Petra Grimm-Benne (Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung):

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Die Debatte darüber, ob sich Arbeit überhaupt noch lohnt, und über die Sorge vor dem großen Run auf die Sozialsysteme ist nicht neu und wird immer wieder vor der Erhöhung der Regelbedarfe entfacht. 

So wurde bereits vor der Einführung des Bürgergeldes prophezeit, dass es vermehrt zum Rückzug auf das Bürgergeld von Arbeitnehmerinnen Arbeitnehmern kommt. Dieser Run lässt sich jedenfalls in unserem Land nicht erkennen. Die Anzahl an arbeitslosen Personen in Sachsen-Anhalt ist seit Jahresbeginn um 6 000 Personen zurückgegangen, davon allein in den Jobcentern um 2 000 Personen - dort, wo sich mögliche negative Trends des Bürgergeldes eigentlich abzeichnen müssten.

Noch haben wir seit Jahresbeginn eine abnehmende Anzahl an Personen, die überhaupt auf Leistungen der Jobcenter angewiesen sind. Der beschworene Motivationskiller ist also nicht zu erkennen. Ich erkenne aber, dass durch diese Art der Scheindebatte geringverdienende Menschen gegen bedürftige Menschen ausgespielt werden. 

(Zustimmung bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Das hat Spaltungspotenzial. Wir müssen aber die gesamte Gesellschaft im Blick haben und dieses Land zusammenhalten.

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Anpassung auf die grundsätzliche Neubemessung der Regelbedarfe wurde durch die Einführung des Bürgergeldes im Übrigen gar nicht gesetzlich verändert. Dies war bereits vorher in Planung und steht in keinem direkten Zusammenhang zu den Änderungen durch das Bürgergeldgesetz.

Das bisherige System betrachtete die zurückliegenden Preissteigerungen und passte die Regelbedarfe für die Zukunft an; mögliche Mehrausgaben für Lebenserhaltungskosten im Betrachtungszeitraum wurden nicht ausgeglichen. Dieser Logik ist man durch die Neuregelung im Regelbedarfsermittlungsgesetz entgegengetreten. Die Bemessung der Regelbedarfe wurde so modifiziert, dass sie nicht mehr hinterherläuft, sondern zu erwartende Preissteigerungen und auch Lohnentwicklungen mit einpreist. Darüber hinaus sind die Regelbedarfe im Bürgergeld bundeseinheitlich und können in Deutschland nicht unterschiedlich hoch sein.

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Der entscheidende Punkt ist, hilfebedürftige Familien bei steigenden Lebenserhaltungskosten finanziell zu unterstützen; sie können in der Regel eben nicht auf Ersparnisse zurückgreifen. Eine Entwicklung der Regelbedarfe beim Bürgergeld entlässt die Unternehmen auch nicht aus der Pflicht, gute Löhne zu zahlen.

(Zustimmung bei der SPD)

Es ist eben nicht die Entscheidung zwischen Arbeit oder Bürgergeld, sondern eher ein möglicher Jobwechsel aufgrund von Löhnen und Arbeitsbedingungen. Der Wettbewerb der Unternehmen um Arbeitskräfte wird spürbar härter. Er führt leider auch zu solchen Debatten. Daher ist die Diskussion Arbeit versus Bürgergeld nur vorgeschoben.

Die Botschaft kann an dieser Stelle nur sein, dass Arbeit sich immer lohnt. Die oftmals gezeigten Rechenbeispiele beziehen sich auf einen Vergleich zwischen Arbeit ohne Bürgergeldbezug und reinem Bürgergeldbezug. Das ist aber nicht die Realität.

Das ifo-Institut bspw. hat untersucht, wie viel Geld Erwerbstätigen bleibt, wenn sie zusätzlich staatliche Leistungen beziehen, und dies dann mit dem reinen Bürgergeldbezug verglichen. Das Ergebnis: Egal ob bei Singles, Alleinerziehenden oder Doppelverdienern - die Erkenntnis war dieselbe. Erwerbstätige haben deutlich mehr Geld zur freien Verfügung als Bürgergeldempfangende. Dabei reden wir von mehreren Hundert Euro. 

(Zurufe von Daniel Rausch, AfD, und von Dr. Katja Pähle, SPD)

- Ja. - Es gibt in Sachsen-Anhalt knapp 23 000 Personen, welche erwerbstätig sind und aufstockend dazu Bürgergeld erhalten, da der Verdienst nicht zur Versorgung der Familie ausreicht und sie zum Teil unter dem Mindestlohn insbesondere in den Minijobs arbeiten, weil sie es sonst gesundheitlich nicht hinbekommen. 

(Zustimmung von Katrin Gensecke, SPD)

Dort wird nämlich aufgestockt. Das ist nämlich die Mehrzahl der Personen in unserem Land.

Für diese Personen wurden gerade mit dem Bürgergeld noch einmal Anreize geschaffen, gerade für die Langzeitarbeitslosen eine andere, höherwertige Erwerbstätigkeit zu erreichen bzw. aufzunehmen.

(Zustimmung bei der SPD)

Nämlich durch eine bessere Gestaltung der Freibeträge auf Erwerbseinkommen. Das bedeutet, dass eine erwerbstätige Person immer mehr Geld im Portemonnaie hat als eine Person, die nicht arbeiten geht.

(Zustimmung von Katrin Gensecke, SPD)

Sollte die Erwerbstätigkeit den Lebensunterhalt nicht sichern können, gleicht das Bürgergeld die Differenz aus. Die Leistungshöhe ist bedarfs- und einkommensorientiert. So gibt es eben keinen Schnitt zwischen Bürgergeld oder Erwerbstätigkeit. Im Gegenteil, die neuen Freibeträge sorgen gerade bei jungen Menschen für einen Ausweg aus dem Sozialleistungsbezug, auch wenn die Eltern auf das Bürgergeld angewiesen sind.

Sie sorgen für eine Motivation für frühzeitige Erwerbstätigkeit, bspw. durch die Privilegierung von Ferienjobs oder die geförderten Ausbildungen. Früher mussten die jungen Auszubildenden sich das immer noch zum Teil anrechnen lassen. Vielleicht können sie in ihrem Leben tatsächlich aus der Hartz-IV-Familie herauskommen. Dadurch wird Armut einmal nicht vererbt, sondern sie können aus dem herauskommen und ihr Ausbildungsgeld für sich behalten.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Auch der Anreiz für Alleinerziehende, eine Teilzeitbeschäftigung aufzunehmen, ist größer geworden, weil die Freibeträge in dieser Einkommenshöhe verbessert wurden.

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Mit den bestehenden Arbeitsmarktinstrumenten konnte eine weitere Herausforderung bisher noch nicht gemeistert werden - das muss man eben auch sagen. Trotz guter konjunktureller Entwicklung, trotz des Wechsels von älteren Personen in die Altersrente, ist Langzeitarbeitslosigkeit vor allem in unseren Ländern, den neuen Ländern, weiterhin ein Problem. Genau hierfür wurden entsprechende Anpassungen durch das Bürgergeld vorgenommen.

Wer z. B. eine Ausbildung oder Umschulung machen will, wird inzwischen intensiver unterstützt. Der Grundsatz „Ausbildung vor Aushilfsjob“ gilt noch stärker. Dazu zählt, dass bei Bedarf ein Berufsabschluss auch in drei statt in zwei Jahren nachgeholt werden kann und es leichter wird, Grundkompetenzen z. B. in Lesen, Mathematik, IT-Fähigkeiten zu erwerben. Dafür wird ein zusätzliches monatliches Weiterbildungsgeld für die Teilnehmer an abschlussbezogenen Weiterbildungen gezahlt.

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ziel des Gesetzes soll doch ein Umgang auf Augenhöhe sein. Dazu wurden weitreichende Reformen durchgeführt, welche auch die Anpassung der Leistungsminderungen vorsehen. Dabei hat man ganz bewusst die Grundsätze des Forderns im Gesetz verankert. Es gibt weiterhin Mechanismen, die dafür Sorge tragen, dass Personen bei geeigneter Unterstützung durch die Jobcenter auch die Aufnahme einer Beschäftigung bzw. die Weiterqualifizierung in Angriff nehmen. 

Leistungsminderungen für Arbeitsablehnung oder Terminversäumnisse sind weiterhin möglich. Ich möchte noch einen Einschub machen: Die meisten SGB-II-Bezüge haben wir bei den ukrainischen Flüchtlingen; darunter sind viele Frauen mit ihren Kindern. Ihnen werden nach den neusten Regelungen - welche auch in der Ministerpräsidentenkonferenz festgelegt wurden  , wenn sie Termine versäumen, wenn sie keine Arbeit aufnehmen, Leistungen gekürzt.

(Markus Kurze, CDU: Seid vorgestern!)

- Ich sage es einmal so: Der Ministerpräsident würde, wenn er noch im Saal wäre, sagen: seit Längerem, und das auch ausdrücklich mit Willen der CDU.

(Markus Kurze, CDU: Ah!)

- Vielleicht ist das ja - Sie werden wahrscheinlich nach mir sprechen - noch ein Erkenntnisgewinn.

(Guido Kosmehl, FDP, lachend: Oh! Keine Schärfe hier reinbringen!)

Die Leistungsminderungen betrafen allerdings auch vor der Einführung des Bürgergeldes nicht einmal 1 % der erwerbsfähigen - das muss man einmal sagen - Leistungsberechtigten im SGB-II-Leistungsbezug. Es sind nämlich die wenigsten, die Termine versäumen. Man sollte in der Debatte auch nicht vergessen, dass das auch ein wichtiger Punkt war.

Ein weiterer Punkt war die Entfristung des sozialen Arbeitsmarktes. Das war ein weiterer zentraler Bestandteil, der vor allem auf die Reduzierung von Langzeitarbeitslosigkeit abzielt. Dabei ist es zu beachten, dass solche Arbeitsmarktinstrumente nur zum Tragen kommen, wenn die Jobcenter mit entsprechenden Mitteln ausgestattet werden. 

Das ist ein Thema, um das wir mit der Bundesregierung noch ringen. Wir hoffen, dass der Bundestag darauf schaut, wie die Bundesarbeitsagentur ausgestattet werden kann - im Augenblick stehen die Jobcenter vor erheblichen Einschnitten für die Budgetausstattung  , damit man tatsächlich weiterhin mit den kommunalen Partnern gut diese Arbeitsmarktinstrumente nutzen kann.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Ich habe im November letzten Jahres, als wir zuletzt das Bürgergeld auf der Tagesordnung hatten, gesagt, dass eine so grundsätzliche Neuausrichtung einer Sozialleistung stets hochkomplex und daher eine streitanfällige Angelegenheit ist. 

Wir diskutieren noch immer. Aber Fakt ist: Die vor der Einführung des Bürgergeldes ausgesprochenen Sorgen sind nicht eingetreten. Es gibt keine negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, die spürbar sind. Eine Erhöhung der Regelbedarfe aufgrund steigender Lebenserhaltungskosten wird daran nichts ändern. - Vielen Dank, meine Damen und Herren.

Eine persönliche Anmerkung noch; denn es ist so viel vom Handwerk gesprochen worden: Ich war mit meiner Kollegen Frau Feußner in der letzten Woche beim Workshop des Handwerks. Die Handwerkskammer hatte dazu eingeladen. Dort ging es natürlich darum, Fachkräfte für diese Bereiche zu bekommen. 

Ich habe mich mit einem Bäckermeister aus Staßfurt unterhalten, der genau diese Punkte angesprochen hat. Wir sind mittlerweile in einem engen Austausch darüber, wie wir ihm bei diesen ganzen Konstellationen die Möglichkeit geben, wieder Aushilfsfahrer zu bekommen, und auch - diese benötigt er ebenfalls - Hilfekräfte in seiner Bäckerei. 

Ich glaube, nur über diese positiven Beispiele kommen wir zueinander und können darstellen, dass das, was Sie an dieser Stelle vortragen, im Detail einfach nicht stimmt. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zuruf von Frank Otto Lizureck, AfD)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank. Frau Grimm-Benne, es gibt eine Frage von Herrn Kosmehl. - Herr Kosmehl, bitte.


Guido Kosmehl (FDP):

Vielen Dank. -Frau Ministerin, Sie haben zum Schluss noch einmal gesagt: Die Befürchtungen, dass es durch die Einführung bzw. Überführung von Hartz-IV zum Bürgergeld negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt gibt, sind nicht eingetreten.

Können wir auf der anderen Seite denn feststellen, ob durch die Begleitmaßnahmen auch der Wille bestand, Menschen, die bisher im Hartz-IV- oder jetzt im Bürgergeldbezug sind, wieder in den aktiven Arbeitsmarkt zu überführen? Gibt es dafür Hinweise, ob das gelungen ist, oder haben wir den Status quo nur weitergeführt?


Petra Grimm-Benne (Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung):

Das ist eine weitreichende Frage, für deren Beantwortung wir insbesondere die Landesdirektion für Arbeit benötigen, um das in Zahlen zu gießen. Für uns ist das, was wir in diesem Bereich bisher geschafft haben, ein großer Erfolg. 

Wir haben z. B. das letzte Mal über die Pflegeausbildung debattiert. Wir haben ein großes Programm aufgelegt: die assistierte Pflegeausbildung. Insbesondere junge Menschen, die noch nicht über die erforderlichen Sprachkenntnisse verfügen oder die einen Schulabschluss noch nicht geschafft haben, begleiten wir so weit, dass sie wenigstens diese einjährige Pflegehelferausbildung schaffen können und mit diesem Abschluss ein Modul haben, um weitere Ausbildungen absolvieren zu können.

Es gibt viele gute Ansätze. Ich kann nur die Anregung unterbreiten, sowohl in den Wirtschaftsausschuss als auch in den Sozialausschuss Herrn B. einzuladen und sich darüber nicht nur von mir berichten, sondern das von uns gemeinsam vorstellen zu lassen. 

(Zustimmung bei der SPD und von Susan Sziborra-Seidlitz, GRÜNE)