Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD): 

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die AfD erklärt, bildlich gesprochen, das Hochwasser für beendet, während die Menschen mit den Knöcheln im Wasser stehen, die Keller vollgelaufen sind, das Mauerwerk nass ist und für morgen Regen angekündigt ist. 

Die AfD will nun die Notwendigkeit der Bekämpfung und Folgenbewältigung von Covid 19 aufgrund von ausgewählten Satzbausteinen einiger Wissenschaftler für beendet erklären

(Zuruf von der AfD)

und spricht auch im Rückblick noch immer - das haben wir gestern gehört - von der „sogenannten“ Pandemie. Das ist symptomatisch für die Agenda der Rechtspopulisten. 

Es geht Ihnen offensichtlich nicht um eine wissenschaftliche Aufarbeitung, um Lehren für die Zukunft zu ziehen, nicht um die Bewältigung der Covidfolgen, nicht um die Stärkung der Resilienz, also der Widerstandsfähigkeit gegenüber der weiter bestehenden coronabedingten Gesundheitsbedrohung. 

Sie tun so, als habe es die Pandemie nie gegeben, und Sie suchen nach Ansatzpunkten für persönliche Schuldzuweisungen und Verschwörungstheorien. Sie versuchen, Misstrauen in demokratische und wissenschaftliche Institutionen zu schüren. 

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Diesen Hexenprozess lehnen wir ab. 

(Beifall bei der SPD und bei der FDP)

Es ist richtig, dass die Weltgesundheitsorganisation die Coronapandemie seit Mai nicht mehr als internationalen Gesundheitsnotstand einstuft. Sie weist jedoch gleichzeitig darauf hin, dass es sich weiterhin um eine globale Gesundheitsbedrohung handelt und wir nicht einfach zurück in die Prä-Covid-Tagesordnung fallen dürfen.

(Lachen bei der AfD)

Die verbindlichen Coronaschutzmaßnahmen sind im April ausgelaufen. Dies war aufgrund der hohen Impfquote, der guten Verfügbarkeit von Impfstoffen, der vorhandenen Krankenhauskapazitäten und der erprobten Behandlungsoptionen möglich. 

Weitere Aspekte, wie die Omikron-Variante, die sehr ansteckend, aber weniger gefährlich ist, lasse ich aus Zeitgründen aus. Die deutschlandweite Entwicklung zu wieder steigenden Covidfällen ist unübersehbar, gerade auch in Sachsen-Anhalt mit einer besonders hohen Siebentageinzidenz pro 100 000 Einwohner. 

(Ulrich Siegmund, AfD: Wir brauchen den Notstand!)

Die vulnerablen Gruppen sind noch immer tödlich bedroht, insbesondere ältere Menschen. Durch die Abwasseruntersuchungen wissen wir zudem, dass die Dunkelziffer der Neuinfektionen sehr hoch ist, da sich viele Menschen mit Symptomen nicht mehr auf Corona testen lassen. Covid ist gekommen, um zu bleiben. 

Die Pandemie ist vorbei. Es bleibt die Endemie, also die regional bedeutende Verbreitung. Die medizinischen Folgen der Pandemie auch in Form von Long und Post Covid stellen große Herausforderungen an Forschung und Versorgung dar; ca. 1 Million Menschen in Deutschland sind davon betroffen. Die psychische Gesundheit leidet unter den Folgen der Coronazeit. Kinder und Jugendliche waren im Verlauf der Coronapandemie davon in besonderer Weise betroffen. Gerade diesbezüglich gibt es sehr viel aufzuholen. Programme wie „Aufholen nach Corona“ für Kinder und Jugendliche und weitere stellen Weichen für einen Weg zurück in die Normalität. 

Entscheidend sind auch eine Reihe von strukturellen Maßnahmen auf Bundes- und Landesebene, um eine gut zugängliche medizinische und psychologische Versorgung für Kinder und Jugendliche sicherzustellen. 

Gerade die sozial schwachen Mitglieder unserer Gesellschaft hat die Pandemie besonders hart getroffen. Deshalb sind Maßnahmen wie die Erhöhung des Mindestlohns, des Kindergelds, des Wohngelds, das neue Bürgergeld und andere Maßnahmen umso wichtiger für die Gerechtigkeit und die Zukunft unseres Landes.

Es ist und bleibt eine große Tragik, dass viele ältere Menschen in Pflegeheimen isoliert von ihren Angehörigen waren. Ein solches Szenario müssen wir in Zukunft unbedingt vermeiden. Das ist eine der schmerzlichen Lektionen, die zu lernen sind.

Im Nachhinein kann man festhalten, dass die Auswirkungen der Kontaktbeschränkungen auf die mentale Gesundheit nicht genügend beachtet wurden. Daraus ist zu lernen, wie wichtig es ist, diese Perspektive in beratenden Gremien zu vertreten. Auch die Perspektive der öffentlichen Kommunikation und kommunikativen Vermittlung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit muss in vergleichbaren Fällen sehr viel stärker vertreten sein.

Ich möchte daran erinnern, die Debatte ging um Leben und Tod. Es mussten Abwägungen auf dem vorhandenen Wissensstand zum jeweiligen Zeitpunkt getroffen werden. Der Virus änderte sich; der Wissensstand änderte sich und schritt rapide fort.

Was nun den Fremdschutz der Impfung betrifft, wurde darüber schon gesprochen. Darauf brauche ich nicht im Detail einzugehen. Zum Zeitpunkt der Notfallzulassung gab es keine gesicherten Daten zum Schutz vor einer Übertragung. Es ging ja auch darum, eine schwere Erkrankung zu verhindern. Das ist erwiesenermaßen der Fall. Gerade bei den früheren Varianten hat man in weiteren Studien beobachten können, dass eine Ansteckung unwahrscheinlicher bzw. im Fall der Ansteckung die Viruslast geringer wird. Selbst bei Omikron können wir festhalten, eine Impfung schützt immer noch vor einem schweren Krankheitsverlauf. Auch dadurch können wir auf verfügbare Kapazitäten im Gesundheitssystem besser zurückgreifen.

Gleichzeitig hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, dass Gesundheitssysteme auch für Spitzenlasten ausgelegt sein müssen. Wir haben nachdrücklich gelernt, wie kostbar die Arbeit gerade auch der Pflegekräfte ist. Wir haben dafür spontan geklatscht und auch gemerkt, klatschen allein genügt nicht, und daraufhin auch gehandelt.

(Zustimmung bei der SPD und von Olaf Meister, GRÜNE) 

Damals gab es keinen perfekten Fahrplan und es wurde notgedrungen viel auf Sicht gefahren. Inzwischen haben wir viele Forschungsergebnisse, auf denen wir aufbauen können. Genau das muss politisch getragen und auch finanziert werden. Es hilft nicht, wenn man behauptet, dass jetzt sowieso alles vorbei wäre.

Systeme im Gesundheitssektor und in anderen Bereichen zeigten unter den Belastungen durch die Covid-Pandemie wie unter einem Brennglas ihre Schwachstellen, z. B. die funktionale Vernetzung und Digitalisierung der Gesundheitsämter, Arztpraxen, Krankenhäuser oder Schulen. Das hat jetzt endlich Fahrt aufgenommen. Dieses Momentum jetzt abzubrechen, wäre wahrhaftig ein Schildbürgerstreich.

Nach vier Jahren können wir folgende Bilanz ziehen: ca. sieben Millionen bestätigte Tote weltweit. Die tatsächliche Zahl wird auf 20 Millionen geschätzt. Viele Betroffene haben Langzeitfolgen. In Sachsen-Anhalt waren es knapp 1 Million Infizierte. Ein gewisser Anteil davon wäre vermeidbar gewesen, hätten Fake News in sozialen Medien und eine Desinformationskampagne nicht so viele Menschen beeinflusst.

(Ulrich Siegmund, AfD: Von der SPD Fake News meinen Sie!)

Ich bin froh darüber, dass wir in Deutschland und anderswo einen Notstand nicht erst dann erkennen, wenn 30 % der Bevölkerung sterben, was der Kollege Dr. Tillschneider, AfD, seiner gestrigen Zwischenintervention zufolge für eine akzeptable Schwelle zu halten scheint.

(Jan Scharfenort, AfD: Was?)

Übrigens: Schweden. Die Sterblichkeit war von Anfang an, gerade am Anfang, sehr hoch. Anschließend hat man nachgesteuert, bspw. totale Veranstaltungsverbote. Wer das einmal nachverfolgen will, der kann gerne nach Veranstaltungen von Johan Airijoki googeln. Dann werden Sie es feststellen. 

In vielen der Evaluationen und Forschungsberichte wird eines festgestellt: Die Wissenschaftskommunikation und das Wissenschaftsverständnis müssen stark verbessert werden. Wir können und dürfen diese komplexen Sachverhalte nicht zu stark auf populistische Inhalte reduzieren. Lassen Sie uns hier im Haus ein gutes Beispiel geben. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei den GRÜNEN)


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Herr Scharfenort, Sie haben das Wort.


Jan Scharfenort (AfD): 

Frau Airijoki, ich schätze Sie persönlich wirklich sehr. Ich glaube auch wirklich, dass Sie niemandem etwas Böses wollten, gerade Sie nicht. Mein Eindruck ist aber, an dieser Rede haben Sie sehr wenig mitgearbeitet.

(Unruhe bei der SPD - Dr. Heide Richter-Airijoki, SPD, lacht - Dr. Andreas Schmidt, SPD: Das ist doch eine Frechheit!)

Das ist meine Vermutung, ich kann es nicht wissen. Wenn es nicht so ist, dann wird es natürlich nicht besser; dann macht es das Ganze für mich noch schlimmer.

(Zuruf von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

Sie müssen doch bspw. ihre eigenen Berufsstände ernst nehmen. Ich habe es vorhin schon einmal erwähnt. Die kassenärztliche Bundesvereinigung hat gemeldet: 2,5 Millionen abgerechnete, ärztlich behandelte Impfschäden im Jahr 2021. Das ist zehnmal höher als vom PEI. Das deckt sich auch mit den Zahlen der Betriebskrankenkasse.

(Dr. Falko Grube, SPD: Sie müssen wichtiger werden in Ihrer Fraktion! Dann dürfen Sie selber reden!)

Das müssen Sie doch einmal zur Kenntnis nehmen, auch die Zahlen zur Wirksamkeit, zur Ansteckung. Sie brauchten doch nur einmal Ihrem Kollegen Lutz Trümper mit seinem Gesundheitsamtschef zuzuhören. Er hat nachher, weil es ihm auch gereicht hat, weil er einfach aufklären wollte, jeden Montag - penetrant; jeden Montag, immer wieder - die Zahlen an die Wand geworfen. Er hat erklärt. Er hat es veranschaulicht, damit es letztlich jeder begreifen kann. Warum haben Sie nicht einmal dem eigenen Kollegen zugehört?


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Wenn Sie wollen, dann können Sie antworten.


Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD): 

Herr Scharfenort, ich schreibe nicht alle meine Redeentwürfe selbst, aber diesen habe ich definitiv selbst geschrieben. Das kann ich Ihnen versichern. 

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Was Sie über Impfschäden gesagt haben: Die Zahlen wurden schon genannt. Man muss unterscheiden zwischen Verdachtsfällen, die gemeldet werden - ich bin sehr froh darüber, dass es diesen Mechanismus gibt  , und dem, was am Ende bestätigt wird. Das sind sehr große Unterschiede. Ich habe Zahlen vorliegen. Ich kann sie Ihnen auch einmal zuschicken. Etwa 0,02 % der Menschen mit einer Coronaimpfung melden dauerhafte oder anhaltende Beschwerden bzw. Nebenwirkungen   melden! Diese werden dann überprüft. Der zeitliche Zusammenhang ist überhaupt nicht zu verwechseln mit dem kausalen Zusammenhang. Das wird dann überprüft. Es bleiben Fälle übrig, in denen anerkannte Impfschäden bestehen, ja, aber es sind sehr wenige. Also, die Schutzwirkung der Impfung übersteigt bei Weitem die Impfrisiken.