Wulf Gallert (DIE LINKE):
Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich schon einmal für die doch weitgehend sehr sachliche Debatte. Ich will am Ende des Tages bloß sagen: Was bleibt jetzt unter dem Strich? - Derjenige, der von Stromsperren betroffen ist, ist selbst schuld. Punkt. Ja, gut, meinetwegen, dann ist er selbst schuld.
Ich will jetzt nur auf ein paar Einzelheiten eingehen. Natürlich gibt es bei uns nicht wenige Menschen, die von ihrer eigenen Schuldenproblematik einfach völlig überfordert sind. Natürlich gibt es für viele Menschen in unserem Land nach wie vor die Situation, dass sie eine hohe Hemmschwelle haben, sich an Beratungsinstitute, an öffentlichen Stellen etc. zu wenden. Ich sage Ihnen: Die meisten von denen haben Erfahrungen damit. Wer nämlich Sozialhilfe oder Hartz IV, jetzt Bürgergeld, beantragt hat, der weiß, wie der Laden läuft. Und er weiß häufig auch, wie mit ihm oder ihr umgegangen worden ist. Das führt häufig dazu, dass Menschen den Mut und die Kraft verlieren, sich in diese ganzen Strukturen hineinzubegeben. Für diese Menschen bricht sozusagen der Himmel über ihnen zusammen. Sie öffnen ihre Post manchmal nicht mehr; weil sie wissen: Es ist für sie nicht mehr leistbar.
Frau Kleemann, es ist ja schön, wenn sie sagen, dass diese Menschen doch online surfen bzw. auf die Webseite der Verbraucherzentrale schauen können. Wissen Sie, wie hoch die Analphabetenquote unter Erwachsenen im Land Sachsen-Anhalt ist, Frau Kleemann? Damit meine ich nicht die Migrantinnen, sondern bei den Menschen, die hier aufgewachsen sind. Da gibt es eine Dunkelziffer, dazu gibt es verschiedene Schätzungen; sie beträgt bis zu 5 %. Es sind 5 %, die davon betroffen sind. Diese Menschen sind überhaupt nicht in der Lage, sich in irgendeiner Art und Weise auf einer Online-Plattform anzumelden und selbst zu informieren.
(Zuruf von Juliane Kleemann, SPD)
All diese Dinge führen dazu, dass im Land Sachsen-Anhalt im Jahr 2022 bei 10 000 Haushalten die Stromsperre angebracht worden ist. Natürlich wissen wir, dass es deshalb auch Angebote geben muss. Deshalb sage ich ausdrücklich: Das, was wir mit dem Härtefallfonds wollen, ist genau das. Wir wollen, dass sich zuallererst die Vermieter darum kümmern müssen. Es ist völlig richtig, wenn Sie sagen, dass diese unterschiedlich intensiv betroffen sind. Das hängt davon ab, in welcher sozialen Struktur und in welcher Wohngebend der Vermieter agiert. Dann gibt es Vermieter, der in einer bestimmten Wohngegend damit zu tun hat, dass deutlich mehr als 0,7 % der Haushalte davon betroffen sind, weil dort Menschen mit einem Einkommensproblem zusammengeballt sind.
Besonders für den Vermieter ist es fatal, wenn er solche Sperren nicht realisieren kann und das Geld dann von den anderen armen Mietern sozusagen ausgeglichen werden muss. Genau das wollen wir mit diesem Härtefallfonds verhindern. Es ist wichtig, dass die Vermieter, die ohnehin eine größere Zusammenballung von Einkommensschwächeren unter ihren Mietern haben, nicht auch noch mit diesem Problem konfrontiert werden. Deshalb wollen wir diesen Härtefallfonds.
Ich sage Ihnen eines, liebe Kolleginnen und Kollegen: Sie können sich das alles zurechtlegen, aber so wie der Minister habe auch ich von einer halben Stunde erst erfahren, was passieren wird. All das, was ich hier noch als Drohszenario aufgelistet habe, scheint seit einer halben Stunde beschlossen zu sein: Mehrwertsteuer ab 1. Januar 19 %, keine Dämpfung der Netzentgelte. Das sind Dinge, die entsprechen
(Guido Kosmehl, FDP: Die Stromsteuer wird gesenkt!)
- Ja, aber jetzt sage ich einmal: Allein die fünf
(Guido Kosmehl, FDP: Das sind Fake News, die Sie verbreiten! - Zurufe von der AfD)
- Die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 7 % auf 19 % plus Wegfall der Dämpfung der Netzentgelte ist ein Fakt, Herr Kosmehl. Die wird auch nicht durch die Steuersenkung ausgeglichen, weil auf diese 30 ct, die Sie zurzeit im günstigsten Fall für 1 kWh bezahlen, 12 % draufgeschlagen werden. Das ist mehr, als wenn Sie die Steuer um 2 % senken. Das müssten auch Sie errechnen können, Herr Kosmehl.
(Lebhafter Beifall bei der LINKEN)
Dazu kommen aufgrund des Wegfalls der Dämpfung der Netzentgelte allein auf das Land Sachsen-Anhalt 160 Millionen € zu. Das bedeutet, dass die Kosten steigen werden. Die Problemkreise werden größer. Nicht alle werden in der Lage sein, sich durch das Netz von verschiedenen Strukturen, Hilfen und Absicherungen durchzupuzzeln.
(Zuruf von der SPD)
Deshalb gibt es dieses Problem. Die Aussage „sind selbst dran schuld“, Entschuldigung, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist keine Aussage, die wir akzeptieren können.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir wollen eine Abstimmung über diesen Antrag haben. Deswegen war es richtig, ihn heute noch einmal zu stellen.