Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):
Vielen Dank. - Ich hänge noch an dem alten Fritz Bernstein. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wieder einmal ein AfD-Antrag mit zehn von zehn Punkten - volle Punktzahl in Sachen Polemik, fachliche Ahnungslosigkeit und unsägliche Diffamierung.
(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)
Wie Don Quichotte, der gegen vermeintliche Riesen kämpft und eigentlich nur gegen Windmühlen anreitet, halluzinieren Sie eine Gefahr für die Entwicklung unserer Kinder herbei, gegen die Sie verblendet zu Felde ziehen. Noch viel schlimmer: Sie schmeißen die Propagandamaschine an, damit alle Welt mit Ihnen reitet. Das könnte lustig sein, wenn es nicht so gefährlich wäre.
Denn wovor will die AfD unsere Kinder eigentlich schützen - z. B. vor dem Film „Billy Elliot - I will dance“, der vom British Film Award 2001 zum besten Film gekürt wurde und der ein Jahr später auch in Japan die Auszeichnung bester ausländischer Film erhielt, oder vor dem wirklich schönen Film „Little Miss Sunshine“? Beide befinden sich nämlich im Medienkoffer für Grundschulen. Was befindet sich noch in den Koffern? In den Koffern befinden sich z. B. die Kinder- und Jugendbücher „Prinzessin Fibi und der Drache“, „Ein Mann, der weint“, „Was zum Kuckuck kann Familie sein?“, „Mia und die Regenbogenfamilie“, „Das Anders-Buch“ oder „Kicker im Kleid“ sowie Fachbücher für das Personal wie etwa „Die Rosa-Hellblau-Falle. Für eine Kindheit ohne Rollenklischees“.
Atmen Sie einmal in Ihrer Fraktion tief durch, lesen Sie in Ruhe einige dieser Bücher und vielleicht lernen Sie dabei auch etwas,
(Zustimmung bei den GRÜNEN, bei der LINKEN und bei der SPD)
und zwar so, wie auch die Kinder mit diesen Materialien komplett kindgerecht lernen können. Familie k a n n mehr sein als Vater, Mutter, Kind. Die Filme und Bücher vermitteln ganz klassisch: Auch Jungs dürfen Rosa mögen, tanzen toll finden und für Glitzer schwärmen, wie man auch als Mädchen gern nur Schwarz tragen, sich raufen oder Fußball spielen darf; das vielleicht sogar erfolgreicher als Jungs.
(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)
Man kann Jungen oder Mädchen süß finden. Auch das Gefühl, die eigene Geschlechtlichkeit nicht so richtig zu fühlen oder sich weder so richtig als Junge noch als Mädchen zu empfinden oder noch nicht so genau zu wissen, was das eigentlich ist, kommt vor. Jede und jeder ist okay, und zwar genau so, wie er oder sie ist.
(Zustimmung bei den GRÜNEN, bei der LINKEN, bei der SPD und von Kathrin Tarricone, FDP)
Das alles ist eigentlich ganz selbstverständlich. Wenn das aber so selbstverständlich ist, warum braucht es dann diese Medienkoffer? - Weil es für alle Kinder wichtig ist, es zu erleben und auch in Büchern zu lesen: Auch ich bin, wie ich bin, normal. Weil das in den meisten Büchern eben nicht vorkommt, ist es wichtig, solche Bücher gezielt auch in die Kitas zu bringen. Die eigentliche Gefahr für das Kindeswohl droht, wenn wir Kindern vermitteln, nicht normal zu sein, irgendwie anders zu sein, irgendwie krank zu sein oder irgendwie ausgegrenzt zu sein. Das ist nämlich genau das, was Sie tun.
(Zustimmung bei den GRÜNEN, bei der LINKEN und bei der SPD)
Das ist Kindeswohlgefährdung.
Es ist nicht leicht, als queerer Mensch in einer heteronormativen Welt aufzuwachsen. Das endet bisweilen tödlich. Anfang Februar sind in England zwei Jugendliche für den Mord an der 16-jährigen Brianna Ghey zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Die Tat geschah, so das Gericht, aus Hass auf Transgender-Personen. Im März vorigen Jahres wurde der Transmann Malte C. auf dem CSD in Münster getötet, und zwar aus Hass auf Transgender-Personen. Auch Selbsttötungen, Suizidversuche und Selbstmordgedanken sind bei queeren Jugendlichen häufiger, weil sie vermehrt mit Diskriminierung, fehlender Unterstützung und Anfeindungen konfrontiert sind und weil sie vermittelt bekommen, dass sie nicht okay sind, wie sie sind. Bei geschlechtergerechter Kinder- und Jugendarbeit geht es darum, das zu ändern. Die Studienlage dazu ist eindeutig, aber mit Wissenschaft haben Sie es ja nicht so.
Der Medienkoffer will es den Kindern und Jugendlichen leichter machen. Die AfD will es ihnen offensichtlich schwerer machen. Sie wollen queere Kinder und Jugendliche weiter an den Rand drängen und ihnen den Stempel „unnormal“ verpassen. In Ihrer Feindschaft gegenüber Minderheiten kämpfen Sie gegen Kinderbücher, die für Toleranz werben, und wollen die Förderung für den Medienkoffer beenden, der für eine inklusive und vielfältige Gesellschaft steht und notwendig ist, damit sich alle Kinder okay fühlen, und zwar so, wie sie sind. Diesen Koffer dann auch noch in die Nähe von Kindesmissbrauch zu rücken, ist eine unsägliche Verleumdung der Fachkräfte und der Wissenschaft.
(Zustimmung bei den GRÜNEN, bei der LINKEN und bei der SPD)
Es ist pure Ignoranz gegenüber dem Fachbeirat des Medienkoffers und schlicht bösartig. Vielleicht glauben Sie ja tatsächlich, durch Kinderbücher wie „Leon, Hugo und die Trans*identität“ beschädige man Kinderseelen. Tja, dann haben in Ihrer Kindheit vielleicht genau diese Bücher gefehlt.
(Zustimmung bei den GRÜNEN, bei der LINKEN und bei der SPD - Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Ja, genau!)
Denn dann hätten Sie ganz entspannt und offen mit Vielfalt aufwachsen können und müssten jetzt nicht faschistische Feldzüge führen, um Ihre kleine, überschaubare Vater-Mutter-Kind-Welt gegen böse Kinderbücher, sinistre Jugendfilme und hundsgemeine Memory-Spiele zu verteidigen.
(Zuruf von Oliver Kirchner, AfD)
Wie gesagt: Man könnte Sie fast auslachen, wenn es nicht so entsetzlich ernst wäre.
(Zurufe von der AfD)
Selbstverständlich ist dieser Antrag abzulehnen. - Vielen Dank.
(Zustimmung bei den GRÜNEN, bei der LINKEN und bei der SPD - Zuruf: Unerträglich!)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Frau Sziborra-Seidlitz, es gibt eine Intervention von Herrn Dr. Tillschneider. - Herr Dr. Tillschneider, diese Intervention soll aber bitte kein Korreferat werden, sondern eine Intervention.
Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD):
Ja, eine Intervention. - Ich muss sagen: Es gibt einige Inhalte - nicht alle, aber einige Inhalte - in diesem Koffer, die ich nicht anschauen kann, ohne dass mir physisch schlecht wird.
(Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE - Hendrik Lange, DIE LINKE: Ja, das ist das Problem!)
So geht es, nehme ich einmal an, jedem normal veranlagten Menschen. Das wollen Sie unseren Kindern zumuten. Das ist Kindesmisshandlung. Was ist Kindesmisshandlung, wenn nicht das?
(Zustimmung bei der AfD)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Frau Sziborra-Seidlitz, Sie können reagieren.
Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):
Da Sie so viel Wert auf normale Menschen und unnormale Menschen legen, möchte ich mich an dieser Stelle gegen die Anmaßung verwehren, dass Sie wissen, wie es normalen Menschen geht oder nicht. Sie sind die Rechtsextremen in diesem Parlament
(Zuruf von der AfD: Wir sind normal!)
und das ist in diesem Land zum Glück noch nicht normal.
(Zustimmung bei den GRÜNEN, bei der LINKEN und bei der SPD - Zuruf von Oliver Kirchner, AfD)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Als nächste Rednerin spricht Frau Gensecke.
(Zuruf von Oliver Kirchner, AfD - Zuruf: Die kleine Vater-Mutter-Kind-Welt! Die ist doch nicht ganz dicht! - Unruhe)
- Ich habe es gesagt. Hier ein Mitglied des Landtags zu beschimpfen, Mitglied einer Nazifamilie zu sein, ist über
(Oliver Kirchner, AfD: Ich lasse mich von so einer Frau nicht als Rechtsextremist bezeichnen! - Unruhe)
Sie haben
(Oliver Kirchner, AfD: Es reicht mir langsam hier! - Zustimmung - Weitere Zurufe: Kleine Vater-Mutter-Kind-Welt! - Es reicht, ehrlich! - Unruhe)
- Nein, es reicht nicht. Es reicht nicht! Wir haben hier eine intensive Auseinandersetzung. Es gibt Vorwürfe an die Personen direkt, Unterstellungen, Einordnungen oder was auch immer. Aber wir wollen nicht eine Grenze, die schon sehr weit herausgeschoben worden ist, auch noch überschreiten, indem Menschen in eine Gruppe hineingesteckt werden aufgrund einer familiären Zuschreibung. Das geschieht in dem Augenblick, wenn Sie von „Nazifamilie“ reden. Das geht nicht. Deswegen erteile ich Ihnen hiermit einen Ordnungsruf.
(Zustimmung bei der LINKEN, bei der SPD, bei den GRÜNEN und von Tobias Krull, CDU)