoadäquaten Prämien für zielführend. Eine solche Versicherungspflicht muss aber Teil einer Gesamtstrategie zur Klimaanpassung sein. - Vielen Dank.