Tagesordnungspunkt 27
Beratung
Kalte Strukturreform der Krankenhäuser verhindern - Gesundheitliche Daseinsvorsorge im Land sicherstellen
Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/3728
Einbringen wird diesen Antrag Frau Anger. - Frau Anger, bitte.
Nicole Anger (DIE LINKE):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Nicht zum ersten Mal haben wir das Thema der Krankenhäuser und deren Zukunft hier auf der Tagesordnung. Dass es meine Fraktion hier erneut setzen muss, zeigt: Außer einem Gutachten ist bisher nicht viel passiert. Im Gegenteil, aufgrund der Verzögerungstaktiken auch hier im Land droht mit der von Karl Lauterbach angekündigten Krankenhausreform ein Kliniksterben.
Laut der Deutschen Krankenhausgesellschaft laufen aufgrund der gestiegenen Kosten knapp zwei Drittel aller Krankenhäuser Gefahr, die Reform nicht mehr zu erleben. Mit unserem Antrag wollen wir ein „kaltes Krankenhaussterben“ sowohl vor der Reform als auch nach der Reform verhindern. Wir wollen vor allem die gesundheitliche Grundversorgung der Menschen im Land garantieren.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren! Die Reform - so wird behauptet - soll Missstände in der Gesundheitsversorgung und auch in der Finanzierung beheben. Aber momentan sieht es eher nach einem Kahlschlag aus. Die ersten Auswirkungen sind bereits zu spüren.
Schließungen werden vor allen Dingen die kleinen Häuser treffen. Das sind die Grundversorger im ländlichen Raum. Die Privaten hingegen stoßen bereits jetzt ab, was nicht Profite bringt. So zuletzt die Geburtsstation in Halberstadt. Das reiht sich ein in eine Reihe von Schließungen wie Havelberg, Genthin, Gardelegen, Zeitz, Schönebeck und Ballenstedt. Die Lücken für die Grundversorgung und auch für die Notfallversorgung werden zunehmen. Und wir als LINKE werden dabei nicht zusehen.
Meine Damen und Herren! Die von Bundesgesundheitsminister Lauterbach angekündigte Revolution der Krankenhausfinanzierung, das Ankündigen der Überwindung der Fallpauschalen ist eine Nebelkerze. Die angekündigte Reform schreibt die Fallpauschalen fort und macht es mit den Vorhaltepauschalen noch viel komplizierter. Vorhaltepauschalen sind auch nur ein weiteres Framing dieser Bundesregierung. „Bürokratiemonster“ klingt eben abschreckender.
Auch das Transparenzgesetz wird dies alles nur noch verschärfen. Die Häuser werden alles auf den Prüfstand stellen müssen, und zwar auf den finanziellen Prüfstand. Defizitäre Bereiche wie Geburtshilfe, Kindermedizin und Notaufnahmen werden als Erstes wegbrechen.
Auch der Transformationsfonds ist eine Mogelpackung. Als LINKE fordern wir seit Längerem die finanzielle Unterstützung, und zwar ab sofort, um die Reform umzusetzen.
(Zustimmung bei der LINKEN)
Dieser Fonds stellt die Mittel aber erst ab dem Jahr 2025 in Aussicht, dann über zehn Jahre, und dann auch nur, wenn die Länder mitfinanzieren; das ist viel zu spät und viel zu lange. Das Geld wird jetzt gebraucht, damit die Krankenhäuser den 1. Januar 2025 überhaupt noch erreichen.
(Beifall bei der LINKEN)
Und, meine Damen und Herren, es wird kein zusätzlicher Euro fließen, sondern es werden nur Zahlungen vorgezogen. Auch die Ankündigung der Erhöhung des Landesbasisfallwertes ist ein „Tropfen auf den heißen Stein“. Er refinanziert bei einem monatlichen bundesweiten Defizit von 500 Millionen € lediglich 10 Millionen €.
Am Ende werden die gesetzlichen Krankenversicherungen und damit die Beitragszahler*innen höher belastet. Aktuell droht damit eine Anhebung der Krankenkassenbeiträge im Jahr 2025 um durchschnittlich 0,5 % zulasten der Versicherten. Wir sagen: Das ist eine politische Geisterfahrt.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren! Der Wettbewerb um die knappen Ressourcen ist bereits entbrannt und er schürt Unsicherheiten beim Personal, aber auch bei den Menschen im Land. Dabei dürfen wir keinen Tag länger tatenlos zusehen. Jetzt braucht es dringend einen Systemwechsel. Da sind Sie als Koalition im Land genauso gefordert wie im Bund. Ihr Landrat im Harz - wohlgemerkt: Mitglied der CDU - hat es bereits verstanden. Völlig zu Recht fordert er ein Rückgängigmachen der Privatisierungen. Dazu sage ich: Lieber spät als nie!
(Zuruf: Ach!)
Den Kliniken läuft die Zeit davon. Für das Jahr 2024 wird die Zahl der Krankenhäuser, die rote Zahlen schreiben, bundesweit steigen. Es werden 80 % der Häuser sein, also vier von fünf Krankenhäusern. Nicht die Krankenhäuser selbst weisen auf diese Situation hin. Auch die Kommunen schlagen Alarm und das schon länger; denn sie müssen enorm in ihren kommunalen Einrichtungen finanzieren.
Das Land ist hingegen in den letzten Jahren nicht einmal den notwendigen Investitionsbedarfen nachgekommen. Die Krankenhausgesellschaft spricht für Sachsen-Anhalt von fehlenden Investitionskosten, die mittlerweile in die Milliarde gehen. Allein die Entschuldung der Unikliniken und die Investitionen in die beiden Häuser, so richtig, wie diese sind, reichen für die Gewährleistung der Gesundheitsversorgung im ganzen Land nicht aus.
Die Landeshauptstadt Magdeburg hat ihrem Städtischen Klinikum 20 Millionen € gegeben. Weitere Millionen sind in Aussicht gestellt. Das sind Mittel, die der Stadt an anderer Stelle fehlen. In anderen Landkreisen sieht es exakt genauso aus, und das bei den uns allen bekannten klammen Haushalten der Kommunen. Deswegen braucht es Landesbürgschaften für die Häuser. Denn diese sind mit ihren roten Zahlen nicht mehr kreditwürdig.
(Beifall bei der LINKEN)
Hier fordern wir mit unserem Antrag dringend, eine Landesbürgschaft einzurichten, wenn wir die Grundversorgung und die Notfallversorgung nicht verlieren wollen.
Und, meine Damen und Herren, mit dem Mantra der Ambulantisierung wird doch auch nur davon abgelenkt, welche gravierenden Folgen die Schließungen von Krankenhäusern in einem Flächenland wie dem unsrigen haben werden. Denn dort, wo ambulante Behandlungen um 17 Uhr enden, geht das Personal in den Feierabend; dann endet auch die Notfallversorgung.
Bei den vielen alltäglichen Unfällen und Krankheiten muss man aber immer innerhalb von maximal 30 Minuten eine erreichbare Erstversorgung ermöglichen, um Schlimmeres zu verhindern. Es braucht daher eine Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung. Die strikte Unterscheidung zwischen den Sektoren bei Planung und Versorgung muss zugunsten einer sektorenübergreifenden integrierten Bedarfsplanung überwunden werden.
Deswegen müssen wir mit einer Krankenhausentwicklungsplanung - die Betonung liegt auf „Entwicklungsplanung“ - genau das angehen. Um das zu tun, müssen wir eine grundlegende Entscheidung treffen, die Planungsregionen der Gesundheitsversorgung benennen. Dabei reicht es nicht, das Land jeweils um eine Uniklinik herum in zwei Teile zu teilen. Deswegen schlagen wir vor, fünf Planungsregionen einzurichten.
Das Gute: Sie müssen diese nicht erfinden, zuschneiden oder einteilen. Diese gibt es nämlich bereits im Landesentwicklungsplan. Das ist die beste Grundlage für einen Krankenhausentwicklungsplan eines Flächenlandes mit dem Ziel der Herstellung einer flächendeckenden und wohnortnahen Versorgung auf gleichem Niveau im städtischen und im ländlichen Raum.
(Beifall bei der LINKEN)
Und das Ganze muss jetzt passieren. Dafür muss auch das politische Pingpong aufhören. Es kann nicht sein, dass SPD-Minister Lauterbach aus dem Bund heraus die Schuld den CDU-Ländern zuschiebt, die CDU-Länder wiederum der SPD im Bund. Das mögen die politisch Verantwortlichen noch als Wettkampf betrachten. Es tut aber eines nicht: den Menschen helfen.
Meine Damen und Herren! Je länger das Abwarten bei Ihnen in der Landesregierung und in den Koalitionsfraktionen dauert, desto verunsicherter werden die Mitarbeitenden in den Krankenhäusern, aber auch die Patient*innen. Es darf zu keinen weiteren Schließungen von Stationen oder von ganzen Einrichtungen kommen.
(Unruhe)
Diese kalte Marktbereinigung wird nicht nur gesundheitlichen Schaden im Land anrichten. Die Landesregierung muss daher heute und nicht erst morgen die Frage beantworten, wie die Versorgung in Sachsen-Anhalt durch welche Krankenhäuser sichergestellt werden soll; denn ein zweites Havelberg braucht es nun wirklich nicht.
(Unruhe bei der AfD)
Die Havelberger*innen warten seit nunmehr vier Jahren
(Lachen bei der AfD - Zuruf: Die warten vor allem auch draußen!)
auf ein MVZ oder ein IGZ - es wird ja bald abwechselnd beides angekündigt ,
(Zuruf: Draußen werden sie auch warten!)
aber seit vier Jahren werden die Menschen in Havelberg noch immer von der Ministerin um Geduld gebeten.
(Zurufe)
Wie viel Geduld kann man aber aufbringen, wenn die Gesundheitsversorgung vor Ort wohnortnah nicht vorhanden ist?
(Unruhe)
Immer wieder Beruhigungspillen für die Menschen zu verordnen, wirkt nicht. Sie lassen es, bitte, nicht zu, dass Havelberg oder Genthin Blaupausen für dieses Land werden!
(Beifall bei der LINKEN - Lachen bei der AfD)
Mit unserem Antrag, meine Damen und Herren, wollen wir die Defizite der Träger bis zur Reform ausgleichen; denn nur so können wir eine durchdachte Krankenhausplanung angehen.
Wir brauchen eine Krankenhausentwicklungsplanung, in der wir gemeinsam entscheiden, wo es welche Krankenhäuser braucht. Wenn jetzt Krankenhäuser ungeplant schließen, dann brechen vor allem Strukturen in jetzt schon abgehängten Regionen weg. Nicht zuletzt sind dort, wo Gesundheitsversorgung nicht mehr vorhanden ist, Menschenleben gefährdet. Sachsen-Anhalt muss seinen eigenen Weg als Flächenland finden. Dieser muss allerspätestens jetzt beginnen; denn sonst wird es zu spät sein.