Dr. Anja Schneider (CDU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen, liebe Kollegen! Die Frage ist bereits angedeutet worden: Machen Sie sich eigentlich Sorgen darüber, ob Sie im Alter qualitativ hochwertige Pflege bezahlen können? Circa 75 % der Bevölkerung beantwortet diese Frage mit Ja, in Sachsen-Anhalt sind es sogar 81 % der Bevölkerung, und das - wie wir den ersten Redebeiträgen bereits entnehmen konnten - mit Recht.
Auch das wurde bereits angedeutet: Hauptsächlich die gestiegenen Tariflöhne in der Pflege - sie machen ca. 50 % der Kostensteigerungen aus, auch wenn sie sehr dringend notwendig waren - führen zu höheren Pflegeplatzkosten und damit auch zu der Erhöhung des Eigenanteils. Die meisten Pflegebedürftigen und Angehörigen können diese Kosten nicht mehr aus eigener Tasche bezahlen. Wenn kein Vermögen vorhanden ist, springt das Sozialamt ein; das ist Ihnen bekannt. Das war aber nicht der Plan.
Damit steht auch fest, dass die gesetzliche Pflegeversicherung mittlerweile ihren Zweck verfehlt hat. Aber auch das muss ganz deutlich gesagt werden: Das Scheitern der Pflegeversicherung kann nicht auf dem Rücken der Bundesländer und der Pflegekassen ausgetragen und nicht allein den Pflegebedürftigen sowie den Angehörigen aufgebürdet werden.
Ganz nebenbei: Das Gleiche kommt auch im Bereich der Eingliederungshilfe ganz zeitnah auf uns zu.
Die Bewältigung der Aufgaben wird nur - das sage ich ganz deutlich - durch die Zusammenarbeit der Politik, und zwar auf der Bundes- und der Landesebene, der Sozialversicherungsträger und aller an der Pflege Beteiligten gelingen. Dazu braucht es zeitnah Reformen auf der Bundesebene, um die Eigenanteile signifikant zu senken bzw. zu sockeln.
Eine Pflegevollversicherung, wie sie teilweise und immer mehr gefordert wird, ist aus der gegenwärtigen Sicht nicht finanzierbar. Sie kann meines Erachtens auch falsche Anreize setzen. Ein Vorteil hätte eine solche Vollversicherung zweifelsohne, und zwar die Gerechtigkeit, dass niemand wegen einer Pflegesituation zum Sozialamt muss. Eine Vollversicherung ist aber mit den jetzigen Beiträgen - das haben wir gerade bei der Antwort von Frau Anger auf die Frage diskutiert - und auch mit Blick auf die Anzahl der Einzahler nicht machbar. Was wir brauchten, um diesen Weg ggf. zu gehen, ist ein gesellschaftlicher Diskurs darüber, wie wir im Alter gepflegt werden wollen und was wir bereit sind, dafür zu bezahlen.
Ein weiterer Aspekt ist - ich sehe in diesem Zusammenhang eine Gefahr : Die meisten Menschen möchten eigentlich zu Hause bleiben - das ist doch ganz normal. Sie möchten zu Hause alt werden, in den eigenen vier Wänden sterben. Es ist aber so, dass, wenn wir eine Pflegevollversicherung haben, ein gewisser gesellschaftlicher Druck entstehen kann nach dem Motto: Das ist doch alles bereits bezahlt, nimm es doch in Anspruch.
Wir haben bereits gehört: 60 % der Pflege werden durch Angehörige geleistet. Dafür unsere volle Anerkennung und auch der Dank, dass die Angehörigen das machen.
(Beifall bei der CDU, bei der FDP und Zustimmung bei der AfD - Zuruf von Ulrich Siegmund, AfD)
Das würde ohne die Angehörigen überhaupt nicht zu finanzieren sein. Unser System würde kollabieren. Aber dass man dann natürlich auch sagt „Okay, ich hätte vielleicht auch andere Pläne in meinem Leben“, das ist schon eine deutliche Gefahr.
Zum Landespflegegeld oder auch zum Thema Investitionskosten. Das sind prinzipiell gute Ideen, die aber im Haushalt einfach nicht realisierbar sind. Wir haben in Sachsen-Anhalt ca. 730 Pflegeeinrichtungen. Wir haben ungefähr 30 000 Menschen, die Plätze teilstationär, vollstationär in Anspruch nehmen. Bei einem Investitionskostenanteil in Höhe von ungefähr 430 € bis 450 € sind wir allein bei der Übernahme der Investitionskosten bei einem Betrag in Höhe von mehr als 150 Millionen €, nur für Sachsen-Anhalt. Wir müssen uns wirklich anschauen, wie wir das bewerkstelligen können.
Die CDU-Fraktion steht ganz klar zur sozialen Pflegeversicherung als Teilleistungsmodell, d. h., die Leistungen der gesetzlichen Versicherung, der betrieblichen Mitfinanzierung und der eigenverantwortlichen privaten Vorsorge. Dazu braucht es Präventionsangebote, die insbesondere die Pflege durch die Angehörigen sichern.
Mit Blick auf die gestern geführte Debatte, ist natürlich zum Thema „Leistung muss sich lohnen“ die Frage zu stellen: Müssen es die Menschen wirklich hinnehmen, dass ihre Ersparnisse unter Berücksichtigung ihrer Immobilien erst aufgebraucht werden müssen, bis sie einen Anspruch auf die Finanzierung haben? Das heißt, es ist erforderlich, die bereits angesprochenen Themen über die Bundespolitik mit der Pflegezusatzversicherung besser zu fördern, für einen Mix aus Beiträgen zu sorgen, z. B. eine Anhebung des Schonvermögens bzw. eine Erhöhung der Freibeträge vorzunehmen und - das finde ich ganz wichtig, insbesondere auch für jüngere Menschen - dafür zu sorgen, dass es bei der Inanspruchnahme von Sozialleistungen nicht zu Rückforderungen an die Kinder kommt und vor allen Dingen es auch keine Auswirkungen auf das Erbrecht hat.
Wir müssen den Antrag der LINKEN
Vizepräsident Wulf Gallert:
Danke, Frau Dr. Schneider.
Dr. Anja Schneider (CDU):
Ein letztes Wort?
Vizepräsident Wulf Gallert:
Ein letztes W o r t . Bitte.
(Ulrich Siegmund, AfD, lacht)
Dr. Anja Schneider (CDU):
Antrag der LINKEN ablehnen, Alternativantrag zustimmen. - Vielen Dank.
(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP - Guido Kosmehl, FDP: Zusammengeschrieben! Zusammengeschrieben!)
- Als ein Wort.
Vizepräsident Wulf Gallert:
Okay. Nur einmal zur freundlichen Erinnerung: Wenn die Tafel am Rednerpult rot aufleuchtet, dann heißt das, dass die Redezeit vorbei ist. Aber es ist in Ordnung.
(Dr. Anja Schneider, CDU: Auf meiner Uhr standen aber auch schon 40 s, bevor ich angefangen habe!)
- Ach.
(Dr. Anja Schneider, CDU: Doch! - Lachen bei der CDU)
- Okay, Frau Dr. Schneider, schreiben Sie einen Beschwerdebrief an den Ältestenrat. Alles gut.- Jetzt gibt es noch eine Frage von Frau Anger. - Möchten Sie sie beantworten?
Dr. Anja Schneider (CDU):
Na, sicher.
Vizepräsident Wulf Gallert:
Dadurch haben Sie noch mehr Redezeit. - Frau Anger, Sie haben das Wort.
Nicole Anger (DIE LINKE):
Frau Dr. Schneider, um in Erfahrung zu bringen, ob ich Sie richtig verstanden habe, habe ich eine Frage zu dem, was Sie gerade ausgeführt haben. Sie sagten sinngemäß
Dr. Anja Schneider (CDU):
Ich kann nicht verstehen, was Sie sagen.
Nicole Anger (DIE LINKE):
Das geht mir am Rednerpult auch immer so, weil die Schallmauer hier vorn das oftmals hemmt. Ich versuche es noch einmal etwas lauter. - Sie sagten sinngemäß: Wir müssen schauen, welche Pflegeleistungen sich die Pflegebedürftigen leisten können. Das hieße für mich im Umkehrschluss: Jede Pflegeleistung ist abhängig vom eigenen Geldbeutel. Verfüge ich über eine kleine Rente, bekomme ich wenig Pflege. Verfüge ich über eine große Rente, kann ich mir die Luxuspflege einkaufen. Habe ich Sie dahin gehend richtig verstanden?
Dr. Anja Schneider (CDU):
Nein, Sie haben mich nicht richtig verstanden. Ich habe gesagt: Wir kommen überhaupt nicht darum herum - ich habe noch keine Ahnung, wie wir es richtig umsetzen können, aber wir müssen es umsetzen : Wir müssen einen gesellschaftlichen Diskurs darüber führen, d. h., wir müssen uns darüber verständigen, wie wir im Alter gepflegt werden wollen. Was wollen wir? Darunter fällt die ganze Diskussion um pflegefremde Leistungen in der Sozialversicherung - das ist alles bereits erwähnt worden.
Aber grundsätzlich geht es darum: Was wollen wir als Gesellschaft, das man uns im Alter Gutes tut? Wenn wir das definiert haben, dann müssen wir sagen: Was sind wir bereit, dafür zu bezahlen. Wenn wir sagen „Wir - jeder Einzelne in der Gesellschaft - sind nicht dazu bereit, das entsprechend zu finanzieren“, dann müssen wir uns eingestehen, dass wir uns das nicht leisten können. Ich kann auch nur das einkaufen, was ich mir leisten kann. Es ist eine gesellschaftliche Frage.
Ein Satz noch dazu - deswegen auch das Fazit : Die Herausforderung bezüglich der Pflegeversicherung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die die Bevölkerung, die Politik, die Leistungserbringer, die Träger usw. gemeinsam wahrzunehmen haben. Das kann niemand allein bewerkstelligen.
(Zustimmung von Sandra Hietel-Heuer, CDU)