Kristin Heiß (DIE LINKE):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Präsidentin! Zu Beginn meiner Rede möchte ich mich kurz bei Herrn Meister dafür bedanken, dass wir heute die Möglichkeiten haben, über die Schuldenbremse zu diskutieren. Ich glaube, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ist das eine bitter nötige Debatte. Es ist auch eine Debatte, bei der man das politische Spektrum einmal deutlich sehen kann. Also, wir haben von sehr konservativ, liberal,
(Marco Tullner, CDU: Die Unterschiede!)
bis ganz links offen alle Meinungen vertreten. Das wird aus meiner Sicht sehr selten so deutlich. Daher schauen wir einmal, was DIE LINKE dazu beizutragen hat.
Wie Sie sicherlich mitbekommen haben, hat sich meine Partei bei der Einführung der Schuldenbremse im Jahr 2009 dagegen ausgesprochen. Damals sprach übrigens Bodo Ramelow damals noch als Bundestagsabgeordnete zu dem Thema im Bundesplenum.
(Marco Tullner, CDU: Das war ein Fehler!)
Unsere Ablehnung hat und hatte mehrere Gründe:
Erstens. Wir halten das Konstrukt der Schuldenbremse für falsch. Sie manifestierte die Ungleichheit zwischen Bund und Ländern, weil der Bund trotzdem Schulden aufnehmen darf, die Länder jedoch nicht. Das hat der Finanzminister schon einmal gesagt und das hat Herr Kosmehl gestern auch schon erwähnt.
Zweitens. Wir glaubten schon im Jahr 2009 und sehen uns jetzt darin bestätigt, dass die Schuldenbremse nicht die Schulden bremst, sondern notwendige Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Klimaschutz.
(Zustimmung bei der LINKEN)
Drittens. In den vergangenen Jahren sind Bund und Länder sehr aktiv und kreativ geworden, wenn es darum ging, die selbst auferlegte Schuldenbremse auf sehr findige Art und Weise zu umgehen. Das hätten wir ohne Schuldenbremse gar nicht gemusst.
Aber lassen Sie uns doch noch einmal einen Blick in die Debatte im Mai 2009 werfen. Ich hatte eigentlich gehofft, dass einer von den Kollegen das hier tut; es kam nicht. Darum ist das vielleicht eine gute Bereicherung für die Debatte. Herr Dr. Peter Struck, SPD, damals Vorsitzender der Kommission zur Föderalismusreform II, sagte in der Debatte Folgendes:
(Marco Tullner, CDU: Im Bundestag?)
- Im Bundestag, Herr Tullner.
„Es wird die Befürchtung geäußert, […] der Bundesgesetzgeber sei aufgrund der Schuldenbegrenzung irgendwann gezwungen, Sozialleistungen zu kürzen, weil die Schuldengrenze dies erfordere. Diese Befürchtung ist wirklich unbegründet […]“
Wir spulen kurz vor in das Jahr 2023, also zwölf Jahre nach der Einführung der Schuldenbremse, zu einer Berichterstattung im November bei der „Tagesschau“: FDP will Sozialleistungen kürzen.
Gehen wir weiter und schauen uns den Beitrag der CDU/CSU-Fraktion an. Hier wurde gesagt:
„Wir müssen eine Regelung in die Verfassung schreiben, die nicht manipulierbar, die justiziabel ist.“
Glückwunsch! Die Justiziabilität hat die Union ja nun mehr als unter Beweis gestellt.
Von der FDP wurde damals festgestellt:
„In der Finanz- und Haushaltspolitik sind mittlerweile alle Dämme gebrochen.“
(Guido Kosmehl, FDP: Richtig!)
„Der Bundeshaushalt ist ein einziges ‚Wünsch dir was‘.“
Ich habe den Eindruck, dass sich das Prinzip „Wünsch dir was“ seit der Einführung der Schuldenbremse keineswegs verändert hat, und zwar weder auf Bundes- noch auf Landesebene. Das konnten wir in der vergangenen Legislaturperiode bei der Kenia-Koalition deutlich sehen, und das hat sich auch in der Bereinigungssitzung für den Landeshalt 2024 gezeigt. Ich sage nur: Erhöhung der globalen Minderausgabe.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist unstrittig, dass wir einen erheblichen Sanierungsstau in der analogen Infrastruktur, also bei Bauten wie Schulen, Straßen, aber auch bei den Behörden haben; ebenso im digitalen Bereich: bei Netzen, Geräten, Kabeln. Diese Investitionen sind aus dem laufenden Haushalt nur schwer zu finanzieren, wie man bei den horrenden Kosten für den Bau des neuen LKA oder des Landesamtes für Verbraucherschutz oder an den in das Corona-Sondervermögen verschobenen millionenschweren Digitalisierungsmaßnahmen sieht.
Es ist aber ebenso wichtig, dass die versäumten Investitionen nicht allein Folge der Schuldenbremse sind, sondern auch Folge einer Politik, deren Vertreter trotz Rekordeinnahmen und geringen Zinskosten der vergangenen Jahre die Mittel lieber in Wunschprojekte der jeweiligen Koalitionspartner gesteckt haben.
Ich bin, ehrlich gesagt, irritiert, dass Ökonomen und Politiker immer noch der Meinung sind, dass die Einhaltung der Schuldenbremse die Staatsfinanzen nachhaltig garantiert. In Wahrheit hat der Staat in den vergangenen Jahrzehnten Versprechen für zukünftige Leistungen wie Renten, Pensionen, Gesundheitsversorgung abgegeben, aber nicht entsprechend vorgesorgt.
(Zuruf von Marco Tullner, CDU)
Schauen Sie sich die Situation der Krankenhäuser in diesem Land an. Wir werden übermorgen bei der Haushaltsdebatte noch Gelegenheit haben, länger darüber zu sprechen.
(Zuruf: Übermorgen!)
Man muss sich auch fragen, ob die Ausweitung der Verbeamtungen finanziell für den Staat und insbesondere für das Land Sachsen-Anhalt eine nachhaltige Strategie ist. Wenn man anschaut, welche Pensionslasten in den kommenden Jahren und Jahrzehnten auf uns zukommen, kann einem schon schwindelig werden.
Fakt ist: Die Verschuldung des Landes Sachsen-Anhalt hat sich seit der Einführung der Schuldenbremse von 20,7 Milliarden € Ende 2010 auf mehr als 23 Milliarden € in diesem Jahr erhöht.
(Marco Tullner, CDU: Da war Corona!)
Sie wird sich auch in den kommenden Jahren weiter erhöhen. Vom einem Bremsen bei der Aufnahme von Schulden durch die Schuldenbremse kann also gar keine Rede sein.
(Beifall bei der LINKEN)
Aus der Sicht meiner Fraktion ist die Schuldenbremse gescheitert, und sie gehört abgeschafft; denn die Schuldenbremse in Bund und Land bleibt eine Investitionsbremse.
(Guido Kosmehl, FDP: Wir haben doch getilgt!)
Wir hangeln uns seit der Coronapandemie von Notlage zu Notlage. Das Bekunden der Koalition, dass wir generationengerecht haushalten müssen, nützt niemandem etwas.
(Zuruf von Marco Tullner, CDU)
Der Schuldenberg wächst trotzdem Jahr für Jahr; doch der Investitionsstau schrumpft kaum. Generationengerecht haushalten bedeutet auch, dass wir dafür Sorge tragen, dass künftige Generationen bestmögliche Lebensbedingungen vorfinden, egal ob im Bereich der Bildung oder im Gesundheitssystem. Daher sind Diskussionen um Kürzungen im sozialen Bereich falsch und eindimensional. Warum muss man im sozialen Bereich die Mittel kürzen, anstatt sich um die Einnahmenseite zu kümmern?
(Beifall bei der LINKEN)
Unsere linken Steuerkonzepte beinhalten ganz klare Vorschläge,
(Zuruf von Marco Tullner, CDU)
wie der Staat mehr Einnahmen generieren kann, ohne die Schwächsten der Gesellschaft zu bestrafen. Wir fordern eine progressiv ansteigende Vermögensteuer bei einem Privatvermögen ab 1 Million € und einen Spitzensatz von 5 % ab 5 Millionen €. Das würde pro Jahr 58 Milliarden € Mehreinnahmen für den Staatshaushalt bringen,
(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Können Sie das noch mal wiederholen? Was war das?)
mit denen marode Schulen, das Gesundheitssystem und die Bahninfrastruktur saniert und ausgebaut werden können.
(Marco Tullner, CDU: Mottenkiste!)
- Wie bitte?
(Marco Tullner, CDU: Mottenkiste!)
Bei der Erbschaftsteuer müssen insbesondere die Privilegien abgeschafft werden, die es möglich machen, Betriebsvermögen steuerfrei zu vererben oder zu verschenken.
(Guido Kosmehl, FDP: 7 % Steuer auf Betriebsvermögen! Da machen die zu! - Zurufe von der AfD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind gern bereit, uns an der Diskussion um die Schuldenbremse zu beteiligen. Holen wir uns dafür Expertise von Ökonominnen und Ökonomen, von Rechtswissenschaftlerinnen und Rechtswissenschaftlern und von Haushaltsexperten dazu ein. Wir haben versierte Fachleute im Land. Diese können wir auch einbinden und in Anspruch nehmen.
(Beifall bei der LINKEN)
Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung,
(Lachen bei der AfD - Jörg Bernstein, FDP, lacht)
sagte bspw.:
(Marco Tullner, CDU: Mein Gott!)
„Die Schuldenbremse ist nicht mehr zeitgemäß. Sie ist schädlich, weil sie blind ist, wofür der Staat sein Geld ausgibt: ob für Konsum oder für Zukunftsinvestitionen.“
Weiter heißt es: Der Staat müsse neue Wege finden,
„Zukunftsinvestitionen in Klimaschutz, Bildung oder Transformation finanzieren zu können. Daueraufgaben […] können und sollten nicht durch temporäre Sondervermögen finanziert werden, von denen ständig neue geschaffen werden müssten.“
Dem kann ich mit voll und ganz anschließen. - Herzlichen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Frau Heiß, es gibt eine Intervention von Herrn Lizureck. - Herr Lizureck, bitte.
Frank Otto Lizureck (AfD):
Schönen Dank für das Wort. - Sie sprechen über eine Schuldenbremse und sagen, dass diese keinen Sinn mache. Sie macht sehr viel Sinn, denn je mehr Schulden ein Land aufnimmt, desto mehr Zinsen muss es irgendwann bezahlen. Ich weiß nicht, ob Sie die Zusammenhänge nicht erkennen. Das wird dieses Land irgendwann in den kompletten finanziellen Ruin führen und soziale Projekte unmöglich machen. Ich bitte, in puncto Bildung einmal ein bisschen nachzufassen. - Danke.
Kristin Heiß (DIE LINKE):
Vielen Dank für den sehr wertvollen Hinweis, Herr Kollege. - Ich denke, wir sehen das Problem an den Folgen der Schuldenbremse, dass nämlich nichts oder viel zu wenig investiert wird in den Bereich Bildung, in das Gesundheitssystem, in den Straßenbau, in Bauten etc. Das ist alles marode. Vielleicht lohnt es sich bei Ihnen - um zum Thema Bildung zu kommen , einmal die Debatte im Bundestag - -
(Frank Otto Lizureck, AfD, unterhält sich mit Abgeordneten der AfD-Fraktion)
- Jetzt hört er mir gar nicht zu. Das ist sehr unhöflich und ich brauche nicht weiterzureden. - Vielen Dank. Schönen Abend!
(Beifall bei der LINKEN)