Petra Grimm-Benne (Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung):

Danke schön. - Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Die zahnmedizinische Versorgung in unserem Land ist bereits an verschiedenen Stellen hier im Hohen Haus diskutiert worden. Die vor kurzem vorgelegte zweite überarbeitete Auflage des Versorgungsatlas 2030 der Kassenzahnärztlichen Vereinigung ist nun der Anlass für die aktuelle Beratung.

Sie zeigt auf, dass der landesweite durchschnittliche Versorgungsgrad bei 102,9 % liegt. Eine bedarfsplanerische Überversorgung liegt bei mehr als 110 %, eine Unterversorgung bei weniger als 50 % vor. Zwischen 50 % und 110 % wird gesetzgeberisch kein bedarfsplanerischer Handlungsbedarf gesehen.

Dennoch: Die Kassenzahnärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt erwartet zum 31. Dezember 2030 einen landesweiten Versorgungsgrad von 74,1 %. Als bedarfsplanerisch unterversorgt seien dann die Landkreise Jerichower Land, Mansfeld-Südharz und der Altmarkkreis Salzwedel; bedarfsplanerisch überversorgt gilt Dessau-Roßlau.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Das Zahnmedizinstudium an der Martin-Luther-Universität ist qualitativ hochwertig und bietet eine Ausbildung auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand. Wir haben viele Millionen Euro investiert, um dort eine Zahnklinik nach dem besten Qualitätsstandard aufzulegen und um ein bestmögliches Studium hier in unserem Land zu bieten.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU - Zuruf von der CDU: Genau!)

Aber - darauf ist Frau Anger eingegangen - von den 40 Studierenden - das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen  , die wir jedes Jahr ausbilden, bleiben nur 25 % der Absolventinnen und Absolventen in unserem Land. Das ist absolut unbefriedigend.

(Nicole Anger, DIE LINKE: Ja! - Zuruf von Wulf Gallert, DIE LINKE)

Deshalb sind an dieser Stelle gemeinsame Anstrengungen erforderlich, um den Anteil derjenigen zu erhöhen, die nach der Ausbildung im Land verbleiben.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Hierfür müssen wir geeignete Anreize setzen. Die müssen wir auch setzen. Das fängt schon damit an   das erfährt man, wenn man sich mit den Studierenden unterhält, die ihren Abschluss machen  , dass wir hier im Land nicht dazu bereit sind, sie das Praktikumsjahr machen zu lassen. Deswegen müssen wir mit unseren Zahnärztinnen und Zahnärzten noch einmal reden. Das sind die Klebeeffekte, die wir brauchen, damit die jungen Ausgebildeten auch hier im Land bleiben.

(Zustimmung bei der SPD)

Dann geht es, meine ich, weiter. Studienergebnisse zum Berufsbild junger Zahnärztinnen und Zahnärzte zeigen, dass diesen die vertragszahnärztliche Tätigkeit in eigener Niederlassung sehr viel weniger erstrebenswert erscheint als ihren älteren Kolleginnen und Kollegen. Vielmehr streben viele junge Zahnärztinnen und Zahnärzte eine Tätigkeit als Angestellte an, weil hierdurch wirtschaftliche Risiken minimiert werden und die Arbeitszeit eher an den persönlichen Lebensvorstellungen angepasst werden kann.

Deshalb sollten künftig sehr viel mehr Möglichkeiten zu modernen Versorgungsformen ausprobiert und angeboten werden. Denkbar sind bspw. auch Eigeneinrichtungen. Die KZV könnte Eigeneinrichtungen etablieren. Diese können beispielhaft konkret für bestimmte Patientengruppen eröffnet werden, die einen erhöhten und komplexeren Behandlungsdarf als andere haben. Zur Finanzierung solcher Eigeneinrichtungen wäre es möglich, dass die KZV Mittel des bestehenden Strukturfonds nach § 105 SGB V verwendet. Unseres Wissens sind dann noch mehr als 1 Million € nicht gebunden. Damit könnte man Eigeneinrichtungen finanzieren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Aktuelle Äußerungen der Bundeszahnärztekammer zur Gewährleistung einer flächendeckenden zahnärztlichen Versorgung in Deutschland zeigen aus dortiger Sicht Handlungsbedarf, insbesondere im Bereich der künftigen Versorgung im ländlichen Raum. Hierzu möchte ich eine Aussage zitieren, die Herr Dr. Benz - Präsident der Bundeszahnärztekammer - in der „Tagesschau“ am 5. Februar 2024 getätigt hat, als er auf den Versorgungsatlas aus unserem Land aufmerksam gemacht worden ist:

Es ist kein Mangel an Köpfen, sondern ein Verteilungsmangel. Konzentrationsprozesse in den Städten und die Ausdünnungsprozesse im ländlichen Raum erfordern nach Auffassung der Bundeszahnärztekammer gemeinsame Maßnahmen der Zahnärzteschaft in der Politik, die die Tätigkeit in ländlichen Gegenden attraktiver gestalten lassen.

(Beifall bei der SPD)

An dieser Stelle möchte ich deutlich machen, seit dem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der GKV, welches zum 1. Juli 2007 in Kraft getreten ist, gibt es keine Zulassungsbeschränkungen mehr. Seitdem kann somit jede niederlassungswillige Zahnärztin und jeder niederlassungswillige Zahnarzt vertragszahnärztlich dort tätig sein, wo er oder sie es möchte, auch in überversorgten Regionen.

Es sollte daher geprüft werden, ob durch eine Bundesratsinitiative das frühere Instrument der Zulassungsbeschränkungen wieder eingeführt und ggf. neue Steuerungsmöglichkeiten gesetzlich verankert werden, um künftig Zulassungssteuerungen in unterversorgten oder von Unterversorgung bedrohten Regionen zu ermöglichen.

(Hendrik Lange, DIE LINKE: Das war unser Antrag!)

Herr Präsident! Ich als Ministerin werde meine Redezeit überschreiten. Ich finde, es ist so ein wichtiges Thema, bei dem ich die Vorschläge, die ich noch zu unterbreiten habe, nicht in einem Staccato-Tempo hindurch deklinieren möchte.

Ich jedenfalls werde eine solche Prüfung, meine Damen und Herren, veranlassen. Die KZV wird möglicherweise nicht besonders erfreut darüber sein. Aber ich werde mit meinen ostdeutschen Länderkolleginnen und -kollegen darüber beraten, ob wir eine entsprechende Bundesratsinitiative prüfen. Nach meinem Kenntnisstand ist die Schwierigkeit der Unterversorgung im ländlichen Raum auch in Sachsen zu verfolgen.

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Zahnärzteschaft selbst wünscht die Einführung einer Landeszahnarztquote,

(Zustimmung von Konstantin Pott, FDP)

die im Land jährlich für drei an einem Zahnmedizinstudium Interessierte zu einem der vorhandenen Studienplätze an der Martin-Luther-Universität führen könnte. Diese müssten sich im Gegenzug verpflichten, für einen Zeitraum von zehn Jahren vertragszahnärztlich in Sachsen-Anhalt, insbesondere in künftig bedarfsplanerisch unterversorgten Regionen tätig zu sein. Dazu wäre auch die beschriebene Zulassungsbeschränkung hilfreich. Denn wir können niemandem einen Bereich zuweisen, wenn es überhaupt keine Niederlassungsbeschränkungen gibt.

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Sie wissen, dass am 21. November 2023 ein Gesundheitskabinett tagte und mit den Akteuren des Gesundheitswesens und den kommunalen Spitzenverbänden über die Sicherung der medizinischen Versorgung hier im Land beraten wurde. Unter anderem wurde eine interministerielle Arbeitsgruppe mit allen für diesen Versorgungsbereich maßgebenden Akteuren eingerichtet.

Ein Ziel dieser Arbeitsgruppe wird sein zu prüfen, wie es zukünftig besser gelingen kann, die gut ausgebildeten Absolventinnen und Absolventen der Human- und Zahnmedizin im Land zu halten. Dabei müssen bereits in den Schulen und im Studium Anknüpfungspunkte gesetzt und die von den Zahnärztinnen und Zahnärzten selbst als störend empfundenen Hindernisse in den Blick genommen werden.

Lassen Sie uns daher weiter gemeinsam daran arbeiten, den auch von der Bundeszahnärztekammer beschriebenen Verteilungsmangel zu bekämpfen. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Frau Grimm-Benne, es gibt zwei Fragen. - Herr Lange, bitte.


Hendrik Lange (DIE LINKE): 

Frau Grimm-Benne, Sie haben gerade darüber gesprochen, dass es vielleicht bedenkenswert wäre, eine Bundesratsinitiative bezüglich der Frage zu starten, ob man die Kassensitze nicht wieder einführt; ich sage das einmal so salopp.

Stimmen Sie mir zu, dass das Teil unseres letzten Antrages war, der jetzt im Sozialausschuss vorliegt? Werden Sie der Koalition empfehlen, diesem Teil zuzustimmen?


Petra Grimm-Benne (Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung):

Ich habe die Prüfung jetzt vorgestellt. Auf eine Abfrage insbesondere bei meinen Kolleginnen und Kollegen aus den Ostländern habe ich verwiesen. Ich werde anregen, dass wir darüber in der Koalitionsfraktion beraten. Aber es ist auch eine Frage des Kabinetts zu schauen, wie wir diesbezüglich weiterkommen können.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Die zweite Frage kommt von Herr Gallert. - Bitte.


Wulf Gallert (DIE LINKE): 

Frau Ministerin, ich stecke nicht so tief in dieser Debatte, aber selbstverständlich ist es für uns nicht unwichtig zu schauen, dass von 40 Leuten, die ihre Ausbildung hier abschließen, nur zehn in Sachsen-Anhalt bleiben. Es handelt sich um 25 %; so habe ich sie verstanden.

Wenn man jetzt aber die Realität in Gänze betrachtete, dann müsste man auch gegenrechnen, wenn sich Zahnärzte, die in anderen Ländern ausgebildet wurden, in Sachsen-Anhalt ansiedeln. Gibt es denn dazu Zahlen? Denn es wird immer so sein, dass es gerade bei Leuten mit sehr hohen Qualifikationen eine höhere Mobilität gibt. Das müsste man dann sozusagen gegenrechnen. Gibt es dazu Zahlen?


Petra Grimm-Benne (Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung):

Meines Wissens gibt es dazu keine Zahlen; ich schaue zum Wissenschaftsminister. Aber ich möchte diese Frage anders beantworten. Wir bieten im Augenblick mit der Übernahme von Praxen kein modernes Angebot für zukünftige Zahnärzte und Zahnärztinnen an. Allein schon die Anschaffung einer wettbewerbsfähigen Praxis bedeutet eine unsagbar hohe Verschuldung, um tatsächlich die modernsten Techniken, die man jetzt braucht, anzuwenden.

Deswegen habe ich auch noch einmal an die KZV appelliert, mit ihren eigenen Mitteln und zusammen mit den Kassen zu schauen, ob man nicht Eigeneinrichtungen finanzieren könnte, um diese Möglichkeit zu schaffen.

Wir wissen mittlerweile, dass viele Abgeordnete jetzt immer zu einem zahnmedizinischen Versorgungszentrum in die Börde pilgern, sage ich einmal. Ich weiß, dass wir als Politik der KZV immer zugesichert haben, dass wir als Politik niemals investorengeführte Zentren schaffen wollen,

(Zuruf Hendrik Lange, DIE LINKE)

weil es dort nur um die - ich sage es jetzt einmal so - Geldmacherei geht. Aber inhabergeführte, von der KZV geführte oder kommunale Einrichtungen würden wir sehr gern mit fördern.

(Zustimmung Hendrik Lange, DIE LINKE)

Das wären sektorenübergreifende Zentren. Aber im Augenblick gibt es von der KZV dahin gehend keine Überlegungen oder Anreize. Ich glaube, dass die schlichte Übernahme von Praxen ein Geschäftsmodell ist, das in unserem Land so nicht mehr funktioniert.

(Zustimmung von Dr. Andreas Schmidt, SPD)