Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):
Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Diese Aktuelle Debatte löst bei mir geradezu ähnliche Symptome wie Long Covid aus: Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten.
(Zuruf von Ulrich Siegmund, AfD)
Ich hatte wirklich gehofft, Ihr Coronageschwurbel läge hinter uns. Ich hatte wirklich gehofft, die AfD würde endlich aufhören, die Coronasau durch das Dorf zu treiben. Es sieht leider nicht so; vielleicht war bei Tiktok wieder einmal etwas zu dem Thema fällig. - Ermüdend.
(Ulrich Siegmund, AfD: Woher wollen Sie das wissen? Sie kennen sich dort überhaupt nicht aus!)
Aber anders als bei den Menschen, die tatsächlich unter Long Covid leiden, reicht bei Ihrer Debatte zum Glück etwas Willenskraft aus, um sich dem Thema dann doch konstruktiv zu widmen.
Ja, natürlich ist Corona gegenwärtig als Begründung für eine Notlage stark fragwürdig. Deswegen haben wir gestern bei der Abstimmung nicht zugestimmt. Das Argument ist nun wirklich nur bedingt tragfähig.
(Ulrich Siegmund, AfD: Aha!)
Das Motiv bzw. der Verdacht, nur das Sondervermögen retten zu wollen, liegt doch sehr nah. Dies ist menschlich und auch politisch verständlich - das möchte ich betonen , rechtsdogmatisch halte ich es aber für problematisch.
Auf die jetzige Coronasituation abzustellen, um das Sondervermögen zu begründen, verharmlost geradezu die akute Coronaphase. Ein globales pandemisches Geschehen, das wir alle zu unseren Lebzeiten so noch nicht kennengelernt hatten, das Tausende Menschen in Sachsen-Anhalt und Millionen Menschen weltweit das Leben kostete, ist absolut nicht mit der Situation heute zu vergleichen, und zwar trotz hoher Inzidenzen - diese haben wir im Moment - und einer ungleich höheren Zahl nicht erfasster Coronafälle. Wie diese Zahlen erfasst wurden, hat die Ministerin vorhin erklärt.
Zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 lagen noch keinerlei klare Erkenntnisse zu Infektionswegen oder Krankheitsverläufen vor. Lange Zeit standen wir ohne Testverfahren da und noch länger ohne die Möglichkeit von Impfungen.
Aus heutiger Sicht mit verschiedenen verfügbaren Impfstoffen und Tests an jeder Supermarktkasse ist die Unsicherheit in der damaligen Situation, innerhalb derer auch Entscheidungen getroffen werden mussten, nur noch schwer vorstellbar - genauso unvorstellbar wie die Erinnerung daran, dass selbst Ihre Bundesvorsitzende Weidel am 12. März 2020 auf Twitter den sofortigen Lockdown nach dem Vorbild Dänemarks forderte, und zwar im Übrigen als eine der Ersten.
(Ulrich Siegmund, AfD: Weil Sie geschlafen haben!)
Es ist unredlich, mit dem Wissen von heute Entscheidungen von damals verurteilen zu wollen. Ja, Spielplatzschließungen würde wohl heute niemand mehr so anordnen. Schulschließungen hätte es in dem Umfang wohl auch nicht bedurft. Wer hätte das aber wissen können?
(Ulrich Siegmund, AfD: Wir!)
Wer hätte dieses Risiko damals eingehen wollen? Bei Fragen, bei denen es um Leben und Tod geht, geht verantwortungsbewusste Politik auf Nummer sicher.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Das ist liegt doch auf der Hand. Das war und das ist gut so.
Der Schaden daraus, wie die größeren strukturellen Defizite, die in der PISA-Studie deutlich geworden sind, hätten ungleich kleiner ausfallen können, wenn wir z. B. bei der Digitalisierung in der Bildung nicht so weit hinter anderen Ländern liegen würden; auch das zeigt die PISA-Studie im Vergleich mit den Ländern, die eine höhere Digitalkompetenz im Bildungsbereich aufweisen.
Es ist zudem unredlich, so zu tun, als würde sich mit der Evaluierung der Pandemiemaßnahmen niemand beschäftigen. Selbstverständlich passiert das auf der Landesebene, auf der Bundesebene und in der Wissenschaft längst. Die Ministerin hat dazu und zu der weiteren Evaluation ausgeführt.
Was Sie wollen, ist Abrechnung. Das ist etwas anderes und das ist unredlich.
(Unruhe bei der AfD)
Die Lehren aus dieser Evaluation für folgende Pandemien werden komplex sein müssen; denn ein neuer Virus kann logischerweise ein gänzlich anderes pandemisches Geschehen bewirken, bei dem dann etwa Schulschließungen vielleicht doch wieder notwendig sein könnten. Wer kann das jetzt wissen?
Wir wussten damals nichts und wir werden auch bei neuen Viren erst einmal nichts wissen. Wir wissen bis heute nicht ausreichend, wie medizinisch mit Long und Post Covid umzugehen ist. Diagnose und Therapie sind noch immer in der Experimentierphase. Der Bund stellt sinnvollerweise 100 Millionen € für weitere Forschungen bereit. Der Bundestag hat diese Gelder im Rahmen der Haushaltsberatungen erheblich aufgestockt - zum Glück auch abseits der aktuellen Haushaltslage.
Das Leid tausender Betroffener - das sind ungleich mehr als diejenigen, die unter den Folgen der Impfung leiden - ist Mahnung an uns, in der weiteren Erforschung und Beschäftigung mit dieser Erkrankung nicht nachzulassen; denn diese Menschen befinden sich ganz eindeutig in einer biografischen Notlage.
Diese Forschung hilft im Übrigen auch denjenigen, die nach der Impfung Schwierigkeiten und Probleme im Zusammenhang mit ihrer Gesundheit haben. - Das am Rande, falls es Ihnen tatsächlich um die Situation dieser Menschen geht und nicht nur um deren Instrumentalisierung.
Zur aktuellen Coronalage. Corona ist eben nicht einfach nur ein Schnupfen, auch wenn bei vielen die Symptome - das muss ich zugeben, das will ich auch gern zugeben - nicht über die einer Erkältung hinausgehen. Covid 19 ist eine Multisystemerkrankung. Diese kann neben dem Nase-Rachen-Raum auch innere Organe und Blutgefäße angreifen.
Gerade in den Anfängen der Pandemie verstarben viele der Betroffenen, viele der Patienten bei uns in der Klinik an Nieren- und Leberversagen, weil der Virus eben längst nicht nur die Atemwegsgefäße befällt. Corona geht weit darüber hinaus und war und ist damit gefährlicher als andere grippale Infekte, vergleichbar vielleicht gerade einmal mit der Grippe.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Es gibt mittlerweile bspw. klare Indizien, die einen Zusammenhang zwischen Corona und Frühgeburten belegen, also zwischen der Coronainfektion und Frühgeburten. Vermutet wird, dass eine Entzündung der Plazenta infolge einer Covidinfektion dabei ursächlich ist.
Im Jahr 2021 war ein enormer Aufwuchs von Frühgeburten zu verzeichnen. Mit der Verbreitung der Impfung auch unter Schwangeren gingen diese Zahlen zurück. So berichtet unter anderem das „Deutsche Ärzteblatt“ Anfang Dezember unter Bezugnahme auf eine Studie der Universität Kalifornien. Entsprechend wird Schwangeren zu einer Auffrischungsimpfung geraten. Sie sehen, wir reden weiter über eine tückischere Erkrankung als Husten, Schnupfen, Hals- und Gliederschmerzen.
Trotz aller tragischen Impfschäden im Einzelfall, die größtenteils vorübergehender Natur sind, schützen Impfungen, und zwar den Geimpften und die Geimpfte sowieso und Dritte natürlich auch - mindestens durch die sogenannte Herdenimmunität. Wenn genügend Individuen geimpft sind, dann findet das Virus schlicht nicht genug Träger, um sich zu vermehren. Das ist bei allen Impfungen so und selbstverständlich auch bei den Coronaimpfungen. Genau deswegen zielen wir auf eine hohe Impfquote. Genau deswegen gibt es seit einigen Jahren die Masernimpfpflicht, und zwar um Krankheiten auszumerzen und um diejenigen Personen zu schützen, die sich nicht impfen lassen können.
Das kann man als medizinischen und politischen Common Sense akzeptieren und einsehen oder man versteigt sich zu raunenden Aussagen über die Pharmalobby und sinistre politische Kreise, die Pandemien aushecken, um die Bevölkerung zu kontrollieren.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Das Geraune fängt bereits im Kleinen an. Wir finden es bereits in der Begründung für Ihre Debatte. Dort wird formuliert, dass die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) in einer veröffentlichen Parlamentsinformation eingestanden und eingeräumt hat, dass die Impfungen den Schutz Dritter vor Infizierungen nicht leistet. Mitnichten wird etwas eingestanden oder eingeräumt, also erst auf Druck zugegeben. Das bedeutet diese Formulierung. Die EMA sagt an dieser Stelle völlig unumwunden: Natürlich ist der Impfstoff zum Schutz der geimpften Person zugelassen. Diese Zulassung bezieht sich nicht auf den Schutz vor der Infektion Dritter. - So steht es in den entsprechenden Produktinformationen.
(Oliver Kirchner, AfD: Das wurde von ihnen nie behauptet! Sie haben gesagt: Sie schützt vor der Übertragung!)
Dieser Kenntnisstand war aber schon lange vor der zitierten Befragung öffentlich und zugänglich. Natürlich beziehen sich Studien und Forschungen zu Impfstoffen auf die Immunisierung der geimpften Person. Das ist allgemein bekannt, total üblich und völlig logisch. Dass sich die Zulassung auf diesen Umstand bezieht, heißt natürlich nicht, dass eine Impfung Dritte nicht schützt. Oftmals schützt sie schon, weil eine Immunisierung verhindert - das habe ich schon gesagt , dass ein Virus in die Zellen gelangt und sich dort vermehrt. Weniger Viren, also eine geringere Virenlast, schmälern natürlich das Risiko der Infektion Dritter. Nur wird das in den Studien zur Entwicklung von Impfstoffen nicht primär untersucht. Warum auch? - Ist der Geimpfte geschützt, ist der Primäreffekt einer Impfung erzielt. So funktionieren Impfungen.
Sie suggerieren mit Ihrer Formulierung, dass der Schutz Dritter durch Impfungen bewusst falsch dargestellt wurde, dass die Bevölkerung gezielt getäuscht wurde, um Um was eigentlich? - Keine Ahnung, wer davon irgendetwas gehabt hätte. Ihnen reicht es, diese Unterstellung anklingen zu lassen und so zu tun, als wären Akteure im Schatten unterwegs, die Sie mutig ins Licht zerren.
(Olaf Meister, GRÜNE, lacht)
Impfungen schützen die Geimpften und bei günstiger Konstellation auch Dritte und bei genügend Geimpften greift die Herdenimmunität. Mehr ist nie gesagt oder behauptet worden.
(Oliver Kirchner, AfD: Natürlich! - Weitere Zurufe von der AfD: Doch!)
Daran ändert im Übrigen auch Ihr albernes Mantra von der wirklich wahren Wahrheit nichts; denn Ihre Wahrheit fußt auf der Selektion von Fakten, Halbwahrheiten, dem Weglassen von weiteren Fakten und dem Verleugnen von wissenschaftlicher Evidenz. Ihre Wahrheit ist nichts als eine Wahrlüge und die hat schon Hannah Arendt als das gefährlichste Instrument von Demagogen klassifiziert. Mehr ist an dieser Stelle nicht zu sagen. - Vielen Dank.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Herr Scharfenort hat wieder einmal eine Intervention. - Bitte sehr, Herr Scharfenort.
Jan Scharfenort (AfD):
Ganz kurz. Ich möchte auf einen Punkt eingehen, und zwar auf die Aufklärungsarbeit. Sie meinen diesbezüglich ist eine gute Entwicklung auf dem Weg. In anderen Ländern ist das, so meine ich, durchaus so. Die FDA und auch die britische Gesundheitsbehörde geben gute Daten heraus. Beim PEI haben wir das Problem, dass seit dem 30. Juni 2022 nichts mehr veröffentlicht wurde. Warum, können wir uns vielleicht schon denken.
Wir sind gespannt. Es gibt ganz klar eine ganz starke Korrelation zwischen der Impfung und der Übersterblichkeit. Ich behaupte nicht, dass es sich um eine Kausalität handelt. Daran werden wir sehen, ob Deutschland wirklich ein Interesse daran hat, dies aufzuklären, nach der Kausalität zu suchen. Ich kann verraten, dass die Schweiz, die Amerikaner und die Briten an dieser Stelle schon ein Stück weiter sind. Ich warte ab, ob die Diskussion in Deutschland in die richtige Richtung geht.
Wir können versprechen, dass wir in der nächsten Legislaturperiode einen Untersuchungsausschuss einrichten werden und dann werden wir bestimm das eine oder andere zutage fördern. - Vielen Dank.
(Zustimmung bei der AfD)