Henriette Quade (DIE LINKE):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag ist sehr stark auf die Interessen des Landes fokussiert. Das ist zweifellos richtig. Meine Fraktion geht das Thema Zuwanderung und Migration dennoch etwas anders an, als es der Tenor dieses Antrags ist. Wir schauen nicht zuerst auf die in diesem Antrag formulierten Nützlichkeitsüberlegungen, sondern folgen grundsätzlich der Idee, die u. a. der Bürgermeister von Palermo Leoluca Orlando mit der Charta von Palermo vertritt. Migration und Freizügigkeit sollten endlich als Menschenrechte begriffen werden statt als abzuwehrendes Problem, das man möglichst verhindern will.
(Zustimmung)
Wir alle wissen, wie weit wir davon gegenwärtig in Europa, in Deutschland und auch in Sachsen-Anhalt entfernt sind. Auch wenn man wie die meisten in diesem Hause die Überzeugung, dass jeder Mensch das Recht haben sollte, dort zu leben, wo er es möchte, nicht teilt, liegt doch der politische Handlungsbedarf auf der Hand. Studien, demoskopische Prognosen, die Einschätzungen der Handelskammern zeigen das. Insofern ist das völlig richtig. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir uns mit diesem Antrag in kleinen Schritten und von unterschiedlichen Seiten der Frage nähern, warum Menschen nicht in Sachsen-Anhalt bleiben wollen.
Und: Ja, auch wenn die Nützlichkeitsüberlegungen nicht unsere sind, so ist doch offensichtlich,
• dass es dem Land schadet, wenn es nicht genügend Fachkräfte gibt,
• dass es völlig absurd ist, einerseits zu wenig Lehrerinnen zu haben, andererseits bei der Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen nur im Schneckentempo voranzukommen und immer noch kaum Wege gefunden zu haben, Qualifikationen in Teilen anzuerkennen und passend zu ergänzen,
• dass es wenig hilft, einerseits die Möglichkeit der Arbeitsmarktduldung zu haben, andererseits aber Ausländerbehörden, die den Menschen auf dem Weg dorthin mehr Steine in den Weg legen als Türen öffnen,
• dass es nicht nur ungerecht, sondern auch mit nachteiligen Folgen für das Land in Gänze verbunden ist, wenn einerseits Kampagnen gegen Abwanderung gefahren werden, andererseits aber Menschen, die hier leben wollen und dies seit Jahren tun, von demokratischen Grundrechten wie dem Wahlrecht ausgeschlossen sind, und
• dass es widersprüchlich ist und, ja, auch nicht erfolgreich, einerseits Arbeitsmigration fördern zu wollen, die Menschen, die hier sind, aber nicht von geduldeten zu Arbeitsmigranten werden zu lassen.
(Zustimmung)
Das ist die Realität, Herr Silbersack. Deshalb muss man beides in den Blick nehmen, den Umgang mit Arbeitsmigrantinnen, die schon als solche kommen, und denen, die da sind und die die Chance brauchen, es zu werden.
Und: Ja, es mangelt nicht an Expertise. Die Migrantenorganisationen, die Netzwerke der Beratungsstellen, die Lotsen, die es braucht, um bürokratische und politische Hürden zu nehmen, haben immer wieder umfassende Hinweise gegeben, wie sich Willkommenskultur vom Schlagwort zur Realität machen ließe.
Natürlich an der Stelle bin ich ausdrücklich bei Ihnen, Herr Silbersack ist in diesem Zusammenhang auch über das größte Integrationshemmnis in diesem Land zu reden, nämlich Rassismus.
Denn er trifft Asylsuchende wie Facharbeiterinnen. Er trifft Deutsche, die nicht weiß sind, ebenso wie Geschäftsreisende. Er trifft den afghanischen Geduldeten ebenso wie die iranische Ärztin. Viel zu oft haben die, die davon betroffen sind, damit zu kämpfen, überhaupt anerkannt zu werden.
(Beifall)
Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, das deutlich macht, wie grundlegend der Wandel sein muss und warum Integration mehr heißt, als hier sein zu dürfen und überhaupt arbeiten zu dürfen - wobei es oft genug schon daran mangelt.
Mir wurde erst kürzlich von einem Fall berichtet, in dem mehrere migrantische Frauen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Qualifikation zu ihren Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt beraten werden sollten. Einigen hätten Ausbildungen machen wollen und können, einige hatten bereits Qualifikationen und hätten eine Einschätzung gebraucht, in welchen Branchen es sich lohnt zu suchen. Statt sie aber individuell zu beraten, wurden ihre Daten erfasst, und es wurde ihnen geraten, sich bei einem Paketzusteller zu bewerben, bei dem sie formal zwar Mindestlohn bekommen, aber aufgrund von Abzügen und Gebühren für die Nutzung von Materialien unter dem Strich mit einem Stundenlohn von 8 € nach Hause gehen. So kann Integration nicht gelingen - nicht auf dem Arbeitsmarkt und nicht in der Gesellschaft.
(Zustimmung)
Integration und moderne Zuwanderung kann nicht heißen, dass Migrantinnen die schlecht bezahlten Jobs machen und sie nur dann, wenn sie bereit sind, das zu tun, willkommen sind. Nein, natürlich gehören Zuwanderungs-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zusammen, und zwar ausdrücklich im Interesse aller.
(Zustimmung)
Ja, natürlich haben wir Überzeugungen, die sehr viel weiter gehen als die Maßnahmen, die in dem Antrag zu Recht eingefordert werden, aber auch durch und durch pragmatisch sind. Ich sage für meine Fraktion sehr klar: Auch in dieser Legislaturperiode werden wir alles, was in die richtige Richtung geht und dabei hilft, die Lage für Zugewanderte in Sachsen-Anhalt zu verbessern, grundsätzlich unterstützen.
Dass es zugleich eine der Zukunftsfragen für dieses Land ist, haben eigentlich alle erkannt. Die Landesregierung unter der Führung der CDU wäre tatsächlich sehr gut beraten, diese nicht länger ideologiegeleitet zu blockieren. - Vielen Dank.
(Beifall)