Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Vor genau einem Jahr wurde das Gesetz zum Bürgergeld im Bundestag verabschiedet. Im Vermittlungsausschuss des Bundesrates haben nach intensiven Verhandlungen schließlich auch CDU und CSU zugestimmt. Das neue Bürgergeld ist am 1. Januar 2023 in Kraft getreten. Nach rund einem Jahr kann man immer noch sagen: Das ist und bleibt die größte sozialpolitische Reform der letzten 20 Jahre.

(Zustimmung bei der SPD)

Seither hört aber die Diskussion um das Bürgergeld nicht auf. Immer wieder werden Falschbehauptungen, Vorurteile und Lügen über Menschen verbreitet. Es heißt, Arbeitslose seien nur zu faul oder sie ruhten sich nur in der sozialen Hängematte aus.

(Zuruf von der AfD: Wer hat das gesagt?)

Das passt zu dem Narrativ, Arbeit würde sich nicht lohnen, was ich wirklich beschämend finde. Auf dem Rücken der Schwachen in unserer Gesellschaft wird eine unsägliche Neiddebatte ausgetragen.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es werden die Gruppen gegeneinander ausgespielt, nämlich Menschen, die Bürgergeld erhalten, und jene, die zum Mindestlohn arbeiten. Das, meine Damen und Herren, ist schäbig. Denn die Diskussion verschleiert ein ganz anderes Problem in unserem Land, nämlich die oftmals zu niedrigen Löhne.

(Zustimmung bei der SPD)

Die von der SPD durchgesetzte Erhöhung des Mindestlohns auf 12 € war richtig und sehr wichtig für viele Beschäftigte. Gerade hier im Land haben mehr als 215 000 Sachsen-Anhalterinnen und Sachsen-Anhalter und ihre Familien vom höheren Mindestlohn profitiert. In ganz Ostdeutschland waren es mehr als 1 Million Beschäftigte. Darunter waren sehr viele Frauen, die für weniger als 12 € pro Stunde gearbeitet haben und denen später Altersarmut droht.

Ich möchte daran erinnern, dass es CDU und CSU waren, die jahrelang die Einführung eines Mindestlohns blockiert haben. Erst der SPD ist es gelungen, überhaupt einen bundesweit einheitlichen Mindestlohn durchzusetzen und ihn schrittweise zu erhöhen.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich möchte mir nicht vorstellen, wie Familien angesichts der Preissteigerungen ohne Mindestlohn oder einem auf dem alten Niveau zurechtkommen würden. Dass der derzeitige Mindestlohn zu niedrig ist, steht außer Frage. Er muss deutlich erhöht werden. Es ist daher mehr als bedauerlich, dass sich die Arbeitgeber in der Mindestlohnkommission durchgesetzt haben und der Mindestlohn zum 1. Januar 2024 nur um 41 ct pro Stunde steigt und ein Jahr später um weitere 41 ct. Das sind zum 1. Januar 2025   12,82 € pro Stunde. Diese Minierhöhung gleicht nicht einmal ansatzweise die Preissteigerungen aus. Das ist der eigentliche Skandal, meine Damen und Herren.

(Zustimmung von Katrin Gensecke, SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Lassen Sie uns einmal nüchtern die Fakten betrachten. Ja, das Bürgergeld wird zum 1. Januar 2024 auf 563 € angehoben. Die Erhöhung gleicht die gestiegenen Kosten der letzten Jahre aus und sichert ein Existenzminimum. Ich möchte daran erinnern, dass es eine grundgesetzliche Verpflichtung in Artikel 20 des Grundgesetzes, Sozialstaatsgebot, gibt. Wer in eine Notlage gerät und nicht mehr selbst für seinen Unterhalt sorgen kann, hat Anspruch auf staatliche Leistungen. Das wurde mehrfach bestätigt durch Urteile des Bundesverfassungsgerichts. Einige hier im Hohen Haus scheinen das immer wieder einmal zu vergessen.

Meine Damen und Herren! Auch wenn hartnäckig etwas anderes behauptet wird: Arbeit lohnt sich.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wer arbeitet, hat mehr im Portemonnaie als jemand, der nicht arbeitet. Berechnungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts, WSI, zu unterschiedlichen Haushaltskonstellationen belegen das eindrücklich. Dazu gebe ich einige Beispiele. Ein Single hat mit Bürgergeld ein Haushaltseinkommen von 966 € und mit Arbeit zum Mindestlohn von 1 498 €. Das ist ein Plus von 532 €. Eine Alleinerziehende mit einem Kind erhält ein Bürgergeld von 1 701 €, aber mit Arbeit zum Mindestlohn 2 465 €. Das ist ein Plus von 764 €. Diese Liste könnte ich noch fortsetzen.

Auch wenn Sie es immer wieder wiederholen, ist und bleibt es eine Lüge, wenn behauptet wird, Arbeit lohne sich nicht.

(Lothar Waehler, AfD: Das haben wir doch gar nicht gesagt! Hören Sie doch mal zu! Meine Güte noch mal!)

Deutlich wird: Wer arbeitet, hat mehr. Arbeitende haben gegenüber den Beziehern von Bürgergeld den Vorteil, dass sie, wenn es zu knapp wird, Wohngeld beantragen können sowie Kinderzuschlag erhalten, und sie haben zudem steuerliche Vorteile.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Arbeit macht einen Unterschied. Das ist eine Frage des Respekts und auch der Leistungsgerechtigkeit. Ich wehre mich gegen die immer wieder erzählte Mär von arbeitsunwilligen Menschen. Wir hatten noch nie so viele Beschäftigte wie derzeit. Wer arbeitslos wird, ist es meist nicht lange und findet schnell einen neuen Job. Wenn jemand länger als zwölf Monate ohne Beschäftigung ist, dann liegt es sehr oft an Erkrankungen oder an der nicht vorhandenen oder der nicht abgeschlossenen Berufsausbildung. Hieran setzt das neue Bürgergeld an. Es ist eben sehr viel mehr als nur Geld.

Das neue Bürgergeld setzt auf Weiterbildung, Berufsabschlüsse und Qualifizierung statt vorrangig auf Vermittlung in kurzfristige Jobs. Wer im Bürgergeld eine Ausbildung beginnt, erhält als zusätzliche Motivation 75 € bzw. 150 € Weiterbildungsgeld. Wer sich während des Bezugs etwas dazuverdient, darf mehr behalten als früher. Das sind Anreize, die eine langfristige berufliche Tätigkeit fördern. Es wäre natürlich am besten, wenn der Lohn aus eigener Arbeit es gar nicht nötig machen würde, zusätzliche Leistungen in Anspruch zu nehmen.

Damit sind wir beim eigentlichen Problem im Land und insbesondere in Sachsen-Anhalt. Die Löhne sind oftmals zu niedrig. Gerade die Berufstätigen in Sachsen-Anhalt haben überdurchschnittlich vom Mindestlohn profitiert, weil eben die Löhne zu gering waren. Wir brauchen im Land gut bezahlte Tariflöhne. Denn nur jeder zweite Beschäftigte erhält Lohn nach Tarifvertrag. Das muss sich ändern.

(Zustimmung von Susan Sziborra-Seidlitz, GRÜNE)

Wenn wir uns die Rentenbezüge anschauen, dann erkennen wir, dass es sehr viele ältere Menschen gibt, die ihr Leben lang gearbeitet haben, die aber wegen der geringen Löhne nur eine kleine Rente bekommen. Geringe Löhne bedeuten geringe Renten. Es ist gut, dass die Renten angehoben wurden.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Auf eines möchte ich hinweisen, weil es in der ganzen Diskussion untergegangen ist. Arbeit ist so viel mehr, als nur Geld zu verdienen. Sie ist Wertschätzung für die eigene Leistung. Sie ist Anerkennung. 

(Unruhe)

Sie führt zu sozialen Kontakten und fördert die eigene berufliche Weiterentwicklung. Das macht ein Berufsleben aus. Sie ist ein wesentlicher Teil eines zufriedenen Lebens. 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Lassen Sie uns bitte damit aufhören, die Schwachen in unserer Gesellschaft gegeneinander auszuspielen. 

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Lothar Waehler, AfD: Das hat doch niemand gemacht!)

Lassen Sie uns damit aufhören, Neiddebatten anzuzetteln. Lassen Sie uns lieber dafür sorgen, dass Menschen von ihrer Arbeit gut leben können. Dazu braucht es eine gute Bezahlung, gute Arbeitsbedingungen und mehr Tarife. - Danke.

(Beifall bei der SPD)