Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Als vor 76 Jahren die alliierten Westmächte die Deutschen in Westdeutschland beauftragten, eine neue Verfassung auszuarbeiten, war das ein enormer Vertrauensbeweis. Nur drei Jahre nach dem Ende des Krieges, nur drei Jahre nach dem Ende der Shoah war dieser mit der Hoffnung verbunden, die verschüttete Liebe der Deutschen zur Demokratie wieder zu entfachen. 

Die Rede des Herrn Kirchner heute hat gezeigt, dass es in Teilen nicht funktioniert hat. 

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der Linken)

Unser Grundgesetz sollte Ausdruck des Bekenntnisses „Nie wieder!“ sein. So stellten sie die Menschenwürde in den Mittelpunkt dieser Verfassung und machten die in der Weimarer Republik nur deklaratorisch geltenden Grundrechte zu echten Grundrechten, die in ihrem Kern unabänderlich bleiben sollen, genauso wie unsere bundesstaatlichen Grundsätze und die freiheitliche demokratische Grundordnung. Es wurde ein Gegenentwurf zu der Schreckens- und Unrechtsherrschaft der Nazis.

Sie, Kollegen von der AfD, schmähen schon mit dem Titel der Aktuellen Debatte unsere Grundrechte und das Grundgesetz. Die Freiheit der Entscheidung wird angezweifelt, wenn es gegen Ihre rechtsextremen Ziele geht. Das haben Sie auch mit Ihren Beispielen gezeigt; denn Arbeitgeber entscheiden in diesem Land immer noch so, wie sie es für richtig halten. Das macht nicht der Staat. Gerichte entscheiden in diesem Land eben immer noch so, wie sie es auf Grundlage unseres Grundgesetzes und unserer Rechte für richtig halten, und nicht der Staat. 

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auf diese Verfassung können wir stolz sein. Ich bin sehr stolz auf diese Verfassung, gerade weil für uns Ostdeutsche diese beste aller bisherigen deutschen Verfassungen jahrzehntelang nicht galt, im Gegenteil. Mit der Niederschlagung des Volksaufstandes um den 13. Juni 1957 war massiv klar, für die Deutschen in Ostdeutschland gelten die Grundrechte nicht. Die gesicherten Freiheitsrechte gelten in der DDR nicht. 

Dank des extremen Mutes Engagierter brach sich der Freiheitsdrang dann aber auch in den östlichen Bundesländern im Rahmen der friedlichen Revolution Bahn. Der Weg, der uns hierhergeführt hat, ist für viele Ostdeutsche identitätsstiftender als der Tag des Anschlusses nach Artikel 23 des Grundgesetzes. 

Es sprachen sich um 1989 herum einige wenige Vertreter der SPD, aber vor allem Vertreterinnen von Bündnis 90 und den Grünen dafür aus, im Rahmen der Wiedervereinigung einen neuen Verfassungstext auszuarbeiten. Für mich persönlich ist es immer noch bitter, dass es zu dessen Abschluss nicht gekommen ist, dass wir dafür keine politischen Mehrheiten erreichen konnten. Denn ich glaube fest daran, dass die Identifizierung der Bevölkerung mit der gesamtdeutschen Demokratie dann um ein Wesentliches höher wäre, wenn man etwas Neues geschaffen hätte, also quasi das Beste aus beiden Welten.

Klar ist, unser Grundgesetz kann nie besser sein als die Demokratinnen und Demokraten im Land, die es vertreten. Demokratie bedeutet Streit und Debatte. Sie bedeutet, sich zu engagieren und sich zu beteiligen. Sie bedeutet, die eigene Meinung sagen zu dürfen und die der anderen zu ertragen. Das ist nicht immer leicht. Das ist manchmal gegen die eigene Intuition, manchmal sogar gegen den gesunden Menschenverstand, und mit allseitiger Harmonie hat das sowieso nichts zu tun.

Doch unsere Demokratie ist genau darauf angewiesen. Sie ist darauf angewiesen, Probleme anzusprechen, im fairen Streit gemeinsam die besten Lösungen zu finden. Das heißt auch, Kompromisse zu schließen. Manchmal bin ich mit einem solchen Kompromiss auch unzufrieden; ich bin enttäuscht darüber. Aber Demokratie heißt eben nicht, nur einer hat recht und das bin ich und im Zweifel die AfD. Genau das ist Demokratie eben nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN - Oliver Kirchner, AfD: Der Bürger hat recht! - Nadine Koppehel, AfD: Der Bürger wollte Sie nicht im Stadtrat!)

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Form, gemeinsam gesellschaftliche Probleme zu besprechen und Lösungen zu finden, die beste aller Möglichkeiten ist. Das ist nicht mehr immer und überall der Fall. Wir erleben gerade in den sozialen Medien, in denen Hass und Hetze gestreut werden, in denen gegen politisch Andersdenkende ausgeteilt wird, 

(Lothar Waehler, AfD: Ja, genauso machen Sie das immer!) 

in denen vermeintlich anders wahrgenommene Personen diffamiert werden, dass Angriffe passieren, dass Einschüchterungen passieren und eben nicht der freie Wettstreit der besten Meinungen geführt wird.

(Zuruf von Lothar Waehler, AfD)

Wir sehen das auch sehr extrem an Angriffen auf Politikerinnen, auf Kommunalpolitikerinnen und werden darüber in der nächsten Debatte auch noch zu reden haben. 

(Florian Schröder, AfD: Die neue Grüne!) 

Was passiert mit unserer Demokratie, wenn Menschen demokratische Institutionen, wie wir das vorhin in der Schelte über die Gerichte erlebt haben, nicht mehr trauen, wenn sie sich demokratischen Prozessen verweigern? Wir können es tagtäglich hier im Parlament erleben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Unsere Demokratie lässt sich in gewissen Grenzen schützen. Unsere Verfassung kennt das Vereinsverbot oder das Parteienverbot. Ich will die Gelegenheit hier nutzen, um an alle demokratischen Politikerinnen und Politiker zu appellieren: Lassen Sie uns gemeinsam nach Lösungen suchen, sodass wir Mechanismen finden, wie wir unsere demokratischen Institutionen noch besser vor dem Angriff von Antidemokraten schützen können.

(Beifall bei den GRÜNEN - Oliver Kirchner, AfD: Gleich ausgrenzen! - Zuruf von der AfD: Wählerwillen!)

Die Geschichte hat uns gelehrt, dass es nötig ist. 

(Frank Otto Lizureck, AfD: Die Geschichte hat gelehrt und der Bürger hat gewählt! - Zuruf von Daniel Roi, AfD)

Meine Kollegin Sziborra-Seidlitz hat Ihnen ja in der letzten Debatte schon erklärt, eine demokratisch gewählte Partei ist noch lange keine demokratische Partei. 

(Beifall bei den GRÜNEN - Daniel Roi, AfD: Machen Sie nur so weiter! Wir kriegen Sie auch noch raus! - Zuruf von der AfD: Gott sei Dank diskutieren Sie bald nicht mehr mit! - Zuruf von Frank Otto Lizureck, AfD)

Deswegen halte ich solche Überlegungen für sehr wichtig. Doch es gibt nicht nur Gefahren von innen, denen wir uns in diesen Tagen erwehren müssen, sondern der Druck von außen ist auch immens. 

(Nadine Koppehel, AfD: Rot und Grün ist auch Braun!)

Ein Krieg Putins gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung tobt in Europa.

(Oh! bei der AfD)

Russland versucht, Einfluss zu nehmen auf unsere Gesellschaft und unsere demokratischen Willensprozesse. 

(Daniel Roi, AfD: Hopp an die Front und nimm Herrn Striegel mit!) 

Das Ziel ist die Destabilisierung unserer Institutionen und die Verächtlichmachung unserer Demokratie. 

(Daniel Roi, AfD: Ihr könnt doch so gut zersetzen!) 

Hier unterscheiden sich eben Demokratinnen und Demokraten von Undemokraten. Denn offensichtlich gibt es in Teilen unserer Parteienlandschaft, am rechten Rand bei der AfD, bereitwillige Unterstützung für russische und auch für chinesische Diktaturen. 

(Beifall bei den GRÜNEN)

In diesem Sinne sehe ich die Unterstützung der Ukraine als Teil des Kampfes für unser Grundgesetz, für unsere Freiheitsrechte, die es zu schützen gilt. Wir dürfen nicht zulassen, dass Grenzen in Europa mit kriegerischen Mitteln verschoben werden. 

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist mehr als schändlich, dass die AfD, eine Partei, deren oberste Protagonisten genau diese russische Diktatur stützen, hier über Grundrechte schwadroniert. 

(Daniel Roi, AfD: Vor drei Jahren habt ihr noch mit der Sowjetfahne draußen gestanden! - Lachen bei der AfD - Zuruf von der AfD: Kriegstreiberpartei!) 
Sie von der AfD wollen sich hier wieder nur als Opfer darstellen. Was Sie für sich in Anspruch nehmen, sprechen Sie anderen ab. Die Grundrechte sind Ihnen doch komplett egal. Wenn nicht alle mit Ihren kruden Thesen einverstanden sind, dann ist das nicht gegen, sondern das ist für die Grundrechte.

(Zuruf von Daniel Roi, AfD)

Die Grundrechte sind Ihnen egal. Die Menschenwürde ist Ihnen komplett egal. Ihnen geht es nicht um alle Menschen, um die allgemeine unveräußerliche Menschenwürde, sondern um Bio-Deutsche. Sie reden und hetzen ungebremst und behaupten,

(Lothar Waehler, AfD: Danke für die Wahlwerbung!) 

man könne seine Meinung nicht mehr sagen.

Ich habe in dieser Debatte das Wort ergriffen, um sehr klar für mich und meine Fraktion zu sagen: Wir werden immer und überall für die Grundrechte streiten, für diese beste aller deutschen Verfassungen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf von Frank Otto Lizureck, AfD)

Kollege Kosmehl, ja, wir stehen dafür, dass wir diese Grundrechte in der Verfassung als atmendes System haben, 

(Lothar Waehler, AfD: Sie stehen für gar nichts! Sie stehen nur für sich selber!)

dass es von Zeit zu Zeit nötig ist, auch Verbesserungen vorzunehmen. 

(Frank Otto Lizureck, AfD: Der Bürger will Sie nicht! Abgewählt!)

Ich möchte nur an das Recht auf Wohnen oder an die Kinderrechte erinnern. Es ist eine sehr gute Verfassung, die wir immer und überall verteidigen. - Vielen Dank. 
 

Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Vielen Dank, Frau Lüddemann. Es gibt zwei Interventionen, und zwar von Herrn Stehli und Herrn Siegmund. Herr Stehli fängt an. 


Stephen Gerhard Stehli (CDU):

Danke schön, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin Lüddemann! Unser Grundgesetz ist einerseits ein hochzuhaltendes Dokument, es ist aber auch ein juristisch anzuwendendes Papier. Daher kommt es sehr auf die präzise Begrifflichkeit an. In Artikel 23 alt hieß es, dass das Grundgesetz in den Gebieten, in denen es bisher nicht gegolten habe, nach deren Beitritt in Kraft zu setzen sei. Sie haben den Begriff „Anschluss“ benutzt. Der Anschluss ist ein Fachbegriff für das, was 1938 zwischen Österreich und dem Deutschen Reich geschah. 

(Uh! Was? bei der AfD - Frank Otto Lizureck, AfD: Nazi-Sprech von den GRÜNEN! - Dr. Hans-Thomas Tillschneider, AfD: Nazi! Nazi, Nazi!) 

Das sollte man nicht verwechseln. Gerade bei der damaligen Diskussion um den Beitritt und seine Bedeutung ist dieses Präzise dringend notwendig. Darauf wollte ich aufmerksam machen. 

(Frank Otto Lizureck, AfD: Gleich gibt es eine Anzeige!) 


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Vielen Dank, Herr Stehli. - Frau Lüddemann, wollen Sie reagieren? - Gern.


Cornelia Lüddemann (GRÜNE): 

Ich bin dem Kollegen sehr dankbar. Das steht bei mir hier so drin. Tatsächlich haben Sie recht. 

(Zuruf von der AfD: Weil es Ihr geistiges Kind ist! - Weitere Zurufe von der AfD)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Könnten Sie Frau Lüddemann bitte reden lassen. 


Cornelia Lüddemann (GRÜNE): 

Ich möchte zumindest dem Kollegen Stehli antworten. Sie waren ja auch zugegen, als wir diese Diskussion geführt haben, auf die dankenswerterweise die Kollegin Pähle schon hingewiesen hat. Daher werden Sie mir sicherlich zugestehen, dass ich sehr wohl weiß, wie die richtige Formulierung lautet.

(Zuruf von der AfD: Aha!)

Wenn ich das so gesagt habe, wie Sie es aufmerksam wiederholt haben, dann muss ich mich dafür entschuldigen. 

(Christian Hecht, AfD: Ja, glauben wir Ihnen aber nicht!)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Jetzt ist Herr Siegmund mit einer Intervention an der Reihe.


Ulrich Siegmund (AfD):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank, Frau Lüddemann, dass Sie das zulassen. Frau Lüddemann, ich bin in der AfD, weil ich Demokrat bin. Wir sind die einzige Partei in diesem Land, die für Volksentscheide eintritt. Wir möchten, dass das Volk mitentscheiden kann. Das möchten Sie bspw. nicht und das ist der urdemokratischste Anspruch überhaupt.

(Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE) 

Von daher ist das schon einmal zurückzuweisen. Weiterhin möchte ich Ihnen sagen: Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass Sie noch gar nicht verstanden haben, was am Sonntag eigentlich passiert ist. Es gab Ortschaften, ganze Regionen, Frau Lüddemann, in denen wir einen Stimmenanteil von mehr als 50 % erreicht haben. Sie finden dort gar nicht statt. Es gibt Sie gar nicht. Niemand kennt die GRÜNEN und auch niemand will etwas mit den GRÜNEN zu tun haben. 

(Beifall bei der AfD)

Das ist Faktenlage in diesem Land. Man muss sich überlegen, dass Sie aus so einer Position heraus teilweise der Hälfte der Bevölkerung vorschreiben wollen, wie sie zu agieren haben. Das, was Sie hier machen, Frau Lüddemann, ist genau das Gegenteil von Demokratie. Das ist das Gegenteil. 

(Zuruf von den GRÜNEN) 

Das ist zutiefst antidemokratisch. Sie müssen sich einfach mal den Realitäten stellen. Die AfD gehört dazu, so wie jede andere demokratische Kraft auch, weil wir demokratisch sind. Gemeinsam müssen wir das Beste für dieses Land erreichen. Und wenn Sie diese Hand immer ausschlagen, dann brauchen Sie sich doch gar nicht darüber zu wundern, dass das Volk nichts mehr mit Ihnen zu tun haben möchte, sondern dass sie uns vertrauen; denn uns geht um die Sache, Frau Lüddemann. Wir möchten dieses Land voranbringen und deswegen sind wir Demokraten. - Danke schön. 

(Beifall bei der AfD) 


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Frau Lüddemann, wollen Sie reagieren?


Cornelia Lüddemann (GRÜNE): 

Ich will gern einen Satz dazu sagen. Sie werden von mir nie hören, dass ich die Wählerinnen und Wähler, die Ihre Partei, die rechtmäßig zur Wahl angetreten ist und auch Stimmen gesammelt hat, diffamiere oder als Nazis bezeichne. Aber Sie werde ich immer als Nazi bezeichnen.