Olaf Meister (GRÜNE):
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem Satz „Leistung muss sich wieder lohnen!“ zog Helmut Kohl im Jahr 1982 in den Wahlkampf. 32 CDU-Kanzlerjahre später braucht es nun diese CDU-Debatte, um der Leistungsgesellschaft wieder aufzuhelfen. Entweder lief es nicht so bei den CDU-Kanzlern oder es ist eine ziemlich abgedroschene Parole.
Entgegen dem kontinuierlichen konservativen Klagelied ist Leistung die Grundlage unserer Gesellschaft. Ja, selbstverständlich, dieses Land wird am Laufen gehalten, weil jeden Morgen Menschen aufstehen, Dinge produzieren und Dienstleistungen erbringen. Brötchen müssen gebacken, Supermärkte müssen gefüllt, Bleche müssen gewalzt, Software muss geschrieben und Waren müssen transportiert werden. Es geht jeden Tag um Leistung. Wenn man nicht vermögend geboren wird, reich erbt oder im Lotto gewinnt, dann ist es gerade diese Leistung, die über Einkommen und Karriere entscheidet.
Unser marktwirtschaftliches System ist auf ständige Effizienzgewinne ausgerichtet. Wer am Markt das günstigste Angebot platzieren kann, wer also Leistung erbringt, der setzt sich durch; wer nicht, der verschwindet auf Dauer vom Markt. Dieses System führt zu sehr effizienten und dadurch grundsätzlich auch nachhaltigen Ergebnissen. Es schafft die Basis für Wohlstand. Der beständige Effizienzdruck wird aber naturgemäß bis an den einzelnen Menschen weitergegeben. Das ist nicht immer einfach. Das ist fordernd.
Die Jahrzehnte alte Forderung, Leistung müsse sich w i e d e r lohnen, geht an der Wirklichkeit in unserer Gesellschaft in ganz weiten Teilen vorbei.
(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung von Andreas Henke, DIE LINKE)
Leistung lohnt sich und wird gefordert. Was ich wirklich nachteilig finde, das ist dieses permanente Schlechtreden, das gerade aus der CDU in dieser Richtung kommt.
(Zustimmung von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)
Was mich wirklich verblüfft hat bei der Rede, ist diese Ignoranz gegenüber sich verändernden Lebensverhältnissen.
(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Kristin Heiß, DIE LINKE: Ja!)
Ich habe mir den Satz aufgeschrieben: Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Das kann man auch in Druckwerken aus dem 19. Jahrhundert lesen. Damit kann man doch nicht ernsthaft eine Debatte über Leistung und Arbeitsmarkt im 21. Jahrhundert in der Bundesrepublik Deutschland bestreiten wollen.
(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)
Das hat sich grundlegend geändert.
Work-Life-Balance, das war schon ein bisschen anrüchig, als es der Kollege Thomas hier sagte. Natürlich hat sich tatsächlich etwas verändert. Ich höre das auch häufig aus der Wirtschaft als Kritik, dass sie sagen: Ja, wenn wir Stellen ausschreiben, in Vollzeit, dann ist es gar nicht so einfach.
Tatsächlich hat sich etwas verändert in der Art und Weise, wie Menschen an die Dinge herangehen. Sie achten schon darauf, wenn es ihnen finanziell möglich ist, und fragen sich, wie ist mein eigenes Leben gestaltet, wie viel Zeit verbringe ich mit meiner Familie, wie viel Zeit bleibt für Hobbys. Das sind Dinge, auf die man als Gesellschaft natürlich eingehen, mit denen man sich befassen muss. Das hat mit unseren Sozialsystemen überhaupt nichts zu tun. Ja? Es ist ja nicht so, dass Leute in dieser Frage von Sozialleistungen profitieren, sondern es geht tatsächlich um eine Lebenseinstellung, die sich ändert, was man berücksichtigen muss.
Tatsächlich ist es aber so, dass bestimmte Lebensbereiche bewusst aus dem Leistungsprinzip ausgenommen sind. Das ist nicht irgendwie Sozialromantik, sondern hat etwas mit dem christlichen Menschenbild zu tun, um es einmal CDU-konform zu sagen, wonach sich der Wert von Menschen nicht nach monetären Gesichtspunkten bestimmt.
Man kann mehrere Aspekte unseres Zusammenlebens ansprechen. Einige Punkte wurden genannt, z. B. der Sport und der Leistungsgedanke. Sport und Leistungsgedanke, das macht total Sinn, aber natürlich macht auch Sport und Spaß total Sinn. Ich würde nicht dazu neigen, den Leuten vorzuschreiben, wie sie zu leben haben.
(Oh! bei der CDU und bei der FDP - Ulrich Thomas, CDU: Das war der Beste heute! Das war der Beste! - Zurufe von Anne-Marie Keding, CDU, und von Cornelia Lüddemann, GRÜNE - Weitere Zurufe)
- Genau, das ist der Punkt. Ich mache das nicht.
(Guido Heuer, CDU: Der war gut! Der war spitze!)
- Genau. Man muss das brechen. Im Sport kann es um Spaß gehen. Es muss nicht zwingend um Punkte gehen. Das hat der Staat nicht vorzuschreiben. Eine Regierungspartei muss sich nicht hierhin stellen und den Leuten sagen, passt mal auf, beim Sport, das müsst ihr so und so machen,
(Sven Rosomkiewicz, CDU: Aber nicht im Leistungssport!)
es muss Leistung sein, die Armbinde und so, das haut nicht hin. Das ist eine ganz schwache Leistung.
(Zuruf von Guido Heuer, CDU)
Schulen und die Frage, wie gehe ich mit Kindern um und wie kann ich glückliches Lernen erzeugen, wie kann ich diesen Rahmen gestalten: Dass das nicht zwingend mit Notenvergaben einhergehen muss, darüber kann man diskutieren.
(Oh! bei der CDU und bei der FDP - Guido Kosmehl, FDP: Abitur ohne Prüfung? Abschluss ohne Prüfung?)
- Also, in der Grundschule werden heute in den ersten Klassen keine Noten vergeben. Zumindest habe ich das bei meinen Kindern so erlebt. Ich empfand das als sinnvolle Maßnahme. Der Kollege Thomas geht in eine andere Richtung.
(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Bei uns geht es um die Grundschule!)
Ein ganz zentraler Aspekt, auf den die CDU offensichtlich abstellt, ist unser Sozialstaat. Ja, wir zahlen an Menschen in unserer Gesellschaft, ohne eine Gegenleistung zu verlangen, Sozialleistungen, um soziale Notlagen auszugleichen. Das machen wir nicht aus purer Nettigkeit. Damit wird zugleich auch ein tieferer Sinn verfolgt. Wir ermöglichen allen Menschen zumindest auf einem Mindestniveau die Teilhabe an unserer Gesellschaft: Wohnung, Nahrung, Energie, Bildung und auch Kultur. Wir gleichen damit soziale Spannungen aus - absolut positiv für unsere Gesellschaft. Dass Deutschland im internationalen Vergleich recht gut dasteht bei Themen wie Sicherheit, Kriminalität und allgemeine Lebensqualität, geht natürlich auch und gerade auf diese Investition zurück.
Nun kommt in durchaus nachvollziehbarer Weise immer, schon so lange wie es einen Sozialstaat mit Sozialleistungen gibt, die Frage auf, ob ein ausreichender Abstand zwischen Sozialleistungen und niedrigem Erwerbseinkommen besteht und eingehalten wird. Gerade der aktuelle Anstieg des Bürgergelds befeuert natürlich entsprechende Diskussionen. Es steigt um 12 % auf 563 €. Das klingt nach einer großen prozentualen Steigerung, ist es aber angesichts der Preisentwicklung in jüngerer Zeit nicht. Jeder kann für sich selbst überlegen, ob er mit den 61 €, die hinzukommen, die Kostensteigerungen, die bei ihm privat entstehen, bestreiten könnte.
Wenn die Sozialleistungen ihren gesellschaftlichen Zweck erfüllen sollen, dann müssen sie bestimmte Leistungen umfassen. Das ist eher knapp bemessen.
Die Lohnentwicklung verlief in der Vergangenheit ähnlich. Der Mindestlohn ist seit dem Jahr 2015 um 46 % gestiegen, das Bürgergeld um 41 %.
Tatsächlich sorgt vor allem der Mindestlohn - kein Lieblingsprojekt der antragstellenden CDU - dafür, dass sich Arbeit und Leistung wieder lohnen.
Ärgerlich an der Debatte ist, dass wir es nicht mit einer sachlichen Auseinandersetzung über die sinnvolle Bemessung von Sozialleistungen zu tun haben. Unter dem Slogan „Leistung muss sich wieder lohnen“ wird zumeist eine Neidkampagne gefahren, in der diejenigen mit geringem Einkommen gegen diejenigen im Sozialleistungsbezug ausgespielt werden.
Ziel der CDU-Debatte ist aber bezeichnenderweise nicht primär, dass die mit geringem Lohn mehr für ihre Leistung erhalten, sondern die anderen weniger. Diejenigen, die über Anzeigen in den Zeitungen gesucht werden, haben von der Kampagne nichts.
(Zuruf von Hendrik Lange, DIE LINKE)
Ein wenig in Sorge bin ich, dass die CDU-Fraktion mit dieser Kampagne, die sich jetzt fortsetzt, die Axt an der Akzeptanz des Sozialstaates ansetzt, indem man diese Gruppen gegeneinander ausspielt. Das ist insofern gefährlich, als irgendwann die Situation eintreten kann, dass auch die CDU auf der Bundesebene wieder in Regierungsverantwortung ist. Die von rechts außen werden dann kommen und euch das vorhalten. Ihr werdet, wenn ihr euch in der Tradition von 32 Jahren Helmut Kohl und Angela Merkel verhaltet, das so nicht liefern wollen, wie ihr das hier fordert.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Leistung lohnt sich. - Wenn wir aber in einer friedlichen Gesellschaft leben wollen, die zueinandersteht, dann müssen wir darauf achten, dass wir auch diejenigen mitnehmen, die aus welchen Gründen auch immer nicht oder nur momentan nicht aus eigener Kraft mithalten können. Nur dann lohnt sich Leistung wirklich. - Danke schön.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)