Sebastian Striegel (GRÜNE): 

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich war dieses Jahr im Sommer unterwegs auf Blaulichttour in meinen Betreuungsregionen und habe mich zusätzlich zu den alltäglichen Gesprächen - das Thema Katastrophenschutz, glaube ich, bewegt uns alle - noch einmal intensiv mit den Hilfsorganisationen getroffen, war an verschiedenen Stellen unterwegs, auch beim THW. Ich glaube, die Probleme sind offensichtlich.

Ich habe mich gefreut, dass die SPD das Katastrophenschutzgesetz hier im Landtag zum Thema macht. Schließlich haben Sie gemeinsam mit der CDU und der FDP im Koalitionsvertrag angekündigt - ich zitiere - „Maßnahmen zu ergreifen, um […] die Brand- und Katastrophenschutzbehörden in Sachsen-Anhalt zu stärken.“

Das braucht eine konkrete Unterfütterung. Eine Novellierung des Katastrophenschutzgesetzes ist eine erforderliche Maßnahme, um den Katastrophenschutz in Sachsen-Anhalt tatsächlich ins 21. Jahrhundert zu holen, nicht so sehr, Herr Kosmehl, weil das Gesetz schon so alt ist, sondern vor allem, weil sich die Anforderungen an vielen Stellen geändert haben. Ich glaube, Kollege Erben hat das sehr deutlich herausgearbeitet, und auch in Ihrer Rede klang das immer mal an.

Das Gesetz wurde hier im Land zuletzt im Jahr 2005 geändert. Seither hat sich einiges bei den Anforderungen an den Katastrophenschutz getan. Wenn man einmal in die Bundesländer schaut - z. B. nach Niedersachsen, dort wurde das Gesetz im Jahr 2022 novelliert  , dann kann man da, glaube ich, die eine oder andere gute Anleihe nehmen, oder auch beim Land Brandenburg, das die Großschadensereignisse ins eigene Gesetz geschrieben hat. Das bietet, glaube ich, Orientierungsmöglichkeiten.

Jede und jeder hier wird noch die Bilder des Hochwassers im Jahr 2013 im Kopf haben. Es regnete damals tagelang und infolge dessen stiegen die Pegel der Flüsse stetig an. Mit wochenlangem und unermüdlichem Einsatz der Freiwilligen und der Einsatzkräfte konnten die Folgen begrenzt werden. Seither laufen überall im Land Maßnahmen zum verbesserten Hochwasserschutz bei Gewässern erster Ordnung. Anders sieht es bei Gewässern zweiter Ordnung aus. Da haben wir, glaube ich, noch das eine oder andere an Aufgabe vor uns.

Naturkatastrophen werden durch die menschengemachte Erderhitzung signifikant häufiger, außergewöhnliche Schadensereignisse nehmen zu.

(Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)

Auch durch kriegerische Auseinandersetzungen bedingte Gefahrenlagen können uns in Sachsen-Anhalt treffen.

Ich will noch einmal in Richtung der AfD sehr deutlich sagen: Es geht darum, nicht nur den Katastrophenschutz besser zu machen, sondern vor allem das Entstehen solcher Gefahrenlagen von vornherein zu verhindern oder weniger wahrscheinlich zu machen. Das heißt, endlich miteinander den Kampf gegen die Erderhitzung engagiert und wirksam aufzunehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Lachen bei der AfD)

Ja, wir werden immer mehr solcher Katastrophen bekommen.

(Zurufe von der AfD)

Deshalb müssen wir da etwas an den Ursachen ändern. Im Übrigen müssen wir auch etwas an den Ursachen für Kriege ändern. Dazu gehört es, dass wir russischen Agenten, die hier im Landtag sitzen, nicht weiter hinterherlaufen.

(Ulrich Siegmund, AfD: Was, bei den GRÜNEN sitzen Agenten, Herr Striegel? - Weitere Zurufe von der AfD)

Wir brauchen einen gut ausgerüsteten und gestärkten Katastrophenschutz. Und wir haben den Zivilschutz als zentrale Zukunftsaufgabe vor uns.

(Zurufe von der AfD)

Seit 2005 sind auch die Gefahren für Cyberangriffe massiv gestiegen. Die Verwaltung unseres Landkreises Anhalt-Bitterfeld wurde als erster staatlicher Akteur in Deutschland infolge eines solchen Angriffs im Juli 2021 komplett lahmgelegt. Der Landkreis rief den Katastrophenfall aus und musste unter Hilfe des tatsächlich unzuständigen Bundesamtes für Sicherheit und Informationstechnik das System über ein halbes Jahr lang wieder funktionsfähig machen. Noch lange danach zeigten sich die Auswirkungen des Angriffs.

Ich glaube, der Fall zeigt exemplarisch, wo die Probleme liegen. Wer sich heute nur kurz umschaut und an diesem Freitag schaut, wo es überall Cyberangriffe auf Kommunen gibt, der muss erstens feststellen, das ist inzwischen ein Alltagsproblem geworden, und zweitens, wir haben es offensichtlich in diesen unsicheren Zeiten auch mit gezielten, koordinierten Angriffen zu tun.

Es bleibt also viel zu tun. Umso verwunderlicher ist es, dass das Thema hier am Ende nur als Aktuelle Debatte eine Rolle spielt. Denn wir alle wissen, § 46 Abs. 6 unserer Geschäftsordnung sagt, dass Beschlüsse in der Sache nicht gefasst werden, und das ist ein Problem.

Ich glaube, es wäre richtig, zu schauen, welche Aufgaben wir der Landesregierung mit auf den Weg geben können. Das passiert im Regelfall in Form von Anträgen und Beschlüssen des Landtags oder aber - ich habe die Ankündigung aus Teilen der Koalition jetzt mit Interesse vernommen - dadurch, dass man auch das Katastrophenschutzgesetz anfassen will. Aber wenn ich dann höre, was aus dem Innenministerium kommt, wenn ich höre, was Herr Schulenburg von der CDU dazu zu sagen hat, dann habe ich nicht so richtig großen Optimismus, dass wir in der Sache vorankommen.

Sie können, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, jedenfalls auf breite parlamentarische Unterstützung auch von uns bauen.

(Ulrich Siegmund, AfD: Das sind doch nur fünf oder sechs Mann!)

Wir wollen deutlich sagen, wir stehen dahinter, wenn es um eine Novellierung des Katastrophenschutzgesetzes geht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Probleme sind weit über die Fachkreise hinaus bekannt. Die Lösungsvorschläge, z. B. auch in Positionierungen der Hilfsorganisationen, liegen auf dem Tisch und könnten diskutiert werden. Ich glaube, wir sollten über das Diskutieren hinauskommen.

Wir brauchen allerdings mehr als Kennenlerntreffen wie das Netzwerktreffen zum Katastrophenschutz. Sie werden nicht ausreichen, um die Herausforderungen anzugehen. Wir brauchen, glaube ich, tatsächliche Veränderungen im Gesetz.

Ich bin einig mit Ihnen, Herr Kosmehl, es kann aus meiner Sicht nicht darum gehen, das Ganze alles nach oben zu zonieren auf die Eben des Landes. Ich glaube in der Tat, dass Menschen vor Ort, zunächst einmal Expertinnen und Experten in ihrer eigenen Situation sind. Aber wir müssen die Koordinierung verbessern. Wir müssen dafür sorgen, dass wir eine bessere Einbettung der Behörden in ein landesweites Konzept und eine stärkere Zusammenarbeit mit anderen Bundesländern haben. 

Von Landesseite aus wird mir zu häufig allein auf die Kommunen verwiesen und in Richtung Bund geschaut. - Entschuldigung, da haben Sie völlig recht. Die Probleme, die wir im Katastrophenschutz haben, sind nicht durch die Ampelfraktionen verursacht worden, jedenfalls zumindest nicht durch zwei davon. Das lässt sich relativ unproblematisch feststellen. Wir kehren ein Stück weit auch auf, was andere über Jahre auf Bundesebene versäumt haben.

Im Übrigen liegt die Aufgabe nicht nur darin, mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Wir haben als Land, als Gesellschaft ein Problem, das wir im psychologischen Sinne nicht resilient genug sind. Wir haben uns noch nicht darauf eingestellt, dass wir in einer zunehmend unsicheren Welt leben. Wir müssen unsere gesamte Bevölkerung mitnehmen.

Das wird nicht nur über die Frage von Zuständigkeiten entschieden, sondern auch über die Kommunikation von politischen Akteurinnen und Akteuren. Ehrlich gesagt, das passiert mir viel zu wenig. Wenn ich sehe, mit welchem Unernst in diesem Land bisweilen politische Debatten geführt werden, mit welchem Unernst ein Oppositionsführer im Deutschen Bundestag unterwegs ist, dann macht mir das Sorgen, weil ich mir für dieses Land wünsche, dass wir die Herausforderungen der Zukunft meistern. Dazu brauchen wir eine andere Kommunikation im politischen Betrieb.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es sind auch die kleinen Dinge. Ich glaube, wir müssen einmal schauen, ob nicht das Land z. B. seine Position auch verändern muss in Richtung des Bund-Länder-Zentrums zur Bewältigung größerer Katastrophenlagen im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Ich glaube, da gehört auch ein Vertreter des Landes hin.

Positiv sei hervorgehoben, dass die Landesregierung - und damit beziehe ich mich schon auf die nächste Debatte zum Thema Brandschutz - zuletzt auf langjährige Probleme beim IBK mit Lösungsvorschlägen reagiert und das Zukunftskonzept vorgelegt hat. Ich glaube, das ist gut.

Auf diesem Konzept kann man aufbauen. Es bietet gute Anknüpfungspunkte in den Bereichen psychosoziale Notfallversorgung, zentrale Beschaffung, Vorhaltung einer landesseitigen Notfallreserve, notwendige Aus- und Fortbildungskonzepte usw. Wir müssen da aber in die Umsetzung kommen.

Zum Antrag der AfD kann man jedenfalls in diesem Zusammenhang sagen: Den brauchen wir nicht. Die Antworten liegen auf dem Tisch. Das Ministerium muss in die Puschen kommen, bei all dem Verständnis aufgrund der vielen Baustellen, die es im Bereich Katastrophen- und Brandschutz gibt.

Selbstverständlich werden wir hier unsere Rolle als Opposition wahrnehmen. Wir werden Sie bei der Umsetzung einerseits unterstützen, werden andererseits aber auch genau hinschauen und dort kontrollieren, wo es notwendig ist. - Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Herr Striegel, es gibt eine Intervention von Herrn Scharfenort. - Herr Scharfenort, Sie haben das Wort.


Jan Scharfenort (AfD): 

Ich empfehle Ihnen, Herrn Scharfenort und auch den Abgeordneten noch einmal den aktuellen Artikel in der „Welt“ vom 12. Oktober 2023, also ganz aktuell zum Thema Klimawandel mit der Überschrift „Klimawandel: Die Katastrophenlüge“. Ich zitiere: 

„Der Klimawandel hätte Wetterkatastrophen des häufiger gemacht, berichten Medien und die Vereinten Nationen. Doch das ist falsch, es gibt nicht mehr Desaster. Sie verlaufen sogar glimpflicher als früher.“

Ich versuche, den Inhalt wiederzugeben. Hauptgrund ist vor allem, dass heute wesentlich mehr gemeldet wird, als es früher der Fall war, weil jeder ein Handy hat. Verlässliche Daten haben wir erst seit ca. 20 Jahren. Seitdem ist das Niveau der Meldungen etwa gleich geblieben. Daran kann man ganz klar sehen: Es gibt keinen Anstieg der Häufigkeit. - Nur so viel zu Ihrer Klimapanik.

(Unruhe)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Sie können darauf reagieren, wenn Sie wollen, Herr Striegel.


Sebastian Striegel (GRÜNE): 

Herr Scharfenort, wissen Sie, ein einzelner abseitiger Artikel aus der „Welt“ versus die gesammelte wissenschaftliche Erkenntnis 

(Zuruf)

von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern über Jahre    

(Zuruf)

- Sie müssen noch nicht einmal den GRÜNEN, Sie müssen noch nicht einmal der Wissenschaft glauben.

(Zuruf)

Aber ich möchte Ihnen eines empfehlen: Fragen Sie die Rückversicherer, ob die Schadensmeldungen und die Schäden, die in den letzten Jahren entstanden sind, zugenommen haben,

(Zurufe)

und Sie werden die für Sie möglicherweise überraschende, für uns seit Langem bekannte Erkenntnis haben.

(Unruhe bei der AfD - Zuruf)

Es ist tatsächlich schlimmer geworden 

(Zurufe)

und es wird tatsächlich immer schlimmer werden, je stärker die Erderhitzung fortschreitet.

(Zurufe)

Physik lässt sich auch durch rechtsextreme 

(Zurufe) 

Ideologie nicht außer Kraft setzten.

(Zurufe von der AfD)

- Hören Sie einfach auf!

(Beifall bei den GRÜNEN - Unruhe - Zurufe von der AfD)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Warten Sie, Herr Striegel! - Noch mal: Zumindest das muss man aushalten können. Wenn man eine Intervention macht, dann hat der Redner die Möglichkeit, darauf zu antworten. Dann muss man auch die Antwort aushalten können. 

Es gibt noch eine Frage von Frau Tarricone. - Herr Striegel kommt nach vorne und Frau Tarricone kann ihre Frage stellen. - Bitte sehr.


Sebastian Striegel (GRÜNE):

Frau Kollegin, ich wollte Sie nicht ignorieren, Entschuldigung.


Kathrin Tarricone (FDP):

Sehr geehrter Herr Präsident, herzlichen Dank. - Herr Striegel, danke, dass Sie auf meine Frage antworten wollen. Eigentlich haben Sie gerade schon geantwortet. Sie haben in Ihrer Rede gesagt, wir brauchen einen anderen Kommunikationsmodus. Wir brauchen definitiv nicht mehr Angst in der Bevölkerung, also diese Katastrophenszenarien. „Apokalypse“ ist mein Lieblingswort, das hier ständig fällt.

(Zuruf)

Halten Sie das für den richtigen Kommunikationsmodus?

(Unruhe - Zurufe von der CDU, von der SPD und von der FDP)


Sebastian Striegel (GRÜNE): 

Frau Kollegin, ich bin sehr einig mit Ihnen darin, dass wir das Wort „Apokalypse“ nicht permanent benutzen sollten. Da sind wir ganz eng beieinander. Aber die realen Folgen der Erderhitzung, die realen Folgen der Klimakrise sind schlimm genug. Deshalb brauchen wir nichts zu übertreiben.

(Beifall bei den GRÜNEN - Unruhe)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Dann sind wir am Ende der Debatte angelangt und können, da wir hier keine Beschlüsse fassen, diesen Tagesordnungspunkt schließen.